FRONTPAGE

Editorial Nr. 56

Editorial Nr. 56

November 2015

 

Liebe Literatur- & Kunst-Fans und Freunde, herzlich willkommen!

Der Rücktritt von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf eröffnet den Wahlkampf um den Bundesratssitz vom 9. Dezember 2015. Die SVP wird jetzt ihren Anspruch erneut geltend machen, sofern ein Bundesrat der gemässigten Art gefunden werden kann. Ein m.E. valabler Bundesratskandidat wäre Peter Spuhler, konziliant und lösungorientiert. Auch in bezug auf die schwierigen Verhandlungen mit den bilateralen Verträgen wäre er der richtige Mann. Aber ob das der Unternehmer auch so sieht? On verra!
Eveline Widmer-Schlumpf verfügt über einen beträchtlichen Leistungsausweis als Bundesrätin und brachte die konservativ-stagnierende Schweiz auf Kurs. Man kann nur hoffen, dass nicht stramm konservative Kreise die Schweiz wieder in Rücklage bringen.

Wie könnte man die trüben Novembertage aufhellen? Gerne auch mit diesen Tipps:

 

Swetlana Alexijewitsch, die in der Ukraine geborene, weissrussische Schriftstellerin und Literatur-Nobelpreisträgerin 2015, setzt sich in ihren Werken für die Menschenrechte ein. In ihrem Buch «Secondhand-Zeit» bringt sie eindrücklich die Schicksale von Menschen zu Gehör. Suhrkamp Berlin 2015. Astrid Lindgren, als Kinderbuchautorin mit «Pippi Langstrumpf» weltberühmt geworden, hat 1939-1945 Kriegstagebücher verfasst: «Die Menschheit hat den Verstand verloren», Ullstein Verlag 2015.

 

Lyrik – sie ist das Trostpflaster für alle Tage. Durchs Jahr 2016 durch dick & dünn begleitet der Lyrik-Taschenkalender, herausgegeben von Michael Braun, Wunderhorn 2015. Und wir möchten Sie auch auf das Lyrikfestival Lenzburg NEONFISCHE im Aargauer Literaturhaus unter der Leitung von Bettina Spoerri hinweisen, es findet am Wochenende 21./22. November 2015 statt. Das genaue Programm finden Sie auf Literatur & Kunst.

 

Ben Vautier existe! Berühmt wurde er mit dem Ausspruch „La suisse n’existe pas!“. Jetzt hat der Künstler eine Ausstellung im Museum Tinguely, Basel. Ein Beitrag von Simon Baur. Und Tomi Ungerer, eigenwillig und skurril, ist im Kunsthaus Zürich zu Gast. Andreas Gursky wurde mit seinen grossformatigen Fotos bekannt, gegenwärtig sind die Fotografien im Frieder Burda Museum in Baden-Baden zu besichtigen«Pop und Politik, Kitsch und Kult».

 

«Erhellendes aus der Dunkelkammer» liefert das Fotografen-Duo Onorato & Krebs im Fotomuseum Winterthur. Ein Lagebericht von Daniele Muscionico. «Aus dem Leben ins Kino», Beispiel verfilmter Lebensgeschichten gibt Rolf Breiner. Dazu aktuelle Filmtipps, u.a. Spectre, den neuen Bond.

 

Fabrizio Brentini stellt den Tessiner Architekten Livio Vacchini mit einer Monographie vor. Park Books Verlag 2015. «Architekten des Klassizismus und Historismus» in Basel, ein Buchtipp von Simon Baur. Merian Verlag 2015. Ferner: Architekturführer Astana, Kasachstan. DOM publishers Berlin 2015.

 

Martin Walker, erprobter Bestseller-Krimi-Spezialist, stellt einen SciFi-Thriller vor: «Germany 2064». Wie werden wir dann leben? Diogenes Verlag 2015. Die «NZZ-Geschichte» bringt einen Auszug aus Max Frisch’s Fiche «Die Akte M.» mit seinen Kommentaren. Dazu ist auch im Suhrkamp Verlag ein Buch erschienen «Ignoranz als Staatsschutz».

 

Im Museum Haus Konstruktiv sind drei hochkarätige Ausstellungen zu sehen: Malerin und Dichterin Etel Adnan, «Zurich Art Prize-Gewinnerin 2016» Latifa Echachek, Bildhauer Peter Hächler mit dem Nachbau aus seinem Atelier.

 

Rolf Breiner entführt uns in den schönen  Donauraum auf eine geruhsame Flusskreuzfahrt.

 

Theater? Theater! Eine Premiere bei Vollmond … «Glückliche Tage» von Samuel Beckett im Schiffbau/Box an der Premiere am 29. Oktober in der Regie des Basler Regisseurs Werner Düggelin begeisterte mit einem phänomenalen Bühnenbild und den beiden Schauspielern Imogen Kogge als Winnie und Ludwig Boettger als Willie. Eine unbedingte Empfehlung, sich das Stück anzusehen. Veranstaltungen: www.schauspielhaus.ch.

 

Nachruf. Am 10. November ist Helmut Schmidt (1918-2015) kurz vor seinem 97. Geburtstag gestorben. Der mit leidenschaftlicher Vernunft begabte Hanseat war Hamburger mit Leib und Seele. Seine eloquenten und auf den Punkt zielenden Analysen machten ihn zu einem gefragten und geschätzten Gesprächspartner bis zuletzt in Talk-Shows und ab 1983 als Mitherausgeber der ZEIT. Helmut Schmidt wurde zu einer Institution, die man um Rat fragte. Als Krisenmanager der grossen Sturmflut in Hamburg 1962 zeigte sich als Hamburger Innensenator sein organisatorisches Geschick und der Mut zu selbständigem Denken und Handeln. Er wurde als deutscher Kennedy gesehen. Seine Haartolle, sein selbstbewusstes Auftreten, seine Selbstdisziplin und auch seine Widersprüche faszinierten die Menschen weitherum. Die Zigarette gehörte zu ihm wie die Schiffermütze, seine lakonischen Kommentare waren Kult. Hier war einer, der sich nicht scheute, unbequeme Meinungen zu äussern. Die bleierne Zeit des deutschen Herbstes 1977 gegen die RAF-Terroristen meisterte Schmidt im Sinne der Staatsräson. Als Kanzler 1974 bis 1982 wurde er wegen des Nato-Doppelbeschlusses abgesetzt, als ihm die SPD die Gefolgschaft verweigerte, worauf Helmut Kohl 1982-1998 als Kanzler folgte. Schmidt akzeptierte das Verdikt und räumte ein, dass man manches besser machen könne, aber man ja sehen würde, ob es andere besser machen würden. Erst nach seiner Kanzlerschaft wurde er zum beliebtesten Politiker Deutschlands. Sein Tod löste weitherum Trauer aus. Man wird ihn vermissen, nicht zuletzt seiner mahnenden Worte wegen, Europa zusammenzuhalten.

 

Neuheiten am Blickfang im Kongresshaus Zürich vom 20. bis 22. November 2015

220 Designer zeigen neues Design und Sonderschauen. Etwa 60 Prozent stellen zum ersten Mal in Zürich in der Blickfang-Designmesse aus.

Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch… nicht so im Blickfang, da kann sich ein Tisch zusammenrollen, man kann ihn unter den Arm nehmen oder es gibt einen Tisch ohne Beine, aber mit Halterungen, wo man die eigenen Tischbeine nach Lust und Laune einfügen kann. Die Tische von Daniel Hunziker haben’s in
sich, nichts bleibt, wie es war.
«Zündstoff» heisst das Label von Martina Zünd, die leidenschaftliche Designerin aus Zürich studierte an der Hochschule Luzern und schloss mit dem Master of Arts in Design ab. Sie entwirft eklektische Teppiche zwischen Bauhaus und Ornamentik, die sowohl als Wandbild wie als Bodenbelag gute Figur machen. Ein anziehendes Design vertreibt «brokenfab» von Fabienne Morel, ihre Blusen, Pullover und Foulards tragen konkret-geometrische Muster und sind trés chic. Auch die diesjährigen Design-Preis-Schweiz Gewinner huber egloff sind mit einem Stand vertreten. Das ausgezeichnete Fashion Label ist erstmals an der Blickfang Zürich. Auch Julian Zigerli’s Kreationen können sich sehen lassen. Der Mode-Jungdesigner hat sich bereits einen Namen geschaffen.
Fr 20.11. 11-22 Uhr, Sa 21.11. 11-20 Uhr, So 22.11. 11-19 Uhr. www.blickfang.com
«Die Welt retten» – ein Abend über das Erzählen, das NZZ-Podium zu Gast im Schauspielhaus Zürich, Donnerstag, 26. November 2015.
Der Abend im vollbesetzten Schauspielhaus stand unter der Prämisse, dass die Geschichte des Menschen mit der Erfindung des Erzählens beginnt, in der Möglichkeit, sich sprachlich zu unterscheiden und zu distanzieren, was uns umgibt, die Möglichkeit zur Theorie und zur Praxis.
Wobei man unwillkürlich an Scheherezade denkt, 1001 Geschichten aus dem Orient, an die der irakische Schriftsteller Najem Wali, 1956 in Basra geboren, mit seinen Erzählungen im Buch über Bagdad (Hanser-Verlag 2015) anknüpfte, verlorenes Paradies, er emigirerte 1980 in den Westen. Oder den Erzähler Peter Bichsel (*1935), der 1964 mit seinem Buch «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» und seinen Kindergeschichten auf einen Schlag bekannt wurde, und bedauerte, dass es heute keine Milchmänner mehr gibt, vielleicht demnächst mal Mond- oder Marsmänner?  Oder Nora Gomringer (*1980), Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2015, die seit 2010 in Bamberg lebt, wo sie das Künstlerhaus Concordia leitet und vielbeschäftigt mit Prosa und Poesie viel unterwegs ist. Nora Gomringer, Tochter des konstruktiven Dichters Eugen Gomringer, las u.a. eine Allegorie auf die Bremer Stadtmusikanten, mit Philipp Scholz am Schlagzeug. Martin Meyer begleitete den launigen Abend und meinte gleich zu Anfang: «Erlösung liegt einzig in der Kunst», frei nach Marcel Proust.

 

Spannende und entspannende Unterhaltung und einen schönen November wünscht Ihnen herzlich

 

Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin

Editorial