FRONTPAGE

«Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard»

Von Ingrid Isermann

 

«Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst»: Unter dieses Motto stellt der peruanische Autor Mario Vargas Llosa (*1936), der heute in Madrid und Lima lebt, seine fulminante sozialkritische Analyse der Spass- und Kulturgesellschaft.

Was früher einmal Kultur war, ist heute Spektakel, bunter Amüsierbetrieb, leerer Lärm, konstatiert Mario Vargas Llosa. Der totale Boulevard in den Medien, die Dreistigkeit der Politik, die Zerstörung der Erotik, die mit der frivolen Banalisierung nahezu aller Lebensbereiche einhergeht, lässt die Kultur systematisch verramschen, und zwar als Folge eines Prinzips, das weltweit zur Anwendung kommt: dass Unterhaltung und Spass das allerhöchste Gut seien.

 

Vargas Llosa greift in seinen brillanten Essays die grassierende Verblödung an. Der scharfsinnige Intellektuelle und Nobelpreisträger nimmt kein Blatt vor den Mund, um den scherbelnden Kulturbetrieb zu geisseln, der sich zum Zerstreuungsbetrieb gewandelt hat. Er beklagt den Zerfall der Bildung und den Identitätsverlust der vornehmlich westlichen Gesellschaftsschichten durch die fortschreitende Trivialisierung der Kultur.
Die Massenmedien seien am Voyeurismus und der Liquidierung der Privatsphäre mitbeteiligt, wobei sie ihre Verantwortung delegieren oder gar leugnen. Technologen und Ökonomen bestimmten unser Alltagsleben mit dem Ziel der Gier nach Profit und liessen die inneren Werte des Menschen wie Liebe, Erotik und Freundschaft, Kunst und Kultur verkümmern.

 

Vargas Llosa räumt mit verschleiernden Voten auf, die den schleichenden Kulturabbau verharmlosen und beschönigen. Mit wachem Blick betrachtet er Galerien und Museen, liest Bücher und Illustrierte, sieht Fernsehen und Serien und schaut den Politikern und Journalisten auf die Finger. Gegen das Primat der gängigen globalen Zerstreuungskultur setzt er Anspruch und Wertebewusstsein, opponiert gegen die ideologischen Formatierungen der «political correctness» und ermutigt zu Reflexion und Widerstand, zur eigenen authentischen geistigen Autonomie. Ein so wichtiges wie unbequemes Buch!

 

Mario Vargas Llosa, geboren 1936 im peruanischen Arequipa, lebt heute in Madrid und Lima. Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt er 2010 den Nobelpreis für Literatur. Sein Werk erscheint auf Deutsch im Suhrkamp Verlag.

 

 

Mario Vargas Llosa

Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst.

Aus dem Spanischen von Thomas Brovor.

Suhrkamp Berlin 2013

227 S., CHF 32.90.

ISBN 978-3-518-42374-5

 

 

 

Buchtipps

 

 

«Karl Schmid (1907-1974): Ein bedeutender Schweizer Citoyen»

Die Biografie von Thomas Sprecher zeichnet Karl Schmids äusserlichen Werdegang und seine innere Entwicklung nach, die behütete Jugend in Wollishofen, das Studium in Zürich und Berlin.
Schmid war eine vielseitige Persönlichkeit, Germanist, Historiker, Professor und Rektor der ETH Zürich von 1953 bis 1957, Schriftsteller, Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrates und verheiratet mit der Kabarettistin Elsie Attenhofer.

 

Mit seiner Publizistik hat Karl Schmid die kulturelle und politische Schweizer Öffentlichkeit massgeblich mitgeprägt. Wer wissen will, welchen Beklemmungen und Bedrohungen die Schweiz während des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war, wie sich die 50er, 60er und 70er Jahre entwickelten, kann das anhand des vielseitigen Lebensweges von Karl Schmid nachvollziehen. Während der ‚geistigen Landesverteidigung’ ab 1936 trat Schmid als Milizoffizier, der über acht Jahre seines Lebens dem Wehrdienst verpflichtet war, für die Stärkung der schweizerischen Neutralität, gegen das Anpassertum und für den Widerstand ein. Seine Engagements als Militärpublizisten, Stabschef der Gotthard-Division, als Zürcher Gymnasiallehrer und Germanistikprofessoren zeichneten sich durch beharrliche grosse Ernsthaftigkeit aus.
Schmid beschäftigte sich schon früh seit 1945 mit Literatur und Max Frisch, den er sehr schätzte und förderte. In seinem Werk „Das Unbehagen im Kleinstaat“, 1963, stellte er Frisch neben vier andere Autoren wie C.F. Meyer, Henri-Fréderic Amiel, Jakob Schaffner und Jacob Burckhardt, die ebenso aus unterschiedlichen Gründen am Kleinstaat litten.
Thomas Sprecher gelingt es, ein anrührendes Porträt zu verfassen, das auch menschliche Schwächen nicht auslässt. Schwermut, Depressionen, Selbstzweifel und Ängste prägten ebenso das Selbstbild Karl Schmids wie seine rastlose Arbeit und sein Einsatz in vielen Ämtern. Auch die Eheprobleme zwischen Karl Schmid und Elsie Attenhofer, die zielstrebig ihre eigene Karriere als Kabarettistin verfolgte, wobei beide auch Fremdbeziehungen eingingen, die die 34-jährige Partnerschaft belasteten, werden nicht ausgespart.
Das unterhaltsam geschriebene Buch mit vielen Illustrationen ist ein reichhaltiges Nachschlagewerk der Schweizer Geschichte der 1930er bis 1970er Jahre.

 

 

Thomas Sprecher, geboren 1957, Dr. jur., Dr. phil., Studium der Germanistik und Philosophie in Zürich und Berlin, anschliessend Rechtsstudium. Rechtsanwalt und Literaturwissenschaftler in Zürich. Herausgeber von Karl Schmid, Gesammelte Werke und Briefe (1998/2000).

 

 

Thomas Sprecher
Karl Schmid
Ein Schweizer Citoyen.
NZZ Libro Zürich 2013.
402 S., CHF 52.90

 




«Friedrich Dönhoff: Seeluft»
Der junge Hamburger Kommissar Sebastian Fink hat einen neuen Fall. Er bekommt es mit einem brisanten umweltpolitischen Thema zu tun. Was zählt mehr: Profit oder Umwelt? Ein spannender Krimi, der nach Hafen und Meeresluft riecht.

 

Zwischen den Umwelt-Aktivisten von Ökopolis und der Hamburger Reederei Köhn herrscht erbitterter Streit. Den einen geht es um die Erhaltung einer nachhaltigen Umwelt mit sauberer Luft, den anderen um Profit und Konkurrenzfähigkeit. Als am Fischmarkt die Leiche eines Reeders gefunden wird, nimmt Kommissar Sebastian Fink die Ermittlungen auf. Der Fall führt ihn zu einem verbitterten Manager in einem modernen Glaspalast hoch über dem Hafen, zu einer sportbesessenen Witwe auf dem Land und zu einem frischverliebten Studentenpaar in St. Pauli. Sebastian hat alle Hände voll zu tun, als eines Morgens unverhofft seine patente Grossmutter vor der Tür steht, die ihn mit einem gut gehüteten Familiengeheimnis konfrontiert.

Kommissar Sebastian Fink von Friedrich Dönhoff hat das Zeug, für Hamburg zum zeitgeistigen Ermittler zu werden, so wie Donna Leons Commissario Guido Brunetti in Venedig, dessen Fälle man mit grossem Interesse verfolgt. Flüssig geschrieben werden aktuelle drängende Umweltprobleme der Container-Schifffahrt beleuchtet, die der sympathische junge Kommissar aufdeckt. Spannend!

 

 

Friedrich Dönhoff, geboren 1967 in Hamburg, ist in Kenia aufgewachsen. Er studierte Geschichte und Politik, verfasste Biographien und schrieb den Bestseller «Die Welt ist so, wie man sie sieht – Erinnerungen an Marion Dönhoff». Seit 2008 schreibt er Kriminalromane um den jungen Kommissar Sebastian Fink. Bereits erschienen sind «Savoy Blues» und «Der englische Tänzer». Friedrich Dönhoff lebt in Hamburg.

 

 

Friedrich Dönhoff
Seeluft
Ein Fall für Sebastian Fink
Diogenes Zürich 2013
368 S., Paperback
CHF 19.90
ISBN 978-3-257-30013-0


 

«Migrantinnen erzählen ihre Geschichte»

Vierzehn spanisch sprechende Frauen mit Migrationserfahrung erzählen ihre Geschichte oder Ausschnitte aus ihrem Leben. Das Leben vieler Migrantinnen und Migranten wie auch in der Schweiz geborenen AusländerInnen ist oft von psychologisch schwer zu verarbeitenden Erlebnissen geprägt.

 

Nur wenige haben die Gelegenheit, jemals darüber sprechen zu können: Sei es, dass die richtigen Gesprächspartner fehlen oder dass die Erlebnisse derart schwerwiegend sind, dass diese Personen die Wahrheit lieber für sich behalten. Und wenn Migrationserlebnisse ein Thema in den Medien sind, werden oft dichotome Bilder – die bösen AusländerInnen einerseits, die guten SchweizerInnen andererseits – vermittelt. Durch diese Typisierungen werden die AusländerInnen ausgegrenzt und abgewertet, zu Wort kommen sie selber selten, wie beispielsweise eine Studie der Universität Zürich berichtet.

(fög 2007. Ausländer und ethnische Minderheiten in der Wahlkampfkommunikation. Analyse der massenmedialen Berichterstattung zu den Eidgenössischen Wahlen 2007).

 

 

Und irgendwann war ich dann hier
Das Wort den Migrantinnen
Ein literarisches Integrationsprojekt
Verein Dazugehören – Asociacion
Perteneciendo
Éditions Latines 2011

www.dazugehoeren.org
ISBN 978-3-905930-12-2

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Literatur