November/Dezember 2016
Liebe Literatur- und Kunstfreunde und Kulturinteressierte,
herzlich willkommen!
Alle reden vom Wetter lautete ein gängiger Werbespruch, den sich offenbar die öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Stationen zu Herzen genommen haben, denn so ausführlich wie heutzutage (sogar mit Sponsoren, die für sich gut Wetter machen), wurde noch nie über die Wetterlage berichtet. Ob das mit der unruhigen Weltlage zu tun hat? Dass man wenigstens hier ein wenig Orientierung bieten kann? Wenngleich uns die Prognosen gleichwohl oft im Regen stehen lassen. Und das mit knorrigem Ton, in Überlänge vorgetragen. Weniger ist mehr…
Und wir sind gespannt, wie das Wahltheater in den USA enden wird… Ob das historische Ereignis stattfinden wird, dass Hillary Clinton als erste Präsidentin der Vereinigten Staaten ins Weisse Haus einziehen wird. Nach dem 8. November wissen wir mehr…
9. November 2016: Nun hat es Donald Trump überraschenderweise doch geschafft, ins Weisse Haus einzuziehen, der Polterer mit Altrockerfrisur und Grimassenschneider hat es allen gezeigt. Wohin er wirklich will, ist weniger klar. Dass die Suppe nicht so heiss gegessen wie gekocht wird, hingegen schon, darauf lassen seine ersten Verlautbarungen nach dem Treffen mit Präsident Obama schliessen, doch nicht ganz das Obamacare abzuschaffen. Man kann gespannt sein, wie sich die Wetter- und Weltlage nach der Wahl Trumps nun verändern werden.
Für Hillary Clinton ist es eine bittere Wahlniederlage, lag sie doch in allen Voraussagen an der Spitze und erzielte am meisten Stimmen. Aber entscheidend sind die Elektronen, die „Wahlmänner“. Vielleicht wäre dieses System jetzt zu reformieren? Jedenfalls ist es die Tragik einer brillanten Intellektuellen, die zwischen die Fronten geriet, eines sie belastenden treulosen Ehemannes und früheren Präsidenten, dem sie allzeit bereit zur Seite stand, und E-Mails ihres privaten Servers, der dem FBI als Vorwand diente, sie zeitweilig als „unzuverlässig und fahrlässig“ zu definieren. Beides könnte letztendlich den Ausschlag gegeben haben, Hillary Clinton doch nicht zur ersten Präsidentin der USA zu wählen. Vielleicht aber protestierte Clinton mit dem Server einfach nur gegen den NSA, jegliche Daten auszuschnüffeln und wollte ihre private Korrespondenz oder Geheimnisse schützen? Das wäre doch ein Statement für Edward Snowden gewesen, der in den USA verfolgt wird. Wohl eine doch zu heisse Sache…
Noch ein paar Worte zum Jahresende, denn dies ist eine Doppel-Nummer November/Dezember 2016. Es wird kein Wort zum Sonntag. Was machen Männer, wenn sie nicht arbeiten? Rumsitzen, faulenzen, Hausmänner, arbeitslos? Das betrifft wohl nicht die Mehrheit. Die schuften, malochen und quälen sich durch den Tag, wenn sie nicht delegieren (können).
Und was ist auf der Agenda als Haupttraktandum allerorten?
Die Flüchtlingsfrage, die Asylsuchenden… Die von rechtspopulistischen Parteien wie der SPV, aber nicht nur, als Sündenbock für diffuse Ängste dienen (sollen). Die aktuelle Ausstellung im Landesmuseum «FLUCHT» gibt genauer Auskunft über Zahlen und wirklichkeitsnahe Zustände.
Und was ist die wirkliche Bedrohung? Die Technologie, die Digitalisierung, wegen der hunderttausende, wenn nicht noch Millionen von Menschen (Zukunft) arbeitslos werden (können), Während das Geld für Raumfahrten auf den Mars verbraten wird? Nutzen für die Menschheit? 5 Milliarden Jahre haben wir hier noch Zeit auf dem Planeten Erde, bis die Sonne verlöscht.
Weiter auf der Traktandenliste der Bedrohungen steht die Fremdenfeindlichkeit, die Frauenfeindlichkeit inkl. Prostitution (in Schweden verboten, vorbildlich), die Waffenfreundschaft… Und die Perspektiv-und Ideenlosigkeit, warum junge Männer in den Krieg ziehen wie für den IS, auch hier, heisse er nun Jihad oder hundskommun Krieg, sei er in Syrien, Libyen, Irak oder in der Türkei gegen die Kurden oder die Opposition in der Türkei.
Und in der Schweiz? Sind hier die Gerechten zuhause? Weit gefehlt, trotz (fast) paradiesischer Verhältnisse wollen uns SVP-Parteisoldaten wie Markus Somm (BaZ) die Schweiz madig machen. Den kürzlichen Sieg der Rot-Grünen in Basel kommentierte er im hin- und herschwankenden Tages-Anzeiger mit «Staatsbeamte der Linken», der Lehrer, Studenten etc,, die vom Staatstropf abhängen würden und daher die «Linken» wählen. Was für eine einseitge Sicht, ein terrible simplificateur…! Lehrerinnen undLehrer leisten wertvolle Dienste für die Bildung und Erziehung der Nachwuchs-Generation der Schweiz. Auf Stimmfang ist anscheinend jeder Ausrutscher recht. Was ist mit Humanismus, mit Menschlichkeit, Menschenrechten, alles déjà vu und tempi passati?
Ihre Ingrid Isermann
Nun sind sie wieder da, die stillen, besinnlichen Leseabende, auf die man sich freuen kann, wenn das Wetter dräut und droht… En passant möchten wir Ihnen zwei besondere Publikationen empfehlen, die vielleicht Ihr Interesse finden.
Zum ersten ein Interview mit Benedikt XVI. «Letzte Gespräche» mit Peter Seewald, *1954, der als Journalist u.a. für den Spiegel, den Stern oder das Magazin der Süddeutschen Zeitung arbeitete. Er hat Joseph Kardinal Ratzinger/Benedikt XVI. mehr als zwanzig Jahre lang publizistisch begleitet. Was der frühere Papst zu seinem Rücktritt (erstmals in der Geschichte), zu seinem Elternhaus, Kindheit, Krieg, Professur und als Pontifex zu sagen hat, liest sich erfrischend kreativ. Benedikt XVI. sieht das Problem der Kirche nicht am Mitglieder-, sondern am Glaubensschwund. Es sei das Verlöschen des christlichen Bewusstseins, das die Krise bringe und die Lauheit im Gebet und im Gottesdienst. Wahre Reform ist für ihn eine Frage des inneren Aufbruchs, der flammenden Herzen.
«Benedikt XVI. Letzte Gespräche», mit Peter Seewald, Droemer Verlag, 2016.
Der Dalai Lama, der im Oktober in Zürich im Grossmünster eine vielbeachtete Rede hielt, plädiert für den Frieden in der Welt und dass jede/r bei seiner eigenen Religion bleiben solle. Denn so verschieden die Länder, so verschieden die Religionen. Es komme auf die Friedfertigkeit an. Lesen Sie dazu die Reportage von Julieta Schildknecht in der Carte Blanche.
Die zweite Buchempfehlung gilt dem Sohn des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, dem Schauspieler Matthias Brandt, *1961 in Berlin, der sein Debüt «Raumpatrouille» mit Kurzgeschichten aus der Kindheit vorlegt. Doch, der kann schreiben! Und selten habe ich mich von so leichtfüssigen und zugleich von sanfter Melancholie getragenen Erinnerungen so gern mittragen lassen, in den Kosmos der Kindheit, der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts in einer kleinen Stadt am Rhein, die damals Bundeshauptstadt der noch jungen Bundesrepublik war. Lesenswert!
Matthias Brandt, «Raumpatrouille», Geschichten, Kiepenheuer & Witsch, 2016.
Auch die Neunziger Jahre sind wieder zurück in Retrospektiven, in der Mode, nichts, was es nicht schon mal gab. Da Capo! Auch die Idee der Unsterblichkeit, weshalb sich bereits einige Milliardäre in den USA einfrieren liessen, bereits seit den Sechziger Jahren, um sich dereinst wieder auftauen zu lassen. Eine makabre Vorstellung! In einer überbevölkerten Welt, die digitale Roboter züchtet wie Pilze, die uns Menschen die Arbeit abnehmen – und uns eines Tages vielleicht ganz überflüssig machen? Derweil die Abhörmassnahmen und Überwachungen der Staaten unbeschränkt zunehmen und man sich neben «Snowden» auch merkwürdig an den Film «Fahrenheit 451» mit Oscar Werner erinnert fühlt. Wie werden wir in 100 Jahren leben?
Was können Sie im November/Dezember auf Literatur & Kunst entdecken?
Francois Jullien, «Von Landschaft leben oder das Ungedachte der Vernunft», Matthes & Seitz, Berlin 2016.
François Jullien ist Professor und Sinologe an der Universität Paris VIII sowie am Collège d’études mondiales und gilt als einer der bedeutendsten Kenner Chinas. Während in Europa das Bewusstsein von Landschaft relativ jung ist,- es taucht erst in der Malerei der Renaissance auf, – entstand es in China schon mehr als tausend Jahre früher und hat sich ohne grosse Unterbrechung bis heute weiterentwickelt. Jullien macht in seiner grundlegenden Studie die Untrschiede im östlichen und westlichen Denken über Landschaft sichtbar. Eine Anleitung zur Entschleunigung.
Philipp Schönthaler, «Portrait des Managers als junger Autor», Matthes & Seitz, Berlin 2016.
Weil Ökonomie und Literatur, Storytelling und literarisches Erzählen sich auf eine geteilte Lebenswelt beziehen, lassen sich Schwerpunkte und Grenzen jederzeit verschieben. Im Herzen des Storytellings, neue Skizzen aus Theorie und Praxis.
Hermann Amborn, «Recht als Hort der Anarchie», Matthes & Seitz, Berlin 2016.
Auch heute existieren funktionierende Gesellschaften jenseits staatlicher Einflüsse, die auf Rechtsverfahren und Problemlösugsmechanismen ohne Herrschaft basieren.
«Gomringer & Gomringer – Gedichte leben», eine Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof in Zürich, mit Bild, Ton, Text und Video.
Fast zwei Generationen liegen zwischen Vater Eugen Gomringer, *1925, und Tochter Nora Gomringer, *1980, beide verbindet ihre Leidenschaft für Sprachkultur und Lyrik, die Welt per Wort zu erkunden. Faszinierend! Diverse Veranstaltungen, bis 8. Januar 2017.
Strauhof, Augustiergasse 9, 8001 Zürich
www.strauhof.ch
«Der blaue Reiter» – Kandinsky und Marc in der Fondation Beyeler in Riehen b. Basel. Simon Baur war vor Ort und berichtet von der magischen Ausstellung.
Regisseur Stefan Haupt verfilmte den Roman von Lukas Hartmann «Finsteres Glück». Rolf Breiner hat ein Interview mit dem Schriftsteller über seinen Roman geführt. Aktuelle Filmtipps.
«Monografie Frank Geiser, Architekt.» Fabrizio Brentini über den Berner Architekten und die neu erschienene Monographie, Park Books, 2016. Ferner: «Vereinigte Arabische Emirate», Architekturführer DOM publishers, 2016.
«Charles Weissmann», Biografie. Das abenteuerliche Leben des berühmten Molekulariologen beleuchtet Daniela Kuhn. NZZ-Verlag, 2016. Ferner: «Aus den Bündner Bergen», Fotograf Robert Bösch. NZZ-Verlag, 2016.
«Brigitte Bardot», Mode- und Filmikone, ein opulenter Bildband und Interview von Henry-Jean Servat zum 82. Geburtstag der Bardot, Schirmer/Mosel, München 2016.
Ferner: «Von Frauen und Katzen», Edition Ebersbach-Simon, Berlin 2016. Literarischer Frauenkalender «unbeschreiblich weiblich», Ebersbach, Berlin 2016.
Museum für Gestaltung, Toni Areal: Ausstellung «Les Suisses de Paris» – Grafik und Typografie
Auf nach Paris! Diesem Ruf folgten ab den 1950er-Jahren zahlreiche Schweizer Grafiker und Typografen. In oft schon jungen Jahren erreichten sie Schlüsselpositionen wie Peter Knapp und Jean Widmer bei den Galeries Lafayette oder Adrian Frutiger bei der Schriftgiesserei Deberny & Peignet. Und wer hätte gedacht, dass Schweizer Grafiker für das Erscheinungsbild und die Signaletik für das Centre Pompidou ausgewählt und verantwortlich waren? Siehe wide screen-Foto Frontpage Literatur & Kunst, Visual Design Association, Hiestand & Associés, Signaletik Centre Georges Pompidou, 1977.
Die Schweizer füllten mit ihrer modernen Ausbildung, die in Paris damals noch fehlte, eine Lücke. Auch engagierten sie sich in der Lehre. Die Ausstellung zeigt Kreationen, die in schweizerischen und internationalen Teams sowie in engem Austausch mit den Pariser Arbeitgebern entstanden sind. Zu sehen sind Arbeiten aus den Bereichen Editorial Design, Fotografie, Film Werbegrafik, Szenografie, Erscheinungsbild, Signaletik, Typografie und Schriftgestaltung. Vernissage 3, November, 19 Uhr. Bis 19. März 2017. Infos, Veranstaltungen: www.museum-gestaltung.ch
Highlights Elbphilharmonie und Hafencity Hamburg
Die Hamburger Philharmonie, das Jahrhundertbauwerk der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, ist seit dem 5. November 2016 öffentlich zugänglich: von der Plaza in 37 Meter Höhe bietet sich ein fantastischer Rundblick über Stadt und Hafen. Was lange währt… 10 Jahre hat es gedauert, bis das teure Bauwerk (800 Mio € statt 70 Mio €) mit vielen Unterbrüchen endlich fertig war. Eingeweiht wird der grosse Konzertsaal in 50 Meter Höhe mit der Akustik des Japaners Yasuhisa Toyota in 67 Tagen, und die Hansestadt fiebert dem Ereignis jetzt schon entgegen (siehe auch Archiv Literatur & Kunst, Elbphilharmonie, Nr. 5/6, 07/2011).
13. November 2016: Der mit 30 000 Franken dotierte Schweizer Buchpreis 2016 wurde an Christian Kracht für seinen Roman «Die Toten» verliehen. Mein Favorit war Sacha Batthyany «Und was hat das mit mir zu tun», der seine Familiengeschichte in der Zeit des Nazitrerrors aufarbeitete. Weitere Finalisten, die je 2500 Franken erhielten, sind Christoph Höhtker, Charles Lewinsky und Michelle Steinbeck.
Die österreichische Autorin Friederike Mayröcker, *1924 in Wien, wurde für ihr Werk «fleurs» mit dem mit 20000 Euro dotierten Österreichischen Buchpreis 2016 ausgezeichnet.
«Ilse Aichinger – Die Wahrheit des Augenblicks»
Die Schriftstellerin Ilse Aichinger, *1921, ist im Alter von 95 Jahren in ihrer Geburtsstadt Wien verstorben. Ihre Jugend fiel in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, ihre jüdischen Verwandten wurden 1942 in Minsk von den Nazis ermordet. In ihrem frühen Roman «Die grössere Hoffnung» (1948) erzählt sie von einer Gruppe jüdoscher Kinder, die während des Kriegs gegen Angst und Vrzweiflung, Ausgrenzung und Deportation ihre innere Freiheit behaupten. In den Bänden «Film und Verhängnis» (2001) und «Unglaubwürdige Geschichten» (2005) wurden ihre Geschichten aus dem Feuilleton zu einer eigentlichen Autobiografie. Seit längerer Zeit hatte sich Ilse Aichinger aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, doch als Autorin blieb sie präsent.
2. Lyrikfestival Neonfische im Literaturhaus Lenzburg
Das 2. Lyrikfestival im Aargauer Literaturhaus findet am Samstag/Sonntag, 26./27. November 2016 statt. Zwanzig Lyriker/innen aus Deutschland und der Schweiz, darunter Autor/innen, die mit ihrem literarischen Schaffen Lob in Feuilletons und Nominationen wichtiger Buchpreise erhalten haben, lesen und diskutieren in Werkstattgesprächen mit dem Publikum. An der Sonntagsmatinee lesen Nadja Küchenmeister, Marion Poschmann, Julia Trompeter, Dagmara Kraus aus ihren neuesten Lyrik-Werken. Lesungen u.a. mit Kerstin Hensel, Svenja Herrmann, Michael Fehr, Michelle Steinbeck, Claudia Storz, Sabina Naef, Lisa Elsässser, Simone Lappert. Moderation: Manfred Papst, Martin Zingg, Hans Ulrich Probst, Martina Kuoni, Bettina Spoerri. www.aargauer-literaturhaus.ch
Fernsehpreis LiteraVision München 2016
Die Stadt München vergab den Fernsehpreis LitraVision am 19. November 2016 innerhalb des Literaturfestivals zum 22. Mal. Für ihren Langfilm-Beitrag «Undine Gruenter: Das Projekt der Liebe» wurde die Journalistin Anita Hugi, 41 (SRF-Sternstunde Kunst) die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung von der Jury zugesprochen. Wir gratulieren herzlich!
In der Kategorie Kurzfilm gewann der Autor des NDR Nordmagazins Benjamin Unger, 36, die Auszeichnung für den Kurzfilm für seinen Film «Peter Wawerzinek: „Der Schluckspecht“. Für den diesjährigen Wettbewerb waren 66 Beiträge eingereicht worden.
Wir wünschen Ihnen spannende und entspannende Unterhaltung. frohe Festtage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2017 mit Literatur & Kunst!
Machen Sie’s gut und schauen Sie immer wieder herein, im Editorial finden Sie laufend Aktuelles.
Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin