FRONTPAGE

Editorial

Juli/August 2019
Liebe Kulturinteressierte, liebe Freundinnen und Freunde
Herzlich willkommen auf Literatur & Kunst!

 

Vor 28 Jahren 1991 fand der erste Frauenstreik landesweit statt,
am 14.Juni 2019 war es wieder soweit. Warum musste man nicht fragen… Der immer noch tiefere Lohn bei gleicher Arbeit im Verhältnis zu Männern, die fehlenden Kitaplätze, die zu geringe Prozentzahl weiblicher Politikerinnen, die fehlende Präsenz von Frauen in der Chefetage, das alles hatte sich wenig bis nicht verändert. Und so marschierten die Frauen wieder los, bunt und vielfältig, jung, jünger und älter, Kind und Kegel, teilweise trauten sich auch Männer an den Umzug. Ob es endlich etwas nützt?
Der öffentliche Druck auf der Strasse sollte Unternehmen und Politik doch Beine machen. Selten finden Meldungen aus der Schweiz den Weg in die internationale Presse oder TV-Stationen. Am 14. Juni 2019 brachte CNN einen Bericht über die streikenden Frauen in der Schweiz, dass sie immer noch nicht gleichberechtigt seien. Auch u.a. das ZDF zeigte einen Ausschnitt und erwähnte, dass erst 1990 das Appenzell auf Befehl der Regierung das Frauenstimmrecht einführte. Irgendwie steht die moderne Schweiz da doch ganz schön mit abgesägten Hosen da…. Gleichgültigkeit, Arroganz und Bequemlichkeit sind eben keine guten Ratgeber. Gleichwohl fordern die Jungfreisinnigen ein erhöhtes Rentenalter für alle von 66 Jahren! Das ist einfallslos, das Defizit in der Rentenkasse zu bekämpfen, es ginge viel einfacher und wirksamer: Flexibilisierung des Rentenalters ab 65 ohne Begrenzung (auf freiwilliger Basis, wer arbeiten will, soll es können, aber nicht müssen, auch das füllt die AHV-Kasse nachhaltig), 20 Prozent der exorbitanten Gewinne der Nationalbank jährlich an die AHV abführen, Kapitalgewinnabgaben, Erbsteuer ab 20 Millionen, ein Prozent Mehrwertsteuer. Alles ohne Erhöhung des Rentenalters auf 66!

 

Was glauben Sie, wer hat das Sagen in dieser Welt? Wer ist am Mächtigsten? Richtig, die Natur. Sie zeigt uns unsere Grenzen und oft auch unsere Ohnmacht. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, Hitzeperioden, Dürre. Hat es immer gegeben, nur die rasche Abfolge von Katastrophen ist gestiegen. Den Klimawandel zu leugnen, ist unvernünftig und politisch nicht vertretbar. Denn es liegen grosse Chancen und Arbeitsplätze im Umweltschutz, Umdenken tut not!

 

Der Rahmenvertrag mit der EU – eine Mission impossible?

Handel und Tourismus sind bedeutende Grundpfeiler der Schweiz. Ohne Vertrag keine Handelsbeziehungen mit dem grössten europäischen Binnenmarkt der EU von 500 Millionen Menschen (Handelsvolumen der Schweiz 1.8 Milliarden täglich). Ohne Tourismus kein Einkommen, vor allem für Bergregionen.

Ab 1. Juli 2019 droht nun der Schweiz das Aus für die Börsenäquivalenz, weil der Bundesrat sich zu keiner Stellungnahme durchringen konnte, den Rahmenvertrag zu unterschreiben. 10 Jahre Diskussionen und 5 Jahre Verhandlungen, und nun eine Agonie und ein Tauziehen mit der EU. Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, EU-Gerichtshof? Sind das nicht längst geklärte Fakten? Der Lohnschutz wird massiv überbewertet, er betrifft gerade mal 0.2% in der Baubranche. Die Unternehmen selbst sind für Lohndumping verantwortlich. Gesetze würden Abhilfe schaffen. Es stört die Unternehmer auch nicht, dass Frauen immer noch 20% weniger verdienen. Wo bleibt der Lohnschutz für Schweizer Frauen? Sendepause. Unionsbürgerrichtlinien, ist das nicht aus dem Vertrag ausgeklammert? Und wenn schon…

Gut Verdienende werden nicht so schnell sozialabhängig wie die entlassenen Einheimischen über 50 Jahre… der Schutz sollte eher für die hiesigen Arbeitnehmenden gelten. Der EU-Gerichtshof? Gesetze übernehmen, ja, zum Glück, so spart die Schweiz Geld und Ressourcen. Neu gibt es das Schiedsgericht, wo auch CH-Richter beteiligt sind. Die Frage ist: was will die SVP? Seit jeher gegen die EU – Schlagworte Freiheit und Sicherheit. Geht eben nicht ohne die EU, ohne Zusammenarbeit, wirtschaftlich und auch politisch wegen Schengen (Kriminalität bekämpfen). In der digitalisierten Welt, in der wir leben, werden wir eher von der Technik global beherrscht als von unseren Nachbarn in der EU. Die SVP ist ein Sicherheitsrisisko für die Schweiz. Sie verkündet Phrasen und Unwahrheiten bezüglich Klimaschutz und der EU. Die Wahlen im Oktober werden es zeigen, dass sich die Schweizer Bevölkerung nicht hinters Licht führen lässt.

 

Europa ist in Bewegung geraten! Der neue britische Premierminister nach dem Rücktritt von Theresa May, heisst Boris Johnson, der frühere Aussenminister. Der umstrittene Johnson will Great Britain ohne Deal aus der EU führen. Termin 31 Oktober 2019. Man darf gespannt sein! Und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Brexit dem ehemaligen britischen Empire nachtrauert. Die neue EU-Kommissionspräsidentin heisst überrashend Ursula von der Leyen. Sie beginnt ihr Amt am 1. November. Sofort angetreten ist nach dem Rücktritt von der Leyens die neue Verteidigungsministerin Annegrat Kamp-Karrenbauer. Vielleicht ein Schritt auf das Kanzleramt zu? On verra. 

 

Die Stadt Zürich will Zürich zu einer Velostadt machen. Werfen wir doch mal einen Blick auf die Velofahrer:

 

Der Velofahrer (Homo Circulus)

Der Velofahrer pflegt seine Leidenschaft.

Nichts geht mehr, stöhnt er sehnsüchtig

im mitmenschlichen Verkehr.

Sein Frust ist ihm süsse Lust.

Fehltritte bringen ihn nicht aus der Fassung.

Gegenverkehr macht ihn nervös. Bis zur Erschöpfung.

Demütig beugt er seinen Rücken.

Sein Fleiss bringt ihn vorwärts,

auf der Stelle.

Der Velofahrer ist ein Individualist,

der im Kollektiv häufig anzutreffen ist.

Als echter Hedonist macht er sich gern

aus dem Staube.

 

Herzlich, Ihre Ingrid Isermann

 

Was können Sie im Juli/August auf Literatur & Kunst entdecken?

 

Bret Easton Ellis ist der American Bad Boy der Schriftstellergilde. Mit seinem Buch «American Psycho» wurde er berühmt. Sasha Verna hat den Autoren porträtiert und stellt sein wieder umstrittenes neues Buch «Weiss» vor. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2019.

 

Das Walliserdeutsch ist der wohl unbekannteste Dialekt der Schweiz. Wir stellen Ihnen den Walliser Dichter Rolf Hermann aus Leuk vor, u.a. mit seinem zweisprachigen Gedichtband «Das Leben ist ein Steilhang», Verlag Der gesunde Menschenversand, 2017.

 

Stanley Kubrick («Odyssee 2001») fasziniert bis heute. Im Londoner Design Museum ist noch bis zum 15. September eine grosse Ausstellung über den Kosmos von Stanley Kubrick zu sehen. Marion Löhndorf war vor Ort.

 

Louise Bourgeois & Pablo Picasso waren nie ein Team, aber in der Zürcher Galerie Hauser & Wirth, Limmatstrasse 270, sind die beiden Künstler in einen spannenden Dialog gestellt: «Anatomies of Desire». Neunzig Kunstwerke zeigen Parallelen in hren Werken zu Mann und Frau, Mutterschaft und Sexualität. Bis 14. September 2019.

 

Ökologische Landwirtschaft steht hoch im Kurs. Der Film «Unsere grosse kleine Farm» widmet sich diesem wichtigen Thema. Interview mit dem Regisseur von Rolf Breiner. Aktuelle Filmtipps.

 

Mitte: BODY CHECK, Lenbachhaus München. Martin Kippenberger & Maria Lassnig.

 

Buchtipps: «Wolfszeit», Rowohlt Verlag, 2019. Harald Jähner, Honorarprofessor für Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin, entwirft ein eindrucksvolles Zeitbild der Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit «Deutschland und die Deutschen 1945-1955», das bis in die Gegenwart reicht.

Ian McEwan ist bekannt für seine brisanten, stets nahe am Zeitgeschehen orientierten Romane. Sein neues Buch «Maschinen wie ich» behandelt das Thema Ethik und Künstliche Intelligenz. Können Roboter Gefühle entwickeln? Und wie weit darf der Mensch gehen, brauchen auch Roboter Rechte? Diogenes, 2019.

Commissario Brunetti ist ein guter alter Bekannter, man liest die Krimis von Donna Leon über den venezianischen, eleganten Commissario mit grossem Vergnügen und wird in Venetiens mythische Welt entführt, die wegen überdimensionierter Kreuzfahrtschiffe und Millionen von Touristen entzaubert wird. Auf dem Sofa können wir ganz ohne CO2 dabei sein. Der achtundzwanzigste Fall des beliebten Kommissars «Ein Sohn ist uns gegeben» dreht sich ums Erbe und Erbrecht. Diogenes, 2019.

 

Reportagen:

Ingrid Schindler nimmt uns mit auf eine wunderbare, abwechslungsreiche und erholsame   Fluss-Kreuzfahrt durch die Weiten Russland nach Moskau und St. Petersburg. 

 

Trier war einst eine mächtige römische Bastion. Rolf Breiner gibt vielfältige Tipps, wie und wo man auf Schritt und Tritt Geschichte und Kuliarisches entdecken kann.

 

 

«Gedicht / Gesicht» im Strauhof

Der Strauhof Zürich präsentiert eine Momentaufnahme der deutschsprachigen Gegenwartslyrik anhand von Texten, Fotografien und Videos. Die Ausstellung basiert auf dem Buch «Das Gedicht und sein Double»: 99 «Gedicht / Gesichts»-Paare. Jahrelang hat der Fotograf Dirk Skiba Aufnahmen von Lyrikerinnen und Lyrikern gemacht, die nun im Strauhof zu sehen sind.

Am Donnerstag, 4. Juli, 19.30 h findet ein Gespräch und Lesung mit Zsusanna Gahse und Kurt Aebli statt, «Face to Face», Moderation Rudolf Bussmann. Das ganze Rahmenprogramm ist unter www.strauhof.ch/veranstaltungen abrufbar.

 

 

Bachmannpreis 2019 für Birgit Birnbacher

14 AutorInnen haben’s probiert, 7 Namen kamen auf die Shortlist, je zwei deutsche und zwei österreichische Autoren machten das Rennen, der zusätzliche Publikumspreis ging an Ronja Othman. Der Bachmannpreis 2019 geht an Birgit Birnbacher (A). Leander Fischer (D) wurde mit dem Deutschlandfunkpreis, Julia Jost (A) mit dem KELAG-Preis ausgezeichnet. Den 3sat-Preis erhielt Yannic Han Biao Federer (D). Das Publikum stimmte beim BKS-Bank-Preis für Ronya Othmann (D).Die Schweizer Autoren Andrea Gerster, Tom Kummer und Silvia Tschui gingen leer aus.

 

Georg-Büchner-Preis für Lukas Bärfuss

Der Schriftsteller und Dramatiker Lukas Bärfuss wird mit dem renommierten Büchner-Preis ausgezeichnet, der bisher nur drei Schweizern verliehen wurde: Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Adolf Muschg. Bärfuss ist der vierte im Bunde. Den Schweizer Buchpreis erhielt er für seinen, dem Bruder gewidmeten autobiografisch geprägten Roman «Koala» 2015. Seine provokanten Theaterstücke wie «Die sxuellen Neurosen unserer Eltern» oder «Elefantengeist», Theater Mannheim 2018, erregten Aufsehen. Wir gratulieren! (Siehe auch Lukas Bärfuss, Archiv Literatur & Kunst). 

 

 

Am 27. März 2019 ist die konkrete Künstlerin Shizuko Yoshikawa in Zürich verstorben. Die Gedenkfeier findet am 27. August im Rietrg-Museum um 18 Uhr statt:

shizuko yoshikawa 8. januar 1934 – 27. märz 2019
gedenkfeier
dienstag, 27. august 2019,18 uhr
museum rietberg, seestrasse 110, 8002 zürich
im vortragssaal der park-villa rieter
anschliessend apéro im sommerpavillon von shigeru ban
erinnerungen an shizuko yoshikawa musikalischer rahmen von nik bärtsch, piano
shizuko yoshikawa und josef müller-brockmann stiftung
Wir wünschen Ihnen einen traumhaften Sommer, natürlich mit Literatur & Kunst!

 

Herzlich

Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin

 

 

 

 

 

Editorial