FRONTPAGE

«Die Sonnenkönigin und ihre Henker»

Von Daniele Muscionico

Nur Heerführer tragen, was sie trägt, und so will sie der Nachwelt in Erinnerung bleiben: als eine Frau mit Herrschaftsbefugnis und Macht, als Kommandantin. Ihr Oberkörper ist in einen Brustpanzer geschnallt, das Schwert steckt, wo es zu stecken hat, am Gürtel, und über ihren Schultern liegt ein samtbesetzter Hermelin. Das ist Catherine von Wattenwyl, 29 Jahre alt, und so kostümiert muss der Maler sie porträtieren.

Theodor Roos ist auf ihren Auftrag auf Schloss Liebegg, fünf Tage ist er an der Arbeit, dann ist das Bild fertig, und auf der Leinwand bleibt die Behauptung unwidersprochen: La reine, c’est moi! Mit dem Bild wird die Dame, nicht zum ersten Mal, tout Berne in Rage versetzen.
Ende April 1674 reist der Maler ab, und sein Model wendet sich wieder dem Tagesgeschäft zu: Sie füttert die Hühner. Sie pflanzt Blumen. Sie sitzt am Spinnrad. Sie sitzt in der Kirche von Därstetten. Das ist ihr Wirkungskreis, der Dienstbereich einer Frau. Catherine, die jüngste Tochter des Landvogts von Oron, Untertanengebiet der gnädigen Herren von Bern, ist zwar aus altem Geschlecht, doch verheiratet ist sie mit einem Pfarrer, einem Mann unter ihrem Stand.
Sie hatte keine Wahl damals, eine Waise, seit sie 14 Jahre alt ist, ohne viel Geld einem Vormund überantwortet, mit 24 auf dem Heiratsmarkt nicht mehr sonderlich verlockend. Zudem: Es ist ja auch alles zu gross geraten an ihr, die Nase, die Statur, ihr Ehrgeiz. Ein Männerleben wünschte sie sich, die Freiheiten ihrer Brüder und Einfluss auf die Geschehnisse der Welt.
Catherine liebte Pistolen stets mehr als Puppen, sass lieber im Pferdesattel als mit der Nadel über dem Nähzeug. Weshalb war ihr verboten, was ihren Brüdern erlaubt war: im Dienst des Sonnenkönigs eine Karriere in seinem Heer antreten oder an seinem Hof? Doch Catherine ist eine Frau, eine Pfarrfrau sogar, und sie lebt im Simmental und nicht in Versailles. Ob Kinder sie glücklich gemacht hätten? Trotz wiederholter Badekuren blieb die Ehe kinderlos.
Die Verheiratung war nicht die erste Herabwürdigung gewesen. Ihre Brüder hatten ihr verboten, das Land zu verlassen, als Königin Christine von Schweden sie an ihren Hof nach Rom eingeladen hatte. Gegen gutes Entgelt! Und auch nach Paris durfte sie nicht fahren, obwohl doch die Freundin bittende Briefe an den Vormund schrieb und sie als Hofdame protegierte. Das Verdikt der Männer war unumstösslich. Man musste die Extravagante disziplinieren. Die junge Catherine galt als Amazone, hatte sich mit einer französischen Hofdame duelliert, prahlte mit ihren Reitkünsten, durchschoss gar einem pfälzischen General die Schulter, als dieser ihr zu nahe getreten war. Stand solches Verhalten einer Frau zu Gesicht? Waren das Manieren?
Und so entschieden die gnädigen Herren in Bern auch in Catherines Liebesdingen: Sie untersagten ihre Heirat mit dem Mann, den sie liebte, Charles de Diesbach von Freiburg, Hauptmann a. D. der Schweizergarde in Frankreich. Er war Katholik, ein Affront aus Sicht der Berner Mächtigen. Um Catherine zu bändigen, bedurfte es eines Pfarrers, Abraham Le Clerc. Nicht nur die strengen Frisuren- und Kleidervorschriften würden sie zur Vernunft bringen.

 

 

Einfluss hinter den Kulissen
Im Januar 1679, sie ist 34 Jahre alt, wird sie Witwe, die Pest hat Abraham dahingerafft. Und wieder ist sie abhängig von der Willkür, vom Ratschluss der Herren in Bern. Auf Wunsch des Dekans stellt man ihr einen Witwer vor, Samuel Perregaux, Gerichtsschreiber im neuenburgischen Valangin. Er bedarf einer Frau mit gutem Namen, die seine Stellung befördern kann. Catherine akzeptiert, was soll sie auch anderes tun? Und obwohl auch ihr zweiter Mann unter ihrem Stand ist – er ist kein Landvogt oder Ratsherr –, entdeckt sie an ihm etwas Verwandtes, etwas, das sie fasziniert: Auch er verehrt Frankreich und alles, was französisch ist, die Lebensart, die Grösse, verkörpert in Louis XIV. Sind das nicht gute Zeichen? Die Hoffnung auf ein mögliches Glück wird noch grösser, als Catherine mit 36 Jahren Mutter wird. Theophil, genannt Theo.
Doch was zu Beginn als bonheur erscheint, wird in Unglück umschlagen. Verführt von ihrem Willen zur Macht und angestachelt von mütterlichem Ehrgeiz, wird sie die Kontrolle über ihr Leben bald vollends verlieren.
1689 nutzt Catherine von Wattenwyl ihre Verbindungen zu den allerhöchsten Kreisen, um als Agentin zu fungieren: Sie versorgt den Botschafter Frankreichs mit politischen Informationen. Schultheiss Sigismund von Erlach, der höchste Mann in Bern, lässt sie die Regierungsbeschlüsse wissen. Wie sollte man da nicht handeln zum Nutzen des Staats, zum Gedeihen der Beziehungen zwischen Bern und dem Franzosenreich? Frankreich ist Berns wichtigster Handelspartner, und der Mitwisser von Erlach mag sich im Hintergrund halten, sie, eine unverdächtige Frau, wird alles tun, was der Heimat förderlich ist – und auch ihrem eigenen Interesse. Sie will ihren Sohn dem König anempfehlen, denn Geld für eine standesgemässe Erziehung hat sie nicht. Theo soll in seinem Heer eine Ausbildung erhalten, er soll für Frankreich ruhmreich werden, wovon sie selber nur träumen darf. Doch hinter den Kulissen hat jetzt auch sie politischen Einfluss.
Doch die Weltgeschichte wendet sich gegen die heimliche Sonnenkönigin. Die Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) – Ludwig erklärt das katholische Bekenntnis zur Staatsreligion – lässt die Beziehung zwischen reformierten Orten und Frankreich erkalten. Die Eidgenossenschaft wird von einem Flüchtlingsstrom erschüttert: Abertausende französische Hugenotten, vom König verfolgt; die einst franzosenfreundliche Stimmung kippt ins Gegenteil. Im Dezember 1689 wird Catherine verhaftet, der Spionage angeklagt, im Berner Käfigturm verhört und gefoltert. Die Haft dauert mehrere Monate.Wird sie mit dem Tod bestraft? Kein Mächtiger, dem sie vorher verbunden war, wird sich für sie verwenden.
Man schert ihr den Kopf, man steckt sie in ein Büssergewand, ein Kleid aus Sacktuch, wie es Mörderinnen tragen. Daumenschrauben, die Füsse in Eisen und Ketten. Ein Henkersknecht bindet ihr die Hände hinter dem Rücken, zieht sie mit einem Strick nach oben, an den Fussknöcheln ein Stein von 25 Pfund. Später wird das Seil mit einem Draht umwickelt, und der Stein wird doppelt so schwer sein, doch Catherine schweigt, niemals wird sie die Namen der Verbündeten nennen! Die Bevölkerung will ihren Tod, «Wölfin!», «Verräterin!», hört man sie rufen. Dann plötzlich wendet sich die Stimmung, und Catherine wird entlassen. Hat ein beschämter Verwandter doch noch seinen guten Namen für die verlorene Tochter eingesetzt, sie vor dem Henker gerettet im letzten Moment?
Catherine ist frei, doch gesundheitlich gebrochen. Ihr Wille ist es nicht. Sie bezieht einen Spähposten in einem Dorf an der französischen Grenze und berichtet dem
König von den Vorkommnissen. Desertion, Getreideschmuggel: Louis XIV ist informiert. Die letzten 22 Jahre lebt sie auf Schloss Valangin, diktiert ihre Memoiren, natürlich zuhanden Seiner Majestät. Am 17.November 1714 ist das Werk vollendet, vier Tage später stirbt sie – nicht ohne mit ihrer Unterschrift dafür gebürgt zu haben, dass ihr Wort ihr eigenes ist.
Catherine von Wattenwyl (1645 bis 21. 11.1714) war eine Berner Adelige und Anhängerin von Louis XIV. Sie wird 1689 als Agentin Frankreichs verhaftet und im Berner Käfigturm gefoltert. Nach der Entlassung Wiederaufnahme der politischen Tätigkeit. 1692 bis zu ihrem Tod Rückzug auf Schloss Valangin. Dort diktiert sie ihrem Gatten ihre «Mémoire» und stirbt im Alter von 69 Jahren. Ihr Leben wird 2004 Stoff für einen Roman von Therese Bichsel.

 

Erstveröffentlichung © Weltwoche Nr. 9.11 45 Bild: Theodor Roos (Château de la Sarraz.) Die Porträtserie ‚Grosse Schweizer Frauen, die Geschichte schrieben’ von Daniele Muscionico erscheint im August 2011 im Limmat-Verlag Zürich.

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