FRONTPAGE

«Die Welt der Medinas – eine Kulturreise nach Tunesien»

Von Ingrid Isermann

Von Tunis und Sousse, Monastir und El Djem, – von Harun ar-Raschid und stolzen Ribat-Festungen, von Archäologischen Museen zu den punischen Tempeln von Karthago und der l’heure bleue von Sidi Bou Saïd, auf der Suche nach dem Licht des Morgenlandes, das schon Künstler wie Paul Klee und August Macke faszinierte… 

 

Tunesien lockt nicht nur mit feinen Sandstränden und eleganten Spa- und Thalasso-Hotels, hier treffen auch Tradition und Moderne aufeinander; die Kontraste der Medina zur Moderne der Metropole Tunis, der weissen Hauptstadt, die nicht nur auf eine jahrhundertalte Vergangenheit zurückblicken, sondern auch moderne europäische Geschäftsviertel mit Metro und breiten Boulevards vorweisen kann. Tunis hat sich, begünstigt durch Hafen und internationalen Flughafen, zu einer pulsierenden Geschäfts- und Handelsstadt entwickelt.

 

Die Medina von Tunis

Unter blauem Himmel schlendern wir über die weiten Plätze des Regierungsviertel Le Bardo. Auf der Avenue Habib Bourguiba, der von Ficusbäumen gesäumten Flaniermeile, finden immer wieder Manifestationen und Demos statt. Das Land befindet sich nach dem Sturz von Ben Ali 2011 im Umbruch. Seit dem Wahlgewinn der islamistischen Ennahda, die 90 von 217 Sitzen der Übergangsregierung besetzen konnte, sind Frauenorganisationen beunruhigt, dass die Pressefreiheit und die Gleichstellung in Frage gestellt würde. Im Dezember sind Neuwahlen angesagt. «Hierarchie und Konservatismus bestimmen oft noch das Handeln der Leute», erklärt unser tunesischer Guide Chokri. Demokratisierung ist ein langsamer Prozess, der Zeit braucht, aber man schaut dennoch optimistisch in die Zukunft.

 

Chokri führt die Reisegruppe in die Nebenstrassen der Medina, zu den Kuppeln und Terrassen, dem Labyrinth verwinkelter Gassen voller Stimmengewirr und Düfte mit dem geschäftigen Treiben der Händler. In kleinen Läden arbeiten Kunsthandwerker auf engstem Raum. „… Hier, schauen Sie hier, kommen Sie…“. Und schon steht man fasziniert vor Mosaiken, blau-weissen Keramiken, Teppichen, Gewürzen oder Goldschmuck.

Im Hintergrund ertönt die Stimme des Muezzins zum Gebet und wir sehen die  Grosse Moschee Ez-Zitouna, die Olivenbaummoschee, das ehrwürdigste Heiligtum in Tunis, gegründet im Jahre 698, bis heute eine theologische Hochschule, die die Gläubigen fünfmal täglich zum Gebet versammelt.

 

Hinter der Ornamentik der mit Nägeln verzierten kunstvollen Türen verbergen sich wundervolle Paläste, wie auch das Dar ben Abdallah, in dem das Heimatkundemuseum untergebracht ist. Die erste Universität der arabischen Welt befindet sich in der Medina von Tunis, der grössten des Maghreb, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählt. Unterwegs besuchen wir das Hôtel de Charme Dar El Médina, das über einen schattigen Innenhof, geschmackvoll individuell eingerichtete Zimmer und eine atemberaubende Dachterrasse mit Blick über die Altstadt von Tunis verfügt. Wer eine persönliche Atmosphäre inmitten der Medina sucht, ist hier am richtigen Ort.

Die tunesische Hauptstadt zählt etwa eine Million Einwohner. Haupteinnahmequellen ist neben Olivenöl, Teppichen und Textilien insbesondere der Tourismus, der sich nach dem Umsturz 2011 allmählich erholt. Haben 2010 etwa 6.9 Mio. ausländische Touristen (davon 96’319 Schweizer) Tunesien besucht, so waren es 2011 lediglich noch 4.7 Mio. (davon 42’486 Schweizer) und 2012 5.9 Mio. (davon 59’578 Schweizer).

 

Karthago und Sidi Bou Saïd

Nicht weit von Tunis entfernt liegt Karthago, 814 v.Chr. von den Phöniziern erbaut, von den Römern zerstört und wieder aufgebaut. Die Antoninius Pius Therme, die römischen Villen oder das römische Theater sind zu besichtigen. Auch das Museum von Karthago lässt die Geschichte und Zivilisation der glorreichen Zeit aufleben.

Sidi Bou Saïd, ein ganz in Weiss und Blau in andalusischem Stil auf einer Anhöhe erbautes Künstlerdorf, bietet einen zauberhaften Blick auf den blauen Golf von Tunis. Im Café des Nattes verkehrten Künstler und Literaten, im hoch über der Meeresbucht gelegenen Sidi Chabaane gibt es den landesüblichen  Minztee mit Pinienkernen. An den Küsten Karthagos finden sich Luxushotels, hervorragende Restaurants und Thalassotherapie-Zentren.

 

Sousse, Monastir und Mahdia

Am azurblauen Meer locken die goldenen Sandstrände von Sousse, Monastir und Mahdia, Badeorte und Städte mit Geschichte und Tradition. Sousse ist eine dynamische Stadt mit einer edlen Medina, umgeben von hohen Stadtmauern. Hier wurde 1994 das erste Thalassozentrum  mit innovativen Anwendungen wie Reiki, Ayurveda und Shiatsu eröffnet.

Der erste Ribat von Tunesien in Sousse aus dem 8. Jahrhundert dient heute als Museum, wurde 1968 restauriert und hat noch seine ursprüngliche Form erhalten. Der Ribat wurde zur Verteidigung errichtet. Im Jahr 812 n.Chr. fügte der Aghlabiden-Emir Ziyadet Allah einen Wachturm hinzu. Die Stadtmauern der Medina, die Grosse Moschee und die Kasbah aus dem Mittelalter vervollständigen die imposante Stadtkulisse.

 

Sousse wurde von den Phöniziern unter dem Namen Hadrumet gegründet und blieb bis zum 6. Jahrhundert v.Chr. unabhängig, bis die Stadt unter den Einfluss Karthagos kam. Nach den punischen Kriegen und der Zerstörung Karthagos durch die Römer ernannte Trajan im 2. Jahrhundert n.Chr. Hadrumet zur Kolonie, die zur blühenden Handelsmetropole wurde. Ein Jahrhundert später musste Hadrumet die römischen Vergeltungsschläge gegen Gordianus erleiden, – nach der Revolte von Thysdrus, dem heutigen El Djem -, der zum Imperator wurde. Unter der kurzen Herrschaft der Vandalen kam die Stadt als Hunericopolis dann wieder zu Ruhm und Ehre, erfahren wir im Geschichtsunterricht von Chokri.

Die Byzantiner tauften sie auf den Namen Justinianopolis, die der Besatzung des arabischen Eroberers Okba Ibn Nafàa, ein Gefährte des Propheten und Gründers der Stadt Kairouan, Widerstand leistete, wo auch der Rechtsgelehrte und Kalif Harun ar-Raschid (786-809), bekannt aus Tausendundeiner Nacht, eine Rolle spielte. Unter der Dynastie der Aghlabiden erlebte Sousse eine neue Blüte, die sich in den stolzen Festungen widerspiegelte. Aufgrund der günstigen strategischen Lage am Mittelmeer besetzten die Normannen im 12. Jahrhundert, die Spanier im 16. Jahrhundert und die Franzosen im 18. Jahrhundert Sousse. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt mehrfach bombardiert, 1943 befreit.

 

Im neu erbauten Archäologischen Museum sind Kostbarkeiten der Mosaikkunst aus dem 2. und 3. Jahrhundert zu sehen. Wunderschöne römische Bodenmosaiken, die einst wie Teppiche als Symbol für Reichtum galten, mit vielfältigen Motiven wie der Medusa, der Venus mit zwei Engeln, Löwen und Panthern; bevorzugtes Symbol war aber der Fisch. Die Mosaike wurden 1881 bis 1883 in Sousse entdeckt und ausgegraben. Nach dem Bardo-Museum in Tunis ist das Archäologische Museum in Sousse das zweitgrösste.

 

In der Medina von Sousse befindet sich auch das intime Musée Dar Essid (Haus des Herrn Essid), früher die Wohnung eines Patriziers. Das Vestibül grenzt an einen Innenhof, dessen Wände mit kostbaren Fliesen geschmückt sind. Das Haus ist mit antiken Möbeln ausgestattet. Es lohnt sich, die Wendeltreppe zum Turm hinaufzusteigen, der eine Aussicht über die Dächer und die Küste von Sousse bietet. Auf dem Rückweg zum Bus bläst der Wüstenwind, Sandkörner fliegen herum, und die Sonne ist hinter dicken Wolken verschwunden, doch nicht viel später hat sich der Wettergott wieder beruhigt.

Unweit von Sousse liegt der Ferienort und Yachthafen Port El Kantaoui mit stilvollen Restaurants, Hotels, Läden und eigenem Golfplatz, dem Palmen, Oliven- und Granatäpfelbäume ein exquisites Flair verleihen.

 

 

Der Ribat von Monastir wurde zu einem Wallfahrts- und Studienort. Der wuchtige Ribat überragt stolz die Stadt und diente dazu, die Angriffe der Katalanen und Aragonier abzuwehren. Den Leuchtturm zu erklimmen, erfordert einige Fitness. Heute ist die Festung ein Museum, das Raritäten wie koptische Gewebe (4.-8. Jh.) und Fragmente aus dem Predigtstuhl der Grossen Moschee in Kairouan (9. Jh.) beherbergt wie auch Sammlungen aus Koran-Pergamenten, Gedenksteine und Stukkaturen.

 

Gegenüber des Ribats liegt das Habib-Bourguiba-Mausoleum in Monastir, dessen Vorplatz von spielenden Kindern, feilbietenden Händlern, und Pferdedroschken rege genutzt wird. Das Mausoleum ist ein äusserst beliebtes Ausflugsziel; der Staatsgründer, geboren 1903 in Monastir, geniesst in Tunesien Kultstatus. Bourguiba wurde mehrfach in Frankreich wegen seines Unabhängigkeitsstrebens verhaftet, am 20. März 1956 musste Frankreich Tunesien in die Unabhängigkeit entlassen. Habib Bourguiba wurde zwischen 1957 und 1987 der erste Präsident der Tunesischen Republik. Er verstarb hochverehrt 97jährig im Jahr 2000.

 

Das Kolosseum von El Djem

Schon von weitem ist das gut erhaltene Kolosseum mit seinen dunklen Ockertönen zu sehen. Das etwa 40 Kilometer von der Küste entfernte El Djem, die antike Stadt des Thysdrus, war einst Knotenpunkt. Von hier aus gelangte der Reichtum Tunesiens in die römischen Häfen und die importierten Gütern ins Landesinnern.

Die Mosaike, die im Museum El Djem oder von Bardo in Tunis aufbewahrt werden, geben eine Ahnung über die in diesen Arenen abgehaltenen Gladiatorenkämpfe –  hautpsächlich gegen Raubtiere wie Löwen und Geparde, die Jagdtreiber in den afrikanischen Gebieten fingen. Mitunter waren es Kriegsgefangene oder verdammte Christen, die man zum grössten Vergnügen der Zuschauer den Raubtieren als Futter vorwarf. Diese Spiele genossen eine grosse Beliebtheit, sodass Gesellschaften mit deren Organisation beauftragt waren.

Im Jahre 238 n.Chr. erpresste der Kaiser Maximin von Thrace die afrikanische Provinz, um seine durch die Krise leer gewordenen Taschen zu füllen. Thysdrus übernahm die Spitze der Revolte. Der Kaiser liess die Truppen, die die örtliche Miliz niedergeschlagen hatten, im Stich und bestrafte die Stadt unerbittlich. Danach kam der langsame Verfall und El Djem trat Ende des 7. Jh. mit der Berberheldin La Kahena in die Legende ein, die gegen die neuankommenden Moslems kämpfte.

La Kahena soll in das in eine Zitadelle umgebaute Amphitheater geflüchtet sein. Infolgedessen diente das riesige Mauerwerk während jeder Revolte im 13. Jahrhundert als Zuflucht gegen die ansässigen Autoritäten. Um die Rebellion niederzuschmettern, gab es nur eine Lösung: die Zerstörung des monumentalen Bauwerks, teilweise durch Kanonenschüsse. Das gut erhaltene Kolosseum ist das zweitgrösste nach Rom.

 

(Erstveröffentlichung der Reportage «Die Welt der Medinas» Ostschweiz am Sonntag, 14. Juli 2013).

 

 

Infos:

Tunis Air und Swiss fliegen täglich nach Tunis und Enfidha (Hammamet).

Für die Einreise nach Tunesien wird ein Reisepass benötigt.

Unterkunft:

Mövenpick Resort & Marine Spa in Sousse

Hotel Dar El Médina in Tunis

Hotel Nour Palace Resort Thalasso & Spa in Mahdia

Hotel Dar Said im Künstlerdorf Sidi Bou Said

Restaurant:

Dar El Jeld in Tunis, in einem alten Palast

mitten in der Medina mit ortstypischen Spezialitäten.

 

 

www.moevenpick-hotels.com

www.portelkantaoui.com.tn

www.nourpalaceresort.com

www.darelmedina.com

www.dareljeld.tourism.tn

www.darsaid.com.tn

www.regencytunis.com 

www.patrimoinedetunisie.com

 

 

 

 

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