FRONTPAGE

«Paul Chan – Selected Works»

 

 

Was ist ein Wort? Was ist ein Ding? Was ist Wissen? Wer bin ich selbst? Wie leben? Gibt es Licht ohne Schatten? Vernunft ohne List? Was ist Kunst? Was für grosse Fragen. Fragen, welche die Philosophie, die Religion und die Gesellschaft bewegen. Aber auch Fragen, so einfach und direkt, wie Kinder sie stellen. Fragen, die plötzlich auftauchen, beim Autofahren, unter der Dusche, in den lichten Momenten, wenn der Alltag absurd, Gewohnheiten bizarr und jede Gewissheit verdächtig erscheint. Fragen auf jeden Fall, die keinen Menschen unberührt lassen. Die eine Schleuse öffnen, woraus ein breiter Strom aus Ideen und Assoziationen hervorbricht, die miteinander verwirbeln und die Gedanken mitreissen mit der Kraft ihres Sogs.

Eine ähnliche Anziehungskraft besitzen die Werke von Paul Chan, die trotz ihrer inhaltlichen Komplexität ganz einfach und direkt daherkommen. Sie ziehen in Kreisbahnen um zentrale Themen aus Geschichte, Philosophie und Literatur, grosse Themen, die unfassbar erscheinen, aber in Chans Auseinandersetzung in Wort und Bild plötzlich ganz nah und selbstverständlich sind. Auf den ersten Blick wirken die digitalen Animationen, Installationen, Zeichnungen und Skulpturen klar und einfach: Leuchtende Farben, erkennbare Materialien, klare Strukturen, deutliche Kontraste. Die Werke locken wie Sirenen und laden ein zum Verweilen. Aber mit der Zeit offenbaren sie ihre Ambivalenz und die Abgründe, die sich hinter der Schönheit auftun. Die beredten Titel der Werke lesen sich wie Orakelsprüche und entpuppen sich als ironisches Spiel mit Doppeldeutigkeiten und Scheinbarem.
Paul Chan ist ein grossartiger und gerissener Erzähler. In der Ausstellung im Schaulager sind seine Werke in Konstellationen so angeordnet, dass sie als einzelne Positionen ihre Stimme behaupten, ihre Verbundenheit sich aber gleichzeitig im breiten Fluss der Narration zeigt. Ein Spannungsbogen zieht sich über die ganze Ausstellung hinweg – sichtbar auf den ersten Blick in den Arguments, die sich wie ein Flechtwerk über die Räume erstrecken oder die wie der Faden der Ariadne im Labyrinth des Minotaurus Orientierung bieten.
Man kann sich verlieren im Netz der Werke von Paul Chan, sie geben Rätsel auf und legen Fährten, die ins Dickicht verlaufen. Die Werke sprechen in einer Sprache, die man nicht unmittelbar versteht, vieles erscheint fremd, anderes doch vertraut. Einige Referenzen, auf die Chan eingeht, sind unmittelbar klar, andere Quellen offenbaren sich erst, wenn man weiter forscht. Die Zitate und Ideen, die historischen Bezüge und literarischen Grundlagen sind ebenso in unserer Kultur verortet wie in unserem Alltag. In den Werken von Paul Chan verlieren die Anspielungen und Hinweise ihre ursprüngliche Zugehörigkeit und gehen unter in einer neuen Ordnung, tauchen aber als vertraute Stimmen wieder auf – wie ein Echo – in der fremdartigen Erscheinung, als die sich das Werk zeigt.
Das Konzept der Ausstellung verläuft entlang von Achsen – Himmel und Erde, diesseits und jenseits, dem Traum von einer andersartigen Welt und der Realität unseres Daseins. Während die Werke im Erdgeschoss um positive wie negative Utopien kreisen, sieht sich der Betrachter im Untergeschoss mit Szenarien einer in aller Härte durchbrechenden Realität konfrontiert. Aber keine Sorge, es ist nur Kunst. Und wer hat schon Angst vor Kunst?
Das Schaulager zeigt während sechs Monaten die bisher umfassendste Ausstellung des in Hongkong geborenen und in New York lebenden und arbeitenden Künstlers Paul Chan. Der erst vierzigjährige Künstler kann bereits ein weitgefächertes Werk vorlegen, das ihn als eine der originellsten und vielseitigsten Stimmen in der zeitgenössischen Kunst ausweist. Seine Interessen reichen von aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen bis zu zeitlosen, grossen Themen der Geschichte, Literatur und Philosophie, die er ohne Berührungsängste spielerisch aufnimmt und für seine Kunst nutzt.
Paul Chan ist ein typischer Vertreter seiner Generation. Er benutzt exzessiv das Potenzial des World Wide Web und dessen Überfluss an Informationen, die er so zielgerichtet wie ungebremst neu gestaltet und vernetzt. Als Video- und Installationskünstler, Zeichner und Maler ist er dabei ebenso versiert wie als Autor und Dozent. Sein scheinbar sprunghaftes, ausuferndes und unübersichtliches Schaffen entpuppt sich dem interessierten Betrachter bei näherem Hinsehen als konsequent, unbeirrbar und tiefgründig. Wir laden Sie dazu ein, sich mit uns in Paul Chans spannende Welt zu begeben und sich auf seine ungewöhnliche Kunst einzulassen.

Paul Chan hat die Einladung ins Schaulager zum Anlass genommen, sein bisheriges Schaffen neu zu überdenken und weiterzuführen. In einer eigens für die Ausstellung entworfenen Architektur verbindet er bestehende und neue Werke zu einer kunstvoll durchdachten, verblüffenden Inszenierung. Dabei besticht zunächst die unmittelbare Wirkung der Werke im Raum. Es ist Ihnen überlassen, wie weit Sie sich mit den unzähligen Themenbereichen und aufgeworfenen Fragen befassen möchten. Wenn Sie sich auf diese Entdeckungsreise wagen, können Sie manches, was anfänglich schön und doch verstörend, eindringlich aber gleichzeitig befremdend oder sogar schockierend wirkt, auf andere Weise erleben und verstehen. (Catherine Schott, lic.phil. MAS. www.schaulager.org).

12. April bis 19. Oktober 2014.

 
Paul Chan ist 1973 in Hongkong geboren, er lebt und arbeitet in New York. Sein Werk war in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten, darunter an der documenta 13 in Kassel, 2012; Making Worlds, 53. Biennale Venedig, 2009, an der Whitney Biennale, Whitney Museum of Art, New York, 2006, und an der 54th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh, 2004. Wichtige Einzelausstellung umfassen Paul Chan: The 7 Lights in der Serpentine Gallery, London und im New Museum, New York, 2007–2008. In New Orleans arbeitete Chan 2007 mit dem Classical Theatre of Harlem und Creative Time an einer ortsspezifischen Freiluftaufführung von Samuel Becketts Stück Waiting for Godot. Seine Essays und Interviews sind in Artforum, Frieze, Flash Art, October, Tate Etc., Parkett, Texte zur Kunst, Bomb Magazine sowie in weiteren Zeitschriften und Journalen erschienen. 2010 gründete Paul Chan den Verlag Badlands Unlimited.

 

 

Paul Chan : Selected Writings 2000–2014


Die Publikation wurde anlässlich der Ausstellung Paul Chan – Selected Works im Schaulager, 12. April – 19. Oktober 2014, realisiert.
Mit seinem Werk verfolgt Paul Chan (* 1973) in der zeitgenössischen Kunst einen Kurs, der so verblüffend und breitgefächert ist wie das Denken, das seiner künstlerischen Praxis zugrunde liegt. Paul Chan : Selected Writings 2000–2014 versammelt kritische Essays und Künstlertexte, die unter anderem erstmals in Artforum, October, Texte zur Kunst und Frieze erschienen sind, wie auch bis anhin unveröffentlichte Vorträge und Schriftarbeiten. Von der Komödie zur künstlerischen Freiheit bei Duchamp bis zu den die Ästhetik und die Politik verbindenden Widersprüchen ergötzen sich die Schriften an den Paradoxien, die das Erleben von Kunst so irritierend wie lustvoll machen. Wenn Paul Chan sich auf solch unterschiedliche Künstler wie Henry Darger, Chris Marker, Sigmar Polke und Paul Sharits einlässt und dabei mit für ihn entscheidenden Schriftstellern und Denkern – Theodor W. Adorno, Samuel Beckett oder Marquis de Sade – ringt, zeichnen sich zugleich auch die Ideen und Persönlichkeiten ab, die sein Werk durchdringen. Dabei versteht es Paul Chan, die Rolle und das Potenzial der Kunst an etlichen Schauplätzen ausserhalb von Galerien und Museen auszutesten und zu aktualisieren.

 


 

Herausgegeben von der Laurenz-Stiftung, Schaulager,

und Badlands Unlimited
Redigiert von George Baker und Eric Banks, mit Isabel Friedli

und Martina Venanzoni
Einführung von George Baker

Deutsche und Englische Ausgabe

376 Seiten mit S/W-Abbildungen,

Format 14 × 21 × 2,8 cm,

Softcover und erweitertes E-Book (englische Sprachausgabe)
CHF 23, Euro 18.90, USD 25.95
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Deutsche Ausgabe ISBN 978-3-9523971-3-8

Englische Ausgabe ISBN 978-3-9523971-4-5

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