November/Dezember 2022
Liebe Literatur- und Kunstinteressierte, liebe Freundinnen und Freunde, herzlich willkommen!
Der November ist die richtige Zeit für ruhige Lesestunden und Entdeckungen, die anregen oder aufregen und zur Meinungsbildung in diesen unruhigen Zeiten beitragen können.
Kim de l’Horizon hat nach dem Deutschen Buchpreis nun auch den Schweizer Buchpreis erhalten. Da kann man dem nonbinären Schriftsteller zum Debüt nur herzlich gratulieren! Ein fulminanter Auftakt! Dass diese nonbinäre Person nirgends dazu gehöre, stimmt nun allerdings nicht mehr, immerhin ist Kim de l’Horizon in der ersten Liga der Schriftstellergarde angekommen und hat neue Horizonte erobert. Schade nur, dass sich der so experimentell farbenfroh gekleidete Mensch nicht als Mann definiert, denn ein bisschen mehr Farbe und Mut zum Risiko könnten die Männer unisono doch gut gebrauchen…
Hans Magnus Enzensberger, der begnadete Dichter und Schriftsteller, ist im Alter von 93 Jahren gestorben, auf Literatur & Kunst war er ein gern gesehener Gast, siehe Archiv 03/2011 «Der Tausendsassa»; 12/2014 «Tumult»; 01/2019 «Briefwechsel Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger».
Alice Schwarzer: Happy Birthday zum 80. Geburtstag am 3. Dezember 2022!
Man mag sie oder mag sie nicht, die Ikone der Frauenbewegung, die sovieles mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ins Rollen brachte, der nicht nur ihr diente, sondern Frauen im Allgemeinen. Dabei ging es ihr immer um den Menschen schlechthin, Mann und Frau. Literatur & Kunst gratuliert herzlich und wünscht viele weitere erfolgreiche Schaffensjahre mit EMMA.
Bestürzt haben wir vom plötzlichen Tod unserer geschätzten Kollegin Sacha Verna am 6. Dezember 2022 erfahren, die mit 49 Jahren in Zürich verstorben ist. Sie lebte seit 2001 in New York und war für verschiedene Medien tätig. Literatur & Kunst veröffentlichte ihre stets mit Esprit und Verve geschriebenen Beiträge zur Literatur. Ihrer Familie entbieten wir unser herzliches Beileid.
Ingrid Isermann
Adieu Kosmos!
Noch vor kurzem sassen wir im Kinosaal, nun ist das Kosmos geschlossen! Das Ende kam plötzlich, dass diese multifunktionale Kulturstätte nicht (mehr) funktionierte. Welchem Unvermögen die finanzielle Schieflage geschuldet ist, liegt in der Verantwortung der Beteiligten, die ausser dem Goodwill auch viel Kapital verspielt haben. Ein Roulette der Gefühle und Befindlichkeiten! Ein Kulturplatz braucht viel Platz, für alle, (ausser Nazis und Terroristen) nebst Toleranz und Goodwill auch kaufmännisches Geschick. Hat nicht geklappt, aber hätte doch gelingen können, oder?
15. Dezember 2022
Harry und Meghan
Die 6-teilige Netflix-Dokumentation über Harry und Meghan ist berührend und man kommt nicht umhin, die beiden Noch-Royals für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit für Gerechtigkeit zu bewundern, denn ihre Karte «Rassismus» sticht. Wie anders als rassistisch könnte eine so grosse (vergangene) Kolonialmacht eines so kleinen Landes wie «Great Britain» anders als rassistisch sein? Nur schon Indien als Beispiel steht für eine beispiellose Unterdrückung, Arroganz und Herrenmenschen-Mentalität. Sollte diese das Königreich wirklich abgelegt haben? Zweifel sind angebracht und werden durch die hämischen, klar rassistischen Statements der britischen Boulevard-Presse flächendeckend bewiesen. Diese Schreiberlinge sollten vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden, sie verdienen den Namen Journalist nicht und bringen eine ganze Branche in Misskredit. Und wo ist das Votum dagegen vom Königshaus? Fehlanzeige, das versammelte Schweigen vom Hof. Vielmehr macht man sich Gedanken, ob das Enkelkind dunkelhäutig wird, da Meghan die Tochter einer schwarzen Frau und eines weissen Mannes ist. Diese Schlagzeilen sind nicht zu Aushalten, da gibt’s kein Pardon. Es wäre an der Zeit, dass König Charles III. sich dazu bekennt, dass Rassismus am Königshof keine Chance mehr hat und dass Meghan Recht hat mit ihrer Kritik an der britischen Presse. Und folglich dem Exodus nach Kalifornien seinen Segen erteilt. Worauf wartet er noch?
16. Dezember 2022 Ingrid Isermann
Uraufführung Schauspielhaus Zürich, Pfauen: «Sonne, los jetzt!» Von Elfriede Jelinek. Inszenierung Nicolas Steman.
Und dann ist es ganz dunkel auf der Bühne und ganz still im Zuschauerraum, eine markante männliche Stimme zitiert ein Gedicht von T.S. Eliot «This is the way the world ends»(«The Hollow Men»). Denn: «Wir sind die hohlen Menschen, wir sind nur ausgestopft und lehnen Kopf an Kopf, die strohgefüllten. O je!» Aber all die Warnungen fruchten nichts, die kennt man schon lange, und ist gelangweilt. Da muss die Sonne her und selbst zum Wort werden und zur Tat schreiten. Ein riesiger gleissender Ballon, der tut meinen Augen nicht gut, ich setze die Sonnenbrille auf, und es treten mehrere Personen auf, die sich zu Wort melden und rufen: «Es ist zu spät! Es ist zu spät!» sagen und singen sie in Repetition, fordern uns, das Publikum auf, mitzusingen, mit spärlichem Erfolg.
Der Text von Jelinek ist intakt und bemerkenswert auf unseren All-tag gemünzt, man erkennt vieles wieder, die Sprache hebt sich dennoch vom üblichen Tenor in den Zeitungen und Medien ab. Denn sie ist durchdacht und geht Schritt für Schritt weiter zur Erweiterung des Horizontes. Und was die Sonne zu sagen hat, ist sonnenklar: Sie bestimmt unser Leben! Ganz und gar. Ohne Sonne kein Licht und ohne Licht kein Leben! Das muss mal klar gesagt werden, dass es einleuchtet. Kein Gott ist für unser Leben verantwortlich, sondern die Sonne! Langweilig ist der lange Abend im Schauspielhaus nicht und die Ur-Sache, nämlich die Sache mit der Sonne, die uns verbrennen und auslöschen kann, wie sich selbst eines Tages, tut ihre Wirkung. Das Publikum war beeindruckt, zu Recht. Mit Alicia Aumüller, Daniel Lommatzsch, Karin Pfanmmatter, Sebastian Rudolph, Lena Schwarz, Patrycia Ziolkowska. Mitreissende Live-Musik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel.
16. Dezember 2022 Ingrid Isermann
www.schauspielhaus.ch
Was können Sie auf Literatur & Kunst entdecken?
Sonja Rukaj: «Die Antiquiertheit der Frau – Vom Verschwinden des feministischen Subjekts»,Edition Tiamat, 2022. Was es damit auf sich hat, erläutert die Autorin in ihrer Untersuchung der Identitäten verschiedener Couleur. Ein kenntisreicher Beitrag zum Geschlechterverständnis und eine Reflexion über die Frauenbewegung.
Warsan Shire: «Haus Feuer Körper», S. Fischer Verlag, 2022. Die junge britisch-somalische Dichterin erzählt von der Flucht aus ihrem Heimatland, dem Schicksal ihrer Verwandten aus Somalia und ihrer Ankunft in einem fremden Land. Berückend, aufrüttelnd, berührende Texte, eindringlich in ihrer poetischen Schönheit.
Caroline Bachmann: «Monografie», Scheidegger & Spiess, 2022. Die Lausanner Malerin, die abwechselnd in Cully/VD und in Berlin lebt, wurde für ihr vielfältiges Werk, Porträts, Landschaften und Stillleben, mit dem «Prix Meret Oppenheim 2022» ausgezeichnet. Die wunderbare Monografie zeigt ihr beeindruckendes Werk.
«Lichterspiel»: Ein Interview von Rolf Breiner mit dem Filmwissenschaftler Hansmartin Siegrist, der das gewichtige Buch «Auf der Brücke zur Moderne. Basels erster Film als Panorama der Belle Epoque» schrieb. Auf dieser Grundlage hat der Dozent, Publizist und Produzent Siegrist den Dokumentarfilm «Lichtspieler» kreiert und beschreibt, wie der geniale Lavanchy-Clarke die Schweiz ins Kino holte.
Die Biographie dieses unermüdlichen Pioniers, Unternehmers und Cinematographen liest sich wie ein Kapitel Schweizer Geschichte von der Landesausstellung in Genf 1896 bis zum Ende der Belle Epoque Anfang des 20. Jahrhunderts. Aktuelle Filmtipps.
Architektur-Buchtipps: «Hong Kong Modern, Architecture of the 1950s-1970s», DOM publisher, Berlin 2022. Architectural Guide «Shenzhen», DOM publishers, Berlin 2022.«Buchner Bründler Bauten II», Park Books, Zürich 2022. «Le Corbusier. Von der eleganten Lösung zum offenen Werk», Scheidegger & Spiess, Zürich 2022. «Hans Scharoun – Gestalt finden», Park Books, Zürich 2022.
Widescreen Mitte: Museum Haus Konstruktiv, Zurich Art Prize 2022: Kapwani Kiwanga, kuratiert von Sabine Schaschl, 27. Oktober bis 15. Januar 2023.
«Trendsetting Berlin», eine Reportage von Ingrid Schindler vor Ort mit allem Wissenswerten über neue Trends in Berlin.
Buchtipps: Heinrich Mann: «Liebesspiele»; Donna Leon zum 80.!: «Ein Leben in Geschichten»; Ingrid Noll: «Tea Time», Diogenes Zürich, 2022.
Interview: Julieta Schildknecht befragte den Fotografen Robert Ballen zu seinem fotografischen künstlerischen Werk.
Wir wünschen Ihnen eine stimmungsvolle Zeit mit literarischen und künstlerischen Highlights! Ich danke Ihnen für Ihre Treue und die Wegbegleitung während fast zwölf Jahren.
Wir grüssen Sie herzlich und danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Machen Sie’s gut!
Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin