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«Demo:Polis – Demokratie braucht öffentlichen Raum»

Von Ingrid Isermann

 

Die Akademie der Künste Berlin untersucht in ihrer Ausstellung (bis 29. Mai 2016) den öffentlichen Raum als demokratische Errungenschaft, der vielfach überall zugekleistert und kommerzialisiert wird. Ergänzend ist die spannende Publikation «Demo:polis: Das Recht auf öffentlichen Raum» bei Park Books erschienen.

Der öffentliche Raum ist zum politischen Spannungsfeld geworden und seine Nutzung und Gestaltung zur Verhandlungssache der Zukunft. Die Öffentlichkeit stellt neue Ansprüche an die Grundprinzipien der Demokratie und an die Gestaltung des öffentlichen Raums.

In den Städten ist das Netz von Strassen, Plätzen und Parks jener öffentliche Raum, der die urbane Gemeinschaft herstellt und darstellt. Der öffentliche Raum ist das, was wir als Stadtgesellschaft darstellen.

 

Die Ausstellung «Demo:polis» wurde von der Akademie der Künste in Berlin von Kurator Wilfried Wang veranstaltet und der ausführliche Katalog von Barbara Hoidn herausgegeben.
Das Thema ist höchst aktuell, denn das Spektrum reicht von «Partizipation über Kunst im öffentlichen Raum» bis zur Verkehrsplanung. Das Buch zeichnet sich aus mit vielfältigen Essays, Beispielen und Studienprojekten. Die Publikation nimmt unter anderen den virtuellen und realen öffentlichen Raum in den Fokus, die Konstitution des öffentlichen Raums, Politik und öffentlichen Raum, Kunst im öffentlichen Raum.

 

In Zürich ist die Kontroverse über die kommerzielle Nutzung des Sechseläuten-Platzes entbrannt, an wie vielen Tagen im Jahr der Platz frei bleiben sollte. Ob auf dem umkämpften Majdan in Kiew, im Gezi-Park und den Taksim-Platz-Protesten in Istanbul oder in Paris nach den terroristischen Anschlägen im letzten November, eine offene Gesellschaft beansprucht Raum, öffentlichen Raum. «Reclaim the streets» lauteten auch in der Schweiz Demonstrationen, wo junge Leute gegen die Kommerzialisierung von Orten opponierten, die teuer aufgemotzt günstige Alternativen verhinderten. Die «Occupy»-Bewegung, die 2011 von der Wall Street ausging, fand auch hierzulande viele Befürworter.

 

 

Gestaltete Lebensräume
Menschen erbauten sich Städte als Lebensräume und Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, Orte zu verlangen, wo sie spielen, träumen und sich erholen können. Doch haben wir noch Einfluss auf den Ort, in dem wir leben und ist er so, wie wir es uns wünschen und für alltagstauglich und lebenswert erachten? Wer ist verantwortlich für den öffentlichen Raum und darf ihn uns jemand streitig machen? Es gilt, den öffentlichen Raum als demokratische Errungenschaft zu verteidigen – durch eine Kultur der Achtsamkeit, der Toleranz und der Aufklärung. Doch der öffentliche Raum ist längst zum Spielball privater Interessen geworden, der geschützt werden muss. «Demo:polis» stellt auch die Frage, wie konkrete Orte in einigen Jahren aussehen könnten.

 

 

Stadttransformationen
Berlins öffentliche Räume haben sich in den letzten Jahren verändert, oft bis zur Unkenntlichkeit. Michael Ruetz hat in Berlin Jahr für Jahr vom selben Standpunkt aus fotografische Aufnahmen gemacht. Das Ergebnis ist eine atemberaubende Zeitraffersequenz. Die Schweizerin Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin in Berlin, warnt in ihrem Essay vor der «Durchsetzung von Partialinteressen, Polarisierung der Debatte und der Verewigung von Provisorien».
Stadtreparaturen von Plätzen und Parks sind anschauliche Beispiele, wie der Trafalgar Square in London, der verkehrsberuhigt wurde. Oder der Brooklyn Bridge Park, der einen stillgelegten Güterhafen entlang des East Rivers in New York ersetzt. Jede Stadt hat ihren eigenen Charakter. Öffentlicher Raum existiert selbst in anspruchslosen, abgelegenen Gegenden. Nuno Cera hat Videos in unwirtlichen Wohngebieten in Istanbul, endlosen Vororten in Mexiko und seelenlosen Wohnanlagen in Shanghai aufgenommen.

 

Öffentlicher Raum ohne Gegenleistung?

Als positive Folge des jüngsten Städetourismus und der Kapitalisierung der Städte als Immobilienanlage wurden vielerorts auch von offizieller Seite ambitionierte Programme zur Verbesserung des öffentlichen Raums gewagt, für die Erweiterung von öffentlichen Plätzen, Parks und Landschaften oder für originelle Nachnutzungen von ausgemusterten Industrieanlagen. Berühmtes Beispiel ist die High Line in Manhattans ehemaligem Meatpacking District, aber auch die IBA Emsiger Park im Ruhrgebiet mit den initiierten Freizeitanlagen in nicht mehr genutzten Industriearealen. Die Gegenleistung für diese erheblichen Investitionen ist oft genug die Ausstattung der aufgewerteten öffentlichen Salons und Plätze  mit Überwachungskameras und freiem WLAN für höhere Sicherheit, aber auch bessere Standortbestimmung des Einzelnen und schnellere Verbindung zu den passenden Apps, die die Benutzung der Stadt und ihrer kommerziellen Angebote leicht und zugänglich machen. In den globalen Metropolen, die durch Finanzspekulationen unter enormen Druck geraten sind, wie London, Paris oder New York, spielt sich schon Erstaunliches ab, ironisch kommentiert von Künstlern wie Banksy. Spiele und Entertainment für die durchreisende Öffentlichkeit sind eine wesentliche Einnahmequelle der Kommunen geworden und beginnen das alltägliche öffentliche Leben in andere Quartiere und Zonen zu verdrängen.

«Demo:polis» stellt die Vielschichtigkeit der heutigen Bedeutung von öffentlichem Raum für unsere Zivilgesellschaft vor, Modelle, Konzepte und Arbeiten von Künstlern, Architekten sowie partizipative Prozesse.

 

 

Hg. Barbara Hoidn
Demo:Polis
Park Books 2016
285 S., div. Abb.
CHF 49.
ISBN 978-3-03860-004-6

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