FRONTPAGE

«Nina Hoss – Eine Frau, die sich nicht wegduckt»

Von Rolf Breiner

Als gnadenlose Medea beeindruckte sie auf den Bühnen von Berlin und Zürich. Medea, die ihre Kinder umbrachte, um sich an ihrem treulosen Gatten zu rächen. Nun kommt sie auf die Leinwand als unbändig-unabhängige Ärztin in Zeiten der DDR und Stasi zwischen Arztpflicht und persönlichen Ambitionen. Nina Hoss spielte diese starken Frauengestalten, einerseits die antike Furie im griechischen Drama von Euripides, andererseits die Ärztin im Film «Barbara» von Christian Petzold.

Die Rolle der Barbara, wegen ihres Ausreiseantrags in der DDR strafversetzt von Berlin in ein Provinznest an der Ostsee, legt Nina Hoss subtil, verschwiegen und innig intensiv an. Sie geht ihren Weg quasi von der ärztlichen Pflicht ins Private. Barbara ist keine angepasste Zeitgenossin, sie will um alles in der Welt die DDR, die ihr auch Heimat ist, verlassen, will ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit.

Wie nähert man sich einer Figur aus den Achtzigerjahren, die rigoros ein Fluchtziel verfolgt und letztlich doch zugunsten eines jungen Menschen verzichtet?
«Ich habe mir eine Biografie für Barbara überlegt», erzählt Nina Hoss im Gespräch. «Es muss eine Begebenheit, einen Moment gegeben haben, der zu diesem Widerstand, dieser Kraft geführt hat. Sie ist keine Unberührbare, sie ist von diesem Land infiziert und identifiziert sich mit ihm zwangsläufig. Ihrer Entscheidung, aufzubrechen, kommt das System dazwischen. Und doch verfolgt Barbara weiter die Idee, ihre Heimat zu verlassen. Letztlich wird ihr Abkommen vom Weg durch Menschen beeinflusst, auch vom Arztkollegen André. Ihre letzte Entscheidung beruht auf Nachdenken und bietet auch eine Chance. Der Film lässt es offen.»


Die Ärztin Barbara, Stasi-Schnüfflern ausgesetzt, beargwöhnt, überwacht, misstraut auch ihrem Kollegen André – nicht unbegründet. In diesem Klima des Argwohns, der Bespitzelung und Bevormundung ist Barbara auf sich alleingestellt, sie nähert sich André an, doch Vertrauen ist etwas anderes, gleichwohl bahnt sich eine Liebesbeziehung an. Wie schätzt die Hauptdarstellerin dieses Liebes- und Sozialdrama ein?

«Der Film ist in einer speziellen Zeit, der so genannten „bleiernen Zeit“ der DDR um 1980, verankert. Es geht um Freiheit in Lebensfragen, um Entscheidungen, bei denen man gleichwohl Würde und Haltung wahrt. Barbara ist eine Frau, die sich nicht wegduckt.»


Das höchst intime Drama «Barbara» lässt sowohl den Polit- und Provinzmief dieser Zeit spüren, aber auch friedvolle Landschaftsidyllen für sich sprechen, in der der Mensch Geborgenheit sucht. Obwohl der Film historisch orientiert ist, kann man ihn auch universell lesen – als Allegorie auf Selbstverwirklichung und Menschenachtung, gesellschaftlichem, staatlichem Druck ausgesetzt.
Zusammen mit Regisseur Christian Petzold hat die Stuttgarterin Nina Hoss (geboren 1975, Sternzeichen: Krebs) inzwischen fünf Kinofilme gedreht. Gibt es da so etwas wie verschworene Gemeinschaft, eine Seelenverwandtschaft?
«Nein, von einer verschworenen Gemeinschaft kann man nicht sprechen», meint die Schauspielerin. «Wir sind befreundet, aber nicht verschworen. Ich unterhalte mich mit Christian über viele Dinge, wir gucken viele Filme zusammen, tauschen uns über unsere Berufe aus. Uns verbindet etwa, dass wir nach ähnlichen Dingen suchen. Wir sind uns eben sehr treu.»


Wie spielte sich das beispielsweise bei «Barbara» ab?
«Wir proben, zuerst eine italienische Probe, das heisst: wir lesen, spüren dem Klang des Buches nach. Dann gibt es Gespräche, weitere Proben. Bei „Barbara“ waren die Räume bereits drei Wochen vor Drehbeginn fertig. Das hat mir die Arbeit sehr erleichtert. Ich wusste, wo ich mich bewegen werde.»

«Barbara» erhielt den Silbernen Bären an der Berlinale und die Silberne Lola (Deutscher Filmpreis). Der Film wurde hoch gehandelt, achtmal nominiert für den Deutschen Filmpreis 2012 und doch nur einmal ausgezeichnet. Nina Hoss war in der Kategorie Schauspielerin gar nicht nominiert worden. Hat sie das Ergebnis gewurmt?
«Nein, ich fand es nur sehr merkwürdig.»


Nina Hoss wurde 1997 mit der Goldenen Kamera («Das Mädchen Rosmarie») ausgezeichnet, 2000 als Deutscher Shooting Star für die Berlinale bestimmt. 2003 und 2005 erhielt sie den Grimme Fernsehpreis, 2006 den Bayrischen Filmpreis für «Die weisse Massai», 2007 den Silbernen Bären für «Yella» und 2008 den Deutschen Filmpreis, 2009 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, 2010 den Verdienstorden des Landes Berlin. Was bedeuten ihr Preise und Orden?
«Die Verdienstmedaille hatte sicher mit meiner Herkunft zu tun – so zusagen als Botschafterin der Kultur, der Berliner Verdienstorden mit meinen sozialen Aktivitäten», erklärt die mehrfache Preisträgerin. «Preise sind wie ein kurzes Innehalten, wo man Kraft tanken kann. Sie sind Ausdruck der Wertschätzung, in dem Sinne: Wir sehen, was du tust, und wir schätzen, was du tust».

 

Nina Hoss lebt in Berlin und ist seit 1998 dem Deutschen Theater als Ensemblemitglied verbunden. Sie spielte unter anderem 2009 in «Öl», dem Stück des Thuners Lukas Bärfuss, uraufgeführt in Berlin, oder in Shakespeares «Was ihr wollt» in Zürich. Sie war die «Medea», inszeniert von Barbara Frey, 2006 in Berlin und 2011 am Zürcher Schauspielhaus. Und immer wieder regelmässig Kinofilme seit dem «Mädchen Rosmarie» 1996 von Bernd Eichinger, ihrem Durchbruch. Wie kriegt man das künstlerisch unter einen Hut? Was macht den Unterschied?
«Die Art und Weise der Erarbeitung einer Rolle, einer Figur ist unterschiedlich», weiss Nina Hoss aus Erfahrung. «Die Arbeit am Text und der Figur am Theater ist anders, man bewegt sich eher im Team. Und dann trifft man direkt aufs Publikum, spürt sofort Reaktionen. Die Erarbeitung einer Figur beim Film ist einsamer. Meistens trifft man erst auf dem Set auf Kollegen. Man muss frei und offen sein, auch weil vieles eintrifft, was nicht geplant ist».


Ist es nicht auch so, dass ein Theaterauftritt einmalig originell ist und nicht wiederholt werden kann, während der Film eine Auslese von Takes, ein Zusammenschnitt, eine Komposition ist, der erst am Schneidetisch entsteht?
«Das mag sein. Ich brauche beides – Film und Theater. Nur Drehen wäre nichts für mich. Beim Theater bleibe ich in Bewegung, entwickelt die Figur jeden Abend weiter. Ich habe einfach grosse Lust zu spielen. Aber auch beim Film gibt es Theatermomente. Bei Christian Petzold gibt es meistens nur einen Take, einen Moment – und der genügt

 

Und wie ist das, wenn man sich überlebensgross auf der Leinwand sieht? Kann man sich aushalten?
«Je öfter ich mich in einem Film sehe, desto besser kann ich mich aushalte, versuche meine Wirkung zu verstehen. Beim dritten Mal kann ich den Film geniessen, muss nicht mehr auf Einstellungen und Schnitte schauen».


Nina Hoss hat zwei Gastspiele im Zürcher Schauspielhaus gegeben, wie gesagt in «Was ihr wollt» und in «Medea». Ist eine weitere Zusammenarbeit mit Barbara Frey, der Schauspielhausdirektor denkbar?
«Ja natürlich. Es ist eine Frage der Zeit, der Abstimmung mit anderen Projekten. Konkret haben wir nichts geplant.»


Was blieb von Zürich an Eindrücken?
«Auf Zürich konnte ich mich nicht richtig einlassen. Man taucht ab in der Arbeit. Ich habe ein kulturinteressiertes Publikum wahr genommen. Man spürte aber auch, dass man im Ausland, in einem anderen Sprachraum ist. Das Gefühl wurde einem gegeben

 

Jetzt steht Nina Hoss im Deutschen Theater in Berlin auf der Bühne – im Schnitzler-Stück «Der einsame Weg», inszeniert vom «Barbara»-Regisseur Christian Petzold, in Gorkis «Kinder der Sonne» oder in Tschechows «Kirschgarten». Und was kommt dann fürs Kino?
«Es gibt eine Art Western. Er soll „Gold“ heissen und sich um den Goldrausch drehen. Wir drehen in Kanada, Vancouver und Umgebung. Eine Emigrantengeschichte. Ich spiele eine alleinstehende Frau, die sich aufmacht wie viele andere auch. Regie führt der deutsch-türkische Filmer Thomas Aslan».

 

Nina Hoss, vielen Dank für das Gespräch mit Ihnen für Literatur & Kunst.

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Photo/Film