FRONTPAGE

Editorial Jan 19

Januar/Februar 2019

 

Herzlich willkommen zu Literatur & Kunst im 8. Jahrgang!

Liebe Kulturinteressierte, Freundinnen und Freunde,

 

 

das neue Jahr hat begonnen, was wird es uns bringen?
Wir wissen es nicht, was Literatur & Kunst Ihnen bringt,
können wir Ihnen hier verraten. Und wir möchten uns
bedanken für Ihre Treue – seit März 2011 konnten wir
über 25 Millionen Klicks auf unserem Webkulturmagazin verzeichnen. Und das Schönste ist, dass Sie in unserem Archiv auch viele ältere Beiträge anklicken, immer wieder. Spitzenreiter ist ürigens oft die Lyrik, mit Bertolt Brechts und Macha Kalékos
Liebesgedichten, zum Beispiel. Sie wissen ja, dass wir viel für die
Lyrik tun, ein unabdingbares Lebensmittel…

Der Brexit ist noch nicht über die Bühne und man fragt sich in Great Britain, ob nicht ein zweites Referendum sinnvoll wäre.
Denn viele Briten wussten nicht, auf was sie sich einlassen, wenn sie die EU verlassen. Auch in der Schweiz schaut man auf GB, wie sich der Brexit gestalten wird.

Nicht zuletzt wegen des Rahmenabkommens, über das die Schweiz seit geschlagenen fünf Jahren mit der EU verhandelt. Gäbe es einen Preis für Langsamkeit, hätten sich der Bundesrat und seine Diplomaten diesen längst verdient. Geschäftspartner brauchen Verträge. Und da gibt’s nicht immer den Fünfer und das Weckli. Beim Lohnschutz für einheimische Arbeitende gegenüber den ausländischen Arbeitenden geht es primär um die Baubranche, wo
man ein Lohndumping erwarten könnte, doch in Prozentzahlen
gesehen sind das nur ein bis zwei Prozent. Apropos Lohnschutz: vielleicht überlegen sich die eifrigen Gewerkschafter lieber mal, wie sie dazu beitragen könnten, dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht 25 % weniger Lohn verdienen, bis dato! Das wäre eine sinnvolle Aufgabe. Leider hört man in dieser Beziehung wenig von den Gewerkschaften! Expats verdienen hier gut und soviel wie Schweizer Führungskräfte. Und die Sozialleistungen?
Die ausländischen Arbeitnehmer zahlen auch AHV und
unterstützen unser Sozialwerk. Nicht alle wandern gleich in
die Sozialhilfe ab… das ist seitens der Rahmenabkommen-Gegner masslos übertrieben. Davon ausgehend, dass der tägliche Handel
mit der EU eine Milliarde! beträgt, verblassen die fadenscheinigen Argumente. Monatlich etwa 30 Milliarden Handelsvolumen mit der EU gegenüber einer Millarde Schweizer Kohäsionsbeitrag, den einige Politiker am liebsten streichen würden. Was wäre die Alternative
ohne EU und Rahmenabkommen? China, das ist nur ein kleiner
Anteil des Handelsvolumens, die USA? Bisher noch kein Freihandels-
abkommen von Bundesrat Schneider-Ammann geglückt.
Und überhaupt, die KMU und de Wirtschaft sagen deutlich ja, wir
brauchen die EU! So ist es… und das Schwarz-Peter-Spiel sollte
endlich aufhören. Das wünsche ich mir von der Schweiz 2019:
Mut, Gelassenheit, Toleranz, Offenheit, Achtsamkeit und Zuverlässigkeit. Werte, für die die Schweiz bisher stand und weiter stehen soll.  

 

Das Denkgebäude Blocher’scher Prägung der SVP steht auf tönernen Füssen. Das europäische Recht ist deckungsgleich auch unser Recht, unser Menschenrecht. Die europäischen Richter sind auch unsere Richter. Da ist nichts Fremdes, das ist eine Chimäre. Die Grenzen, die ein Rahmenabkommen mit der europäischen Union verhindern sollen, sind überholt. Wir sind Europäer und wir brauchen Europa!  Schlossherr Blocher versteht die Welt und die Zeichen der Zeit nicht, macht Milliardenumsätzen der hauseigenen Ems-Chemie mit der EU. Eine denkwürdige Doppelmoral. Der Lohn- und Kündigungsschutz ist im übrigen in der EU höher als in der Schweiz. Ein richtiger Vergleich wurde noch nie angestellt. Die NZZ am Sonntag titelt am 30. Dezember 2018: «Blockade mit der EU bedroht Medizinfirmen und Spitäler». Das ist nur der Anfang. Wenn wir nicht den Verstand verlieren wollen, müssen wir agieren, handeln, nicht reagieren. Wir sind Europa!

 

Zwei Bücher, die ich Ihnen wärmstens empfehlen möchte, die über den Tag hinausreichen: 

Stephen Hawking «Kurze Antworten auf grosse Fragen», Klett-Cotta 2018 und Hannah Arendt «Die Freiheit, frei zu sein», dtv 2018.

 

Stephen Hawking stellt die Fragen nach Gott, woher kommen wir eigentlich? Werden wir auf der Erde überleben? Wird uns Künstliche Intelligenz überholen? Zugänglich und klar erläutert Hawking die Fragen des menschlichen Fortschritts – vom Klimawandel bis hin zur Künstlichen Intelligenz. Ein aufrüttelnder Appell an politische Machthaber und jeden Einzelnen, unseren bedrohten Planeten besser zu schützen und jetzt mutig zu handeln.

 

Hannah Arendt erläutert: Was ist Freiheit, und was bedeutet sie uns? Haben wir sie einfach, oder wer gibt sie uns, und kann man sie uns auch wieder wegnehmen? Begreifen wir sie nur als die Abwesenheit von Furcht und von Zwängen, oder meint Freiheit nicht vielmehr auch, sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen, eine eigene politische Stimme zu haben, um von anderen gehört, erkannt und schliesslich erinnert zu werden? 

Ihre Ingrid Isermann

 

 
Bruno Ganz – Ein Erkunder von Seelenlandschaften

Er gehörte zum Inventar der Kulturszene, beileibe nicht nur der schweizerischen. An der letzten Berlinale im Februar erhob sich das Publikum zu einer Standing Ovation im Gedenken an Bruno Ganz (*1941), der am 17. Februar 2019 in Zürich verstorben war. Unvermittelt, man wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass seine vertraute Gestalt und oft sorgenvolle Miene, die sich plötzlich aufheitern konnte, nicht mehr da ist. Theater und Kino, in beidem brachte er es zu grosser Meisterschaft. Aber vergessen, das wird er nicht, der virtuose Charakterdarsteller mit dem Schweizer Pass und der kosmopolitischen Haltung, der Menschlichkeit wie kein anderer vermittelte. Und Unmenschlichkeit so erschreckend berührend darstellte, wie im Film «Der Untergang» Adolf Hitlers,
dass einem das Blut in den Adern gefror.

Man konnte ihm zuweilen in der Zürcher Altstadt begegnen, seinem forschenden unaufdringlich-eindringlichen und warmherzigen Blick, der lange nachwirkt. Der Tessiner Sender RTI strahlte ein Interview mit ihm aus, wo er beiläufig ganz entspannt italienisch parliert. In Zürich hatte man ihn nicht oft italienisch sprechen hören. Seine Mutter war Italienerin und gewiss hatte er die Italianità ebenso in sich vereint wie das zürcherische Grummeln und das Understatement. Merci, Bruno Ganz!

18. Februar 2019

 

 

Was können Sie auf Literatur & Kunst im neuen Jahr entdecken?

Ein Briefwechsel zum Niederknien: Hier schreiben sich zwei Seelenverwandte, Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger, wie sie über die Welt und den Literaturbetrieb denken und wie sie sich selbst sahen und gesehen werden wollten.
«schreib alles was wahr ist auf», Suhrkamp 2018.

 

Die Lyrikerin Nora Bossong ist unerschrocken, schaut hinter die Kulissen, wie für ihre Reportage des Milieus im «Rotlicht» und nun mit «Kreuzzug mit Hund» hinterfragt sie Klischees und tradierte Vorstellungen. Lesenswert! Suhrkamp, 2018.

 

Zwingli ist nicht nur für Zürich ein Begriff! Nun gibt es einen Film über den Schweizer Reformator mit Max Simonischeck («Die göttliche Ordnung») als Zwingli. Rolf Breiner hat mit dem Regisseur Stefan Haupt und Darsteller Anatole Taubman ein Interview geführt. Aktuelle Filmtipps.

 

Ruch&Partner-Architekten haben ein betörendes Coffee table-Book über ihre Neu- und Umbauten seit 1994 publiziert. Fabrizio Brentini hat eine Rezension für Literatur & Kunst verfasst, ebenso über Irina Davidovici: «Forms of Practice. German-Swiss Architecture 1980–2000», Scheidegger & Spiess, 2018.
Der L&K-Architekturtipp: «Wohnungsbau – Kostengünstige Modelle für die Zukunft», Edition Detail, 2018.

 

(Mitte Foto widescreen) «Architektur der Unendlichkeit». Ein Film von Christoph Schaub. 2018, 85 Min. Startdatum 31. Januar 2019. Mit Peter Zumthor, Peter Märkli, Alvaro Siza Viera, James Turrell, Cristina Iglesias. Drehorte Schweiz, Deutschland, Portugal Schweden, Frankreich, Spanien.

 

«Imagine John Yoko» – eine Hommage an John Lennon und seinen legendären Song «Imagine». Ein opulenter Bildband mit 1300 Fotos aus dem Archiv von Yoko Ono Lennon, Edel 2018.

 

 

«L’Histoire du Soldat» Herausgeberin Karin Merazzi-Jacobson. Elsi Giauque und das Figurentheater, in einem wunderbaren Buch der Edition Clandestin, 2018. Hana Ribi, die frühere Leiterin des Puppentheaters Stadelhofen, gibt detailliert Auskunft in ihrem Beitrag.

L&K-Sachbuchtipp: «Hirsche», eine kleine feine Publikation informiert über die Majestäten des Waldes. Matthes & Seitz, 2018.

 

Der Schweizer Kurator Andreas Siegfried in einem Porträt von Julieta Schildknecht.

 

Oskar Kokoschka im Kunsthaus Zürich (siehe Banner Frontpage).

 

Wir wünschen Ihnen ein glückliches erfolgreiches und gesundes
Neues Jahr 2019 und spannende Entdeckungen mit Literatur & Kunst.

 

Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin