FRONTPAGE

«Paul Klee: Ersehnter Aufbruch, erzwungene Heimkehr»

Von Alexander Sury

Bern war für Paul Klee die Stadt seiner Jugend – und der Ort seiner künstlerisch produktiven letzten Jahre. Das Zentrum Paul Klee zeigt mit «Klee in Bern» eine facettenreiche Ausstellung im Jubiläumsjahr.

 

Kurz nach der knapp bestandenen Matura 1899 schreibt der junge Mann, schon länger schulmüde und auf dem Sprung an die Kunstakademie in München, ohne falsche Bescheidenheit an seinen Vater: «Bücherwurm und Schulmeister kann ich in Bern ganz gut werden, Künstler aber in Gottesnamen nicht.» Und ein Künstler wollte er werden; den Berner Malern attestierte er, sie seien alle mehr oder weniger Epigonen und würden «hodlern».
Bereits als Gymnasiast hatte Paul Klee seine Skizzenbücher mit Landschafts- und Stadtansichten nach Kalenderblättern gefüllt. Bern hielt er mehrmals in fast klassischen Postkartenansichten fest: den Zytgloggeturm, das Münster oder Ausblicke vom Rosengarten auf die Altstadt. 1909/10 schuf Klee, damals schon in Deutschland wohnhaft, etliche Darstellungen des Mattequartiers. Hier experimentierte er bereits mit Verzerrungen und Verfremdungen des Sujets oder löste die Altstadtsilhouette in einem sprunghaften Linienspiel auf.

 
«Geistig verkrüppelt»
Die Weite der Natur kontrastierte dabei mit der geistigen Enge in der Bundesstadt: Klee liebte die Auenlandschaften der Aare, er hielt sich gerne im Steinbruch von Ostermundigen auf, streifte durch den Dählhölzliwald und erkundete mit Freunden den ganzen Kanton zu Fuss; die als bürgerlich-behäbig erlebte Mentalität Berns aber schnürte ihm die Luft ab. Seiner Verlobten Lily Stumpf schrieb er nach der Rückkehr aus München 1906 mit schonungsloser Härte: «Meine ganze Verwandtschaft ist geistig verkrüppelt (. . .) überhaupt fast die ganze Stadt Bern. Spott ist der einzige Ausweg.»


Satirische Randbemerkungen in Schulheften und Karikaturen von Lehrern und Mitschülern boten ihm ebenso ein Ventil wie das 1908 entstandene Versepos «Der Musterbürger» – eine -satirische Verbeugung vor den Bundesbeamten –, zu dem sein Schulfreund Hans Bloesch die Gedichte beisteuerte.
Klee reflektierte als junger Mann vor einer dauerhaften Übersiedlung nach Deutschland 1907 etwas, das über ein halbes Jahrhundert später der nach Paris geflüchtete Berner Schriftsteller Paul Nizon auf die griffige Formel «Diskurs in der Enge» brachte. Seinen Durchbruch und seine grosse Karriere erlebte Klee in Deutschland, zuerst in München, dann als Lehrer am Bauhaus Weimar und Dessau, ehe er als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf berufen wurde. Was aus ihm geworden wäre, als Mensch und als Künstler, hätte er Bern nie für längere Zeit verlassen: Diese Frage ist natürlich nicht zu beantworten.
Tatsache ist, dass ihn die Nationalsozialisten, die ihn 1933 als «entarteten Künstler» gebrandmarkt und ihm die Existenzgrundlage entzogen hatten, wieder in die Schweiz und seine Heimatstadt zurückzwangen. Bern wurde ungewollt zum Refugium und Epizentrum -einer finalen künstlerischen Blüte. In diesen letzten knapp sieben Jahren schuf Klee, obwohl bald von einer heimtückischen Krankheit gezeichnet, bis zu seinem Tod im Sommer 1940 ein grossartiges Spätwerk mit fast 3000 Arbeiten.
Dieses Jahr kann das Zentrum Paul Klee ein Jubiläum feiern: Vor zehn Jahren wurde der Bau von Renzo Piano eröffnet. Der geistige Hausherr Paul Klee ist seither in vielen Ausstellungen und in unterschiedlichen Kontexten präsentiert worden. Michael Baumgartner, zusammen mit Eva Wiederkehr Co-Kurator der neuen Ausstellung «Klee in Bern», weist jedoch darauf hin, dass es bisher noch nie einen so umfassenden Ausstellungszyklus über Klees Verhältnis zu seiner Heimatstadt gegeben habe.
Die Ausstellung im Felix-Klee-Saal schlägt zwei Fliegen auf einmal: Sie bietet einerseits in einer Sammlungspräsentation einen Überblick über Klees ganzes Schaffen, andererseits wird in Kabinetten auf einzelne Themen von Klees Verhältnis zu Bern eingegangen. Seine wichtigsten Berner Sammler, Hanna Bürgi und das Ehepaar Hermann und Margrit Rupf, sind ebenso präsent wie die wichtigsten Klee-Ausstellungen in der Bundesstadt und die langjährigen Freunde Hans Bloesch, Fritz Lotmar und Louis Moillet.

 
Im nachgebauten Atelier
In der Ausstellung ist auch als besondere Attraktion eine Rekonstruktion des letzten Ateliers von Klee zu sehen, das er im Wohnzimmer der bescheidenen Dreizimmerwohnung am Kistlerweg 6 im Elfenauquartier einrichtete. Die Wohnung blieb bis 2005 in ihrem Originalzustand erhalten. Auf Initiative der Klee-Experten Osamu Okuda und Walther Fuchs konnten die Fenster und Türrahmen sowie die Beschläge des Wohnzimmers gesichert und in die Rekonstruktion des Ateliers integriert werden. Dort stehen zwei originale Stühle, ein Dreieckschrank sowie der nachgebaute Arbeitstisch mit einer Kopie des letzten Bilds, an dem Klee arbeitete: der Komposition mit Früchten. Während das nachgebaute Atelier etwas steril und kühl wirkt, vermitteln die Fotografien an der Atelierwand einen Eindruck davon, wie dieser etwa zwölf Quadratmeter grosse Raum vor Bildern, Büchern, Malutensilien und Materialstapeln schier zu bersten drohte.

 

 

Seine Spuren in der Stadt
Um das Atelier herum sind einige der letzten Bilder Klees aufgehängt; der «Paukenspieler» von 1940 etwa kann als Kommentar auf den kriegerischen NS-Trommelwirbel gedeutet werden, der «Ausbruch der Angst» zeigt einen würfelförmigen Kopf mit geöffnetem Mund, darum herum sind die Extremitäten und der Torso wie in einer Auslegeordnung verteilt. Klees Wirkung auf Berner Künstler wird in einer dritten Phase der Ausstellung ab Mitte September mit Werken von Otto Nebel, Bruno Wurster und Peter Somm in den Fokus gerückt.
Parallel zur Ausstellung erscheint auch der kulturhistorische Stadtführer «Mit Klee durch Bern – Spaziergänge in Stadt und Umgebung». 34 Orte in Bern und Umgebung, die in Klees Leben eine besondere Rolle spielten, werden darin ausführlich vorgestellt. So kann man etwa den Künstler 1935 an die grosse Ausstellung der Kunsthalle begleiten, mit ihm in die Ostermundiger Stein¬brüche hinabsteigen oder im Café du Théâtre einkehren, wo er seine Freunde traf. In enger Zusammenarbeit mit den Buchautoren entstand auch eine App, die als Reisebegleiter durch Klees Bern eine Kartografie von Orten und Räumen anbietet, mit der man die Beziehung des Künstlers zu seiner Heimatstadt vor Ort erleben kann.
Bis 17. Januar 2016.

Der Klee-Stadtführer ist bei Stämpfli erschienen (34 Franken),

die Klee-App beim Medienverlag Digiboo.

 

 

L&K-Buchtipp:

Paul Klee (1879–1940) definierte für seine Arbeiten ein System mit acht Preiskategorien und eine darüber hinausgehende «Sonderklasse» für Werke der höchsten Qualitätsstufe, die in der Regel als unverkäuflich galt. Auf diese Weise wurde das aussergewöhnliche Konvolut zum Grundstock einer eigenen Sammlung unter künstlerischen wie geschäftlichen Gesichtspunkten – das Zentrum Paul Klee stellte einen Grossteil in der gleichnamigen Ausstellung vor. Der Künstler verfolgte damit seine ganz persönliche «Strategie zur Erlangung unsterblichen Ruhms». Knapp 300 dieser «Sonderklasse»-Werke wurden systematisch untersucht und werden nun erstmalig in einer reich bebilderten wissenschaftlichen Publikation präsentiert.

Wolfgang Kersten, Osamu Okuda, Marie Kakinuma

PAUL KLEE
SONDERKLASSE. UNVERKÄUFLICH
Hg. Zentrum Paul Klee, Bern, und Museum der bildenden Künste Leipzig
Wienand Verlag
608 Seiten mit 784 farbige und 104 s/w Abbildungen
25 x 34,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag CHF 74,00
ISBN 978-3-86832-229-3

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