FRONTPAGE

«Bachmann und Enzensberger: Briefwechsel zwischen Seelenverwandten»

Von Ingrid Isermann

 

Selten ist Ingeborg Bachmann so gut gelaunt und unbeschwert zu sehen, wie mit Hans Magnus Enzensberger auf den Fotos der späten 1950er Jahre, sie wirken wie zwei Gleichgesinnte, mehr noch, wie zwei sich wohlgesinnte Interpreten ihrer Zeit. Der bisher unveröffentlichte Briefwechsel zeigt, wie zwei der prägendsten Autoren nicht nur die Welt und den Literaturbetrieb, sondern wie sie sich selbst wahrnahmen und gesehen werden wollten.

Ingeborg Bachmann (1926-1973) und Hans Magnus Enzensberger (*1929) lernen sich im Oktober 1955 an einer Tagung der literarischen Gruppe 47 in Tübingen kennen. Nach dem Wiedersehen an der Gesprächsrunde zur Literaturkritik in Wuppertal im Oktober 1957 kommt es am 27. November zur ersten brieflichen Kontaktaufnahme seitens Hans Magnus Enzensbergers. Damit beginnt eine Korrespondenz, von der 130 Briefe überliefert sind: 53 Briefe von Bachmann, 77 Briefe von Enzensberger, die im Zeitraum von November 1957 bis Oktober 1972 zwischen Norwegen, Zürich, London, München und Rom hin und her wechselten.

 

Reflexionen über das Zeitgeschehen

Bachmann ist 1954 bereits als gefeierte Dichterin Cover des «Spiegels». Enzensberger ist der »zornige junge Mann«, Netzwerker und Strippenzieher im Literaturbetrieb, dessen Lyrik-Karriere 1957 startet. Die beiden enigmatischen Figuren, Ikonen der deutschen Nachkriegsliteratur, tauschen sich aus über Literatur wie auch über die eigenen Vorhaben (u.a. die Debatten um das legendäre «Böhmen liegt am Meer», dem von Bachmann publizierten Gedicht in Enzensbergers «Kursbuch»); sie reflektieren über das Zeitgeschehen, polemisieren gegen alle und alles und halten auch mit ihrem Urteil über die lieben Kollegen nicht zurück. Dabei werden ihre unterschiedlichen Schreib-Charaktere und Stellungnahmen sichtbar, von Enzensberger oft pragmatisch-ironisch konnotiert.

 
Die Kunst eines Briefwechsels mit äquivalenter Deutungshoheit
Enzensberger verwendet in seinen Briefen konsequent Kleinschreibung, er findet sie praktischer und mag das einheitliche Schriftbild. Der gegenseitige Ton ist von Anfang an respektvoll, dem Anderen zugewandt; sie nennt ihn vertraulich Mang, er schreibt liebe ingeborg und nennt sie mitunter meiningeborg.
Abgesehen von ihrer Zeitgenossenschaft und dem Einblick in die
prüden, biederen fünfziger und sechziger Jahre, sind die Briefe von einer poetischen Bestimmtheit, Zartheit und äquivalenten Deutungshoheit, dass es einem schier den Atem verschlägt. Die Sprache ist eigentlich die zwischen Liebenden in einer getragenen, unaufgeregten Form. Gegenüber heutigen Auswüchsen einer ruppigen Sprach-Unkultur ist das Lesen dieses sensitiven Briefwechsels ein reines Lesevergnügen. Ein Briefwechsel zum Niederknien.

 

Begabung zur Freundschaft

Gab es zwischen Bachmann und Enzensberger eine Liebesbeziehung? Zumindest deuten  liebevolle Zeilen eine intime Verbundenheit an. Spekulationen darüber sind nie verstummt, wenngleich Enzensberger in seinem Interview mit der Biografin Ina Hartwig in ihrem Buch «Wer war Ingeborg Bachmann?» (Fischer Verlag, 2017) die Frage ausweichend beantwortete. Er hatte Bachmann in Rom besucht, sie wohnte damals in der Via Bocca di Leone, er hatte ein Stipendium der Villa Massimo. Es herrschte Zucht und Ordnung, das sei nicht zum Aushalten gewesen. Mit Ingeborg Bachmann sei er da «rausgegangen», sie gingen tanzen und liebten beide die italienische Kultur, auch Mode und Schönheit seien ihr wichtig gewesen. Doch sie hatte ihre Geheimnisse, von denen der pathologisch eifersüchtige Max Frisch ein Lied singen konnte; von ihm existiert übrigens kein einziges Foto zusammen mit Ingeborg Bachmann während ihrer vierjährigen Beziehung. Sie habe sich in die «abenteuerlichsten Geschichten gestürzt», war mutig, wollte etwas probieren und riskieren, so Enzensberger. Die Konkurrenz, die zwischen männlichen Kollegen oft herrschte, kam bei Ingeborg Bachmann offenbar nicht zum Zuge. Im Interview mit Hartwig äussert sich Enzensberger zu ihrer Begabung zur Freundschaft: «Jemanden fallenzulassen war nicht ihre Sache», im Gegenteil: «Sie war treu».

Wie zu Enzenberger pflegte Bachmann auch zu dem Komponisten Hans Werner Henze, mit dem sie eine Zeitlang in Italien zusammenlebte, eine freundschaftliche Beziehung. Henze in einem Brief am 5. August 1959 an Bachmann: «Engel, lass Dich nicht von den Mannsbildern unterwerfen! Hätte dazu noch einiges zu sagen, fühle mich aber nicht befugt. Hoffe das Beste und Schönste für Dich und adoriere Dich und bin immer für Dich da, wie Du ja wohl weisst» (Briefe einer Freundschaft, S. 226). Ein Lichtblick, denn in ihren Textfragmenten «Todesarten» wie auch in ihrem Roman «Malina» kommen Männer generell nicht gut weg. Noch ist der Briefwechsel «Ingeborg Bachmann – Max Frisch» von den Erben nicht zur Veröffentlichung freigegeben worden, erst dann wird man das Bild Bachmanns klarer erkennen können.

Der Briefwechsel mit Hans Magnus Enzenberger offenbart eine emphatische Autorin, die in gestimmter Aufmerksamkeit ihre Aussagen zu kontrollieren weiss und in Wellenbewegungen ihre intellektuelle Brillanz aufscheinen lässt.

 

 

Leseprobe:
Brief Hans Magnus Enzensberger an Ingeborg Bachmann,
Stranda, 27. November 1957
liebe ingeborg – geraten sie nicht in sorge, texas ist nur ein vorwand. manchmal höre ich von ihnen, aus den zeitungen,
oder ganz einfach, indem ich das ohr an die tischplatte lege. natürlich ist es ziemlich undeutlich. zum beispiel, ob es etwas ist mit dem fernsehen, mit münchen, und mit dem schreiben, oder ob es nichts ist, das geht aus dem bißchen rau- schen nicht hervor. hier ist es vier stunden am tag heller als das ganze mittelmeer, es ist so hell daß einem die augen wehtun, dann kommt eine heftige dämmerung (es ist fast wie eine sonnenfinsternis), und dann ist es ziemlich lang nacht. ich arbeite trotzdem sehr wenig. immer diese gedichte! [hat suhrkamp sie ihnen geschickt? ich bat darum] stücke müßte man schreiben. aber ich bin faul. jawohl faul. ich habe angefangen, neben den täglichen hiobs- und schreckensnachrichten aus den zeitungen jean paul zu lesen. es ist glaube ich ein zeichen der reife. ist es mit ihnen auch schon soweit gekommen? wir sollten einmal, das wäre erheiternd, zusammen ein buch machen, ein buch das fliegen kann. eine montgolfière. zur widerlegung des raketenzeitalters, aber nicht nur dazu. sondern auch aus daffke. schreiben sie mir bitte, wie es ihnen geht,
mang. stranda/norwegen

 

 

Hans Magnus Enzensberger an Ingeborg Bachmann, [Stranda], 10. Februar 1958
Liebe Ingeborg, ich habe mir wieder einmal schulfrei genommen. Das hat überhaupt sehr eingerissen. Ich habe mir einen schönen Schafpelz gekauft, und wer so ein teures Stück auf dem Rücken hat, wie soll der es nötig haben zu arbeiten?
Auch müssen wir immer aufpassen, daß der Ofen nicht ausgeht, oder die Tanaquil wirft ein paar Blumentöpfe herunter. Ihnen brauche ich ja gar nicht zuerklären, daß so etwas ungeheuer Kulturelles wie Bücherschreiben überhaupt nur geht, wenn man sich völlig konzentrieren kann, was allerdings selten vorkommt. Beim Schneeschaufeln hat man dagegen einen viel besseren Eindruck von sich selber, weil man so große Berge zusammenbringt wie ein Manuskript von Balzac. Törichterweise habe ich angefangen, Kinderreime zu sammeln, und das ist nicht gutgegangen: ich habe ziemlich bald angefangen, selber welche zu machen. Da kann man aus dem Vollen wirtschaften, und vor allem endlich einmal reimen wie ein Müller.
Was macht Ihr Roman? Ich frage nur aus Rachsucht. Die Leute schreiben mir nämlich immer und wollen etwas über meinen Roman wissen, wie er vorwärtskommt etc. J’ai beau dire: n’existe pas, sie lächeln nur listig, zwinkern mit den Augen und denken sich: er muß schon eine Option haben! Also lassen wir das, und ich frage lieber: was macht der neue Zimmerahorn? Ich möchte ihn ganz gerne einmal sehen, um meine Bedenken zu zerstreuen. Ich habe nämlich den Verdacht, Zimmerahorn ist eine Leitpflanze für Vorzimmer des gehobenen Dienstes. Botanik müßte man studieren. Ich war neulich in Uppsala (= Linné), aber es erinnert leider an Erlangen, eine herbe Enttäuschung.
Ich glaube eigentlich nicht, daß Sie etwas für das Fernsehen tun. Die Manuskripte, die Sie lesen sollen, werden einfach
in eine der 50 Schubladen gelegt. Damit ist dann allen Beteiligten gedient, denn für das, was schließlich gesendet wird, sind doch gar keine Manuskripte nötig. Wir Alphabeten sollten da bescheiden sein und unsern Einfluß nicht überschätzen.
Heuer will ich nach Rom. Bisher habe ich mich nicht getraut. Mit wirklichen Städten gibt es immer harte Kämpfe, bis sie einen akzeptieren. Mit Paris habe ich mich ein halbes Jahr geschlagen, seitdem verstehen wir uns ganz gut. Mit Kopenhagen habe ich mir schon am zweiten Tag Vertraulichkeiten erlaubt. Aber Rom wird eine harte Nuß sein. Ich habe den Verdacht, daß ihr Hochmut nicht von schlechten Eltern ist. Wissen Sie etwas über die Villa Massimo? Gibt es da ein Gemeinschaftsleben? Das würde ich nämlich nicht aushalten.
Ist September ein guter Monat? Wenn wir da noch leben. Sie sollten wieder einmal einen Preis kriegen, finde ich. Es ist zwar im Moment etwas peinlich, besonders die Ansprachen, (die Abiturfeier für Schröder muß fürchterlich gewesen sein!) aber ich möchte daß Sie hinfahren können, wo Sie Lust haben. Und vielleicht eine Oper schreiben, oder einen Brief.
Leben Sie wohl und schön begrüßt,
Ihrmang

 

 

Ingeborg Bachmann an Hans Magnus Enzensberger, München, 17. Juni 1958
Franz Josefstrasse 92, München 13
den 17. Juni 1958

 

Lieber Mang,
ich bin ganz konsterniert, ich weiss nicht, ob ich Ihnen schon geschrieben habe oder nicht, ob ich Ihren Februarbrief beantwortet habe. Hier liegt nämlich unter meinen Papieren ein halber Brief an Sie, etwas ramponiert, und ich weiss noch, dass ich ihn deswegen noch einmal schreiben wollte. Habe ich ihn geschrieben?? Am Ende gar abgeschickt?! Dann wäre es nämlich sehr dumm, wenn Sie seine eine Hälfte noch einmal bekämen – in diesem Brief habe ich Ihnen zu Rom geraten, trotz allem, Ihnen gesagt, dass die Villa Massimo, wenn Sie es nicht wollen, kein Gemeinschaftsleben hat etc. Die anderen Sätze sind nicht wichtig, sondern mehr holder Unsinn.
Übermorgen fahre ich weg, bis zum 1. September wahrscheinlich, und ohne Hinterlassung einer Adresse, denn die letzten Wochen haben mich so schreibwillig und unsocial werden lassen mit ihren Abhaltungen, Zumutungen, Fernsehfluten, Besucherwogen, dass ich mir nicht anders zu helfen weiss.
Ich dachte schon, ich würde nie wieder eine Zeile schreiben, aber seit ich weiss, dass ich wirklich wegkann, fängt es wieder an, und ich möchte gerne brüllen wie der Löwe von der MGM, nachdem er die Aktualitäten verschlungen hat und den Hauptfilm ankündigt.
Was aber tun Sie? Und was schreiben Sie bloss? Machen Sie nur noch Reime für Tanaquil? Und was macht I h r Roman? (es heisst aber, glaube ich: comment va Votre roman? – voire Paludes.) Ich traue mich noch immer nicht, aber wenn Sie sich trauen, über und in diese Gattung zu stolpern, dann würd ich mich vielleicht auch trauen, und wir können uns nachher gegenseitig die gebrochenen Genicke gipsen.
Ich hätte Ihnen gern mein Hörspiel geschickt, habe aber keine Kopie, dafür kommt es im Herbst heraus, als »schmales Bändchen«. Gestern hat eine Dame schon den Verlag danach gefragt, in ihrer Eigenschaft als Frau und Mutter, wie sie sich ausdrückte, um sich vergewissern zu können, ob es wirklich so zersetzend! sei, wie sie es beim Zuhören empfand. Ich weiss daher nicht, ob Sie, als Mann und Vater, etwas damit anfangen können werden.
Ich möchte Sie gerne und bald wiedersehen! Vielleicht fahre ich im Herbst nach Italien und sehe Sie in Rom. Wie lang bleiben Sie dort?! Bitte schreiben Sie mir Anfang September hierher ein Wort!
Viel Liebes! Ihre Ingeborg

 

 

«schreib alles was wahr ist auf» –
Der Briefwechsel Ingeborg Bachmann

Hans Magnus Enzensberger
Hrsg. von Hubert Lengauer
Suhrkamp-Verlag, Berlin 2018
Geb., 479 S., Fr. 58.90. 44 € (D). 45.300 € (A)
ISBN: 978-3-518-42613-5

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