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«Walter Jonas: Trichterhaus und Intrapolis»

Von Stefan Howald

Walter Jonas (1910–1979) war in seltener Weise universell begabt. Am spektakulärsten ist sein Trichterhaus, 1961 entworfen, ein Gebäude für 2000 Menschen in Form eines Trichters oder Pfifferlings, die mit den nach innen gerichteten Wohnungen eine ganz eigene Gemeinschaft bilden sollten. Ist die Zeit reif für das Trichterhaus? Auszüge aus der vielfältigen Biografie von Stefan Howald.

Das Trichterhaus und die Intrapolis: Dieses urbanistische Engagement beschäftigte Walter Jonas ein Jahrzehnt lang, und er leistete damit einen international beachteten Beitrag zur Stadterneuerung. Es war die zweite Karriere des Künstlers.

Denn Walter Jonas, 1910 geboren, begann als Maler, und Maler blieb er sein Leben lang. Als solcher war er eine Hoffnung, schon in Berlin und Paris, wo er seine Ausbildung machte, und dann nach der Rückkehr in die Schweiz 1936. Seine Bilder beeindruckten durch expressive Gestaltung und Farbigkeit. Sonnendurchglühte Landschaften standen neben eindringlichen Porträts.
Als Radierer brillierte er unter anderem mit Illustrationen zum Gesamtwerk von Jeremias Gotthelf. Walter Jonas war zudem ein Pionier der Kunstvermittlung im Fernsehen. In den Anfängen der Schweizer Television begeisterte er mit engagierten, anschaulichen Kunstsendungen.

Dann kam das Trichterhaus. Oder besser: die Intrapolis als ein philosophisch utopisches Konzept des Wohnens. Die vorliegende Biografie will Walter Jonas’ Leben und Werk als Künstler, Urbanist und Denker lebendigmachen und in seine Zeit stellen. Jonas stand selber mittendrin, durch breit gefächerte Interessen und vielfältige Bekanntschaften. Das Buch lenkt deshalb den Blick auf Personen in seinem Umkreis: auf den Philosophen Manès Sperber etwa, den Kunstsammler Werner Coninx, den Ethnologen John Willoughby Layard, den Kunstkritiker Armin Kesser, den Plastiker Zoltán Kemény, den Architekturkritiker Michel Ragon oder den Schriftsteller Rudolf Jakob Humm. Präsentiert werden Mosaiksteine zu einer schweizerischen und europäischen Kulturgeschichte.

 

Jonas selber, der 1979 starb, blieb die letzte, die anhaltende Anerkennung verwehrt. Was ihn auszeichnete, behinderte zugleich seine Durchsetzung und seinen Nachruhm: die Vielseitigkeit. Er konnte vieles, doch manchmal trieb ihn die Ungeduld weiter, ohne ein Werk zu vollenden. Umgekehrt trug Walter Jonas zu den verschiedenen kulturellen Strömungen seiner Zeit bei. Sich darauf einzulassen heisst vielfältige Entdeckungen zu machen.

 

 

Berlin, Paris, Zürich
In Berlin und Paris entwickelte er als junger Maler einen Spätexpressionismus eigener Prägung. Während des Zweiten Weltkriegs trafen sich in seinem Zürcher Atelier bedeutende Kulturschaffende; u. a. schrieb der junge Friedrich Dürrenmatt dort seine ersten literarischen Texte. Mit Dürrenmatt realisierte Jonas 1943 auch das Buch einer Nacht, das beeindruckende Radierungen enthält, er illustrierte in den 1950er-Jahren eine mehrbändige Gotthelf-Ausgabe und Max Frischs Don Juan. Ab 1954 moderierte er erfolgreich die ersten Kunstsendungen des Schweizer Fernsehens. Auf Reisen nach Indien und Brasilien erweiterte er seine Ausdrucksformen als Maler.

 

International bekannt wurde Walter Jonas jedoch durch seine spektakuläre Vision einer Stadt der Zukunft: Ab 1960 stellte er mit seinem Trichterhaus und der «Intrapolis» ein originäres urbanistisches Konzept zur Diskussion, das soziale, ökologische und ästhetische Ideen verbindet und aktueller ist denn je. Die an Jonas’ vielfältigem Werk orientierte Biografie ist mit Abbildungen von Gemälden, Radierungen sowie Zeichnungen und Modellen der «Intrapolis» illustriert.

 

Die Wohnung als Ort der Sammlung und Selbstfindung
In der einsetzenden Hochkonjunktur der 50er Jahre muss sich die Schweiz neu erfinden. Der Verkehr überflutet das Land, städtebauliche Debatten beginnen. Gründen wir eine neue Stadt, fordert unter anderen Max Frisch. Auch die japanischen Metabolisten diskutieren die Stadt mit flexiblen Grossstrukturen für die zukünftige Massengesellschaft. Walter Jonas Konzept «Intrapolis» ist ein ganzheitlicher Ansatz, ein neues Gemeinschaftsgefühl mit dem modernen Individualismus zu verbinden: Ökologie avant la lettre. Doch die Versuche praktischer Umsetzung, vor allem in Deutschland, scheitern.

 

Um 1960 zeichnete sich ein Bruch mit dem seit Anfang der 1930er Jahre dominierenden Konzept der architektonischen Moderne ab. Diese war dreissig Jahre zuvor wesentlich durch Le Corbusier (1887-1965) geprägt worden. Auf dessen Initiative und unter Mitarbeit des Kultur-wissenschaftlers Siegfried Giedion hatte die Mäzenin Hélène de Mandrot-Revilliod im Juni 1928 knapp dreissig Architekten auf ihr Schloss La Sarraz bei Lausanne eingeladen.

 

Dabei wurde die regelmässige Durchführung von Kongressen zur modernen Architektur beschlossen, deren Akronym CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) zugleich zur Bezeichnung einer ganzen Bewegung wurde. Das Gründungsmanifest der CIAM im Sommer 1928 erklärte Bauen und Architektur zu elementaren menschlichen Tätigkeit, die eine soziale und wirtschaftliche Aufgabe im Dienste der Menschen hätten und den Geist einer Epoche ausdrücken sollten.
Bis 1937 wurden fünf CIAM durchgeführt; nach dem Krieg 1947 wieder aufgenommen, es folgten im zwei-, dann dreijährigen Abstand fünf weitere, bis zur Auflösung 1959.

 

1952 konnte Le Corbusier in Marseille mit der ersten Verwirklichung einer Wohnsiedlung, seiner Unité d’Habitation beginnen, heute noch, renoviert, ein Vorzeigemodell in Marseille. Zugleich wurden im indischen Chandigarh und mit Brasilia in der Dritten Welt Städte nach funktionalistischen Kriterien geplant und gebaut, wobei in Chandigarh Le Corbusier das Gesamtprojekt leitete, Brasilia im Wesentlichen von Oscar Niemayer geprägt wurde.

 

Probleme der Realisierung des Trichterhauses
Am 28. September 1961 lancierte Walter Jonas den Vorschlag für ein so genanntes Trichterhaus in der Tat.  Im Rückblick hat Jonas das Trichterhaus als Kulmination einer langen Beschäftigung mit dem Thema menschengerechten Wohnens dargestellt.
Anfang Oktober 1966 wurde die «Intrapolis» innerhalb einer GIAP- Ausstellung in der Galerie Arnaud in Paris vorgestellt.
1975 waren jedoch alle Realisierungsversuche für eine Intrasiedlung gescheitert. 1977 unternahm Jonas nochmals einen Anlauf und schickte Horst Becker ins deutsche Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Unterlagen zu einer aktualisierten «Intrapolis». Es gehe, meinte er, nicht um ein individuelles Bauprojekt, sondern immer noch um die grundsätzliche Gliederung einer Stadt. Seine Pläne seien als Vorschläge zu verstehen. Der zum Ministerialrat aufgestiegene Becker bedankte sich für den Brief, bedauerte, dass von Jonas’ Plänen nicht viel habe verwirklicht werden können, und gab dann zu verstehen, dass keinerlei Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der damaligen Projekte bestehe.

 

Erst die Postmoderne wird futuristische Gebäudeformen wieder hervorholen, allerdings zu Prestige- und Prunkbauten mutiert. Und auch schwimmende Touristeninseln sind inzwischen in der Golfregion verwirklicht worden, in pervertierter Form als Spielplätze der neuen Superreichen.

 

Ein faustischer Zeitgenosse
Eine populärkulturelle Entsprechung des Trichterhauses entsteht auf dem Planeten Arkon I. Der Maler Walter Jonas findet moderate, aber stetige Anerkennung. Mit der Jahrtausendwende zeigt sich ein verstärktes Interesse an den urbanistischen Ideen von Walter Jonas. Was wird von diesem Gesamtwerk bleiben?

Noch zu Lebzeiten von Walter Jonas hatte sein Intrahaus eine merkwürdige Wirkungsgeschichte erlebt. Ende Mai 1962 traf Perry Rhodan, der als erster deutscher Raumfahrer seit dem 8. September 1961 in wöchentlichen Heften zum Mond und darüber hinaus unterwegs war, in Band 38 der Reihe, Vorstoss nach Arkon, auf das erste ausserirdische, aber humanoide Volk, die Arkoniden, und in der Folgenummer Die Welt der drei Planeten wurden erstmals die Wunder ihrer Bauten beschrieben, die so genanten Khasurn: grosse Trichterhäuser. «Zunächst war Khasurn», heisst es in der massgeblichen Perrypedia, die sich der Archivierung und Entschlüsselung des Perry-Rhodan-Universums gewidmet hat.
Die Perrypedia merkt grosszügig an: «Die arkonidischen Trichterbauten ähneln der von Walter Jonas im Jahre 1958 entwickelten neuen Stadtform Intrapolis».

 

In den letzten Jahren wird Walter Jonas in der Architekturgeschichte durchaus tradiert. 2006 wurde Intrapolis von Professor Hans-Georg Lippert vom Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege der TU Dresden in seiner weit ausholenden Vorlesung Wohin führt die Moderne? diskutiert. Ende Februar 2008 veranstaltete das Institut für Denkmalpflege und Bauforschung an der ETH Zürich unter der Leitung von Professorin Uta Hassler ein Kolloquium, Bauten der Boomjahre. Paradoxien der Erhaltung, wobei dem Tagungsprogramm grafisch ein Modell des Trichterhauses unterlegt war.

 

2010 jährte sich der Geburtstag von Walter Jonas zum 100. Mal. Das bot erneut Anlass, an ihn zu erinnern, bei einer Matinée in Zürich, organisiert durch Roy Oppenheim, seinen Neffen, für die Stiftung Walter und Rosa Maria Jonas. Nach einer Würdigung von Guido Magnaguagno kam Walter Jonas erneut durch eigene Texte zu Wort. Weiterhin versucht die Stiftung das Andenken an Jonas aufrechtzuerhalten, eine Bemühung, in die sich auch die vorliegende Biografie einreiht.

 

 

Stefan Howald
Walter Jonas 1910–1979. Künstler. Denker. Urbanist
Eine Biografie
Gebunden mit Schutzumschlag
352 Seiten, 52 farbige und 85 sw Abbildungen, 16 x 24 cm
CHF 59. Euro 54.
ISBN 978-3-85881-312-1

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