FRONTPAGE

«Wohnhäuser von Knapkiewicz & Fickert»

Von Fabrizio Brentini

Es braucht Mut, eine Monografie über das architektonische Schaffen zu veröffentlichen und sich darin auf Wohnhäuser zu beschränken. Üblicherweise streicht man in solchen Monografien die spektakulären öffentlichen Gebäude der Grösse XL heraus, während die Bauten für das Wohnen auf die hinteren Seiten verschoben werden.

 

Das 1992 gegründete Winterthurer Büro Knapkiewicz & Fickert verzichtete auf die Präsentation ihrer Projekte für die Öffentlichkeit, diese sind lediglich im knappen Werkverzeichnis ganz am Schluss aufgeführt. Was an der im innovativen Zürcher Verlag Park Books herausgegebenen Publikation sogleich ins Auge sticht, ist das Titelbild. Es ist – so vermute ich – ein Ausschnitt aus einem Chesterfield-Sofa, das Behaglichkeit insinuiert, aber durch die intensiv dunkle Farbe mit den prallen Wölbungen auch an intime Kabinette denken lässt. Schlägt man das Buch auf, wird der Leser durch violette Vorsatzblätter irritiert, die eine geradezu sakrale Stimmung hervorrufen.

Blättert man weiter, trifft man auf ein kleines Bild, das eine aus rohen Ästen zusammengesetzte Bank inmitten eines Waldes zeigt – und sicherlich unweit der vitruvianischen Urhütte gelegen. Ausgehend vom Buchthema könnte man diese drei Eindrücke mit folgenden Assoziationen verknüpfen: lustvolles Wohnen, feierliches Wohnen, archaisches Wohnen.
Schliesslich: Neben den Kurzbiografien von Kascha Knapkiewicz und Axel Fickert ist eine kleine Aufnahme platziert, die eine offene Terrasse über den Dächern von Zürich wiedergibt. Die Architektin sitzt auf einem Minivelo, während ihr Partner auf einer Bank zuschaut. Keine professionelle Studioaufnahme mit den Protagonisten in Schwarz, die mit ernstem Blick knapp an der Kamera vorbeischauen, als ob sie kundtun wollen, dass sie bereit sind auszuziehen um die Welt zu verändern. Es ist eher eine Momentaufnahme aus ihrem Dasein, ein Standbild, vielleicht sogar ein Schnappschuss, der mitteilen möchte, dass der Alltag das Leben ausmacht und nicht die wenigen heroischen Augenblicke, die in Biografien alles andere verdrängen. Damit sind wir wieder beim Thema Wohnen angelangt.

 

Der Herausgeber Axel Simon leitet die Reihe der von den Architekten selber kommentierten Beispiele mit einem Interview ein. Die Antworten auf die präzisen Fragen sind klar verständlich und frei von theorielastigem Schwulst. Das Team experimentierte bereits 1985, somit noch vor der Eröffnung des gemeinsamen Ateliers, mit speziellen Wohnformen, insbesondere mit unterschiedlichen Raumhöhen und -ebenen.

 

 

Stadtlandschaften und Perspektivenwechsel

 

Es ergeben sich überraschende Überschneidungen, Durchblicke und Perspektivenwechsel. Inspiriert von Wohnbauten des 19. Jahrhunderts nimmt oft eine zentrale Halle den Kern eines Zellengebildes ein. Die Eintretenden sollen als Fürsten empfangen werden, während die angeschlossenen Einheiten die Privatsphäre garantieren.

Knapkiewicz und Fickert zögern nicht, Vorbilder zu nennen und entsprechende Beispiele in die Fotogalerie ihrer Werke einzustreuen: Scamozzi, Palladio, Kahn, Perret, Schinkel. Erwähnt man noch ihre Lehrer Kollhof, Rossi und Šik, dann wird auch verständlich, warum die Fassaden vieler Häuser von Knapkiewicz und Fickert mittels Farb- und Materialvariationen einen klassizistischen Duktus haben.

Und es ist gewiss auf den Einfluss von Rossi zurückzuführen, dass jedes Gebäude eine prägnante Antwort auf die geduldige Analyse der jeweiligen Umgebung gibt. Deutlich wird dies bei den Grundrissen, die in der Monografie mit besonderer Sorgfalt dokumentiert sind.
Nebst vordergründig orthogonal komponierten Grundrissen fallen die polygonalen Pläne mit gewagten Auskragungen, im spitzen Winkel endenden Nischen und langen Diagonalen auf. Diesbezüglich wird Camillo Sitte zitiert mit seinen Vorschlägen für eine vielfältige Stadtlandschaft in Anlehnung an die organisch gewachsenen mittelalterlichen Siedlungen.

 

Unter den 20 näher vorgestellten Entwürfen, von denen lediglich sechs bis anhin realisiert wurden, gefällt mir die 2006 ausgeführte Wohnsiedlung «Lokomotive» in Winterthur am besten.

 

Auf einem alten Industrieareal wird eine Fabrikationshalle als inneres Foyer für zwei Wohnzeilen erhalten und reaktiviert. Ergänzt wird sie durch zwei parallel gesetzte Wohnriegel, die an das ehemalige Werkhallenensemble erinnern sollen.
Obwohl die Projekte mit anschaulichen Renderings visualisiert werden, entgehen Knapkiewicz und Fickert der Versuchung, die Grenze zwischen dem Virtuellen und dem Realen zu verwischen. Die Artifizielle der Darstellung ist sofort zu erkennen.
Die Herausgeber wählten für die Publikation ein bescheidenes Format, entschieden sich aber für eine Fadenheftung mit Hardcover-Einband, was gepflegt, aber nicht protzig wirkt. Das mattgestrichene Papier fühlt sich angenehm an, der Fliesstext ist wegen der zweisprachigen Ausgabe in Schwarz für den deutschen und in Braun für den englischen Text gedruckt. Kurz: Ein schönes Buch.

 

 

Knapkiewicz & Fickert
Axel Simon (Hrsg.)
Mit Texten von Axel Simon und einem
Interview mit Kaschka Knapkiewicz und
Axel Fickert
Park Books 2012

Wohnungsbau Housing
Gebunden, 264 S., d/e, 110 farbige und
28 sw-Abbildungen, 19,5 x 26 cm
CHF 69.- EUR0 58.-
ISBN 978-3-906027-12-8

 

 

Architektur-Buchtipps Redaktion Literatur & Kunst:

 

Torre David ist ein 45-stöckiger Wolkenkratzer in Caracas, der aufgrund der Wirtschaftskrise in Venezuela 1994 nie zu Ende gebaut wurde. Heute ist er das improvisierte Zuhause von mehr als 750 Familien, die ohne offizielle Genehmigung in diesem besetzten Raum leben, der von manchen als «vertikaler Slum» bezeichnet wird.

Urban-Think Tank, die Autoren von Torre David: Informal Vertical Communities, haben ein Jahr lang die räumliche und soziale Organisation des Ortes untersucht. Anhand zahlreicher Fotografien von Iwan Baan dokumentiert dieses Buch, wie die Menschen hier leben und ihre Infrastruktur selbst organisieren, von Friseursalons und einem Fitnessstudio zu Lebensmittelläden und weiteren Einrichtungen des täglichen Bedarfs. Dieses zum Nachdenken anregende Buch zeigt die informellen Gemeinschaften des Hochhauses und die Architektur, in der sie leben. Die Autoren möchten Denkanstösse bieten, informelle Gemeinschaften als Orte zu sehen, die Innovationen und neue Ideen generieren im Dienst einer gerechteren und nachhaltigeren Zukunft.

Die spektakuläre Hausbesetzung fasziniert Architekten, die in diesem dauerhaften Provisorium ein einmaliges Studienobjekt finden. Städteplaner an der ETH Zürich beschäftigen sich mit dem „Torre David“ auf der Suche nach architektonischen Lösungen für die Großstädte der Zukunft.

 

Design: Integral Lars Müller 2012
416 Seiten, 406 Abbildungen,
16,5 x 24 cm, Hardcover
EUR 45,00 / CHF 55,00
ISBN 978-3-03778-298-9, Englisch

 

 

THE DIGITAL TURN
Design in the Era of Interactive Technologies

 

Konzepte, Strategien und Lösungsansätze zur Revolution des Digitalen in der Welt der Gestaltung – The Digital Turn zeigt, wie Design auf die Herausforderungen neuster digitaler Medientechnologien und auf das Verhalten von deren Nutzern reagieren kann.

Die Medienlandschaft erlebt einen dramatischen Wandel. Die Darstellung von Informationen und Inhalten wird immer stärker durch digitale Medien und ihre interaktiven Technologien bestimmt. Für Gestalterinnen und Entwerfer in den unterschiedlichsten Disziplinen stellen sich damit zwei wesentliche Fragen: Mit welchen Mitteln, Haltungen und Lösungen reagieren die «klassischen» Bereiche des Grafik-, Industrie-, Material- und Oberflächendesigns auf die neuen Potenziale der digitalen Medien? Und wird es dem Design gelingen, die digitale Welt so mit ästhetischen Qualitäten zu prägen, dass Technologie und Gestaltung einander ergänzen und entsprechen?
Mehr als fünfzig Designerinnen und Designer aller Bereiche – von international führenden Stimmen bis hin zu Verfassern studentischer Abschlussarbeiten – stellen in diesem Buch ihre Konzepte, Strategien und Lösungen für Gestaltungsaufgaben im Zeitalter interaktiver Technologien vor. Ausgehend von Lehre und Forschung des Herausgeberteams an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, durchbrechen die Autorinnen und Autoren das isolierte Spartendenken innerhalb akademischer Strukturen und zeigen, wie Gestaltung auf die schnellen und ständigen Veränderungen der heutigen Medientechnologie reagieren kann.

The ways of representing information and content are increasingly dominated by the interactive technologies of digital media. Today design professionals must navigate the constantly changing world of digital technology in order to give consumers a positive aesthetic experience. The editors of this wideranging volume work in four different disciplines—conceptual development, interactive design, visual communication, and digital media—and they provide a uniquely multifaceted and profound overview of how designers can respond to the challenges posed by interactive digital technology. Looking at both the obstacles that the digital world creates for designers, and also the opportunities to do new and boundarypushing work that it provides, The Digital Turn is a complete account of designing with interactive technologies. Hundreds of images are included to supplement essays by a wide variety of international professionals, teachers, and students, all of whom deal with designing in the age of digital interaction every day.

With contributions by Carola Zwick, Zane Berzina, Barbara Junge, LustLab, Alan Kay, Maggie Orth, Kenya Hara, Paul Kahn, Troika, Friedrich Schmidgall, Petr van Blokland, Darryl Feldman, Constantin Andiel, Christoph Mille, Arjen Mulder, Marie O’Mahony, Susanne Stage, Simon Taylor, John Warwicker, Daniel Berwanger, Berit Greinke, Alexander Behn, Dietmar Offenhuber, Carlo Ratti, Bjorn Bertrand, Casey Reas, Friedrich Blauert, Janis Jefferies, Markus Hanzer, Nadia Graf, Adrian Muller, Michael Grosch, Nicholas Negroponte, Oliver Reichenstein, Stu Campbell, Wera Fleck, Alessio Leonardi, Carla Hesse, Hartmut Bohnacker, Benedikt Gros, Julia Laub, Konrad Hempel, Lev Manovich, Niko Spelbrink, Susanne Stauch, Theresa C. Mientus, Tincuta Heinzel, Sarah D. Rodriguez, Ursula Wagner, Anna Marin, Corinna Hingelbaum, Karen Minden, Lars Hubner, Christian May, Sandra Riedel, Sebastian Reichel, and Veronika Aumann.

 

The Digital Turn
Design in the Era of Interactive Technologies
Text: Englisch
Broschur
304 Seiten, 243 farbige und 34 sw Abbildungen
25 x 23 cm
CHF 55.00 | Euro 48.00
ISBN 978-3-906027-02-9

 

 

Die Architektur der Weingüter

 

Das Buch vermittelt Architekten und potenziellen Bauherren eine Fülle von Anregungen. Die Projektauswahl berücksichtigt Weinbauländer wie Spanien und Italien sowie Österreich und die Schweiz.

Vorgestellt wird beispielsweise das Weingut Gantenbein in Fläsch. Das Weingut im Graubündner Rheintal wurde 2006 von Bearth & Deplazes Architekten, Chur/Zürich, geplant und 2008 fertiggestellt.

Viele der in den letzten Jahren entstandenen Weingüter überzeugen durch die besondere Verbindung ihrer Architektur mit der Umgebung und dem Charakter der dort angebauten Weine. Anhand ausgewählter Weinbauten, die die unverwechselbare Atmosphäre vermitteln und die Tradition der Winzer widerspiegelt, spannt das Buch den Bogen vom Anbau der Reben bis hin zum Verkosten der Weine. Informationen zu den einzelnen Weinbauangebieten wie auch zu den Weinen ergänzen Wissenswertes über den Prozess der Weinherstellung und zur Geschichte der Weinarchitektur.

 

Heinz-Gert Woschek, Denis Duhme, Katrin Friederichs
Wein und Architektur
Edition DETAIL
Institut für Internationale Architektur-Dokumentation
GmbH & Co. KG, München, 2011
29,90 €
ISBN 978-3-920034-55-3
www.detail.de

 

 

Nachhaltiges Bauen – kostengünstig und lokal

 

Während Innovationen und technische Entwicklungen heute immer schneller aufeinanderfolgen und im Bauwesen so gut wie alles möglich machen, findet gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die wesentlichen Dinge im Leben statt, sei es aus Nachhaltigkeitsgründen, die grundsätzlich Faktoren wie die Übernahme ortsbildprägender Typologien und Materialien implizieren, sei es aus Kostengründen, die nicht selten Überlegungen zu effektiven Konstruktionen oder Herstellverfahren anstossen oder aus ästhetischen Anforderungen, dass wir uns von der zunehmend lauten und heterogenen Umwelt distanzieren.

Namhafte Fachautoren hinterfragen in dieser Publikation die jeweilige Lösung einer Bauaufgabe hinsichtlich ihres Entwurfs und ihrer Konstruktion. Dem typologischen Ansatz der Reihe entsprechend präsentiert die umfangreiche internationale Projektauswahl ein breites Spektrum unterschiedlicher Bauaufgaben bis ins Detail und inspiriert zu neuen Ideen. (I.I.)

 

Christian Schittich (Hrsg.)
Einfach Bauen Zwei
Edition DETAIL
Institut für internationale
Architektur-Dokumentation
GmbH & Co. KG, München, 2012
69,90 €
ISBN 978-3-920034-62-1

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