FRONTPAGE

«Karl Krolow: zwischen magischer Natur und Existenzialismus»

Von Ingrid Isermann

 

In Zeiten des Klimawandels und des Umweltschutzes hier eine Rückbesinnung auf universelle Werte: Karl Krolow, einer der wichtigsten Lyriker deutscher Nachkriegsdichtung, ist mit einer erweiterten Neuauflage seiner Gedichte wieder zu entdecken.

 

Krolows nur mit «Gedichte» betitelte Publikation markiert den beschriebenen Scheidepunkt: «Die viel zitierte Stunde Null des Jahres 1945 war auch für das Gedicht eine beispiellose Gelegenheit, sich neu zu etablieren». Nach den finsteren Jahren des NS-Regimes ist es das Kleine und Unspektakuläre, das Konkrete, Einfache und Sinnliche, um das sich Krolow bemüht, aus einem Lebensgefühl heraus, das von der «Katastrophe unserer Humanität» bestimmt ist. So bietet die Neuausgabe die Chance, die frühe Naturlyrik Krolows neu zu lesen: als Teil eines Dichtungsverständnisses, das auf Achtung für das Leben zielt. Die erweiterte Neuausgabe des vor 70 Jahren erstmals erschienen Gedichtbandes von Karl Krolow, einem der wichtigsten Lyriker der deutschen Nachkriegsliteratur, zeigt die Gegenwärtigkeit seiner Gedichte.

 

 

Traum von einem Wald

 

Ich träume grün. Wie ich die Augen schliesse,
Ist noch das Dunkel meiner Lider grün.
Wenn ich den Baum jetzt in mir wachsen liesse,
Die zarte Blume dürfte weiterblühn.

 

Wenn hinter meinen Augen Blattgedränge,
Die grünen Ruten vom Holunderstrauch,
Vom Wind gepeitscht, noch einmal wären! Schwänge
Die grüne Sonne! Duftete der Lauch!

 

Und grüne Luft und Buschwerk, halb im Dämmer!
Ein Vogel pfiffe mir sein grünes Lied.
Und ferne wo des Spechtes helle Hämmer.
Ein Rasenstück, das in den Morgen sieht,

 

Gelänge mir mit Beinwell und Ranunkel,
Voll Wegerich und Tausendguldenkraut. –
Ich wüchse selig über alles Dunkel
Und wäre Blume, Baum und Vogellaut.

 

 

Sommerwald

 

O, nichts als Grün! Mit tausend Flammen schlägt
Es aus Gebüschen, lodert und verbrennt
Zum grünen Himmel. Nur die Echse kennt
Den Ton der Stille, grün und unerregt,

 

Ein Kraut vielleicht, das duftet und verdirbt,
Der trock’ne Ast, der knapp vom Baume bricht,
Die Orgel wilder Bienen und das Licht,
Das um das Rot des Tollkirschstrauches wirbt.

 

Sonst Grün und Grün. Die dunklen Wälder drohn,
Der Ammernruf, der Beerenduft, der würzt,
Die Blattmusik, daraus der Sommer stürzt,
Vergehen vor der grünen Hitze Ton.

 

 

Karl Krolow (1915-1999) stammte aus einer Beamtenfamilie und wuchs in Hannover auf. Nach dem Studium der Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Göttingen und Breslau arbeitete er ab 1940 zielbewusst auf eine schriftstellerische Laufbahn hin und widmete sich neben Literaturkritik, Übersetzungen und Prosa vor allem der Lyrik.

 

 

Karl Krolow
Gedichte
Mit einem Nachwort von Manfred Bosch
Südverlag bibliophil
2018, 64 Seiten, 12,5 x 20,5 cm
Hardcover
ISBN 978-3-87800-119-5

 

 

Neue Klassiker-Anthologie:

«konkrete poesie 2018»

 

«konkrete poesie ist überschaubar, nachvollziehbar, provozierend und vielleicht ihr grösster vorzug, einfach, d.h. rätselhaft und poetisch. dass sie dabei sprach- und gesellschaftskritisch ist, kann nur demjenigen entgehen, der zwar alles verändern möchte, im übrigen aber Sprache Sprache sein lässt», so Altmeister Eugen Gomringer in seinem Vorwort der Auflage von 1972. Kann man’s schöner sagen?

 

Und in der neuen Anthologie-Ausgabe 2018 wird nochmals nachgedoppelt: «konkrete poesie – das sind texte zum meditieren, zum spielen und mitspielen, sie helfen das gesicht der wörter wieder zu entdecken, im trivialen das komplexe, im komplexen das triviale», so Eugen Gomringer im Vorwort.

 

In der Anthologie trifft man alte Bekannte der Konkreten Poesie, wie u.a. Ernst Jandl, Claus Bremer, Diter Rot, André Thomkins, die auch zu den 17 Autoren der ersten Ausgabe gehören. Der Klassiker ist neben dem Grundstock nun um einige Namen erweitert worden, um auch deren Entwicklungsschritte zu dokumentieren.

1972 ist die von Eugen Gomringer herausgegebene Ausgabe der «konkreten poesie» erstmals erschienen. Konkrete Poesie ist längst ein bedeutender Teil dieser avantgardistischen Lyrikform. Die Neuausgabe öffnet nun das Feld ins 21. Jahrhundert. Die erheblich erweiterte und bis an die Gegenwart herangeführte Sammlung macht augenfällig, wie experimentierfreudig und kreativ sich das Spiel «mit dem Gesicht der Wörter» weiterentwickelt, so der Herausgeber. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Es macht Vergnügen, in diesem gelben Reclam-Klassiker zu blättern und unverhofft ins Schmunzeln zu geraten. Und was man alles mit Sprache anstellen kann, wird hier auf schönste Weise sichtbar. Tauchen Sie ein in die Welt der konkreten Poesie und lassen Sie sich überraschen… Der Absurdidtät und Groteske, der Widersprüchlichkeit und der Schönheit der Welt mit Sprache beizukommen, gerade das kann die Konkrete Poesie…

(siehe auch Archiv Literatur & Kunst: «Der Wortverzauberer», «Poema»; Eugen Gomringer. «Die Anatamie der Worte»)

 

 

Autorinnen und Autoren konkrete poesie, Reclam 2018:

Friedrich Achleitner, Hannes Bajohr, Max Bense, Ute Bernhard, Friedrich W. Block, Claus Bremer, Reinhard Döhl, Heinz Gappmayr, Eugen Gomringer, Helmut Heissenbüttel, Ingrid Isermann, Ernst Jandl, Ferdinand Kriwet, Michael Lentz, Kurt Marti, Hansjörg Mayer, Franz Mon, Cia Rinne, Axel Rohlfs, Diter Rot, Gerhard Rühm, Konrad Balder Schäuffelen, Volker Roman Seitz, André Thomkins, Timm Ulrichs, Wolf Wezel.

 

 

konkrete poesie

Anthologie

Hrsg. Eugen Gomringer

Reclam-Verlag, 2018

Paperback, 271 S.

€ 8.80. etwa 10 CHF

ISBN 978-3-15-019554-3

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