FRONTPAGE

«Die sexuellen Neurosen unserer Eltern»

Von Rolf Breiner

 

Das Theaterstück von Lukas Bärfuss, «Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» (2003), hat einen Siegeszug über diverse Bühnen erlebt. Die Filmerin Stina Werenfels war vom Stoff angezogen und eingenommen. Sie hat ungemein viel Energie, Durchhaltewillen und Glauben aktiviert, um diese Geschichte einer geistig behinderten jungen Frau, eben um Dora, ihre Liebes- und Lebenslust auf die Leinwand zu bringen.

 

Stina Werenfels hat Bärfuss‘ Drama um die 18-jährige Dora entscheidend erweitert und verstärkt. Die junge Frau rebelliert, verliebt sich und wird schwanger. Die junge, geistig  leicht behinderte Dora, feiert ihren 18. Geburtstag. Ihre Mutter Kristin beschliesst die Absetzung bestimmter Medikamente für ihre Tochter, die die Sexualität und Sinnlichkeit entdeckt. Unschuldig und unverfroren stürzt sie sich in ein sexuelles Abenteuer mit dem wildfremden Peter (Lars Eidinger). Der geniesst leichtsinnig und unverantwortlich den Sex mit der verliebten Dora. Die Eltern haben von Doras Eskapaden keine Ahnung, bis ihre Tochter schwanger wird. Stina Werenfels und Boris Treyer sind bei der Bearbeitung dieses Stoffes einige Schritte weitergegangen als Autor Lukas Bärfuss. Sie erzählen, wie die junge Frau um ihre Selbstverwirklichung kämpft («Ich will nicht behindert sein!»). Stina Werenfels macht Dora zur unbequemen Heldin. Der Filmtitel «Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» unterstreicht diesen Aspekt, aber auch, dass sie damit zur Konkurrentin ihrer Mutter Kristin wird, die gern ein zweites Kind hätte, was aber nicht klappt. «Gebärmutterneid» nennt Werenfels diese Konstellation. Die Newcomerin Victoria Schulz verkörpert die aufmüpfige Dora überzeugend in ihrer ersten grossen Kinorolle – eine Meisterleistung. Lars Eidinger zeigt eine beunruhigend gute Leistung als phlegmatischer Sexpartner. Dora – das ist eine Frau, die trotz einer leichten Behinderung neugierig, ungehemmt und radikal ihre Selbstbestimmung, ihren Weg sucht. Der bisher beste Schweizer Kinofilm des Jahres – wuchtig, ungeschminkt, unerschrocken. Wir sprachen mit Stina Werenfels, die an die Berlinale eingeladen worden war, für die Sektion Panorama, über Resonanz und Entstehungsgeschichte (siehe auch L&K-Filmtipp 02/2015).

 

 

Zurück aus Berlin – wie ist dein Film an der Berlinale aufgenommen worden?
Stina Werenfels: Enthusiastisch: vor allem war es wunderbar zu sehen, wie stark der Film die Zuschauer beschäftigt. Auch das Medieninteresse war so gross wie nie.

 

 

Die Hauptdarstellerin Victoria Schulz war mit an den Solothurner Filmtage und hatte in Berlin so etwas wie ein Heimspiel. Wie hat sie es erlebt, wie sie ist angekommen?
Ich glaube, erst einmal müssen die Zuschauer begreifen, dass sie eine junge Frau mit geistiger Behinderung spielt und nicht selber behindert ist. Das hat viele verblüfft. Insofern wird Victoria Schulz in der Rezeption anders angesprochen, als wenn sie eine gängigere Rolle verkörpert hätte: Alle wollten wissen, wie sie das gemacht hat. Berlin ist ihre Stadt und die Berliner haben sie als ihr Talent gefeiert. Da sie eine geerdete Persönlichkeit ist, hat sie die grosse Aufmerksamkeit mit Freude und Interesse, aber auch einer gewissen Gelassenheit entgegen genommen. In Solothurn – an der Erstaufführung – war sie sehr gerührt, weil das ihre erste Begegnung mit dem Publikum war.

 

 

Der Gegenspieler/Partner Doras wird vom Bühnenstar Lars Eidinger («Hamlet», «Richard III.» an der Schaubühne) verkörpert. Ein Glücksfall. Wie bist du an diesen Schauspieler gekommen, und wie war seine Resonanz auf die Dreharbeiten, auf deinen Film?
Meine Casterin hat Victoria Schulz gleich beim ersten Vorsprechen mit Lars Eidinger zusammengebracht. Die beiden waren zusammen so elektrisierend, dass sie sofort gesetzt waren. Lars Eidinger ist ein sehr neugieriger Schauspieler, er geht gerne Wagnisse ein, er ist auch nicht ängstlich mit seinem Image beschäftigt. Sein Mitmachen war also rein inhaltlicher Natur: Es hat ihn interessiert. Nachdem ich ihm die Rolle zugesagt habe, hat er sich bei mir bedankt. Das hat mich bewegt, denn ich gehe davon aus, dass er viele tolle Rollenangebote hat. Als ich meinen Schauspielern im November in Berlin den fertigen Film gezeigt habe, da reagierte Lars emotional sehr berührt. Er meinte, er sei ganz Zuschauer und gebannt von der Geschichte gewesen.

 

 

Wie sehen die Verleihaussichten für Deutschland und Österreich aus? Gibt es bereits Starttermine?
In Deutschland startet er im Mai in 20 Kinos. Holland und die skandinavischen Länder sind auch sehr interessiert. Aber zuerst müssen wir die Auswertungen unseres sehr engagierten World Sales abwarten.

 

 

Die Entwicklungsgeschichte des Films «Dora» war schwierig, weil sich die üblichen Förderer wie Bund, Kanton etc. sperrten. Zum Schluss machten das Schweizer Fernsehen und der Kinounternehmer Edi Stöckli mit. Was hat sie überzeugt, der Stoff, das Drehbuch oder du als Filmregisseurin?
Sowohl das Schweizer Fernsehen, wie auch Edi Stöckli wollten meinen neuen Film sehen. Dies, weil sie meine vorangehenden Filme mochten und mir künstlerisch stets voll vertrauten.

 

 

 

Mit «Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern», einem schwierigen Stoff, hast du ein kleines Meisterstück geschaffen, was Schweizer Filme angeht Deine Filmadaption des Theaterstücks von Lukas Bärfuss ist durchaus mit Fredi Murers «Höhenfeuer» vergleichbar. Mir scheint Dein Thema ist jedoch universeller und weniger an den Schauplatz (Berlin) gebunden. Wie schätzt du diese Filmarbeit ein?
Für mich als Filmemacherin ist «Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» bisher definitiv das herausfordernste Projekt gewesen. Und dies, obwohl ich bei all meinen Arbeiten, selbst meinem ersten Kurzfilm «Pastry, Pain & Politics» stets riskante Stoffe umgesetzt habe. Persönlich bedeutet mir der Film viel, weil er ganze sieben Jahre gebraucht hat, bis er entstanden ist, und weil ich meine künstlerische Vision ohne Kompromisse umsetzen konnte.

 

 

 

Familienstrukturen, -konflikte und -abgründe (siehe auch «Nachbeben») interessieren dich. Warum ? Du führst doch selber eine spannende Ehe mit Samir und deiner Tochter.
Inzwischen bin ich überzeugt, dass man sich künstlerisch nur an solche Grenzen wagen kann, wenn man von den nächsten Menschen verstanden und unterstützt wird. Das schützt mich und schafft gleichzeitig grosse Freiheit.

 

 

Hast Du bereits andere Themen im Kopf, im Visier?
Ich arbeite an mehreren Stoffen und schaue jetzt, welcher sich als nächster herauskristallisiert.

(Interview: Rolf Breiner)

 

 

«Geschichte hat Gesichter – Der Irak im Spiegel einer Familiensaga»

Schauplatz Irak: Bomben und Blut, zerstörte Städte, Dörfer und Häuser, zwischen Trümmern und Tod versuchen Menschen zu überleben. Manche Iraki sind geflohen, manche harren aus. Der Zürcher Samir hat die Geschichte seines Heimatlandes dokumentiert, indem er Mitglieder seiner Grossfamilie ihre Geschichte schildern liess, in seiner «Iraqi Odyssee». Interview mit dem Schweizer Regisseur Samir.

 

Sie sind über den ganzen Erdball verstreut, die Schwester, die Onkel und Tanten und Anverwandten – von Bagdad über London bis Paris und Zürich, von New York bis Los Angeles, Sydney und Moskau. Ihre Heimat war und ist der Irak. Einige sind geblieben oder zurückgekehrt, andere betrachten ihre (ehemalige) Heimat mit Argwohn und Distanz.

«Meine frühe Kindheit verlebte ich im Bagdad der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Die ganze Familie, meine Eltern, meine Grosseltern, alle Tanten und Onkel, lebten gemeinsam in einem grossen Haus mit Garten, in einem neuen Quartier. Mein Grossvater trug am liebsten seine Galabija, das weisse, lange bis zum Boden reichende Hemd. Den ganzen Tag. Er hatte islamisches Recht studiert und war Richter. Meine Grossmutter ging sehr oft in die Moschee und nahm mich oft mit. Trotzdem wuchs ich auf mit dem Wissen um Tschaikowsky, Beethoven, Shakespeare und die modernen Wissenschaften», bemerkt Samir, der Schweizer Filmer aus dem Irak, dessen Mutter aus der Schweiz stammt. Er blickt zurück und ist den Spuren seiner Verwandten gefolgt, welche ihre Heimat verlassen haben, verlassen mussten und teilweise zurückkehrten. «Wir» (und meint damit sich selbst und andere aus seiner Familie) «gehören zu den vier Millionen Irakis, die nicht mehr in ihrem Land leben.»
Sein Film «Iraqi Odyssey» illustriert und rekapituliert, manifestiert und dokumentiert 50, 60 Jahre seiner Familie und seines Heimatlandes. In den Schicksalen, aus ihren Fügungen und Entscheidungen, Einstellungen und Aussagen fügt sich ein historisches und gesellschaftliches Bild des Iraks gestern und heute, ein Panorama individueller, aber auch universeller Partikel. Mit modernsten Mitteln (etwa 3 D) schuf Samir – einmal mehr – ein wegweisendes Beispiel dokumentarischer Arbeit. Im Persönlichen reflektiert sich Geschichte, die Menschen heimsucht, prägt, verfolgt, die aber auch von ihnen beeinflusst, verändert werden kann. Wer sich darauf einlässt, wird mehr erfahren, als aktuelle Medien vermitteln können. Ich möchte auch eine Lanze für die Länge (163 Minuten) dieser einzigartigen Familiensaga brechen: Sie fordert Wachsamkeit und Interesse und belohnt mit ungeahnten Einblicken und Einsichten.

 

 

Samir, du warst wie auch deine Frau Stina Werenfels an die Berlinale eingeladen. Wie war die Resonanz auf die Aufführungen im Panorama?
Samir: Beide unserer Filme hatten ausgezeichnete Rezeptionen. Alle wichtigen deutschen Zeitungen, TV-Kanäle und Radios haben über unsere Filme berichtet. Alle Vorstellungen waren ausverkauft. Wir erhielten einen Publikumspreis (Platz 3 bei den Panorama Doks). Darüber hinaus steht der World Sales in Verhandlung mit einem französischen, amerikanischen und einem kanadischen Verleih. Daneben sind für Deutschland und Italien die Verleiher schon sicher.

 

 

Wie habt ihr beide Berlin erlebt, erfahren, auch genossen?
Ein Festival wie die Berlinale mit einem angegliederten Filmmarkt ist Knochenarbeit. 24 Stunden voll da sein! Medientermine jede Stunde, Besprechungen mit Agenten, Pressekonferenzen, Treffen mit Produzenten, die einem Angebote machen, Texte gegenlesen, an den wichtigsten Partys einen Show up machen, um im Gespräch zu bleiben, die Schauspieler motivieren und instruieren etc. etc. Und vor allem in Berlin: NICHT KRANK WERDEN! Weil man immer zu wenig Schlaf hat bei tiefen sibirischen Temperaturen…
Wie weit stützt ihr euch gegenseitig beim Filmen, bei der Produktion? Du warst ja auch an Stinas Film «Dora» als Produzent beteiligt.
Stina ist meine unerbittlichste Kritikerin, und das ist gut so. Manchmal musste ich sie beim Frühstück bitten, dass wir unsere produktionellen Gespräche im Büro weiter führen sollten! Für mich ist es ein Geschenk, sie auch als meine «Dramaturgin» bei all meinen Projekten dabei zu haben. Und ja, ich bin ihr Produzent und hoffe, dass ich ein guter Produzent bin.

 

 

 

«Iraqi Odyssey» ist ein sehr persönliches Dokument. Ein Monumentalwerk (3D), das in 163 Minuten eine Familiensaga und die Geschichte deiner Heimat Irak beschreibt. Banal gefragt: Wie macht man das, wie geht man an solch ein Grossprojekt heran? Homers Odyssee ist ja auch nicht an einem Tag, nicht in einem Jahr erschaffen worden.
Na ja, ich habe für diesen Film fast solange gearbeitet, wie Odysseus gebraucht hat, um in seine Heimat zurückzukehren: 10 Jahre. Zum Glück war meine Penelope – meine Frau Stina also – auch so geduldig wie in der Sage und im Gegensatz zur Erzählung immer an meiner Seite. Schon während der Dreharbeiten zu meinem letzten Film «Forget Baghdad» (die Dokumentation über die irakisch-jüdischen Kommunisten) begann ich alles Material zur Geschichte des Iraks zu sammeln, und hatte dafür eine ganze Bibliothek aufgebaut, welche ich auch für diesen Film benutzen konnte. Ich bin sicher dreimal um die Erde gefahren, um bei all meinen Verwandten alle Geschichten unserer Familie festzuhalten. Immerhin gibt es inzwischen über 50 Cousins und Cou-Cousins von all meinen sechs Onkeln und Tanten. Diese Erzählungen zu sortieren und zu entscheiden, welche für die Narration des Filmes wichtig sind, war die Hauptarbeit und dauerte über zwei Jahre. Doch das Hauptproblem war zum Schluss die Suche nach Archivmaterial (Filme und Fotos), weil im Irak wirklich alles, aber alles zerstört wurde.

 

 

Du bist Autor, Regisseur und Beteiligter, aber auch Glied der ganzen Geschichte. Dschoint Ventschr, die du ja selber mitgegründet hast und trägst, produzierte. Werner Schweizer fungierte als Produzent. Wie habt ihr euch die Aufgaben geteilt?
Unsere Firma ist aus einem Kollektiv heraus entstanden und hat deshalb einen unerschütterlichen Teamgeist. Will heissen, dass ich mich immer auf alle meine Mitarbeiter verlassen kann. Da wir keine Auftragsfilme machen, sind alle immer hochmotiviert, denn zuerst zählt der Inhalt und danach das Geld. Und wenn sich Werner Schweizer mal nicht um die Produktion kümmern konnte (weil er mit seinem Film «Verliebte Feinde» beschäftigt war), brachte er seine ganze Erfahrung ein, indem er ihn an unsere jungen Mitarbeiter weitergab.
Das Geheimnis dieser erfolgreichen Produktion lag also an der jungen Equipe. Der junge ausführende Produzent Joel Jent konnte von Anfang eigene Ideen einbringen und hat nebenbei noch ein Transmedia-Projekt initiiert (www.iraqiodyssey.com). Daneben haben etliche junge irakische Künstler wie beispielsweise Ali Al Fatlawi sich an den komplizierten Recherchen beteiligt und am endlos langen Rohschnitt.
Einer von ihnen, Wamid Al Ameri, hat auch bei der digitalen Bildbearbeitung neue Methoden entwickelt, wie z.B. die 3D Grafiken, die ich bisher noch nie so gesehen habe. Die Visualisierungen meiner Reisen über den Globus, wie auch der dreidimensionale Stammbaum sind von ihm realisiert worden. Aber auch die Cutterin Sophie Brunner hat sich drei Jahre ihres Lebens an der Entwicklung meiner Familiengeschichte beteiligt. Zuerst begann sie als Praktikantin und arbeitete sich immer mehr in die komplexe Materie des 3D Schnittes ein. Wie gesagt: Ich hatte ein hochmotiviertes junges Team!

 

 

 

Die Fülle des Materials – Ton- und Bilddokumente, Statements, Interviews, aktuelle Aufnahmen und mehr – hast du elegant und spannend zu einem grossen Kaleidoskop zusammengefügt – stellvertretend dafür steht das Filmplakat mit deinem Grossvater. Was war die grösste Herausforderung?
Ich hatte schon 1993 in meinem Dokumentarfilm «Babylon 2» versucht, eine neue Bildsprache zu entwickeln, welche den neuen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung entsprachen. Die Erfahrungen, die ich dann mit der Rhythmisierung von mehreren Bildebenen entwickelt hatte, kulminierte nun fast naturwüchsig in der 3D Umsetzung von «Iraqi Odyssey». So war es tatsächlich eine grosse Befriedigung zu sehen, dass die Zuschauer in der ganzen Welt die 3D-Präsentation mit grossem Enthusiasmus aufgenommen haben.

 

 

 

Trotz vieler tragischen Episoden, Fluchtgeschichten und Enttäuschungen, geknickter und bitterer Lebensläufe vermittelt dein Film auch Lebensfreude, Zuversicht und Hoffnung. Liegt das an deiner Familie, an der irakischen Mentalität?
Leider bleibt das auch für mich ein Geheimnis. Sicher ist, dass in unserer Familie alle versuchen immer das «halbvolle» anstatt das «halbleere» Glas zu sehen. Die Irakis haben in den Jahrzehnten der Diktatur einen schwarzen Humor entwickelt und auch in der Diaspora hilft es, die unwägbaren Situationen zu bewältigen, wenn man sie versucht, mit Ironie zu bewältigen. Dazu kommt sicher, dass ja alle Mitglieder der Familie durch den Marxismus beeinflusst wurden. Diese analytische Ideologie ist sicher ein gutes Instrument, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert und die politischen Niederlagen nicht nur den eigenen Fehlern zuzuschreiben, sondern weiterhin nach neuen Wegen zu suchen, um die gesellschaftliche Realität zu gestalten.

 

 

 

Mir scheint, als hätten sich in deiner Grossfamilie verschiedene Kulturen, Lebensarten und Weltanschauungen zusammengefunden. Beispiel auch für den Traum einer modernen offenen arabischen Gesellschaft. Er lebt. Könnte dein Film dazu beitragen?
Ich denke, die Rekonstruktion und die Darstellung der Offenheit des alten Irak wird zu einer Waffe werden im Kampf gegen die radikal-religiösen Kräfte. Natürlich hoffe ich sehr, dass dies dem Film gelingen wird. Immerhin hat er schon mal im Westen viele fortschrittliche Zuschauer zu einem «Aha»-Erlebniss geführt, in dem sich viele überlegten, wie vielen Stereotypen über den Nahen Osten sie bisher selber geglaubt hatten…

 

 

 

Du wolltest mit dem Film die Geschichte einer Generation bewahren und festhalten, ihr Engagement für Offenheit, ihren Kampf für eine säkularisierte Gesellschaft. Wird dein Film auch ein grösseres arabisches Publikum sehen können?
Ja, es war mein Wille, der Generation meines Vaters und meiner Onkel und Tanten ein Denkmal zu setzen. Ich glaube, das ist mir gelungen. Der Film ist an den arabischen Festivals und in den Medien hervorragend aufgenommen worden, und einer der grössten arabischen Fernsehsender hat ihn auch schon gekauft und will ihn ungeschnitten und in der ganzen Länge ausstrahlen! Im April wird der Film eine offizielle Premiere in Anwesenheit der Minister etc. in Baghdad erhalten und danach von einer jungen Künstlergruppe, welche ein mobiles Kino entwickelt hat, im Irak gezeigt.

 

 

 

Manche Leute, die ich gesprochen habe, bemängeln die Länge des Films. Wie stehst du dazu – du hast ja auch eine kürzere Fassung (ohne 3D) fürs Fernsehen geschnitten?
Diese Kritiken habe ich bisher nur von deinen Kollegen erhalten. Sehr wahrscheinlich waren sie müde von vielen Filmgucken an einem Festival.
Es spricht jawohl für sich, wenn nach bisher über 25 Vorführungen in der ganzen Welt, die Zuschauer zu 99 Prozent im Film bleiben. An jeder Vorführung, an der ich teilgenommen hatte, frage ich die Zuschauer als erstes, ob sie den Film zu lange fänden. Unzählige Zuschauer sagten, dass sie sehr skeptisch hinein gegangen seien, aber zum Schluss gar nicht bemerkt hätten, dass sie so lange gefesselt vor der Leinwand sassen. Dazu kommen unzählige Mails von Leuten, die mir gratulierten, und darauf bestanden, dass der Film genau so lang sein müsse wie er sei. Die Kurzfassung fürs Fernsehen erzählt leider nicht die religiöse Hintergrund-Geschichte meines Grossvaters und auch nicht mehr meine private Geschichte in der Schweiz. Dazu fehlt auch der Strang meiner Cousine aus Deutschland. Es ist eher wie ein guter Teaser für den Directors Cut.
Ich verstehe diese Diskussion nicht ganz. Jeder amerikanische Actionfilm dauert 2 bis 2 ½ Stunden. Und dort geht es nur um Verfolgungsjagden und BumBum. Also um nichts. Ich bin sicher, dass das Art-House-Publikum sich die Zeit nehmen wird, um sich meinen Film in Ruhe anzuschauen.

 

 

 

Wie schätzt du die Entwicklung im Irak ein? Was ist dein irakischer Traum?
Ich habe keinen eigenen irakischen Traum, ausser ich würde dort leben. Der irakische Traum gehört den Irakern! Und ich bin sicher, sie werden ihn verwirklichen! Als im letzten Jahr sich die korrupten irakischen Politiker zusammen gesetzt haben, um eine Regierung der Einheit zu gründen, war das tatsächlich der letzte Moment, um den Irak vor der IS zu retten. Auf der übergeordneten Ebene wird es nun davon abhängen, ob die irakische Armee als unabhängige Instanz – also ohne Beeinflussung durch die schiitischen Milizen – wiederaufgebaut werden kann. Dann ist die Rückeroberung von Mossul nur eine Sache von einem Jahr oder so. Die moderne Welt lässt sich sicher nicht mit den Steinzeitmethoden der IS neu ordnen, und für die Mehrzahl der jungen Menschen ist dieser Radikalismus nicht attraktiv. Nun kommt es darauf an, dass sich langsam eine Zivilgesellschaft aufbaut, damit die einfachen Menschen sich des Staates wieder bemächtigen können. Das ist ein langer Prozess. Auch in der Schweiz brauchte diese Entwicklung eine lange Zeit: von 1848 bis fast in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Ich bin sicher, dass es im Irak nicht mehr so lange dauern wird, denn wir leben in einer Zeit des digitalen Austausches und die Menschen ausserhalb wie innerhalb des Iraks wissen viel mehr voneinander als früher. Das ist eine gute Voraussetzung, um die politischen Verhältnisse zu ändern.

(Interview: Rolf Breiner)

 

 

«Der Kreis» erhält vier Trophäen beim Schweizer Filmpreis 2015
Am Freitag, 13. März 2015 sind in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset zum achtzehnten Mal die Schweizer Filmpreise vergeben worden. Die Doku-Fiktion «Der Kreis» wird mit vier Preisen, darunter demjenigen für den besten Spielfilm, ausgezeichnet. Zu den Gewinnern des Abends gehört mit Auszeichnungen in zwei Kategorien auch «Electroboy». Sabine Timoteo und Sven Schelker durften als beste Darsteller eine «Quartz»-Trophäe entgegennehmen. Die Preisverleihung fand im Bâtiment des Forces Motrices in Genf statt und wurde von SRF, RTS und RSI als Live-Stream übertragen.


«Der Kreis» wurde in vier Kategorien ausgezeichnet: Stefan Haupt nimmt in der Kategorie «Bester Spielfilm» und zusammen mit Christan Felix, Ivan Madeo und Urs Frey in der Kategorie «Bestes Drehbuch» eine «Quartz»-Trophäe entgegen. Weitere Auszeichnungen gab es für Sven Schelker als bester Darsteller und für Peter Jecklin als beste Darstellung in einer Nebenrolle.
«Bester Dokumentarfilm» ist «Electroboy» von Marcel Gisler, Thomas Bachmann holte einen «Quartz» für die Montage von «Electroboy». Weitere Gewinner sind der Kurzfilm «Discipline» von Christophe M. Saber sowie «Timber» in der Kategorie «Bester Animationsfilm». Die Schauspielerin Sabine Timoteo wurde für ihre Darstellung in «Driften» ausgezeichnet. Für die Filmmusik in «Pause» wurden Mathieu Urfer, Marcin de Morsier, John Woolloff und Ariel Garcia geehrt. Lorenz Merz wurde für seine Kameraarbeit in «Chrieg» ausgezeichnet. Der Spezialpreis der Filmakademie geht an Patrick Lindenmaier für sein Picture Design in Schweizer Kinofilmen. Er hat an zahlreichen nominierbaren Schweizer Filmen mitgearbeitet, unter anderem an Electroboy, Thuletuvalu, Broken Land, Bouboule und L’Abri.
Jean-Luc Godard wurde für sein filmisches Gesamtwerk mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Er nahm aus gesundheitlichen Gründen die Auszeichnung nicht persönlich entgegen. Der Regisseur richtete sich jedoch mit einer Videobotschaft an die Gäste. In seiner Laudatio zu Ehren von Jean-Luc Godard sagte Bundesrat Alain Berset: «Ihre Filme vermischen die Genres und die Formen. Sie übersetzen Alltägliches in Poesie. Ihre Filme sind durchdrungen von klugem Dilettantismus, trauriger Verrücktheit und fröhlichem Pessimismus. Sie sind manchmal soziologisch, manchmal auch politisch. Sie sind Satzmusik und Lautgrammatik. Diese Filme sind Jazz.»
Der Schweizer Filmpreis wird vom Bundesamt für Kultur BAK mit den Partnern SRG SSR und der Association «Quartz» Genève Zürich realisiert und in Zusammenarbeit mit Swiss Films, der Schweizer Filmakademie und den Solothurner Filmtagen organisiert. www.schweizerfilmpreis.ch

 

 

Filmtipps

Selma
rbr. Ein Biopic nach US-Art. Das muss man den Amerikaner lassen: Sie verpacken ihre Geschichtsgeschichten und -bewältigungen in packende Dramen – mit viel Emotion und Feuereifer. Das kann als hehres Heldenepos daherkommen (bei Filmen über US-Präsidenten beispielsweise), kann zur Unterhaltung dienen oder die Geschichte Unterprivilegierter erzählen – wie im Sklavendrama «12 Years a Slave» oder in Karrierestück «The Butler». Neustes US-Beispiel ist das Bürgerrechtsdrama «Selma» von Ava DuVernay. Im Zentrum stehen hier Martin Luther King und die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigerjahren. Vordergründig geht’s um uneingeschränktes verbürgtes Wahlrecht auch für schwarze Stimmberechtigte. Südstaaten wie Georgia oder Alabama sperren sich, gehen gegen Schwarze vor, die ihr Recht einfordern. Der Filmtitel «Selma» bezieht sich auf jenen Ort, von dem der Marsch der schwarzen Protestler gen Montgomery ausging, der Hauptstadt von Alabama, wo die Marschierer von der Polizei niedergeprügelt wurden, aber letztlich triumphierten. Das ganze Zeitstück ist effektvoll inszeniert, mit zwischenmenschlichen Spannungen und politischem Kalkül, dazu exzellent besetzt mit David Oyelowo als Martin Luther King, Carmen Ejogo als Gattin Coretta Scott King, Tom Wilkinson als US-Präsident Lyndon B. Johnson, Tim Roth als Gouverneure George Wallace, Cuba Gooding junior als Fred Gay oder Oprah Winfrey als Annie Lee Cooper. Neben intimen Zwischenspielen dokumentarischen Sprengseln und strategischen Einblicken fällt ein weiterer Aspekt auf: Bereits in den Sechzigerjahren wurden Aktivisten, Bürgerrechtler und Widerständler überwacht, manipuliert, eingeschüchtert, dazumal vom FBI oder anderen Staatsorganen. 50 Jahre danach, so die Erkenntnis, hat sich in den USA nichts geändert – siehe Edward Snowdens Enthüllungen über die globalen NSA-Überwachungsaktivitäten und die fragwürdige staatliche Einstellung zu solchen Praktiken.
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Refugiado
rbr. Häusliche Gewalt. Schauplatz Buenos Aires. Ein Kind wartet auf seine Mutter, die es von der Schule abholen soll. Sie kommt jedoch nicht. Bereitwillige Lehrer bringen den Knaben Matías (Mati) nach Hause, irgendwo in einen schäbigen Wohnblock. Laura (Julieta Diaz), die Mutter, liegt misshandelt am Küchenboden, geschlagen, getreten von ihrem Mann Fabián. Dem hat sie offenbar gestanden, dass sie ein zweites Kind bekommt, er vermutet von ihrem Chef. Das ist die Ausgangssituation eines Dramas, wo die Frau keine andere Chance sieht, als mit ihrem Sohn Mati (Sebastián Molinaro) zu fliehen, zuerst in ein Frauenhaus, dann ins Hotel und zuletzt im Tigre-Delta am Rande Buenos Aires‘, wo ihre Mutter haust. Laura hat kein Vertrauen mehr – weder in das Frauenhaus oder Behörden und schon gar nicht in ihren Mann, dem sie ausgeliefert ist. Wie ein gehetztes Tier, das ums Überleben fürchtet, sucht sie einen sicheren Hort. Wie ihr Söhnchen, kaum zehn Jahre jung, müssen wir uns die Zusammenhänge zusammenreimen. Der gewalttätige Vater bleibt ein Schemen, er telefoniert zwar, aber eine Bedrohung aus dem Off. Gewalt – und das ist höchst bemerkenswert an dem Film vom Argentinier Diego Leman – bleibt ausgespart. «Refigiado» (Flucht) sei ein häusliches Roadmovie, meint der Regisseur. «Ich versuchte mit vielen kleinen Elementen, die Spuren von Gewalt zu beschreiben, mehr als die Gewalt selber». Gleichzeitig beschreibt der Film die Auflösung einer Familie. Und das alles aus der Perspektive des jungen Mati. In manchen Momenten heizen Thriller-Elemente die (sparsame) Handlung an – freilich ohne Action- oder Suspense-Ambitionen.
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Samba
rbr. Auch sie wurden ziemlich beste Freunde, der schwarze Senegalese Samba ohne Aufenthaltsgenehmigung und die Sozialarbeiterin Alice mit Burnout-Erfahrung. Sie will helfen und verliebt sich. Das Erfolgsduo Éric Toledano und Olivier Nakache («Intouchables») drehte eine liebenswürdige Sozialkomödie. Die Idee dazu trugen die beiden freilich bereits vor den «Ziemlich besten Freunden» mit sich rum. Sie interessierten das «Doppelleben» von Gastarbeitern in Frankreich: einerseits ihre Illegalität, andererseits ihre geschätzte Arbeit. Dazu kam ein anderer Aspekt, nämlich die Überforderung oder eben das Leben am Limit. Diese Themen führten Toledano und Nakache in ihrer Liebeskomödie «Samba» zusammen. Der gemeinsame Nenner heisst Arbeit. Samba, der illegale Gelegenheitsarbeiter, ständig auf Jobsuche, wird geschnappt, wandert in die Zelle und soll abgeschoben werden. In dieser Phase bekommt er es mit der resoluten Sozialarbeiterin Manu (Izia Higelin) und ihrer neuen Kollegin Alice (Charlotte Gainsbourg) zu tun. Alice, die nach einem Burnout neuen Halt sucht, ist hilfsbereit, vertrauensselig und einsam. Samba (Omar Sy) ist wahrlich kein Unschuldslamm, denn er hat bei Gelegenheit auch mal die Freundin seines Freundes Wilson (Tahar Rahm) frequentiert. In seiner Not hat er die Identität seines Onkels angenommen. Ein buntes Personenkarussell: Ein Mann, der Samba heisst, aber aus Senegal stammt, und ein Kumpel namens Wilson, ein Algerier, der sich als Brasilianer ausgibt. Eine verunsicherte, etwas ungeschickte Frau, die sich in einer Hilfsorganisation engagiert, sich sich verloren und einsam fühlt. Ausgerechnet ein illegaler Afrikaner, der keine materielle Sicherheit besitzt, bestärkt und stützt sie. Das führt zu manchen delikat- humorvollen und amüsanten Situationen, auch weil Gainsbourg und Shy, besagter Freund aus den «Intouchables», ein liebenswertes Paar abgeben. Überhaupt verstehen es die Regisseure gekonnt, Dramatisches und Komisches, Tragisches und Amouröses zu mixen. Denkwürdig und amüsant.
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American Sniper
I.I. Selten sind über einen Film derart viele kritische Betrachtungen, ob verherrlichender Kriegs- oder Antikriegsfilm, verfasst worden wie zu American Sniper. Regisseur Clint Eastwoods Biopic basiert auf einer wahren Geschichte über den besten Scharfschützen der USA, Chris Kyle (1964-2013), der nicht fern der Heimat im Irak oder Afghanistan umkam, sondern von einem psychisch gestörten Kriegsveteranen in Texas erschossen wurde. Unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge auf US-Botschaften in Tansania und Kenia will Kyle seinem Land vorbehaltlos dienen. Bradley Cooper verkörpert den Scharfschützen, der «Legende» genannt wurde, da er im militärischen Einsatz nach der Ausbildung bei den US Navy Seals, als erfolgreichster Scharfschütze mit über 160 beglaubigten Tötungen gilt. In Rückblenden auf seine Kindheit mit einem strengen Vater, der ihm ein Jagdgewehr schenkt, und die vier Einsätze als Sniper, wird deutlich, wie Kyle langsam den Bezug zur Normalität verliert. Seine Frau (Sienna Miller), die er kurz vor dem ersten Einsatz im Irak heiratet, bemerkt die schrittweise Entfremdung und warnt ihn vor den Folgen einer psychischen Zerrüttung. Die Kampfszenen muten äusserst authentisch an, doch die einseitige Optik des Feindbildes befördert die parteiische Rehabilitation eines Kriegsfilms. Bradley Cooper verkörpert die Figur glaubhaft und seinen Kampf gegen Depressionen nach der Heimkehr, wo er sich einer Therapie stellt, und anderen Kriegsveteranen mit seiner Erfahrung als Selbsthilfe helfen will. Darauf mehr Gewicht zu legen, wie es den Veteranen nach ihren Einsätzen geht, wäre dem Film gut angestanden. Zur gleichen Zeit, als der Film im US-Kino lief, wurde in einem Gerichtsverfahren gegen den Mörder von Chris Kyle ermittelt, der zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.
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Cinderella
I.I. Die Grimmschen Märchen erleben einen neuen Hype: «Cinderella», fabulös inszeniert mit opulenter Farbenpracht vom routinierten Regisseur Kenneth Branagh. Die junge Ella (Lily James, bekannt aus «Downtown Abbey») lebt nach dem Tod ihres Vaters (Ben Chaplin) bei ihrer bösartigen Stiefmutter Lady Tremaine (Cate Blanchett) und deren verwöhnten Töchtern Anastasia (Holliday Grainier) und Drisella (Sophie McShera). Ella wird ins Turmzimmer verbannt, von ihnen als Dienstmädchen schikaniert und hämisch „Cinderella“ (cinder = Asche) gerufen. Als sie eines Tages im Wald bei einem Ausritt einem gutaussehenden Fremden namens Kit (Richard Madden) begegnet, scheint Ella einen Seelenverwandten gefunden zu haben, nichtsahnend, dass er in Wirklichkeit der Prinz selbst ist. Der Prinz ist von ihrer Haltung zu Mut und Freundlichkeit beeindruckt, was ihre Eltern ihr vorgelebt hatten. Als der Hof alle jungen Frauen des Landes zu einem grossen Ball einlädt, macht sich Ella gegen alle Hindernisse und mit Hilfe einer guten Fee (Helena Bonham-Carter) auf, um ihr Leben ein für alle Mal zu ändern… Ein magisches Fantasy-Märchen mit Strahlkraft! Um das Märchenschloss des Prinzen in Szene zu setzen, liess sich das Disney-Team der Szenenbildner vom Dresdner Zwinger für ein digitales Märchenschloss inspirieren, das virtuell im Computer entstand. Barocke Pracht und märchenhafter Einfallsreichtum erweisen sich als zauberhafte Filmkulisse. Wer den Dresdner Zwinger kennt, wird ihn trotz der digitalen Aufbauten im Film erkennen. Die charakteristische Ansicht auf die Bogengalerien mit dem Wallpavillon ist unverkennbar. Das barocke Juwel wurde 1710 bis 1728 im Auftrag von Kurfürst August dem Starken erbaut.

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Das Mädchen Hirut

I.I. Äthiopien im Jahr 1996: Die 14-jährige Hirut (Tizita Hagere) ist auf dem Weg zur Schule, als sie in der Nähe der Hauptstadt Addis Abeba von mehreren Männern entführt und vergewaltigt wird. Das mutige Mädchen kann entkommen und erschiesst auf der Flucht einen der Männer, der sie zur Heirat entführen wollte. In ländlichen Gegenden in Äthiopien herrscht die alte Tradition der „Telefa“, die eine Entführung vor der Heirat verlangt. Hirut wird des Mordes angeklagt, sie kommt ins Gefängnis und es droht ihr die Todesstrafe. Nur die Anwältin und Frauenrechtlerin Meaza Ashenafi (Meron Getnet), die eine Organisation gegründet hat, die Frauen und Kindern in Not kostenlosen Rechtsbeistand leistet, setzt sich für sie ein. Da der Frauenraub zur Eheschliessung in Äthiopien eine lange Tradition hat, betritt die Verteidigung Neuland und kämpft gegen veraltete Traditionen und Unterdrückung. Als die couragierte Anwältin den Justizminister wegen Behinderung des Prozesses verklagt, wird ihre Anwaltskanzlei kurzzeitig geschlossen. Doch sie setzt sich beharrlich durch und erwirkt den Prozess gegen Hirut, der mit einem Freispruch aus Notwehr endet. Aufgrund des sensationellen Freispruchs gegen die alten Traditionen, ist die Brautentführung und Zwangsehe in Äthopien heute strafbar. Der Film wurde ausschliesslich in Äthiopien gedreht und von Angelina Jolie koproduziert. Dass Zereesenay Berhane Mehari in seinem authentisch wirkenden Spielfilmdebüt sich des Themas Zwangsehe nach einer wahren Begebenheit annimmt, ist bemerkenswert. Auf der Berlinale wie auch auf dem Sundance Filmfestival 2014 gewann das Drama den Publikumspreis.

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Verstehen Sie die Béliers?

I.I. Die 16-jährige Paula Bélier (Louane Emera) lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof. Mit Ausnahme von Paula ist die ganze Familie gehörlos, die Mutter Gigi (Karin Viard), Vater Rodolphe (François Damiens) und ihr Bruder Quentin (Luca Gelberg). Als Übersetzerin der Gebärdensprache fallen Paula auch alle organisatorischen Aufgaben zu, wie der Kontakt mit der Bank oder beim Verkauf der feinen Käseprodukte des Bauernhofs auf dem lebhaften Markt irgendwo in der französischen Provinz. Als Paula sich eines Tages entschliesst, dem Schulchor des Gymnasiums beizutreten, um einem Jungen, in den sie sich verliebt hat, näherzukommen, nimmt ihr beschauliches Leben eine plötzliche Wende. Ihr Lehrer, Monsieur Thomassen (Eric Elmosnino), ist von ihrer Stimme beeindruckt und fest entschlossen, ihr Talent zu fördern. Paula wird ausgewählt, ein Duett mit Gabriel (Ilian Pergola) zu singen. Und der Lehrer beschwört sie, an einem Gesangswettbewerb des Radio France teilzunehmen, wo als Gewinn die Zulassung an eine renommierte Musikschule in Paris lockt. Paula will ihre grosse Chance ergreifen, doch gerät sie in einen schwerwiegenden Konflikt mit ihrer Familie, hat doch ihr Vater vor kurzem beschlossen, sich als Bürgermeister aufstellen zu lassen. Mit Paula an seiner Seite als Unterstützung. Das Familienglück steht auf dem Spiel und Paulas Zukunft. Die herzerwärmende Komödie des Regisseurs Eric Lartigau hat in Frankreich mehr als fünf Millionen ins Kino gelockt und wurde für sechs Césars, für den besten Film und die besten Schauspieler, nominiert.
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Photo/Film