FRONTPAGE

«Münsterland – Heimat der Wiedertäufer, der Droste und des Kiepenkerls»

Von Rolf Breiner

 

Zwischen Ruhrgebiet, Sauerland und Teutoburger Wald eingebettet, liegt das Münsterland. Hier wachsen die Schinken im Himmel, wurde der Westfälische Frieden 1648 geschlossen, lädt der Kiepenkerl zum Tafeln und träumen Burgen im Wasser.

In der Metropole Münster, wo einst die Wiedertäufer herrschten, wo es mehr Fietsen, Fahrräder und Velos gibt als Einwohner, sind wichtige politische Weichen für die Schweiz gestellt worden. In der Universitätsstadt und seiner Region, der Heimat der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, sind manche Entdeckungen zu machen – für Muskeln, Gaumen und Geist.

 

Über Münster sagt man: «Entweder es regnet oder die Glocken läuten – und wenn beides zusammenfällt, dann ist Sonntag.» Na, der Regen ist nicht häufiger als anderswo im Emsland, Sauerland oder Ostwestfalen. Mit den Glocken hat es etwas auf sich, denn in der Bischofsstadt existieren rund 70 Kirchenbauten – vom bischöflichen Dom St. Paulus, einem wuchtigen romanischem Baudenkmal, und der Lambertikirche von 1375, von reichen Bürgern als Gegenkirche zum Dom errichtet, bis zum ältesten Sakralbaus Münsters, der St. Mauritzkirche (Ende des 11. Jahrhunderts) oder gotischen Apostelkirche (1270).

 

Der Dom wartet mit einer imposanten Christophorusfigur von 1627 beim Eintritt auf, und die beliebte Astronomische Uhr (Mitte des 16. Jahrhunderts) lockt viele Besucher an. Mit der Lambertikirche hat es eine besondere Bewandtnis. Der aufmerksame Beobachter kann am Turm eiserne Körbe erkennen. Hier wurden die Leichen der Führer der Wiedertäufer-Bewegung «ausgestellt». Diese Glaubensgemeinschaft gab sich aufrührerisch, rebellisch und wurde 1529 vom Reichstag verboten. 1534 wurde von ihr Münster zum «Neuen Jerusalem» ausgerufen, die Wiedertäufer unter Jan van Leiden («König der Wiedertäufer») hatten 1534 die Macht übernommen, um die Bevölkerung zu evangelisieren. Der Bischof liess die Stadt belagern. Nach schwerer Hungersnot und Verrat fiel die Stadt 1535. Über die Anführer wurde das Todesurteil gefällt. Friedrich Dürrenmatt hat ebendiesen «Wiedertäufern» (1967) eine dramatische Komödie gewidmet – über Leichtgläubigkeit und Verführung, religiösen Wahn und Macht.
Über Kirche und Macht wäre noch viel zu erzählen: Liudger missionierte das Münsterland und gründete um 793 eine Klosteranlage (monasterium). Der Flecken wurde 805 unter Karl dem Grossen zum Bischofssitz. Als wehrhafter Kirchenmann erwies sich Clemens August Kardinal Graf von Galen gut 1150 Jahre später. Er entstammte einer alten westfälischen Adelsfamilie und war 1933 bis 1946 Bischof von Münster. In Predigten und Hirtenbriefen griff «der Löwe von Münster» die «Lehren» der Nationalsozialisten an und bezichtigte staatliche Stellen des vorsätzlichen Mordes (Euthanasie – unwertes Leben). Seine grosse Popularität schützte ihn wohl vor dem Zugriff der Nazis.

 
Aus Alt wurde neues Altes
Münsters «gute Stube» ist der Prinzipalmarkt. Der Stadtkern wie auch der Dom lagen nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Die Stadtväter wollten nicht wie in manchen anderen Städten eine neue Stadt errichten, sondern auf das Alte zurückgreifen und richteten sich nach alten Plänen und Ansichten. Das Alte wurde neu, und die wiederaufgebauten alten Fassaden, Gassen und Lauben wurden zum Anziehungspunkt für unzählige Besucher. Ein kulturhistorischer (und touristischer) Glückfall. Am attraktiven Prinzipalmarkt findet man neben «Stuhlmacher», einer populären traditionellen Kneipe der gehobenen Art (in der es bisweilen laut und hoch hergehen kann), den Friedenssaal. Hier wurde 1648 nach zähem Ringen der Westfälische Frieden (Ende des Dreissigjährigen Krieges) geschlossen. Ihm verdanken die Niederlande und die Schweiz ihre Unabhängigkeit.
Münster, die Universitätsstadt mit über 55 000 Studenten und juristische Hochburg, gilt auch als Fahrradhauptstadt. Wo gibt es sonst eine Fahrradpolizei und eine viereinhalb Kilometer lange Promenade, von Bäumen überdacht, rund um die Altstadt? Der Architekt Johann Conrad Schlaun setzte barocke Akzente – mit dem Schloss (heute Sitz der Universitätsverwaltung) oder dem Erbdrostenhof. Doch auch moderne Kunst hat ihre Zeichen hinterlassen – seit der ersten internationalen Skulpturen-Ausstellung 1977. Auf einer Wiese am Aasee begegnet man etwa den «Giant Pool Balls» von Claes Oldenburg, die anfangs als nur als störende Billardkugeln und Ärgernis wahrgenommen wurden. Heute gehören sie zum Stadtbild wie Henry Moores «Grosse Wirbel», der Dom, das Rathaus oder der «Kiepenkerl». Der war übrigens ein fahrender Händler, mit Pfeife, Mütze, Leinenkittel und eben einer Kiepe (Rückentrage) ausgerüstet, unterwegs zwischen Stadt und Land. Das lauschige Restaurant gleichen Namens offeriert westfälischen Spezialitäten, Töttchen beispielsweise, ein süss-saures Ragout mit Innereien, Kalbszunge, Zwiebeln und Essig, Pfefferpotthast, ein westfälisches Gulasch, und natürlich Schinken. Westfälische Schinken hängen im «Himmel», so nannte man früher den Rauchfang in Bauernhöfen über dem Herdfeuer, dort wurden sie geräuchert.
Im sogenannten Kuhviertel finden sich Szenekneipen und auch die Brauerei Pinkus Müller seit 200 Jahren, die einzige der einst 150 Altbierbrauereien in Münster.

 

 
Tatort Münster
Ein anderer Treffpunkt für Nachtschwärmer ist der alte Stadthafen, der sich zur Ausgehszene entwickelt hat – mit Discos, Kneipen, Boutiquen, Ateliers. Erst jüngst ermittelte dort das skurrile «Tatort»-Pärchen, der bodenständige Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und der leicht arrogante Rechtsmediziner Professor Boerne (Jan-Josef Liefers). Die beiden agieren in der Westfalenmetropole und Umgebung seit über 20 Jahren und sind nach wie vor die beliebtesten «Tatort»-Helden beim TV-Publikum. Nicht weniger schrullig geben sich der schnüffelnde Buchantiquar Georg Wilsberg (Leonard Lansink) samt Juristin Alex (Ina Paule Klink) und Steuerprüfer Ekki (Oliver Korittke), dazu Hauptkommissarin Anna Springer (Rita Russek) samt Adlatus Overbeck (Roland Jankowsky) in der erfolgreichen Krimireihe «Wilsberg». Die Figuren der Reihe (seit 1995) hat übrigens ein Münsteraner erfunden, Jürgen Kehrer. Besagtes Buchantiquariat Solder alias Wilsberg existiert tatsächlich und findet sich in der Nähe des Kiepenkerls.

 

 
Burg Hülshoff und das Rüschhaus
Das Münsterland ist flach, sieht man einmal von den Baumbergen zwischen Münster und Coesfeld ab (höchste Erhebung 187 Meter ü. M.), wo früher begehrter Sandstein abgebaut wurde, also ideal für Veloausflüge. Da dürfen im Ausflugsprogramm Burg Hülshoff und das Rüschhaus nicht fehlen. Westfalens berühmteste Dichterin, Annette von Droste-Hülshoff («Die Judenbuche»), ist hier aufgewachsen. Die elterliche Burg ist ein schönes Beispiel der Renaissance-Architektur des 16. Jahrhundert. Hier ist auch das Droste Museum untergebracht. Lauschiger, idyllischer ist das Rüschhaus, 1825 von Johann Conrad Schlaun erbaut. Es wurde 1826 zum Wohnsitz der Witwe Therese Louise von Droste- Hülshoff und ihrer Töchter Annette und Jenny. Die Gartenanlage wurde 1983 in barocker Symmetrie rekonstruiert. In ihrem «Schneckenhäuschen» las und dichtete die Droste, im Wohnzimmer scheint man die Droste atmen zu hören. Ausser dem Interieur sind auch Reste ihrer Stein, Mineralien- und Fossiliensammlung zu sehen. Sie lebte hier bis 1846, dann zog die Dichterin auf die Meersburg («Fürstenhäusle»), starb 1848 und liegt dort begraben. Sowohl ihr letzter Wohnsitz als auch das Rüschhaus, eine Synthese von westfälischem Bauernhaus und französischem Herrensitz, sind magische Anziehungspunkte von Besuchern. Über 20 000 Gäste suchen jährlich das Rüschhaus auf.

 

 
Wasserburg und Bagno
Burg Hülshoff ist nur eine der zahlreichen Schlösser, die im Wasser unter westfälischem Himmel träumen. Rund 30 Kilometer nördlich von Münster liegt das Kreisstädtchen Burgsteinfurt. Freundlich grüsst die Schlossmühle, die leider leer steht und wohl einen neuen Restaurantpächter sucht. Gegenüber liegt eine doppelte Wasserburganlage mit Ritterburg (Torhaus) und Schloss Steinfurt, im 16. Jahrhundert in heutiger Form aufgebaut. Die scheinbar trutzige Wasserburg mit Renaissancecharme ist Sitz der Fürstenfamilie zu Bentheim-Steinfurt, die ansehnlichen Grundbesitz verwaltet, das sogenannte Bagno samt Golfplatz beispielsweise. Die umfangreiche Parkanlage aus dem 18. Jahrhundert mit Seen und künstlicher Ruine, Knüppel- und Kettenbrücke, oder der restaurierten Konzertgalerie, die heute wieder genutzt wird, ist beliebtes Ausflugsziel von Einheimischen und Touristen. Der Kern des Städtchens (autofrei) hat ländlichen Charme. Das Alte Rathaus am Markt (mit Tourismusbüro) ist Manifestation des aufstrebenden Bürgertums im 16. Jahrhundert. Die Hohe Schule mit zwei Türmen ist das Vermächtnis des Grafen Arnold IV. von Bentheim, Tecklenburg und Steinfurt.
Der Renaissancefürst trat 1575 offiziell zum Calvinismus über, gründete das evangelische Steinfurter Gymnasium Illustre 1591-93, das 1593 eingeweiht wurde und noch heute seinen Namen trägt. Ein Denkmal grüsst am Ortseingang. Ein Denkmal ganz anderer Art wurde dem Rockkünstler Udo Lindenberg errichtet, etwa 30 Kilometer von Burgsteinfurt entfernt in der Nähe der holländischen Grenze. In Gronau ist der markante Hutträger mit Sonnenbrille geboren. Hier steht ein Denkmal für den Ehrenbürger, hier gibt es ein Rock- und Popmuseum.

 

 

Nun liesse sich unser münsterländischer Streifzug beliebig fortsetzen – vom Schloss Wilkinghege (heute Hotel-Restaurant) vor den Toren Münsters, der verträumten Burg Vischering, Haus Wellbergen, einem Gräftenhof, oder Haus Marck, Verhandlungsort beim Westfälischen Frieden, bis zum Kloster Bentlage, Museum Galerie, Konzert- und Feierstätte. Es gibt viele Wege die Heimat der Droste zu entdecken: Pättgesfahrten (Velotouren), Kutschenfahrten, Wanderungen oder Paddeltouren auf der Ems oder eben auf Pferderücken. Es lohnt sich.

 

 

Kultur-Tipps
LWL Museum für Kunst und Kultur
Am Domplatz in Münster
«Homosexualitäten» (bis 4. September 2016); «Yves Netzhammer. Selbstgespräche nähern sich wie scheue Rehe». Lichthofinstallationen mit Videoprojektionen (23. April 2017)
Picasso Museum
Picassoplatz 1 in Münster
«Von Arp bis Picasso. Die Sammlung der Fondation des Treilles» (bis 21. August 2016).
«Giganten! Picasso und die Klassik» (bis 21. August 2016).
«Henri Matisse – Die Hand zum Singen bringen.» (29. Oktober 2016 bis 29. Januar 2017).
«Klingende Bilder – Picasso und die Musik»

Die 5. Internationale Skulptur-Ausstellung im öffentlichen Raum soll im Sommer 2017 in Münster stattfinden.

 

Infos
www.muensterland-tourismus.de www.muenster.de

Kanu- und Paddeltouren
www.kanuverleih-pleistermuehle.de
Reitertouren
Warendorf www.reitroute.de
Radtouren
www.radregion-muensterland.de
Interessengemeinschaft Ems-Radweg, Hövelhof, www.emsradweg.de
Literatur
«Münsterland. Im Lande der Burgen und Schlösser», Dumont Bildatlas Nr. 47, 2. Auflage 2016, Fr. 13.50
Herbert Kraft «Annette von Droste-Hülshoff. Ein Gesellschaftsbild», Aschendorff Münster 1996
Mary Lavater-Sloman «Annette von Droste-Hülshoff. Einsamkeit», Römerhof Verlag 2014

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