FRONTPAGE

«Eiszeit im Western»

Von Rolf Breiner

 

Jahre war es still um den Western geworden. Seit Quentin Tarantinos «Django Unchained» (2012) wurde das Genre wiederbelebt. Doch nun ist die Eiszeit im Western ausgebrochen. Trapper, Grenzgänger, Cowboys und Revolvermänner kämpfen nicht nur gegen Schurken und Indianer, sondern auch gegen Wind und Wetter, Eis und Schnee. Wie eh und je geht es um Rache und Überleben, um Grenzerfahrungen – in Quentin Tarantinos «The Hateful Eight» wie in Alejandro Gonzáles Inárritus «The Revenant».

Die Weite der Prärie, bizarre Bergkonturen (à la Monument Valley) und ein grenzenloser Himmel wie zu John Fords Zeiten sind ebenso verschwunden wie Büffel wie Indianer, die nur noch als letzte Relikte des amerikanischen Kontinents auftauchen. Der klassische Western definiert sich durch weite Räume, Landnahme und Besiedlung, Faustrecht (Recht des Stärkeren) und neue Ordnung, Gewalt und Gegengewalt. Doch die Helden wurden müde und von der Zeit überholt. Das Genre mündet in Spät- und Italowestern in den Sechziger- bis Achtzigerjahren – wie bei Sergio Leones «Spiel mir das Lied vom Tod» (1968), bei Sergio Corbuccis «Il grande Silenzio» (1968) oder Michael Cimenos «Heaven’s Gate», (1980).

Es geht um Sklaverei und Befreiung, Kopfgeldjagd und Rache: Tarantinos «Django Unchained» (2012) ist im Kern ein Western, nur dass in diesem Fall ein schwarzer Revolverheld eben Django (Jamie Foxx), an der Seite des obskuren Doktor Schultz (Christoph Waltz) steht, gegen den Landbaron und Sklavenhalter Candie (Leonardo DiCaprio) zu Felde zieht. Tarantinos zweiter Western zeigt ein ganz anderes Bild. Zwar gibt es auch hier ein Western-Relikte wie Postkutsche und Poststation, Revolver und Gewehre, doch es herrscht tiefster Winter in «The Hateful Eight», in Wyoming um 1870. Durch Schneemassen kämpft sich eine Postkutsche, die von einem schwarzen Kerl angehalten wird, dem Kopfgeldjäger Marquis Warren (Samuel L. Jackson). Insgesamt sind sie nun zu viert in dem Vehikel: Warren, Sheriff Mannix (Walton Goggins), Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) und seine «Beute», die schmierige giftige Gangsterbraut Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh). Ein Schneesturm zwingt die ganze Bagage, den Schutz einer Poststation aufzusuchen. Hier haben sich bereits Typen wie der Mexikaner Bob (Demian Bichier), der undurchsichtige Oswaldo Mobray (Tim Roth), der Cowboy Joe Gage (Michael Madsen) und der General-Veteran aus den Südstaat, Sanford Smithers (Bruce Dern), eingefunden.

Nein, es sind keine glorreichen Sieben oder Acht, die sich in der Blockhütte belauern, sondern zwielichtige Charaktere. Wer was mit wem zu tun hat, wer wen hasst und was wer bezweckt, stellt sich quasi im Zeitlupentempo heraus. Die Exposition dauert viel zu lange, nämlich gut eine Stunde, ehe Tarantino zur Sache kommt und die Gewalt eskaliert. In dieser Machogesellschaft, in den Klauen des Winters und finsteren Absichten gefangen, sind die Grenzen verwischt zwischen Gut und Böse. Es herrscht rohes Faust- und Revolverrecht. Das Zusammentreffen der düsteren Gestalten mündet im Massaker, genüsslich im Tarantino-Stil zerdehnt, untermalt von der dramatischen Musik Ennio Morricones («Spiel mir das Lied vom Tod»).

Bereits bei der Postkutschenfahrt am Anfang erinnert Tarantinos «Hateful Eight» an Corbuccis Winter-Western «Il Grande Silenzio» um Kopfgeldjäger (Klaus Kinski) und den grossen Schweiger (Jean-Louis Trintignant). Der deutsche Titel «Leichen pflastern seinen Weg» klingt zwar martialisch, doch ist dieser Film, vor 48 Jahren gedreht, perfider, stimmiger und nachhaltiger als Tarantinos Gewaltorgie im Blockhaus. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch der österreichische Western «Das finstere Tal» (2014) von Andreas Prochaskas. Ein Fremder, als Fotograf getarnt – auch so eine typische Westerngestalt – kommt in ein Bergdorf Ende des 20. Jahrhunderts, um seine Eltern zu rächen. Er rückt dem alten selbstherrischen Patriarchen Brenner (Hans-Michael Rehberg) und seinem Pack, allen voran dem ältesten Sohn Hans (Tobias Moretti) auf den Pelz. Ein wuchtiger Winterwestern in den Alpen, der in unseren Kinos leider unterging.

Mit den wichtigsten Golden Globes ausgezeichnet (Bestes Filmdrama, Bester Schauspieler, Beste Regie) und höchst aussichtsreich im Oscar-Rennen, macht «The Revenant» von Alejandro Gonzáles Inárritu Furore. Streng genommen handelt es sich um ein Trapperabenteuer, aber doch Western durch und durch. Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) ist Scout eines Trappertrupps, der sich 1823 durch die Wildnis schlägt, im fast unberührten Wilden Westen. Indianer machen Jagd auf die Jäger, sich die gezwungen sind das Weite zu suchen – auf einem Floss im eiskalten Winter. Auf dem Rückzug kommt Hugh unter die Räder, sprich in die Tatzen eines Grizzly, der sein Junges verteidigt. Zerfetzt und schwer verletzt, schleppen die Trapper Hugh mit, bis der Fiesling im Trupp, John Fitzgerald (Tom Hardy), Hughs indianischen Sohn umbringt, den Totgeweihten einbuddelt und der Natur, eben seinem Schicksal, überlässt. Irgendwie befreit sich Hugh, robbt durch den Wald und findet Hilfe. Unmenschlich die Strapazen, unbändig sein Rache- und Überlebenswille. Er ist besessen von dem Gedanken, den skrupellosen John und seinen Begleiter zu töten.

«The Revenant – Der Rückkehrer» ist ein grandioser und wuchtiger Winter-Western. Nicht so blutig, brutal und brachial wie Tarantinos «Hateful Eight», aber von einer Intensität und eiskalter «Wirklichkeit». Wie man sie selten im Kino sieht und spürt. Ein wenig erinnert er an «Jeremiah Johnson» (1972) mit Robert Redford, doch kommt Sydney Pollacks Trapper-Odyssee (im Winter wie im Sommer spielend) elegischer und romantischer daher.

Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritus kannte bei seinem Filmprojekt kein Pardon, er drehte in kanadischen Wäldern und war gnadenlos gegenüber dem Team, den Schauspielern bei bitteren Eis- und Schneebedingungen. Es fällt auf, dass die Natur, Wald und Wasser, Schutz bietet, aber auch tödlich sein kann. Interessant ist hier die Rolle der Indianer, die einerseits die Trappe-Eindringlinge und Ausbeuter (noch) vertreiben können. Die Jäger werden zu Gejagten. Der Indianertrupp ist selber auf Rachezug und spielt beim letzten Duell nur Beobachter.
«The Revenant» ist kein klassischer Western, aber ein Klasse-Western, der beste seit Jahrzehnten. Leonardo DiCaprio wird als «Rückkehrer» zum Einkehrer und Racheübermenschen. Dafür dürfte er seinen ersten Oscar abholen. Am 28. Februar 2016 wird die Oscar-Büchse geöffnet.
Meine Oscar-Favoriten:
Bester Film «The Revenant» und «Room»;
Beste Regie Alejandro G. Iñárritu («The Revenant») und Adam McKay («The Big Short»);
Bester Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio («The Revenant») und Eddie Redmayne («The Danish Girl»);
Beste Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence («Joy») und Cate Blanchett («Carol»);
Bester Nebendarsteller Sylvester Stallone («Creed – Rocky‘s Legacy») und Mark Rylance («Bridge of Spies»);
Beste Nebendarstellerin Kate Winslet («Steve Jobs») und Alicia Vikander («The Danish Girl»);
Bester nicht englischsprachiger Film «Son of Saul» (Ungarn) und «Theeb» (Jordanien);
Beste Kamera Emmanuel Lubezki («The Revenant») und John Seale («Mad Max – Fury Road»).

 

 

«And the Oscar goes to…»
88. Oscar-Verleihung 28. Februar 2016 in Los Angeles.
Endlich! Leonardo di Capri erhielt einen Oscar!

Das Journalismus-Drama «Spotlight» von Tom McCarthy ist zum besten Film gekürt worden. Leonardo DiCaprio wurde für seine Hauptrolle in «The Revenant» als bester Hauptdarsteller geehrt. Der 41-Jährige gewann beim sechsten Anlauf zum ersten Mal. 

Bei den Frauen erhielt eine Hollywood-Newcomerin die höchste Schauspieler-Ehre: Brie Larson wurde für ihre Rolle der als Teenager entführten Joy Newsome in Lenny Abrahamsons Independentdrama «Room» als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. 

Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu hat mit «The Revenant» den Oscar für die beste Regie gewonnen, im vergangenen Jahr bekam er den Regie-Oscar für «Birdman».

 

Weitere Auszeichnungen

Nebendarstellerin: Alicia Vikander «The Danish Girl».

Nebendarsteller: Mark Rylance «Bridge of Spies».

Nicht-englischsprachiger Film: «Son of Saul» Regie: László Nemes.

Kamera: Emmanuel Lubezki für «The Revenant».



Original-Drehbuch: Thomas McCarthy und Josh Singer für «Spotlight».

Filmmusik: Ennio Morricone für «The Hateful 8».

Dokumentarfilm: Asif Kapadia und James Gay-Rees für «Amy».

 

 

«Interview mit Devid Striesow: In eine Figur hineindenken»

 

Man kennt ihn als Pilger Hape Kerkeling («Ich bin dann mal weg») oder Kommissar Jens Stellbrink («Tatort», Saarland). Demnächst erlebt man ihn im Kino als gebeutelten, konfliktscheuen Familienvater in Micha Lewinsky Familiendrama «Nichts passiert». Der deutsche Schauspieler Devid Striesow ist höchst präsent am Bildschirm und im Kino. Wir trafen den  42-Jährigen an den Solothurner Filmtagen.

 

Ein strahlender Wintertag an der Aare. Das Wetter meinte es gut mit den Solothurner Filmtagen. Gleichwohl strömten die Filmfans vom 21. bis 28. Januar zuhauf in die Kinos. Über 65 000 Besucherinnen und Besucher wurden gezählt.
Gast Devid Striesow wunderte sich – über die Ambassadorenstadt, das Ambiente der Filmtage und wünschte, dass die Filmtage doppelt so lang sein könnten. «Eine sehr schöne Location für ein Filmfest, ausserdem sind die Leute wahnsinnig filmaffin. Es ist eine Freude, die Warteschlangen vor den Kinos zu sehen.»
Gleich in drei Filmen war der Schauspieler, 1973 in Bergen auf der Ostseeinsel Rügen geboren und in der Uckermark ansässig, zu sehen. Freilich liegen zwischen dem Kammerspiel am See, «Mein langsames Leben» (2001), und dem jüngsten Kinofilm «Nichts passiert» fast 15 Jahre. Anlässlich der Rencontre Ursina Lardi wurde der erste Spielfilm mit der Kollegin Lardi wiederaufgeführt. Auch im Schweizer Episodenfilm «Traumland» (2013) agierten die beiden zusammen. Und das ist kein Einzelfall. Lardi und Striesow gehören Thorsten Lensings Theater T1 an. Mit Inszenierung wie Tschechows «Kirschgarten» und «Onkel Wanja» sowie Dostojewskis «Karamasow» waren sie in den Berliner Sophiensälen, in Hamburgs Kampnagel, in Münsters Pumpenhaus oder in Lichtensteins TAK Theater zu sehen. Im Dezember 2015 gastierten sie mit «Karamasow» auch im Zürcher Schiffbau, einer Bühnenbearbeitung nach Dostojewskis Roman der «Brüder Karamasow».
«Mit der Theatertruppe T1 sind wir schon seit zwölf Jahren unterwegs», erzählte Devid Striesow, «und spielen mehrere Inszenierungen. Dazu zählen auch Ursina und ich sowie Kollegen, die Lust haben mitzuspielen. Das sind Projekte, die zwei Jahre im Voraus geplant sind und an bestimmten Orten aufgeführt werden – wie in Münster/Westfalen, wo stets die kleine Premiere stattfindet, vor der grossen in den Berliner Sophiensälen, dann in Hamburg, Luxemburg, Lichtenstein, Stuttgart, Dresden und nun auch in Zürich. Die Produktionen werden immer in denselben Häusern aufgeführt.» Im Gegensatz zu Ursina Lardi an der Schaubühne Berlin ist Devid Striesow an keiner Bühne fest engagiert. Das e statt a in seinem Vornamen hat er übrigens seinen atheistischen Eltern zu verdanken, die sich mit Devid vom biblischen David absetzen wollten.
Recht erfolgreich ist Striesow im «Tatort» tätig, nun bereits zum fünften Mal in «Totenstille» (24. Januar). In diesem Fall spielten Gehörlose eine wichtige Rolle, und Striesow agierte etwas arrogant als Kommissar auf dem Motorroller und wirkt nicht gerade als Sympathiebolzen. Macht nichts, denn die Quote stimmt mit 9,7 Millionen Zuschauer in Deutschland. Wie weit kann ein Schauspieler wie Striesow Einfluss auf einen «Tatort» nehmen? «Man kann davon ausgehen, dass diese Figur von mir erdacht wurde», erklärte dieser frank und frei. «Ich bin immer noch Fan meiner ersten Folgen. Wir haben es nun publikumsnäher gestaltet. Das gefällt mir auch gut.»
Im Schweizer Kinofilm «Nichts passiert» agiert Striesow als Familienvater, der Verantwortung meidet und gewisse Vorfällen beschönigt, verleugnet, am liebsten unter den Teppich kehren würde. «Richtig, diese Figur, der Thomas Engel, geht Konflikten aus dem Weg und kompensiert lieber. Aber man sollte es nicht soweit kommen lassen.» Der Vater, der eine Vergewaltigung decken und verschweigen möchte, ist kein Sympathieträger. «Aber es gibt Leute im Publikum», so Striesow, «die sagen, dass sie seine Aggression verstehen. Jeder hat ja ein gewisses Gewaltpotenzial in sich.»
Von der Vaterschaft zur Pilgerschaft – wie ist dem Schauspieler die Wanderschaft bekommen, wie war das mit dem Wandern? Striesow: «Ich bin ja kein Pilger, und gelaufen bin auch nur 30 Meter vor der Kamera.» Nicht mehr? «Nein, ich bin ja nicht gewandert, ich habe einen gespielt, der wandert. Wir haben keinen Dokfilm, sondern einen Spielfilm gemacht.» Striesow spielt also im Pilgerfilm «Ich bin dann mal weg» den Entertainer Hape Kerkeling. Wie weit ging die Annäherung an die wirkliche Figur? «Ich habe ein paar Kilo zugenommen und mich in die Figur hineingedacht. Ich wollte auf jeden Fall, dem Original so nahe wie möglich kommen. Ich wollte auch, dass er sich darin wiedererkennt. Das ist ja auch die Schwierigkeit, jemanden zu spielen, den es gibt.»
Zufrieden? Striesow. «Ich bin mit dem Film sehr zufrieden und glücklich, dass es dem Kerkeling so gut gefallen hat. Wir hatten nicht den Drang, im Vorfeld der Dreharbeiten miteinander zu sprechen. Er hat am Buch mitgearbeitet, und ich habe ihn in dem, was er gemacht hat, sehr genau studiert. Und das ist in die Rolle mit eingeflossen.»
Micha Lewinskys Kinofilm «Nichts passiert» entstand vor dem Jakobsweg-Trip. Welche Erfahrungen machte der deutsche Star mit den Schweizern im Prättigau? «Sehr gute. Es war sehr angenehm, dort zu drehen.» Der Schweizer Abstecher fand vor dem Pilgerabenteuer statt. «Ja, zuerst ‚Nichts passiert‘, dann aufgespeckt und wieder abgespeckt.» Was liegt demnächst an? «Ich drehe im Mai einen Kinofilm über Franz Anton Mesmer in Österreich. Ein Arzt aus dem 18. Jahrhundert, also zur Mozartzeit, dem Begründer des Animalischen Magnetismus, der 1815 in Meersburg verstarb.» Was ist spannend an einer Rolle? «Mir ist die Bandbreite einer Figur wichtig.»

 

«Stehen, Sehen, Swingen in Solothurn»

Von Rolf Breiner

Die 51. Solothurner Filmtage lockten im Januar über 65 000 Filmfans in die Kinos. Die Werkschau des Schweizer Films war geprägt von spannenden Dokumentarfilmen, der Hommage an Mathias Gnädinger und Peter Liechti.

 

Premieren, Wiederaufführungen, Frühstücks- und Podiumsgespräche – an den Solothurner Filmtagen jeweils im Januar (21. bis 28. Januar 2016) lebt der Schweizer Film. Es wird animiert, diskutiert, vor allem aber konsumiert, Filme wohl gemerkt. Auch wenn das Ticketing online verbessert wurde und sogar eine Reservation gegen Aufpreis (5 Franken) für Abendvorstellungen möglich war, gibt es Warteschlaufen, Staus vor Kassenhäuschen und bisweilen verschlossene Türen. Dann guckt der Besitzer einer Tages- oder Wochenendkarte in die Röhre bzw. in den Nachthimmel.

 

Aber lassen wir Filme und ihre Akteure sprechen. Die Retrospektive (Solothurnisch: Rencontre) war der Bündner Schauspielerin Ursina Lardi gewidmet – und mit elf Filmen präsent, etwa mit den Schweizer Produktionen «Traumland» und «Unter der Haut». Die Sichtung ihres ersten Kinofilms «Mein langsames Leben» von 2001 war eine Enttäuschung. Langweilige Intermezzi in Berlin mit viel Personal, aber wenig Struktur und Sinn. Wohl eine Filmübung der Regisseurin Angela Schanelec. Von ganz anderer Qualität war da der Fernsehfilm «Sag mir nichts» von Andreas Kleinert. Ein Ehedrama mit Kinoqualität, in dem Ursina Lardi als Ehefrau, die einem fremden Mann lustvoll und leidenschaftlich verfällt, alles gab.
Spielfilme stehen vor dem Kinostart, «Nichts passiert» von Micha Lawinsky beispielsweise mit Devid Striesow und Maret Eggert, «Die Schwalbe» von Mano Khali, wo eine Schweizerin die Spuren ihres kurdischen Vaters in Kurdistan aufnimmt, oder «Welcome to Iceland», ein bizarres Roadmovie von Felix Tissi. Markus Fischer, Produzent der Erfolgsreihe «Der Bestatter», stellte in Solothurn seinen neusten Kinofilm «Zoé & Julie – Hidden Marks» vor. Teenager Zoé ist so wütend über ihren Vater, dass sie ihn des sexuellen Missbrauchs bezichtig, bestärkt durch ihre durchtrieben Freundin Julie. Ein starkes Stück, demnächst im Kino.

 

Die grossen Entdeckungen konnte man wie häufig im Dokumentarfilmbereich machen. Fabian Kimoto dokumentierte die Arbeit seines Vaters mit dem Ostschweizer Jugendorchester  «Swing Kids»: Er begleitet die jungen Musiker auf Tournee, etwa in Japan, beschreibt ihren Enthusiasmus, ihre Freuden, aber auch ihren Kummer: «Swing It Kids» ist ein Glücksfall. Der Solothurner Filmpreis (Prix de Soleur, 60 000 Franken) ging an den Dokumentarfilm «Das Leben drehen – Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten». Eva Vitija erbte jede Menge Filmmaterial von ihrem Vater, dem Regisseur Joseph «Joschy» Scheidegger: Filme über die Familie. Er hatte alles akribisch dokumentiert, seine Tochter vertiefte sich darin und drehte einen Film nicht nur über ihre Familie. Spannend.
Den Publikumspreis in Solothurn gewann «Lina» von Michael Schaerer. Die 60jährige Lina, der die Behörden ihren Sohn Daniel wegen liederlichen Lebenswandels vor über 40 Jahren weggenommen hatte, trifft ihn wieder. Eine schmerzhafte Reise in die Vergangenheit und packendes Drama. Die Hauptdarstellerin Rabea Egg wurde mit dem Schweizer Fernsehpreis (20 000 Franken) ausgezeichnet.
Im Rahmen der Filmtage wird das Filmprojekt bekannt gegeben, das von der Migros unterstützt wird. Sieger des 6. Dokfilm-Wettbewerbs, lanciert vom Migros-Kulturprozent, ist das Projekt «Milan noir», von Sergio Da Costa. In seinem Filmprojekt geht es um die Rehabilitierung von Waldvögeln und Langzeitarbeitslosen, um Zeit in der Natur und Tempo in unserer Gesellschaft.
Solothurn bietet alljährlich auch verschiedene Foren für Künstler und Persönlichkeiten. In diesem Jahr standen zwei Menschen im Blickpunkt, welche die irdische Bühne verlassen haben. Dem markanten Mimen Mathias Gnädinger («Usfahrt Oerlike», «Der grosse Sommer») war eine Fotoausstellung von Grischa Schmitz im Künstlerhaus S11 gewidmet. Bilder vom  «Sommer»-Dreh in der Schweiz, in Japan – Stillleben und Hommage. Der verstorbene Peter Liechti wurde mit einer Lesung gewürdigt, war mit einer Installation und dem unvollendeten Filmprojekt  «Dedications» präsent (inzwischen von SRF ausgestrahlt).

 

 

 

Filmtipps

 

Für eine schöne Welt
rbr. Denkwürdige Denkanstösse. Zwei Schweizer Künstler, unterschiedlich im Ausdruck, in der Umsetzung, aber mit einem gemeinsamen Nenner: Sie verstehen Kunst als Wahrnehmung und Objekte im öffentlichen Raum. «Wir müssen uns ein Bild machen, um im Bild zu sein», sagt Gottfried Honegger (Jahrgang 1917). Er war der letzte bedeutende Vertreter der «Zürcher Konkreten». Geometrische Formen, geometrischer Ausdruck sind seine «Markenzeichen». Honegger reflektierte über das Sehen, die Wahrnehmung, die Wirkung, getrieben von der Frage: Was steckt dahinter, was macht Kunst aus, was treibt sie, was ist ihr Quell, ihr Ursprung. Am 17. Januar ist Gottfried Honegger im Alter von 98 Jahren verstorben; an der Filmaufführung seines Films im Kino Le Paris konnte er am 8. Januar noch teilnehmen und an der Diskussion seine Voten zur grossen Bedeutung der Kunst äussern.

 

Kurt Sigrist (Jahrgang 1943) aus Sachseln sind Räume wichtig, sie sind Bezugspunkte und sozusagen Resonanzböden für seine Skulpturen und Objekte. Diese Werke sollen Räume füllen, beleben, zu ihnen in Zwiesprache treten. Der Innerschweizer Filmer Erich Langjahr («Das Erbe der Bergler», «Mein erster Berg») hat die beiden Künstler in den Mittelpunkt seines Dokumentarfilms gestellt – unabhängig voneinander. Es gibt keine tatsächlichen Begegnungen zwischen ihnen, nur geistige Verbindungen, wenn man so will. Werkstattbesuche und -gespräche. Langjahr vermittelt sehr subtil und einfühlsam Ein- und Aussichten der Arbeiten, den philosophischen, denkwürdigen Hintergrund der Kunstschaffenden. So sind denn auch keine eigentlichen Porträts entstanden, sondern Reflexionen und Impressionen ihrer Arbeiten, ihrer Haltung, ihres Verständnis zur Kunst, zur Umwelt.
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Der grosse Sommer
rbr. Abschied von Mathias Gnädinger. In seinem letzten Film spielt der beliebte Volksschauspieler einen ehemaligen Schwingerkönig, der einen zehnjährigen Jungen nach Japan begleitet, der unbedingt Sumo-Ringer werden will. Anton Sommer (Gnädinger) war ein Meister seines Fachs, einst Schwingerkönig. Wir lernen ihn abert als alten grantelnden Mann kennen, der sich über den zehnjährigen Hito (Loïc Sho Güntensperger) aufregt, der im Haus herumtollt. Das Wohnhaus gehört Hitos Grossmutter, und Sommer ist Untermieter. Als die Hausbesitzerin stirbt, erbt der Junge japanischer Herkunft die Liegenschaft. Der Bub setzt den alten Mitbewohner unter Druck und bewirkt, dass der Alte ihn, mehr mürrisch als freiwillig, nach Japan begleitet. Hito will nämlich den Spuren seines Vaters folgen und Sumo-Kämpfer werden. So kommen sich der sture Pensionär und der kecke Knabe im fremden Land zwangsläufig näher. Auf ihrer kleinen japanischen Odyssee sind sie auf fremde Hilfe angewiessen, beispielsweise auf die der verwitweten Gastgeberin Masako (Mitsuko Baishô). Die Reise zur fremden Kultur wird zum Brückenschlag und Beginn einer grossen Freundschaft. Regisseur Stefan Jäger bemüht sich, diese warmherzige Annäherung zwischen Alt und Jung, Schweizerischem und Fremden schmackhaft zu machen, ist aber vor allerlei Klischee in Japan nicht gefeit. Das moderne Märchen wurde von den Autoren Theo Plakoudakis und Marco Salituro auf Mathias Gnädinger zugeschnitten. Die Liebesgeschichte einer Findung, von Emotionen geprägt, wird so zur Hommage an den beliebten Vollblutschauspieler Gnädinger.
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Die Schwalbe
rbr. Durchs wilde Kurdistan. Es war eine Taube und keine die Schwalbe, wie der Titel andeutet, welche Mira auf dem Dachboden irritierte und auf ein Packen Briefe aufmerksam machte. Es sind Briefe ihres verschollenen, totgeglaubten Vaters. Mira (Manon Pfrunder), gut behütet von ihrer Mutter, ist in Bern aufgewachsen und von der Idee besessen, die Spuren ihres Vaters aufzunehmen – in Irakisch-Kurdistan. So zieht Mira auf eigene Faust los, um ihn zu finden und zu erfahren, wer er wirklich ist. Wie zufällig taucht der deutsch sprechende Kurde Ramo (Ismail Zagros) am Flughafen Erbil in Kurdistan auf und bietet seine Dienste als «Reiseführer» an. Das freilich nicht aus lauter Nächstenliebe, erfahren wir schnell. Er hat den Auftrag, Miras Vater aufzuspüren. Aber davon ahnt die Schweizerin nichts. Die vertraut sich reichlich naiv dem unsichtigen Kurden an und kutschiert mit ihm durch die Lande. Die Fahrt ist nicht ungefährlich. Es gibt Strassensperren, garstige Beamte, wilde Soldaten, misstrauische Bauern. Man spürt recht rasch, dass die Umstände gegen die beiden «Reisenden» sind, die sich sehr nahe kommen. Diese Vorhersehbarkeit ist eine Schwäche des Films, doch die Authentizität macht dieses Manko wett – vor Ort gedreht. Dokumentarisches und Fiktives verwischen. Der Film wirkt wahrhaftig. Kein Wunder, hat Mano Khalil (Buch und Regie) doch mit seinen Dokumentarfilmen «Unser Garten Eden» und «Der Imker» bewiesen, eine kleine Welt im Grossen zu zeigen, den Menschen nahe zu sein. Die Schweizerin Mira ist in seinem jüngsten Film, der die Solothurner Filmtage 2016 eröffnete, «Die Schwalbe», der Vogel also, welcher in sein Nest zurückkehrt. Mira sucht nicht nur ihren Vater und seine Identität, sondern auch die eigene. Ein tragisches Roadmovie um die Geschichte einer Findung: bittere Klärung und Läuterung.
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Bibi & Tina
rbr. Teenager im Pfadilager. Die flotten Teenager «Bibi & Tina» starten in ihr drittes Kinoabenteuer. Im Falkensteiner Feriencamp, irgendwo im weiteren Umfeld von Berlin, sammelt sich eine Bande von Teenagern zum Schüler-Zeltlager internationaler Partnerschulen. Höhepunkt des Camps ist eine moderne Schatzsuche, die sogenannte Geocaching-Challenge. Wie kann’s auch anders sein: Das Suchspiel in freier Natur kommt aus Amerika: Mit GPS-Geräten werden versteckte Gegenstände oder Behälter (Caches) gesucht. Im Falkensteiner Forst geht es um Sterne. Es werden Dreierteams gebildet. Die Busenfreundinnen und flotten Reiterinnen, Bibi Blocksberg (Lina Larissa Strahl) mit Zauberkräften und Tina (Lisa-Marie Koroll), bilden zusammen mit dem Franzosen François (Tilman Pörzgen) das Team «Hotten Hühs». Tinas Freund Alex von Falkenstein (Louis Held), eigentlich ein netter Typ, formiert sich zusammen mit Urs Nägel (Phil Laude) und Freddy (Max von Groeben) zum Team «Die Musketiere». Urs stachelt die Jungs gegen die Mädchen an. Jetzt geht es ums Ganze: Wer ist stärker, besser, cleverer? Es geht turbulent und zauberhaft, deftig und abenteuerlich her in diesem Ferienspass mit Fun in freier Natur, mit Reit- und Flirtaktionen. Regisseur Detlev Buck, der die gute Katherina Thalbach als mütterliche Köchin einsetzt, tut alles, um zu amüsieren und ein Popcorn-Publikum zu ködern. Herausgekommen ist ein Teenie-Gaudi mit Pfadi-Anleihen, Pferden und Plausch, wobei man sich fragt, ob diese Teenager hier nicht zu chic, zu modisch und cool sind, ob solche Flirtabenteuer über Stock und Stein am Busen der Natur nicht arg weltfremd sind. Eben, ein geschöntes Teeniemärchen.
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Anomalisa
rbr. Kunstfertig. Vorweg: Die Geschichte um diesen speziellen Animationsfilm von Charlie Kaufman ist interessanter als das kunstfertige Produkt – von der Finanzierung (Crowdfunding) über Entwicklung bis zur Realisation. Ursprünglich als Hörspiel konzipiert, hat Filmsonderling Kaufman («Being John Malkovich») gegen eigene Zweifel und Hollywood-Widerstände seine Geschichte um einen einsamen Reisenden zum Laufen gebracht – im wahrsten Sinn des Wortes. Denn «Anomalisa» ist ein Puppenfilm in Stop-Motion-Technik. Das wirkt trotz augenscheinlicher Puppencharakter sehr menschlich. Der Held ist aber kein Held, sondern ein unscheinbarer Bestsellerautor, der durch die Lande reist und über seine Motivationsthesen referiert. Autor Michael Stone selbst ist ein hoffnungsloser Fall: einsam, frustriert und krank. Sein Leben ist leer, gleichförmig und routiniert, Er sieht alle Menschen gleich an, sie sind für ihn gesichtslos, austauschbar, anonym geworden wie er selbst. Im Frigoli-Hotel begegnet er Lisa und einer Freundin. Lisa Stimme, ihre unscheinbare Erscheinung weckt ihn aus seiner Lethargie. Seine Lebensgeister kehren zurück. Der gesuchte Filmtitel «Anomalisa» deutet es bereits an: Dieser Film ist ein animiertes Kunstprodukt, in das man viel hineininterpretieren kann. Ist Michael in seinem roboterhaften Wesen ein Opfer unserer anonymen Zeit, seines eigenen Frustes oder Spiegelbild einer leeren Existenz. Am Ende bleibt doch die Frage: Animiert dieser Film zu weiteren Gedanken, zum humanistischen Hinterfragen oder bleibt er nur ein Gaukelbild, mysteriös verbrämt? Es würde nicht überraschen, wenn Hollywood dieses Motion-Experiment überhöht und mit einem Oscar krönt.
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Brooklyn
rbr. Herz, Schmerz zwischen Amerika und Irland. Es gibt sie noch, diese in warmen Farben getauchten Romanzen im Kino. Der Bestseller von Colm Tóibín diente Drehbuchautor Nick Hornby als Vorlage. John Crowley verfilmte das Auswanderer-Melodram mit viel Empathie und Innigkeit. In den Fünfzigerjahren packt die junge Irin Eilis Lacey (Saoirse Ronan, Oscar-nominiert) ihre Koffer, um in Brooklyn ihr eigenes Leben zu führen. Sie ist ehrgeizig, kann langsam Fussfassen und hat grosses Heimweh, bis sie Tony Fiorello (Emory Cohen) und seine Italo-Familie kennenlernt. Man findet Gefallen, liebt sich, heiratet heimlich. Doch dann wird Eilis heim gerufen, ihre Schwester ist gestorben, und ihre Mutter sucht und will ihre Unterstützung. Obendrein bändelt die Heimkehrerin mit dem Rugby-Spieler Jim Farrell (Domhnall Gleeson) an, der sich in sie verliebt. Zwei Männer, zwei Länder, zwei Schicksale. Brooklyn oder das heimische Dorfleben – das ist die Frage. – Tóibín tischt uns eine etwas altbackene, aber herzhafte Romanze auf. Und das tut gut in lauten, hektischen Krisen- und Emigrantenzeiten. Das Leben kann doch so schön und schwierig…
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Son of Saul
rbr. Lebendig zwischen Toten. Es ist ein schwerer, unmenschlicher Stoff, der einen mitnimmt – gnadenlos und ungeschminkt. Kein vergnüglicher, entspannender Kinofilm also. Man kann die Augen verschliessen wie viele gestern und heute, oder man nimmt teil am Leben eines KZ-Häftlings in Auschwitz-Birkenau 1944. Saul, der Ausländer (Geza Röhrig), wurde einem Sonderkommando im Lager zugeteilt, diese KZ-Gefangenen müssen der Vernichtungsmaschine dienen: Juden antreiben, ihre Habseligkeiten durchsuchen, Leichen entsorgen, Ascheberge in den Fluss schaufeln. Sie können dafür ein etwas besseres Leben im Lager führen und ihr Leben um ein paar Wochen, Monate verlängern. Saul entdeckt einen Knaben, der vom Gas noch nicht umgebracht wurde, dann aber doch stirbt. Sein Sohn, meint er, und er tut alles, um ihm ein jüdisches Begräbnis mit einem Rabbi zu ermöglichen. «Son of Saul» beschreibt eine Hölle auf Erden, nicht direkt und frontal, sondern diskret, hintergründig. Die Leichen, die Verbrennungen, die Erschiessungen bleiben schemenhaft im Hintergrund – man ahnt und hört sie. Der Ton macht Musik, wobei der Film auf jeglichen Musikteppich verzichtet. So wird das Ohr geschärft, das Auge auch. Der Film nimmt strikt die Position und Perspektive Sauls ein. Obwohl Brutalität nur angedeutet, die innere und äussere Qual der Menschen nur angetönt wird, die Nazi-Greuel nur spukhaft erscheinen, ist dieser Film näher am Thema, am Mord und Martyrium an Menschen durch Menschen als bisherige KZ- oder Holocaust-Filme. Der Ungar Lászlo Nemes hat mit seinem düsteren, schier unerträglichen Drama in dunklen Brauntönen, die nur am Ende hoffnungsvolles Grün signalisieren, wahnsinnige Wirklichkeit wachgerufen. Es kann nur einen Oscar geben! Diese Nazi-Verbrechen mögen 75 Jahre her sein, bleiben aber gegenwärtig. Die Jagd des Menschen auf Menschen ist aktuell wie eh und je.
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Die dunkle Seite des Mondes
rbr. Hemmungslos. Martin Suter liess sich zu seinem Roman von einem Konzeptalbum der Rockband Pink Floyd animieren: «The Dark Side oft the Moon» erschien 1973 und wurde zu einem der erfolgreichsten Alben der Rockgeschichte. Es wurde über 50millionenfach verkauft. Der Titel bezieht sich auf eine Bemerkung des Schriftstellers Mark Twain. Der meinte, der Mensch sei ein Mond, der eine dunkle Seite habe, die er niemandem zeige. Und diese dunkle Seite des Menschen interessierte auch den Schweizer Autor. «Die dunkle Seite des Mondes» erschien im Jahr 2000 (Diogenes Verlag), Suters zweiter Roman. Als Kenner der Wirtschaftswelt und Kolumnist («Business Class») war es also naheliegend, dass seine Hauptfigur Urs Blank ein Wirtschaftsanwalt war. Der hatte einen grossen Deal, sprich Fusion, eingefädelt. Pius Ott und sein Konzern Confed sind Nutzniesser dieses Coup. Ott ist begeistert von Blanks Arbeit und engagiert ihn für eine nächste Grosstat, der Fusion mit einem britischen Pharmariesen. Doch eh der smarte Anwalt, liiert mit der erfolgreichen Galeristin Evelyn, den Triumph so richtig geniessen kann, wirft ihn ein tödlicher Zwischenfall aus der Bahn. Patriarch Dr. Fluri, dessen Firma über den Tisch gezogen wurde beim Deal mit dem Konzern Confed, erschiesst sich vor Blanks Augen. Irritiert, konsterniert, schockiert, sucht Urs Blank sein (Seelen-)Heil im Wald. Auf seinen Irrgängen trifft er auf Lucille, eine junge alternative Frau. Und die verleitet den orientierungslosen Städter an einer Waldparty teilzunehmen. Diese seltsame Kommune leitet ein gewisser Joe Gasser, der psychedelische Pilze anbietet. Aussenseiter Blank will sich keine Blösse geben und wirft sich die «Droge» rein. Er hebt ab, verliert sich total und streift alle Hemmungen ab. Er fühlt sich unbeschreiblich, lebt und liebt sich bei Lucille aus. Doch Hand in Hand mit dieser Wandlung, bauen sich Aggressionen auf – gegen Mensch und Tier. Urs Blank verliert die Kontrolle, quittiert sein Frankfurter Business-Leben und sucht verzweifelt ein Gegenmittel, einen Gegenpilz. – Mag auch einiges an kritischen Tönen, an psychologischen Feinheiten verloren gegangen sein, so muss man Regisseur Stephan Rick und Coautorin Catherina Junk zugutehalten, dass sie Suters Applikationen und Ambitionen nicht aus den Augen verlieren. Die Gegensätze Stadt und Wald (gedreht wurde in Köln und Luxemburg), Geschäftswelt und Hippieszene, Leidenschaft und Gewalt sind klare Fixpunkte. Das Finale ist freilich kinoreif erhöht, es kommt zum westernartigen Showdown. Bei diesem Trip in die Abgründe überzeugen die Darsteller: Nora von Waldstätten agiert als Hippie-Attraktion, Jürgen Prochnow («Das Boot») spielt den passionierten Jäger und berechnenden Bösewicht Ott in gewohnt schurkischer Manier, und Moritz Bleibtreu nimmt man den Anwalt auf Abwegen, den Mann mit der dunklen Seite eben, jederzeit ab. Der mörderische Psychothriller fand auch den Gefallen des Autors. Der Leser wird sich dabei etwas denken.
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Janis: Little Girl Blue
rbr. Von Einsamkeit gequält, von Musik beseelt. Sie starb vor über 45 Jahren, und doch ist ihre Stimme präsent wie die von Elvis oder Ella. Mit dem Kris-Kristofferson-Song «Me and Bobby McGee» landete sie einen Hit und wurde Nummer eins in den Charts – nach ihrem Tod 1970. Janis Joplin, die Rockikone aus Texas, lebte und sang wie sie starb – exzessiv, extraordinär, einmalig. Regisseurin Amy Berg hat sie filmisch gebannt – 45, bald 50 Jahre danach. Sie zeigt die Bluesrockerin mit dem Soul-Feeling auf ihrem einsamen Weg zum Ruhm, zum Untergang. Wir erleben die Performerin, die sich den Schmerz aus der Seele sang und das Publikum überwältigte, wie sie sich dem Alkohol, Drogen, Sex, vor allem aber der Musik hingab, um die Einsamkeit, den Schmerz zuzuschütten, den Druck abzuschütteln. Sie war die Vorreiterin eines weiblichen Rockstars: eine Kultfigur – hippig, bluesig, rockig. In Konzertausschnitten, Privatmomenten, Texten und Briefen an ihre Eltern wird sie lebendig. Die Statements von Kris Kristofferson, Country Joe McDFonald und anderen beschreiben eine Frau, in der Jugend gehänselt, im Leben vereinsamt, in der Musik aufgegangen. Ihre Leidenschaft, ihre Totalaufgabe, ihre hypnotische Bühnenwirkung, ihren Schmerz, ihre Tragik spiegelt sich in dieser Dokumentation wieder – bis hin zu ihrer Botschaft «Move and feel, feel, feel!» Man sehe und höre – für alle, die sie aus alten Tagen kennen und solche, welche sie im Kino neu oder wieder erleben wollen.

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Suffragette
rbr. Männern die Stirn bieten. Man bedenke: Vor gut 100 Jahren (!) wurden Frauen in England politisch aktiv und begründeten eine Bewegung, die das Männerjoch brechen wollten und den Staat herausforderten. Sie, die sogenannten Suffragetten, verschafften sich in London Gehör, forderten Wahlrecht und Gleichstellung, wurden aber vom Staat, sprich Männern, ausgebremst, in den Untergrund getrieben und kriminalisiert. Dabei ging es anfangs um das Recht des Rauchens (es war in der Öffentlichkeit Männern vorbehalten), letztlich um Gleichberechtigung. Da die Staatsträger solches verweigerten, radikalisierte sich die bürgerliche Women’s Social and Political Union. Emmeline Pankhurst, später ihre Tochter Christabel, waren die Anführerinnen dieser Bewegung. Nach dem Ersten Weltkrieg, also 1918 erhielten Frauen über 30 Jahren mit Grundeigentum das Wahlrecht in Grossbritannien. In memoriam, in der Schweiz wurde das Stimm-und Wahlrecht für Frauen erst 1971 eingeführt! – Im Spielfilm «Suffragette» schildert die Britin Sarah Gavron die Anfänge der bewegten Frauen in London. Die Wäscherin Maud Watts (Carey Mulligan) gerät um 1913 eher zufällig in eine militanten Protestaktion der Suffragetten. Kollegin Violet (Anne-Marie Duff) fordert sie auf mitzumachen, doch erst die sehr aktive Apothekerin Edith (Helena Bonham Carter) und die Frauenrechtlerin Alice (Romola Garai) können sie aktivieren. Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) überzeugt sie dann endgültig, sich voll und ganz für die Sache einzusetzen. Doch als Maud mit Mitstreiterinnen für eine Woche im Knast landet, bricht ihr Mann mit der Aktivistin und gibt ihren gemeinsamen Sohn zur Adoption frei. Die Auseinandersetzungen eskalieren, Eine Frauenrechtlerin opfert sich. – Sarah Gavrons Politdrama arbeitet einerseits ein historisches Kapitel auf und erzählt andererseits die Geschichte einer Frau, Maud, die fast alles verliert, aber Würde, Selbstachtung und ihre eigene Stimme findet. «Jede Tochter sollte diese Geschichte kennen, jeder Sohn sollte sie in ihrem Herzen tragen», meint Schauspielerin Meryl Streep. Dem ist nichts hinzufügen.

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Nichts passiert
rbr. Verdrängen, vertuschen, verschwinden. Thomas Engel (Devid Striesow) hat etwas gutzumachen und sucht sein Familienheil in den Schweizer Bergen. Er macht Skiferien im Prättigau – mit Ehefrau Martina (Maren Eggert), Tochter Jenny (Lotte Becker) und dem Teenager Sarah (Annina Walt), Tochter seines Chefs. Alles bestens, bis die Girlies in den Ausgang gehen und an den Dorfburschen Severin (Max Hubacher, «Der Verdingbub») geraten. Die ahnungslose Sarah verliert die Kontrolle und wird leichte Beute für Severin. Eine Fahrlässigkeit, eine Vergewaltigung? Die verzweifelte Sarah vertraut sich Thomas an, der letztlich jedoch das Risiko scheut, der Sache auf den Grund zu gehen und öffentlich zu machen. Doch Sarah lässt nicht locker, verunfallt und leidet an Erinnerungsstörungen. Thomas greift zum äussersten Mittel. – Micha Lewinsky («Die Standesbeamtin») erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich vor der Verantwortung drückt, Probleme am liebsten verdrängt, verschweigt und sich so immer tiefer im Netz von Lügen und Verharmlosung verstrickt. Thomas wird vom Zeugen zum Täter. Er sucht Harmonie, heile Welt sucht, verfängt sich aber in einer Abwärtsspirale, die er sich selber gelegt hat. Ein spannender Film, gedreht zwischen Landquart und Davos, mit überzeugender Besetzung. Dabei kristallisiert sich die Kernfrage heraus: «An welchem Punkt werden wir zum Mittäter, einfach weil wir uns nicht einmischen? An welchem Punkt machen wir alle uns jeden Tag schuldig, indem wie uns nicht gegen Unrecht wehren, von dem wir wissen?» (Lewinsky).
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Die weisse Arche
rbr. Dem Tod ganz nah. Der Luzerner Edwin Beeler («Arme Seelen») setzt sich mit spirituellen Fragen auseinander, mit existentiellen und absoluten. Am Ende jeden Lebens steht der Tod. Wie geht man damit um, welchen Einfluss nimmt er aufs Leben? Beeler begleitet verschiedene Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig damit konfrontiert werden. Wie ein roter Faden ziehen sich die Erfahrungen und Erkenntnisse der Pflegefachfrau Monika Dreier durch den Film. Sie wurde von einer Schneelawine erfasst und kam dem Tod sehr nahe. Seit diesem einschneidenden Erlebnis hat der Tod für sie seinen Schrecken verloren, er macht ihr keine Angst mehr. Leiden und Sterben sind auch für Sterbebegleiter und Kapuzinermönch Martin Germann allgegenwärtig. Der Förster, Mystiker und Heiler Sam Hess fühlt sich Seelen nahe, die keine Ruhe gefunden haben und im Irdischen noch verhaftet sind. Er nimmt mit ihnen Verbindung auf und weist den Verlorenen einen Weg nach «drüben». Eugen Bollin, Kunstmaler und Benediktinermönch im Kloster Engelberg, versucht Engel in seiner Kunst aufzuspüren und «festzuhalten». Sie alle setzen sich stark mit spirituellen Frage, dem Leben und dem Tod auseinander, geistig und tätig. So begleitet der Film den 81jährigen Pater Fromund im Rigi-Klösterli bis zur letzten Stunde. Inspiriert von Niklaus Meienbergs Erzählung «O du weisse Arena am Rande des Gebirges», dokumentiert Beeler menschliche Erfahrungen und Erkenntnisse über das Sterben und den Tod, über Empfindungen und Reflexionen darüber, verbunden mit erhabenen Bildern der Bergwelt und klösterlichen Lebens. Das verleiht dem Dokumentarfilm eine gewisse Erhabenheit und Würde, wirkt aber auch abgeschieden und abgehoben. Das Sterben hat so nichts Schmutziges, Qualvolles, Leidvolles mehr, es wird zum Übergang in eine andere Dimension, eine andere Welt. Der Nachrichtenalltag, die Meldungen über Krieg, Tod, Verderben und Verbrechen werden ausgeklammert. Beeler konzentriert sich auf Menschen am Ende ihres erfüllten Lebens. Das junge Sterben ist ein anderes Kapitel. So wird sein Film einerseits zum Trostspender, andererseits zum denkwürdigen philosophischen Exkurs über Ängste und Endlichkeit.
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Swing It Kids!
rbr. Schwung fürs Leben. Seine Liebe zur Musik führte ihn von Japan nach Europa, in die Schweiz und in den Thurgau. Dai Kimoto, ehemals Trompeter und ehemaliges Bandmitglied bei Tony Evans und Max Gregor, fand seine Lebensaufgabe, sein Wissen, seine Liebe zur Musik an Kinder weiterzugeben und gründete eine Band, die nur aus Kindern (bis 18 Jahren) aus der Bodenseeregion besteht. Die Thurgauer Swing Kids sind ein Phänomen, sie verbinden Spielfreude, Begeisterung für Musik und Teamgeist. Dais Sohn Fabian hat diese einzigartige Formation auf Reisen von der Schweiz nach Argentinien, nach Amerika und Japan über Jahre begleitet. Entstanden ist kein Tourneefilm, sondern eine Dokumentation über ein Leben mit Musik, eine Lebensschulung, über die Entwicklung und Reifung einzelner Mitglieder, etwa über die quirlige achtjährige Saxophonistin Ayleen, über Flavio und Nico, die zu Führerpersönlichkeiten reiften und mit 18 Jahren die Band verliessen, verlassen mussten. Dass eine mehrwöchige Japan-Tour nicht nur Erfolge und Sonnenseiten beschert, sondern auch Probleme und Tränen hervorruft, beschreibt der Film ebenso wie die Intentionen des Leiters und Lehrers Dai Kimotos auf einfühlsame und sympathische Weise. Er sei als Kind in die Band eingetreten, resümiert Nico, und als Erwachsener gegangen. «Swing It Kids!» schwingt das Kino, ein Film, der Spass macht – mit Herz und Tiefgang.
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Hail, Caesar!
rbr. Sandalen-Clooney und andere Scherze. Einen Spass wollten sie sich machen, die Brüder Ethan und Joel Coen und liessen Frauenliebling George Clooney als römischen Sandalen-Söldner aufmarschieren und Scarlett Johansson als Badenixe ins blaue Nass springen wie weiland Esther Williams zu Goldenen Hollywoodzeiten. Da tanzen Matrosen (dabei Channing Tatum als Gene-Kelly-Verschnitt), zicken Stars und Starlets. Der Filmtitel «Hail, Caesar!» annonciert bereits das Genre: Wir verulken Hollywood! Und so muss Filmstar Baird Whitlock (George Clooney) als fescher, aber tumber Feldherr Cäsar (welch stramme Waden!) blöde Sätze aufsagen und wird, mittelschwer beduselt, Objekt einer Entführung direkt vom Set. Ausgerechnet Kommis (kommunistische Drehbuchautoren und andere Filmschaffende), erklärte Weltverbesserer also, haben sich des Stars bemächtigt. Sie meinen es ja nicht bös, verlangen aber immerhin 100 000 Dollar Lösegeld. Das bringt Studiomanager Eddie Mannix (Josh Brolin) in die Bredouille und auf die Palme, denn nun droht der geplante Blockbuster, der Super-Sandalenstreifen «Hail, Caesar!», ins Stocken zu kommen. Da hilft nur eins: Der Pistolero für knifflige Situationen (im Western und in den Capitol-Studios), der minder begabte Jungstar Hobie Doyle (Alden Ehrenreich), muss eingreifen, diesmal aber real oder was real in den Hollywood heisst. Nun, das groteske Gaudi hält sich in Grenzen. Das Coen-Regiegespann streut zwar einige nette Persiflage-Splitter ein – etwa über Star- und Futterneid, Gene-Kelly-Reminiszenzen oder Glanz- und Glamourtand. Die Brüder warten mit namhaften Mimen wie Tilda Swinton als doppelte Klatschreporterin, Ralph Fiennes als genervten Regisseur und mehr auf. Doch die nur teilweise amüsante Nummernrevue erweist sich als selbstverliebtes Gag-Panoptikum, das nur phasenweise vergnügt, etwa dank der kommunistischen Verschwörer- und Kidnappertruppe, welche, wie einst die Politclique um McCarthy herbeidichtete, Hollywood indoktrinieren und unterwandern will. Die Story bleibt gleichwohl banal, durchsichtig und ist vor allem albern. Insgesamt enttäuscht die Show-Satire und Star-Groteske über Hollywoods goldene Fünfzigerjahre, sie scheitert mehr oder weniger grandios.
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Mustang
rbr. Türkischer Widerstand und Ausbruch. Sommerferien am türkischen Meer. Nein, es geht hier nicht um einen netten Urlaubsflirt, eine meerumspülte Beziehungskiste, wie sie Brad Pitt und Angelina Jolie in «By the Sea» modisch vorführten. Fünf Schwestern stürmen in die Sommerferien. Sie wohnen in einem türkischen Dorf an der Schwarzmeerküste und werden nach dem Tod ihrer Eltern von Onkel und Grossmutter erzogen. Die fünf Wildfänge – der Titel «Mustang» nimmt Bezug auf ihr ungestümes Temperament, ihren Freiheitsdrang – vergnügen sich mit Jungs am Strand, tollen herum, eine «reitet» auf den Schultern eines Burschen. Alles nur Spass. Denkste, denn ihr jugendliches (unschuldiges) Treiben wird beobachtet und an die Verwandten weitergemeldet. Das gehört sich nicht, das ist skandalös und «beschädigt» das Ansehen der Familie, die Moral, meinen die Altkonservativen. Kurzerhand sorgt der Onkel dafür, dass die fünf Teenager eingeschlossen werden, sich einer strengen Kleiderordnung und einem Sittenunterricht unterziehen müssen. Ganz nebenbei werden die Schwestern von der Schule, sprich Bildung, ausgeschlossen. Natürlich um die Fünferbande vor der bösen Welt, den Burschen oder was auch immer zu schützen, letztlich jedoch um Sitte und Ordnung zu wahren. Die eine oder andere beugt sich der Tradition wie vorbestimmter Heirat etc. Doch der Durst nach Befreiung und Freiheit bleibt. Die älteren Schwestern Sonay (Ilayda Akdogan), Ece (Elit Işcan) oder Selma (Tuğba Sunguroğlu) zerbrechen, allein, Lale (Güneş Sensoy), die Jüngste, macht ihren Weg. – Deniz Gamze Ergüven, in Ankara geboren, in Frankreich und den USA zuhause, beschreibt in ihrem Mädchendrama ein Dilemma der heutigen türkischen Gesellschaft – von Männern dominiert zwischen altväterlichem Sittenkodex und Moderne, zwischen Verbohrtheit und Selbstverwirklichung, zwischen Zwängen und Befreiung. Ein intimer, authentischer Film, der in der Türkei heftige Reaktionen auslöste. Die Filmautorin wünscht sich, dass sich mit ihrem Film kleine Türen öffnen für Mädchen wie diese fünf Schwestern, die Opfer einer erstarrten Gesellschaft werden.
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Zoė & Julie
rbr. Diffamierung. Kinder können sehr berechnend und hinterhältig sein, verletzte Teenager erst recht. Das bekommt Valentin (Thomas Sarbacher), Journalist und Vater der 17jährigen Zoė (Nurit Hirschfeld), zu spüren. Sie giftet und beschimpft Valentins Freundin Jasmin (Maria Boettne), wird unverschämt, bringt ihren Vater zur Weissglut und fängt sich eine Ohrfeige ein. Das animiert Zoė – mit subversiver, tätiger Mithilfe ihre Freundin Julie (Diana M. Frank) – ihren Vater des sexuellen Übergriffs zu bezichtigen. Das ruft auch Julies Eltern (Carina Braunschmidt und Siegfried Terpoorten) auf den Plan, die Zoė bestärken, die Polizei einzuschalten. Die Lüge nimmt ihren Lauf, und die Justizmaschinerie beginnt zu mahlen. Wie kann Mann diesen Vorwürfen, diesen infamen Beschuldigungen entkommen? In Markus Fischers Teenager- und Gesellschaftsdrama ist das Täter-Opfer-Täter-Szenarium eine Sache, der psychologische Hintergrund eine andere. Zwei Ebenen, eine gegenwärtige und eine vergangene, sind miteinander verzahnt und bedingen einander. Es geht dabei nicht nur um Zicken und Pubertät, verletzte Eitelkeit und Eifersucht, sondern mehr um traumatische Erlebnisse und einen Justiz-Apparat, der einen Beschuldigten zermalmen kann. Regisseur Fischer, sehr erfolgreich auch als Produzent der TV-Reihe «Der Bestatter», liess sich von einer wahren Geschichte in «Der Zeit» inspirieren und schuf ein packendes Drama über Missbrauch in mehrfacher Hinsicht – sehr gut gespielt und fesselnd inszeniert.
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Photo/Film