FRONTPAGE

«Kunsthaus Zürich: Action! im Museum»

Von Niklaus Oberholzer

 

Performance, künstlerische Aktion, Interaktion im Museum? Im Kunsthaus Zürich versucht Kuratorin Mirjam Varadinis der auf zeitliche Begrenzung, auf Handlungsabläufe, auf Vorläufigkeit und auf persönliche Präsenz der Künstlerinnen und Künstler angelegten Kunstform einen Rahmen zu geben. Sie tut das auch mit einigen Rückgriffen auf die 1960er Jahre und wartet für manche Besucherinnen und Besucher sicher mit Überraschungen auf.

 

«Ich bin Andrea»: Freundlich stellt im hintersten Raum des Kunsthauses Zürich eine junge Frau sich und ihren Partner vor. «Sie können zwei Franken verdienen, wenn Sie uns sagen, was Sie von der Freien Marktwirtschaft halten». Der Besucher, der sich auf das Zwiegespräch einlässt, wird unvermittelt Teil des Kunstwerkes von Tino Sehgal, der in vielen seiner auf Dialoge angelegten, immateriellen und sich verflüchtigenden Arbeiten ökonomischen Zusammenhängen nachspürt. Auch wer beim Zugang zum Bührle-Saal, den das Kunsthaus für die «Action»-Ausstellung völlig umgebaut hat, die bereitstehenden Holzschuhe anzieht, partizipiert an Mounira Al Solhs Ausstellungsbeitrag: Die aus Syrien stammende Künstlerin will den Besucherinnen und Besuchern eine (allerdings bloss leise) Ahnung jener Unsicherheit vermitteln, denen die Menschen in Syrien ausgesetzt sind. Die traditionellen Holzschuhe trug man, so die Künstlerin im Katalog in Zeitungsformat, in Syrien im Hammam. Auch Syrer auf der Flucht sollen sie tragen.

 

Blick zurück in die Sechziger
Auf politische Einflussnahme aus ist auch Yoko Ono: Sie liess an einer Wand Landkarten montieren und stellt Stempel bereit, mit denen die Besucher kundtun können, wo auf der Welt sie sich Frieden wünschen. Eine Landkarte zeigt die ganze Welt, eine weitere die Region Nahost – und wiederum eine weitere die Schweiz: Auch da ist nicht jeder diesbezügliche Wunsch erfüllt. Zusätzlich stellt Yoko Ono den Besuchern ein Poster zur Vergfügung mit den grossen Lettern „WAR IS OVER IF YOU WANT IT“. Die Grüsse «Love and Peace from John & Yoko» zeigen: Die Aktion geht zurück auf die späten 1960er Jahre, in die Zeit von Yoko Onos und John Lennons «bed in» für den Weltfrieden in Amsterdam.

«Action!» ist der Versuch, der ephemeren Kunstform der Performance und der Aktion – oft und gerade mit sehr breiter Wirkung auch im öffentlichen Raum – im Museum einen Standort zu geben. Dabei eignet sich das Museum nur schwer als dauerhafte Stätte für eine mehrheitlich immaterielle und mit der persönlichen Präsenz der Künstler unabdingbar verbundene Kunst, und Video oder Fotografie sind nur notdürftige Dokumentation. Das gilt auch von den Aktionen der Österreicher Feminismus-Pionierin Valie Export, vom im Video belegten tänzerischen Eingriff von Trisha Brown (+2017) in den öffentliche Raum oder von der Performance von 1969 des Schweizers Dieter Meier. Diesen Werken ist in der Zürcher Ausstellung die Rolle einer Verankerung heutiger künstlerischer Tendenzen in der Geschichte zugewiesen. Anders verhält es sich mit Autoreifen-Happening «Yard» (1961) von Allan Kaprow (1927-2006). Die Aktion darf gemäss Allan Kaprow Estate von Künstlern „neuerfunden“ werden – in «Action!» von San Keller.

 

Grenzen sprengen
Was Kunsthaus Zürich gut zu leisten vermag: Es kann all diesen und ähnlichen künstlerischen Äusserungen unserer Tage in seinen Räumen – und darüber hinaus auch im Stadtraum von Zürich – eine temporäre Bühne anbieten und damit für einmal herkömmliche Grenzen und Einengungen sprengen. Es kann auch der Aura des kostbar-unantastbaren Kunstwerkes entgegenwirken und geradezu körperlich-sinnliche Eigenerfahrungen möglich machen. Ein Beispiel ist das mit Megaphonen und allerlei Demonstrations-Untensilien ausgestattete «Protest Bike» von Marinella Senatore, das man, ist man nicht allzu aggressiv, für eine zweistündige Zürich-Tour ausleihen kann. Ein weiteres Beispiel sind die eingangs erwähnten traditionellen Holzschuhe aus Syrien, wieder ein anderes ist die Installation des Choreographen William Forsythe, der im Museum nicht eine Tanzperformance zeigt, sondern mit einfachsten Mitteln eine extreme, die Besucherinnen und Besucher geradezu körperlich fordernde Raumsituation schafft.
Der Museumsaum wird so auf weite Strecken zu einem Spielfeld für spielfreudige Besucherinnen und Besucher – und erinnert ältere Semester darin mitunter auch in die längst entschwundenen 1960-er Jahre, als mehr oder weniger amüsante Mitmach-Kampagnen das A und das O mancher Ausstellungsprogramme waren. Nicht nur Neues also unter der Sonne also – und Yves Kleins Sprung in die Leere ist auch nicht leicht zu überbieten. Wobei natürlich zu bedenken bleibt: Auch neue Generationen müssen ihre Erfahrungen machen können. (Ein Erinnerungsdetail: Die Kunsthalle Basel verrammelte in jenen Jahren einmal den regulären Zugang und liess die Besucher über eine Aussentreppe durchs Fenster eintreten).

Dass es in «action!» auch Beispiele höchst eindrücklicher Kunstwerke gibt, die ohne Anbiederung auskommen und trotz einer politischen Aussage, die unter die Haut geht, nicht der platten Demagogie verfallen, sei auch nicht verschwiegen: Francis Alÿs findet in seiner politisch schlagkräftigen Installation zum Thema Flüchtlingsströme über das Mittelmeer mittels zahlreicher Medien (wunderbare Ölmalereien, Video, Skulptur, Objekt, Zeichnung) eine adäquate und vielschichtige Umsetzung.

Kunsthaus Zürich. Nur bis 30. Juli.

Jedes Ticket berechtigt zum Wiedereintritt zu einem zweiten Besuch. Die zahlreichen Veranstaltungen und Performances sind wesentlicher Bestandteil von «action!». Über sie informiert die eigens für „action!“ eingerichtete Homepage

www.action.kunsthaus.ch

 

 

 

«Ian Anüll im Haus für Kunst Uri»

NO. Vieles um seine Person und seine Kunst lässt Ian Anüll im Geheimnisvollen – mit Absicht: Der 1948 in Sempach geborenen Künstler, der in Zürich lebt, sagt nichts über sich, seine Ausbildung, seinen Werdegang. Er gibt keine Interviews und verweigert jeden Kommentar zu seinem Werk.

 

Diese mancherlei Positionen der Kunst und ihrer Vermittlung listig unterwandernde Haltung prägt seine künstlerische Arbeit, die er seit vielen Jahren auf sehr vielen Kanälen vorantreibt, und in der er sich aller sich anbietenden Medien bedient. Das geschieht in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland, aber auch in komplexen, in mannigfache politische und wirtschaftliche Zusammenhänge greifenden Aktionen – bis nach China.

Diesen Sommer ist Ian Anüll Gast im Haus für Kunst Uri in Altdorf. Die Künstlerliste umfasst allerdings mehr als seinen Namen, sondern Namen von rund 80 Künstlerinnen und Künstlern: Anüll zeigt wohl Eigenes, mehrheitlich aber Bestände seiner in Jahrzehnten zusammengetragenen Sammlung. Da findet sich mancherlei Unbekanntes oder Werke von anonymer Autorschaft. Doch wir begegnen auch Künstlerinnen und Künstlern wie R. Boller, A Bruhin, E.S. Curtis, B. Dimitrievic, H. Danioth, T. Fox, M. Duchamp, S. Keller, F. Kuhn, M. von Moos, J. F. Müller, O. Mosset, J. Nixon, C. Rütimann, R. Rymann, H. Schärer, P. Schibig. A. Thomkins, R. Winnewisser, V. Pozarek und vielen anderen. Manche dieser Namen sind durchschnittlichen Museumsbesuchern kaum vertraut. Doch wer nicht auf die ewig gleichen „Grössen“ abonniert ist und auch Winkelzüge der Gegenwartskunst bis hin zu chronischen Aussenseitern verfolgt, wird um sie wissen.

Schwer also, über diese Ausstellung, die das Haus in Altdorf bis in den letzten Winkel füllt, etwa Gültiges zu sagen, es sei denn, man rede von der Vielfalt, dem Überraschungsreichtum, aber auch von der hintersinnigen, oft den Kunstbetrieb ironisierenden Strategie Ian Anülls. Da überrascht er zum Beispiel mit der Präsentation eines berühmt gewordenen Werkes von Josef Felix Müller aus dem Jahr 1981. Es beschäftigte damals in einer Ausstellung bei FRI ART in Freiburg – wegen vermeintlicher Blasphemie, Pornographie und erigierter Penisse – die Gerichte bis zum Bundesgericht und gar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 1988 wurde das beschlagnahmte Werk dem Künstler zurückerstattet, der es nun seinem Freund Anüll zur ersten Präsentation seit 1981 anvertraute.

Doch es geht nicht um Skandale in Altdorf, sondern um das Ausbreiten eines wundersamen, vielschichtigen und kaum richtig in Worte zu fassenden Kosmos von Bildern, Grafiken, Multiples, Fotos, musikalischen Werken, Objekten und Skulpturen. Dass da in spielerischen Rösselsprüngen Grenzen nicht nur politischer Art, sondern auch der Gattungen und Stile, der künstlerischen Strategien und Absichten – kurz: Grenzen jeder Art überspielt werden, steigert das Vergnügen des Ausstellungsbesuches.
Anüll zählt viele der in Altdorf vertretenen Künstlerinnen und Künstler zu seinen Freunden und treuen Weggefährten: Die Ausstellung gibt auch damit Einblicke in ein während mehreren Jahrzehnten sorgsam gepflegtes Netzwerk des Künstlers und in eine teils sich ins Subkulturelle auswuchernde Atmosphäre der Kunst der Schweiz und darüber hinaus.

Haus für Kunst Uri, Altdorf.

Bis 20. August 2017.

www.hausfuerkunsturi.ch

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