FRONTPAGE

«New York? Hell, yes!»

Von Sacha Verna

 
 

An der ART Basel 2010 war Ugo Rondinone ebenso präsent mit seinen Werken wie im Aargauer Kunsthaus 2010: «Die Nacht aus Blei». Sacha Verna über die Befindlichkeit des in New York lebenden Schweizer Künstlers, der gegenwärtig u.a. bis 22. Mai 2011 in der Kunsthalle Hamburg ausstellt. Ugo Rondinone über Mythos und Wirklichkeit der Kunstmetropole am Hudson.

 
An einem idealen Tag steht Ugo Rondinone auf, trinkt Kaffee und beginnt ungeduscht zu arbeiten. Seit zwölf Jahren tut der 1964 in Brunnen geborene Künstler das in New York, seit 2001 in Manhattan in einem Loft aus der Jahrhundertwende, das ihm zugleich als Wohnung dient. Im Westen blickt man hinaus auf den Washington Square Park. Die Fenster im Atelierbereich sind mit Pflanzen vollgestellt, weil man sonst nur das gegenüber-liegende Gebäude sehen würde. Die Räumlichkeiten, die Rondinone bei seinem ersten Aufenthalt in der Stadt 1994 bezog, waren nicht ganz so grosszügig, wie der Künstler im folgenden E-Mail-Interview beschreibt:

 

«Ich mietete in Chinatown einen kleinen Raum innerhalb eines aktiven Sweatshops. Die Toilette, die im Gang war, teilte ich mir mit hundert Chinesinnen. Mein Raum hatte ein einziges Fenster mit einer Aussicht auf eine zehn Meter entfernte Backsteinmauer. Vier Jahre später erhielt ich vom Bundesamt für Kultur ein Stipendium mit Sackgeld und Wohung in der Kunsthalle P.S. 1 in Long Island. Ich war dadurch für ein Jahr finanziell unabhänig. In diesem Jahr entschied ich mich für eine New Yorker Galerie, die mich fortan in Nordamerika repräsentierte. Dieser Schritt sicherte meine Lebenskosten ».

 

Was hätten Sie gerne aus der Schweiz mitgenommen?

 

Den Vierwaldstättersee und meine Eltern.

 

In wie weit hat der Umzug nach New York Ihre Arbeit beeinflusst?

 

Umzug und Aufbruch setzen bei jedem Energien frei. Neue Ereignisse, neue Gesichter, neues Leben, neue Arbeiten. Ich war bei meinem Umzug schon 34, also in einem Alter, wo sich die Formulierung der eigenen Arbeit schon gefestigt hat. In dem Sinn hat mein zehnjähriger Aufenthalt in Wien, wo ich meine Kunstausbildung hatte, einen viel prägenderen, nachhaltigeren Einfluss auf mein Denken und Arbeiten.

 

Gibt es dennoch Werke, die ihre Entstehung hauptsächlich dem Ort New York verdanken?

 

Für meine sieben schlafenden Clownskulpturen hatte ich im Jahr 2000 mittels einer Kleinanzeige in der Village Voice extrem fettleibige über 250 Kilogramm schwere Männer gesucht. Es meldeten sich um die zweihundert New Yorker. Und für meine Kurzdialog-Hörspiele arbeite ich ausschliesslich mit New Yorker Stimmen.

 

Inwiefern hat New York, das bei aller Grandiosität ja auch viele hässliche Seiten hat, Ihren Begriff von Schönheit verändert?

 

Mein Begriff von Schönheit hat die Hässlichkeit nie ausgeschlossen.

 

Dann hält New York ideale Arbeitsbedingungen für Sie bereit?

 

Eine Arbeit, die am Küchentisch gemacht wird, kann genauso befriedigend und von allgemeiner Bedeutung sein wie eine raumübergreifende Arbeit, die in einer 2000 Quadratkilometer grossen Werkhalle angefertigt wird. Ich hatte nie das Gefühl, das eine bestimmte Arbeit unter ihren Entstehungsbedingungen gelitten hätte.

 

Eines Ihrer prominentesten Werke in New York ist die regenbogenfarbige Leuchtschrift HELL, YES! an der Fassade des New Museum an der Bowery. Wie kamen Sie auf die Idee dafür?

 

1997 habe ich begonnen, meine Ausstellungstitel auch als Regenbogenleuchtschriften auszuführen. Ich wollte damit das allgemein verständliche Zeichen des Regenbogens mit Poesie vereinen. Die Regenbogenarbeiten beziehen sich nie spezifisch auf einen Ort. HELL, YES! entstand schon 2001 für die Galerie fa projects in London. Ich und die Kuratorin des New Museum Laura Hoptman haben uns dann zur Neueröffnung des Museums 2007 für diesen affirmativen Satz entschieden.

 

Was wäre ein Vorschlag für einen solchen Schriftzug im Leuchtreklamenmeer des Times Square?

 

TIMES SQUARE

 

Sie haben zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum verwirklicht. Für welchen anderen Ort in New York könnten Sie sich eine Arbeit vorstellen?

 

Für den Central Park.

 

Warum gerade dort?

 

Während rundherum geschäftiges Treiben herrscht, scheint die Zeit im Central Park stillzustehen. Meine Arbeit bestünde aus einem Brunnen mit einem zwanzig Meter grossen kreisrunden Wasserbecken und stufenweise angelegten Sitzreihen wie bei einem Amphitheater. Der Brunnen würde als Treffpunkt für jegliche Art von Begegnungen und Veranstaltungen benützt werden. Anders als im geschützen Rahmen einer Institution oder einer Galerie sollte Kunst im öffentlichen Raum für alle Menschen zugänglich und verständlich sein.

 

Was Verständlichkeit betrifft: Wie kann ein unbedarfter Betrachter das HELL, YES!-Zeichen mit dem neonfarbenen Kies zusammenbringen, mit dem Sie in einer vergangenen Ausstellung den Hof des Sculpture Center in Long Island City bestreuen liessen, und diesen mit Ihren Clown-Performances, Ihren Videoarbeiten oder den amorphen Kopf-Skulpturen, die Sie anlässlich des Féstival d’Automne 2009 im Jardin des Tuileries plazierten?

 

Alle Arbeiten gehören wie auf wunderbare Weise zusammen. Das wäre die einfache Antwort…

 

Wie stark interessieren Sie sich für die Reaktion der Betrachter auf Ihre Arbeiten?

 

Auch wenn Künstler und Kunsthistoriker nicht aufhören, bei jeder Kunstarbeit zu betonen, dass das Kunstwerk erst durch den Betrachter vollständig ist, ist meine Arbeitsweise nicht davon abhängig. Als Künstler verstricke ich mich in eigene Gesetze und Bezüge zur Arbeit. Es ist ein Monolog, dessen Sinn und Unsinn nicht vom Betrachter decodiert werden muss. Am besten hält man sich bei der Kunstbetrachtung ans Fühlen, nicht ans Denken.

 

Inwiefern deckt sich der Mythos der Kunststadt New York mit der Realität?

 

Die Kunststadt New York ist real und kein Mythos. Keine andere Stadt der Welt hat diese geballte Synergie an Künstlern, Museen, artists spaces, Galerien und Sponsoren.

 

Hat das Künstlerdasein in New York nur Vorteile?

 

Gerade für junge Künstler sehe ich wirklich nur Vorteile. Hier überprüft man seine eigene Arbeit selbstkritischer, weil man sie mit der von 300000 anderen Künstlern, die hier leben, vergleicht und sie gegen diese durchsetzen muss.

 

Wie wichtig ist das “networking” hier, das vernetzt sein mit dem einschlägigen Kunstvolk?

 

Alleine geht gar nichts. Jeder Künstler, egal ob in London, New York oder werweisswo, ist abhängig von der Vermittlung seiner Arbeit. Wenn ein ausländischer Künstler nach New York zieht, hat er meistens, dort wo er herkommt, eine gute Basis mit einer Galerie geschaffen. Es ist diese Hausgalerie, die für den Künstler die Galeriekontakte in New York vermittelt.

 

Werden Sie hier als “Schweizer Künstler” oder schlicht als Künstler wahrgenommen?

 

Einmal Schweizer Künstler, immer Schweizer Künstler. Das gilt für Alberto Giacometti genauso wie für Dieter Roth oder Meret Oppenheim, die alle im Ausland Wertschätzung erhielten und dennoch zeitlebens als Schweizer Künstler wahrgenommen wurden. Mir ist einzig Willem de Kooning bekannt, der als 22-jähriger von Rotterdam nach New York zog und ab den fünfziger Jahren als amerikanischer Künstler galt.

 

Gibt es eine Schweizer Kunststzene in New York?

 

Die Eröffnungen im Swiss Institute sind sicher gute Gelegenheiten, um Schweizer Kollegen anzutreffen. Wobei das Swiss Institute seit zehn Jahren ein länderübergreifendes anspruchsvolles Programm bietet, das sich nicht ausschliesslich der Einführung von jungen Schweizer Künstlerpositionen annimmt. Wie schon sein Vorgänger Marc-Olivier Wahlen verfolgt der gegenwärtige Direktor Gianni Jetzer eine persönliche, visionäre Kunstvermittlung, die sich gegenüber anderen New Yorker artists spaces bestens behauptet.

 

Welches ist hier Ihr Lieblingskunstort?

 

Das Metropolitan Museum und der Battery Park an der Südspitze von Manhattan.

 

Wohin gehen Sie, wenn Sie einmal etwas anderes als Hochhäuser, Strassenschluchten und Menschen sehen wollen?

Seit mehreren Jahren habe ich ein kleines Hexenhaus auf dem Land. Dort brauche ich im Sommer ausser den Schuhen nichts anzuziehen.

 

Wie würde ein von Ihnen entworfenes Symbol für New York aussehen?

 

Ein grosses tiefes schwarzes Loch, wo der freie Fall endlos ist.

 

Kurzbiografie Ugo Rondinone
*1964 Brunnen / Schweiz
Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien
Lebt in New York

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