FRONTPAGE

«100 Jahre Meret Oppenheim»

Von Simon Baur

Liegt es an der Komplexität und Subversivität ihrer Kunst, dass Meret Oppenheim auch zu ihrem 100. Geburtstag in ihrem Heimatland die Aufmerksamkeit verweigert wird? In Wien und Berlin wird das Jubiläum auf jeden Fall mit grossen Retrospektiven gefeiert.

Wer hat die bekannte Pelztasse geschaffen? Wer stand für Man Ray nackt an die Druckerpresse? Wer war mit Max Ernst in Paris liiert? Wer hat in Bern einen bekannten Brunnen geschaffen? Und wer ist uns über den Kopf gewachsen? Ich bin überzeugt, dass 90 Prozent der kunstinteressierten Bevölkerung, nicht nur der Schweiz, auf diese Fragen mit dem Namen von Meret Oppenheim antworten. Sie ist sicher bekannter als Sophie Taeuber auf der 50 Franken Note, bekannter als Pipilotti Rist oder Emma Kunz. Obwohl sie am 6. Oktober 2013 ihren 100. Geburtstag feiern könnte, wird sie von den grossen Schweizer Museen nach wie vor ignoriert, in Basel beispielsweise fand seit über 30 Jahren keine ihr gewidmete Ausstellung mehr statt und auch in der permanent präsentierten Sammlung fehlen ihre Bilder, obwohl das Museum einige sein eigen nennt.

Aber in der Schweiz ist Meret Oppenheim vermutlich immer noch das „enfant terrible“ des Surrealismus, die Nestbeschmutzerin und die femme fatale und den irritierten Herren der Museen in Basel, Bern und Zürich ist dieses weibliche Selbstbewusstsein derart ungeheuer, dass sie gewiss bis in alle Ewigkeit die Finger davon lassen, auch im Wissen, dass sie sich diese ganz gehörige anbrennen würden. Dabei ist es vor allem die Schwierigkeit dieses Werk in die Kunstgeschichte zu integrieren, wie ein Beispiel von Matthias Frehner der letzten Wochen zeigt. Anlässlich der Podiumsdiskussion über den Berner Brunnen, die am 2. April im Berner Kunstmuseum stattfand, bezeichnete er diesen Brunnen als surrealistisches Objekt. Wie unrecht er doch hat: Meret Oppenheim hat sich offiziell 1959 vom Surrealismus verabschiedet und ist seit dem einen ganz eigenen Weg gegangen, der sich nicht einfach kategorisieren lässt und auch wenn der Turm-Brunnen an Arbeiten Georgio de Chiricos erinnert, ist er noch lange nicht dem Surrealismus verpflichtet.

 

 

Der ganz andere Weg
Meret Oppenheim ist aber mehr als die Erfinderin der Pelztasse, Muse der Surrealisten und feministische Vordenkerin. Meret Oppenheim ist vielmehr und das ist vielen nach wie vor unbekannt. Meret Oppenheim hat vor ihrer 17 Jahre dauernden Krise, ein konzentriertes, dem Surrealismus verpflichtetes Werk geschaffen und ab Mitte der 1950er Jahre Kunstwerke gemacht, die in ihrem Innovationsgehalt und ihrer Sprachkraft den frühen Arbeiten nicht nachstehen und auch heute noch derart präsent wirken, als seien sie aktuellste Gegenwartskunst. Die Stärke von Meret Oppenheims Werk ist gleichzeitig die grösste Hürde zum Verständnis: die Diskontinuität ihres Schaffens. Für den Laien ist das Werk zu vielfältig, zu heterogen und inkonsequent, für den Kenner hingegen ist eine innere Logik, rote Fäden und eine Kontinuität ersichtlich. Und so lohnt sich jeder Versuch in dieses dichte und konsequente Werk eintauchen, um zu erkennen, wie reich es mit aktuellen Verweisen und poetischen Momenten gespickt ist und auch heute, rund 30 Jahre nach Meret Oppenheims Tod, mitteilungsbedürftig und eine Entdeckung wert ist.

 

Der 100. Geburtstag ist ein willkommener Anlass sich über dieses kantige und widerspenstige Werk Gedanken zu machen. Retrospektiven sind eine willkommene Gelegenheit eine grosse Anzahl hochkarätiger Werke zu sehen und die Vielfalt ihres Schaffens Revue passieren zu lassen. Die Chance nicht entgehen, liess sich das Bank Austria Forum in Wien. Es zeigt eine der grössten Retrospektiven, die jemals von Meret Oppenheim zu sehen waren und sich nur mit der 2006 von Therese Bhattacharya-Stettler kuratierten Überblicksausstellung im Kunstmuseum Bern vergleichen lässt. Die Wiener Ausstellung wird übrigens ab dem 16. August im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen sein, ist doch Berlin auch der Ort, an dem Meret Oppenheim am 6. Oktober 1913 im Kaiserin-Viktoria-Spital das Licht der Welt erblickte. Und eine weitere Station in Frankreich ist derart in Planung. Die von Heike Eipeldauer subtil und aus dem Werk von Meret Oppenheim heraus kuratierte Wiener Retrospektive folgt einem eigenwilligen Konzept, das aber für Meret Oppenheims Kunst Sinn macht, ja eigentlich schon fast zwingend erscheint. Epieldauer versucht sich in einer Kombination aus biographischer Chronologie und inhaltlich-thematischer Fokussierung. Das bedeutet, dass einer chronologischen Linie entlang eine Abfolge von Werken gezeigt werden, deren Gruppe durch verwandte Objekte und Bilder unterbrochen werden, was die über Jahre hinweg verlaufenden Verwandtschaften sichtbar macht.

 

 

Wahlverwandtschaften
So werden beispielsweise die beiden Objekte «Waldgeist» und «Urzeit-Venus» mit dem «Grünen Zuschauer» konfrontiert, werden an der Wand die frühen Zeichnungen «Einer, der zuschaut wie ein anderer stirbt», den Entwürfen zum «grünen Zuschauer» und «Architektonisches Gebilde mit Lichtstrahlen» zu sehen sind. Flankiert wird dieses Ensemble von den beiden starken Bildern «Waldinneres mit Dryaden» und «Daphne und Apoll», eines der surrealen Frühwerke, das Verwandtschaften zur «Erlkönigin», zur «Waldfrau» und zum «Phönix» aufweist. Die damalige Beschäftigung mit literarischen und mythologischen Themen, lassen die Einflüsse der Kunst von Max Ernst erkennen, sie verweisen allerdings auch darauf wie früh die romantischen Begrifflichkeiten für ihr Werk bestimmend waren und dazu verführen können, ihr Werk als ein dem lyrischen Surrealismus verpflichtetes zu sehen.

Ähnlich funktioniert dieses System im Raum mit den beiden Skulpturen «Wolke auf Brücke» und «Sechs Wolken auf Brücke», sowie dem gleichnamigen Bild und «Unter der Regenwolke», sowie als besonderer Kontrast die Arbeit «In einer Staubwolke (Die schöne Afrikanerin)». Sie zeigen wie breit Meret Oppenheim das Thema der Wolken behandelt hat und welche Konnotationen sie damit verband, sie selbst zu personifizieren verstand.

 

Eine der stärksten Wände kombiniert Arbeiten aus den Jahren 1934/35 und 1968: während «Husch, husch der schönste Vokal entleert sich», eine Widmung an Max Ernst enthält und auch «Habillez-vous en ours blanc» an ihren damaligen Liebhaber erinnert, ist in «La nuit, son volume et ce qui lui est dangereux» eine Verwandtschaft zu den frühen Arbeiten von Alberto Giacometti zu erkennen. Konfrontiert werden diese frühen Werke voller Innovation, Inspiration und Intuition mit der viel späteren Arbeit «Why-why», der Abstraktion eines Blumenstilllebens, die sich heute im Zürcher Kunsthaus befindet und der poetischen Arbeit «Briefpapier für schwarzen Schwan» von 1972.

Anhand solcher Gegenüberstellungen wird deutlich, wie gross die Verwandtschaft der Werke untereinander ist, auch wenn dazwischen rund 40 Jahre liegen. Das Material immer wieder ab- und wieder auftaucht, ist in Meret Oppenheims Werk ein ganz normaler Prozess. Jean-Christophe Ammann ist sogar noch einen weiteren Schritt gegangen und hat in einem klugen Text von der Diskontinuität gesprochen: «Unter Diskontinuität verstehe ich hier ein schöpferisches Vorgehen, das sich nicht auf formalästhetische Kriterien reduziert und das nicht Stilbildung pflegt. Mit anderen Worten: ein schöpferisches Vorgehen, das Inhalte nicht im ökonomisch-strukturierten Ritual aussondierter Erfahrungen assimiliert und stilisiert, sondern diesen Inhalten freien Lauf lässt.»

 

 

Zeitzeugnisse einer verschwundenen Welt
Doch auch viel kunsthistorisch relevantes Material wird in der Ausstellung präsentiert, die zahlreichen, existierenden Fotografien von Man Ray aus Oppenheims Pariser Zeit, doch auch die zahlreichen Entwürfe für Schmuckstücke, Stoffmuster, Stühle, Tische und Lampen fehlen nicht. Sie machen deutlich, wie stark Meret Oppenheim Kunst und Design miteinander verknüpft hat und entschieden gegen jegliche Kategorisierung auftrat und mit entsprechenden Arbeiten ihren eigenen Weg verteidigte. Es ist dem Werk von Meret Oppenheim zu wünschen, dass sich mit dieser brillant konzipierten Retrospektive der Stellenwert ihrer Kunst auf das Niveau ihrer eigenen Person heben wird und in Bälde ähnlich geschätzt wird, wie das ihrer Kollegen Max Ernst, Alberto Giacometti, Yves Tanguy und Hans Arp. Und damit sie in der Schweiz nicht vergessen wird, werden auch ausserhalb der namhaften Museen in diesem Jahr einige Veranstaltungen sich ihrem profunden Werk widmen.

Weitere Informationen auf www.meret-oppenheim.ch.

 

 

Meret Oppenheim
Retrospektive
Bank Austria Forum, Wien.
Bis 14. Juli.
Vom 16. August bis zum 1. Dezember 2013
ist die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.

 

 

Neue Publikation: MERET OPPENHEIM

 

Am 6. Oktober 2013 wäre Meret Oppenheim 100 Jahre alt geworden. Wer schon lange nach einem übersichtlichen, handlichen Buch suchte, das die wichtigsten Stationen der faszinierenden Künstlerin aufzeigt, deren facettenreiches Werk immer noch zu entdecken ist, könnte mit dieser schmucken Publikation fündig werden.

 

Meret Oppenheim (1913-1985) war eine der vielseitigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde sie als Schöpferin der weltberühmten, mit Pelz bezogenen Tasse ‚Le déjeuner en fourrure’ (1936) und des wunderschönen Brunnens in Bern. Mit der neuen Publikation «Meret Oppenheim. Eine Einführung», erschienen im Christoph Merian Verlag 2013, Hrsg. Simon Baur, Christian Fluri, liegt eine handliche Übersicht vor. Die Autoren behandeln ein breites Themenspektrum und fassen die wichtigsten Linien und Schnittstellen zusammen. Erkenntnisse aus unbekannten Archiven und neue Fotodokumente laden zu einer aufregenden Reise durch ein Leben ein, in dem Realität und Phantasie zu einer Einheit verschmelzen.

AutorInnen: Simon Baur, Christian Fluri, Sabine Altorfer, Silvia Buol, Claire Hoffmann, Annemarie Monteil, Susanna Petrin, Katharina Rosenstingl, Martin Zingg. www.merianverlag.ch

 

 

Meret Oppenheim als weiblicher Künstler

«Eine Feministin wollte sie nicht sein»

 

Ein stärkeres Vorbild für Schweizer Künstlerinnen gibt es nicht und gab es nie. Keine lebte so viel Freiheit vor, kaum eine verwirklichte so radikal und so früh ihre weibliche Befreiung. Und doch war Meret Oppenheim eine feministische Vorkämpferin wider Willen. Sie wurde nicht müde zu betonen, dass es weibliche Kunst nicht gebe. «Jeder Künstler ist androgyn», lautete ihr Credo. «Ich spreche hiermit meine Überzeugung laut und deutlich aus: Es gibt nur EINEN Geist und es gibt nur EINE Kunst.» Dabei musste auch sie schlussendlich erkennen, dass ihre Überzeugung und die Realität nicht – noch nicht – zusammenpassten.

 

In einem Gedicht von 1933 schreibt Meret Oppenheim:

 

Für dich – wider dich

Wirf alle Steine hinter dich

Und lass die Wände los.

 

Schöner lässt sich ein Lebensmotto nicht formulieren. Ihre Lebenshaltung – das Loslassenwollen, der Drang nach Freiheit, Selbstbestimmung, ihre schöpferische Verspieltheit – ist der rote Faden, der sich durch Werk und Leben von Meret Oppenheim schlängelt. Kein einfaches Unterfangen, es bedeutet auch Einsamkeit. Denn wo gehört sie hin?

Die surrealistischen Herren in Paris waren fünfzehn, zwanzig Jahre älter als die damals 20-jährige. Und Künstlerinnen gab es in diesem Kreis nur am Rande, die Frauen waren eher Musen oder Geliebte als gleichwertige Kolleginnen. Meret Oppenheim erinnerte sich in einem Brief von 1984 an den Verleger Mikos Tangos: «Selbstverständlich war ich involviert in die Frage nach der Situation der Frauen. Einmal, vor dem Krieg, traf ich Duchamp bei einem Dinner bei Freunden. Ich fragte ihn: ‚Denken Sie, dass Frauen das gleiche Werk wie Männer machen können?‘ ‚Sicher‘, antwortete er.» Und sie fügte an: «Aber, wie wir wissen, haben weniger starke Persönlichkeiten auch in unseren Tagen nicht diese Meinung.»

 

Sabine Altorfer

 

 

 

Die Demontage von Männerphantasien

 

Meret Oppenheim rebellierte auch gegen die der Frau zugewiesene Rolle. Schon bevor sie nach Paris ging, zerschlug die junge Frau 1931 in ihrem Aquarell ‚Votivbild (Würgeengel)‘, einer Satire auf die Ikone der Maria mit dem Jesuskind, das Mutterideal. (…)

Meret Oppenheims auf der Traumwelt aufbauende Bildsprache ist von rätselhafter Mehrdeutigkeit und steckt voller geistiger Widerhaken. In «Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen» von 1936 wird ein zusammengebundenes Paar weisse Damenschuhe auf dem Tablett serviert – wie ein gebratenes Poulet. Das ist eine Demontage der dominanten, bedrohlich wirkenden Mutterfigur, erzählt aber auf einer anderen Ebene auch von Männerphantasien, die den Eros der Frau ein- und abschnüren. Diese Bilder von Leblosigkeit reichen bis zur völligen Erstarrung, wie es im Ölbild «Steinfrau» von 1938 der Wasserfrau ergeht. Sie, die in der populär-romantischen Vorstellung verlockend und todbringend zugleich ist, ist bei Meret Oppenheim versteinert, im Wasser baumeln die einer Fischflosse gleichenden Beine. Das Bild weckt Assoziationen an René Magrittes Gemälde «Collective Invention» (1934), in dem er die Nixe bildlich umkehrt und den Mythos kippt.

In vielen surrealistischen Werken begegnen wir brutalen, zerstörerischen Männerphantasien. Sie geben den kriegerischen und zivilen Gewaltorgien faschistischer Gesellschaften und Staaten albtraumhaften bildlichen und literarischen Ausdruck. Darin liegt eine Sprengkraft surrealistischer Kunst – auch in Meret Oppenheims Werk.
Christian Fluri

(Auszüge)

 

 

Simon Baur

Christian Fluri (Hrsg.)

Meret Oppenheim

Eine Einführung

144 S., 127 meist farbige Abb., broschiert, 15×22 cm

Christoph Merian Verlag, Basel 2013

CHF 29 / € 24

ISBN 978-3-85616-632-8

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