FRONTPAGE

«Neues Zirkuläres Bauen»

 

Die Arbeit des Architekturbüros Ilmer Thies zielt auf Nachhaltigkeit und höchstmögliche architektonische Qualität. Die Analyse räumlicher und materieller Qualitäten im Bestand ist Ausgangspunkt für die Entwurfsarbeit. Sie wird aus den jeweiligen funktionalen Ansprüchen und lokalen Kontexten heraus entwickelt.

Bürohaus Müllerstrasse Zürich. Ilmer Thies Architekten
 
Zirkuläres Bauen – also die Wiederverwendung von Ressourcen im Bauwesen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – ist als Schlagwort mittlerweile zwar weitverbreitet in Architektur und Bauwirtschaft. Aber an präzise untersuchten und klar dargestellten Beispielen real umgesetzter Projekte mangelt es. Diesem Umstand tritt dieses Buch entgegen. Es ist dem Bürohaus Müllerstrasse in Zürich gewidmet, einem Vorzeigeprojekt des zirkulären Bauens. Es wurde in den Jahren 2021 bis 2023 durch das Schweizer Büro Ilmer Thies Architekten saniert.

 

Normalerweise werden solche Bauten aus den 1980er-Jahren zugunsten eines Neubaus vollständig abgerissen. Hier wurde dagegen das Gebäude erhalten, komplett saniert und somit transformiert. Zum Tragen kam dabei – nicht nur aus Gründen der CO2-Bilanzierung – der schonende, wertschätzende Umgang mit vorhandenen Materialien. Diese galt es, kostensparend und nachhaltig in einen neuen Lebenszyklus zu überführen. Dies gelang mit Pioniergeist, dem Einsatz neuester Technologie und der Entwicklung neuer Instrumente der Wiederverwendung. Gemeinsam mit der Eigentümerschaft wurde zudem entschieden, ein neues, schaltbares Flüssigkristallglas grossflächig einzusetzen.

 
Ergebnis dieser beispielhaften Erneuerung ist ein Bürogebäude mit deutlich verbesserten räumlichen, energetischen und raumklimatischen Qualitäten, das durch die eingesetzten innovativen Wiederverwendungstechniken zu einem Leuchtturm für zirkuläres Bauen geworden ist.

 
Die Erscheinung der bestehenden Fassade folgte typischen formalen Gestaltungsprinzipien zeitgenössischer Fassaden der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Charakteristische Elemente waren die klare Rasterung, Metallverkleidungen und abgerundete Ecken sowie der Einsatz massiver Sichtbetonelemente zur Gliederung der Fassade.
 

Neben der grossflächigen Verglasung wurde für die Gebäudehülle grösstenteils Aluminium verwendet: Grossaluminium für die Verkleidung, Aluminiumprofile für die Fenster. Ein massives Sichtbetonvordach trennte die gerasterte Gussaluminiumfassade der Obergeschosse von der Erdgeschossfassade, die zur Strasse hin grossflächig verglast, in den rückwärtigen Bereichen des Gebäudes jedoch als Lochfassade aus Beton ausgebildet war.

 

 

Neues Zirkuläres Bauen
Herausgegeben von Maik Ilmer, Felix Thies
Park Books, 2025
Broschiert
200 S., 141 farbige und 20 s/w-Abbildungen
17 x 24 cm. CHF 39.00
ISBN 978-3-03860-417-4

 

 

 

«TREES TIME – Bauen, Baum und Architektur»

 

«Trees, Time, Architecture!» erkundet die vielen Möglichkeiten, die das Zusammenspiel von Architektur und Bäumen in einer sich ständig verändernden Welt bietet. Das anlässlich einer Ausstellung im Architekturmuseum der TUM in München erscheinende Buch markiert einen entscheidenden Wandel von der Gestaltung von Objekten hin zur Gestaltung von Prozessen. Es versammelt eine Vielzahl von Positionen zur Beziehung zwischen Bäumen, Architektur, städtischen Räumen, Modernismus, Politik, Feminismus und Kulturgeschichte.

 

Die Zusammenstellung historischer, forschungsbasierter und diskursbezogener Perspektiven untersucht, wie Bäume im Anthropozän erhalten, genutzt und geschätzt werden können. Sie beleuchtet historische Beispiele wachsender Architektur, wie die lebenden Wurzelbrücken der Khasi-People in Indien, die Verwendung von Bäumen im urbanen Raum, neuartige Ansätze zum Entwerfen und Bauen mit lebenden Bäumen sowie den Baum als Ressource für Baumaterialien.

 

Die Essays, Fotografien, Reflexionen, Filmbeiträge und Interviews in dem Band werden durch Architekturbeispiele, neue Forschungsperspektiven und aktuelle Gestaltungsansätze ergänzt. Sie veranschaulichen dynamische Prozesse, in denen Bäume als sich ständig verändernde Organismen eine Schlüsselrolle spielen. Sie laden ein zu einer transdisziplinären Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen Mensch, Baum und Architektur sowie deren Überdenken und Weiterentwickeln in unserer Zeit des ständigen Wandels und der begrenzten Ressourcen.

«Trees, Time, Architecture!» liefert einen längst überfälligen Impuls für Architektur und Landschaftsarchitektur und ist gleichzeitig eine Bestätigung, dass Architektur seit jeher eine umweltbezogene Disziplin ist. Als eine Sammlung neuer Forschungsarbeiten und Fallstudien markiert die Publikation einen entscheidenden Wandel – vom reinen Objektentwurf hin zur Gestaltung dynamischer Prozesse.
 

 

Seit gut 300 Millionen Jahren prägen Bäume das Leben auf der Erde. Sie waren der bevorzugte Lebensraum unserer frühen Vorfahren und ihre Kronen zählen noch heute zu den artenreichsten Habitaten der Welt. Bäume lieferten die ersten Baumaterialien der Menschen, und die zu Steinkohle gewordenen Urbäume befeuerten viele Jahrtausende später die Industrialisierung. Doch gerade weil die oft von Bäumen geschaffenen fossilen Ressourcen in wenigen Jahrhunderten ausgebeutet und damit Unmengen des darin gebundenen CO2 in kurzer Zeit freigesetzt wurden, brauchen wir Bäume heute mehr denn je: hier und und jetzt auf lokaler Ebene, um uns an die neue Realität eines sich drastisch verändernden Klimas anzupassen; und global, um den Klimawandel aufzuhalten und vielleicht sogar umzukehren. Bäume zählen nicht nur zu den grössten, ältesten und komplexesten Lebewesen der Erde, sondern sie wachsen auch extrem langsam. Sie sprengen die Massstäbe des menschlichen Lebens und ihre Zeitlichkeit steht im Widerspruch zu einem sich ständig beschleunigenden gesellschaftlichen, technologischen und ökologischen Wandel.

 

Vielerlei Sichtweisen auf Bäume in diesem Buch überlassen es den Leser:innen, darin ihre eigene Nähe zu Bäumen oder Zeit oder Architektur zu erkennen. Als Siegfried Giedions Buch «Raum, Zeit, Architektur», zu dem der Titel dieser Publikation eine suggestive Analogie herstellen möchte, im Jahr 1941 erschien, verstand es der Autor selbst als eine dynamische «Zeitgeschichte», als «einen Prozess, ein Muster lebendiger und wechselnder Einstellungen und Interretationen», die sich von der jeweiligen Etappe im Marsch der Industrie in der Lebensumgebung des Menschen löste. Angeregt von Albert Einsteins Relativitätstheorie, die Zeit und Raum zu nicht länger absoluten Kategorien erklärte, entschied sich Giedion für die Vermählung von Kunst und Wissenschaft zum «dynamischen Gleichgewicht» mit der Zeit als vierter Dimension, auf dass Architekt:innen eine Harmonie zwischen Mensch, Maschine und Natur wiederherstellten.

 

Einstein selbst widersprach, und Giedions Buch verdankte seinen Einfluss weit mehr seiner Verteidigung von Walter Gropius, dem Bauhaus und der Moderne als seinen hoffnungsvollen Entwürfen eines organisch-ganzheitlichen Einbindung der Technologie ins Gesellschaftsleben. Einige von Gidions Anliegen sind dennoch auch in der kuratorischen Positionsbestimmung von «Trees, Time, Architecture!» noch relevant, etwa die Schwerpunktverlagerung von der Planung fertiger Objekte hin zur Gestaltung von Prozessen, die Forderung nach einer Verbindung von wissenschaftlichen und künstlerischen Herangehensweisen und eine bessere Vereinbarung der immer noch als Gegensatz aufgefassten Beziehung zwischen Natur und Kultur.

 

Selbst in seiner Aufbereitung weist dieses Buch mit seinen spielerischen und innerlich bebenden Bildarrangements noch eine Entsprechung zu Gidions Vorstellung von «Bilderbuch» und der «Bildhaftigkeit» oder auch zum Collagenroman auf, in dem Text und Bild sich zum Teil voneinander lösen. Dennoch ist mehr als 80 Jahre später der Glaube an den Fortschritt durch die Industrie längst verflogen, das Miteinander greift über die Sorge um die Menschheit hinaus und umfasst auch andere Arten und Geschlechter. Auch ist die Wissenschaft jenseits theoretischer Reflexionen, nämlich in ihren operativen Möglichkeiten gefordert. Und schliesslich werden der «Raum» als kosmische Kategorie unendlicher Ausdehnung ebenso wie die metaphysischen Voreingenommenheiten moderner Architekt:innen hier durch die «Bäume» ersetzt. Es ist der Versuch, endliche und lokale, gemeinsam bewohnbare Wirklichkeiten auf Alchemien des Ausgleichs mit allen verfügbaren Mitteln zu gründen. Die Archive der Vergangenheit und die Technologien der Zukunft sollen für einen digitalen Humanismus zusammengespannt werden.

 

Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Trees, Time, Architecture! Design in Constant Transformation im Architekturmuseum der TUM (Technischen Universität München) in der Pinakothek der Moderne München, 13.03.-14.09.2025. 

 

 

TREES TIME ARCHITECTURE
Entwerfen im Wandel
Hrsg. Andjelka Badnjar, Kristina Pujkilović,
Ferdinand Ludwig, Andres Lepik
Park Books, Zürich 2025
Broschur, Grossformat, 128 S., div. Abb.
CHF 35.
ISBN 978-3-033860-424-2

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