FRONTPAGE

«Else Lasker-Schüler: Emigrantin in Zürich»

Von Ingrid Isermann

In der Sicherheit der Unsicherheit zuhause, das war Else Lasker-Schüler zeit ihres Lebens. Erstmals beleuchtet Ute Kröger die wenig bekannten frühen Aufenthalte der Dichterin, – vor 150 Jahren am 11. Februar 1869 in Wuppertal-Elberfeld geboren -, in Zürich von 1917 bis 1939.

1917 wird ihr Sohn Paul volljährig, Else Lasker-Schüler hat Angst um ihn, denn Franz Marc und viele ihrer Freunde sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Der Kilchberger Arzt Hans Huber bewahrt Paul Lasker mit Attesten vor der Einberufung. Tatsächlich ist er krank, und bis zu seinem Todesjahr 1927 sind Paul und Else Lasker-Schüler immer wieder in Zürich. Hier knüpft sie ein Netz aus Beziehungen in die Kulturszene und zu «Grosskapitalisten», die ihr helfen.

 

Nach Zürich
Anfang Oktober 1917 kommt Else Lasker-Schüler nach Zürich, mit einem Pass, ausgestellt in Köln. Das Cabaret Voltaire existiert bereits nicht mehr. Nach vier Monaten im Zentrum des künstlerischen Trubels hatte Hugo Ball aufgegeben, «zermürbt vom täglichen Auftreten», er ertrug die Spannungen und Animositäten, und «das Durcheinander der Stilarten und Gesinnungen» nicht mehr. Die Dadaisten hatten schon im Juni 2016 die «Meierei» verlassen und sich neu formiert. Im Spätherbst 2017, im dritten Kriegsjahr, ist Else also erstmals in Zürich und wohnt im Hotel Elite an der Bahnhofstrasse 41; sie liest am 19. Dezember im Schwurgerichtssaal, der auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird, aus ihren Dichtungen. Ihren Ruf als deutsche Lyrikerin der expressionistischen Moderne hatte Eduard Korrodi, Feuilletonchef der NZZ, kurz zuvor am 30. November 1917 mit seiner Hymne auf die Dichterin in der Schweiz bekannt gemacht, über den engen Kreis der Dadaisten und deutschen Emigranten hinaus.

 

 

Die Emigranten und die Schweiz
«Schweizer sind damals in Zürich gar nicht vorhanden gewesen», so der Emigrant Richard Huelsenbeck, die Dadaisten machten lautstark Kunst für sich und ihren Kreis. Den Zürchern war Dada fremd, und was die Dadaisten programmatisch-künstlerisch an den Tag legten, interessierte nur wenige Zürcher Kunstinteressierte. Dada lief dem bürgerlichen Selbstverständnis, der bürgerlichen Lebensform zuwider, und in gewissen Kreisen ist das auch heute noch so.
Else Lasker-Schüler sonderte sich nicht ab, sondern suchte und knüpfte rege überall Kontakte zu Zürchern. Gleich 1917 begegnete sie dem Maler Max Gubler, der im Arbeiterqartier an der Langstrasse 35 wohnte, später Langstrasse 31, bei seiner Mutter. Max Gubler wurde bei den Demonstrationen 1917 verhaftet, das musste Else Lasker-Schüler während ihrer Monate in Zürich zwischen 1917 und 1919 gewusst haben, auch wenn sie sich für die tieferen wirtschaftlichen und politischen Ursachen der sozialen Unruhen nicht besonders interessiert haben mag, auch nicht für die konkreten Forderungen der Streikenden, «Frauenstimmrecht ab 1918, 48-Stundenwoche oder Alters- und Invaliditätsversichrung», weil es ihre eigenen prekären Lebensumstände und täglichen privaten Sorgen ums Überleben und die Krankheit ihres Sohnes nicht betraf.

 

Netzwerk in Zürich 1917-1927

Else Laker-Schüler fällt in Zürich auf, durch ihre Erscheinung, ihr Gebaren und ihre Auftritte, die oftmals eine skandalträchtige Note aufweisen. Man schüttelt über sie den Kopf. Eine besonders missgünstige Geschichte stammte von der Schauspielerin Tilla Durieux, verheiratete Cassirer: «Der Verleger Rascher, für alles Neue interessiert, veranstaltete auch literarische Abende, unter anderem auch einen für Else Lasker-Schüler, die in ewigen Geldsorgen in Zürich herumstrich. Zum Dank dafür attackierte dieser literarische Wildling die gutherzige Frau Rascher um die Mittagszeit in einem vollbesetzten Café mit einem Regenschirm, was natürlich grosses Aufsehen erregte. Als Grund gab sie an, Frau Rascher habe bei einem ihrer Gedichte gelächelt, was sicher nicht der Wirklichkeit entsprach. Überhaupt machte diese hochbegabte Else alle Welt und besonders mich mit ihrem unberechenbaren Benehmen unglücklich. Sie war dazu fähig, in mein Zimmer einzudringen, ohnmächtig hinzusenken, zu stöhnen, zu schreien und mir zu erzählen, ein Mann habe sie mit einem Dolch bedroht und auch verletzt. Gelabt mit Beruhigungsmitteln und Kognac wankte sie endlich fort, und fünf Minuten später sah ich sie mit zwei Jünglingen untergefasst vergnügt an unserem Hotel vorbeiziehen».

Else Lasker-Schüler liebte ihre schauspielerischen exzentrischen  Auftritte vor Publikum und die sogenannt gute Gesellschaft damit zu verwirren. Dennoch gelang es ihr, treue Freunde zu finden, die sie bereitwillig unterstützten.

1933 konnte sie wiederum an dieses Netz anknüpfen, als sie vor den Nazis flüchtet und nach Zürich ins Exil geht – sie erinnert sich an eine Einladung von Eduard Korrodi, dem damaligen Feuilletonchef der NZZ. Die vielen Freunde und Verehrer sichern ihre Existenz und stehen ihr gegen die Fremdenpolizei bei, die sie mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen gängelt und die sie umgekehrt nervt, da sie Fristen und Auflagen ständig missachtet und mehrmals ihr Geburtsdatum ändert. Am Ende verunmöglicht der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schliesslich ihre Rückkehr nach Zürich aus Jerusalem, wo sie 1945 stirbt.

 

 

«Viele sind sehr sehr gut zu mir» zeigt die grosse Dichterin mit zahlreichen unveröffentlichten Dokumenten als begabte Netzwerkerin und erzählt ein berührendes und spannendes Kapitel der Zürcher Kulturgeschichte.
(Siehe auch Archiv Literatur & Kunst «Else Lasker-Schüler: Meine Wunder», 12/2011).

 

 

Die Verscheuchte

Es ist der Tag in Nebel völlig eingehüllt,
Entseelt begegnen alle Welten sich –
Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild.

 

Wie lange war kein Herz zu meinem mild …
Die Welt erkaltete, der Mensch verblich.
– Komm, bete mit mir – denn Gott tröstet mich.

 

Wo weilt der Odem, der aus meinem Leben wich? –
Ich streife heimatlos zusammen mit dem Wild
Durch bleiche Zeiten träumend – ja, ich liebte dich ….

 

Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordstrom brüllt?
– Die scheuen Tiere aus der Landschaft wagen sich
Und ich vor deine Tür, ein Bündel Wegerich.

 

Bald haben Thränen alle Himmel weggespühlt
An deren Kelchen Dichter ihren Durst gestillt –
Auch du und ich.

 

 

 

Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen grossen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt,
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.

 

Und wandle immer in die Nacht…
Ich habe Liebe in die Welt gebracht –
Dass blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gemacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.

 

O, Gott, schliess um mich deinen Mantel fest.
Ich weiss, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergisst,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht lässt
Und sich ein neuer Erdball um mich schliesst.

 

 

 

Die Autorin: Ute Kröger, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Doktorat. Lehrtätigkeit an Gymnasien und in der Erwachsenenbildung, wissenschaftliche und publizistische Arbeiten. Lebt als freie Publizistin in Kilchberg/ZH.

 

 

Ute Kröger
«Viele sind sehr sehr gut zu mir»
Else Lasker-Schüler in Zürich 1917–1939
Limmatverlag Zürich, 2018
272 Seiten, gebunden, 79 Fotos und Abbildungen
CHF 38.–, 34.80 €
978-3-85791-863-6

 

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