FRONTPAGE

Editorial Nr. 83

Editorial Nr. 83

Januar/Februar 2020

 

Liebe Literatur- & Kunst-Interessierte, liebe Freundinnen und Freunde,

herzlich willkommen im Neuen Jahr!

 

Es wird wohl eine Utopie bleiben, aber träumen darf man ja… vor allem zu Anfang eines neuen Jahres. Dass sich die Menschen auf diesem Planeten, dem einzig bewohnbaren weit und breit, als eine Familie sehen würden, als eine Weltfamilie mit ganz verschiedenen Arten und Hautfarben, in ganz verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig schätzen und besuchen, die sich nicht bekriegen und vernichten. Die allen mit Wohlwollen begegnen, egal welcher Religion und ob überhaupt. Wieviel friedlicher, schöner und aufregender wäre unsere Welt. In diesem Sinne alles Gute für das neue Jahrzehnt 2020!

Ihre Ingrid Isermann

 

 

 

Brexit & Co.

Endlich ist die EU die Briten los, nicht mal ihre Sonderrechte hielten sie in der EU.
Tant pis! Great Britain ist vielleicht nur noch eine Wunschvorstellung, wenn Schottland und Nord-Irland nicht mehr mitmachen, die in der EU bleiben wollen? Das alles steht in den Sternen. Doch für die EU könnte der Austritt einen Energieschub bedeuten, allzuoft traten die Briten auf die Bremse. Die EU ist immer noch ein gewaltiges Anschub- und Friedensprojekt allen Unkenrufen zum Trotz. Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU und hat vorteilhafte bilaterale Verträge, die ihr einen fulminanten Aufschwung und Wohlstand brachten. Eine Milliarde Euro Handelsvolumen täglich ist keine Kleinigkeit. Dieses Handelsvolumen steht nun auf dem Spiel, wenn die Initiative der SVP im Mai zur Diskussion steht, die bilateralen Verträge mit der EU zu kündigen. Man greift sich an den Kopf, wes Geistes Kind die Verursacher dieser Initiative sind, die vors Volk kommt. Von rechts wegen, wenn die Schweiz ein Verfassungsgericht hätte, müsste eine solche Initiative wegen wirtschaftlicher Gefährdung des Staates abgelehnt werden. Aber die SVP hat vielleicht einen Stadtstaat wie Singapur im Auge, wo tiefe Steuern die Milliardäre anziehen und die Wirtschaft als A und O über allem steht. Die Frage ist, ob wir das wollen und uns die Sinne vernebeln lassen. Die Schweiz soll ihre Werte bewahren und mit anderen Handel treiben, der allen zugute kommt. Eine Isolation wie die Kündigung der Bilateren nützt nur einer superreichen kleinen Gesellschaftschicht, die jetzt schon die ganze Schweiz besitzt. 

1. Februar 2020

 
Karneval
Im TV ist Karneval: «Der Orden wider den tierischen Ernst» wird soeben von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner an Armin Laschet, Ministerpräsident
Nordrhein-Westfalen verliehen, unter lauten Tatüütataa-Trompeten, die mich schon als Kind, wenn meine Eltern in Hamburg die rheinischen Balladen am Radio hörten, nicht einschlafen liessen. Noch heute kommt bei mir keine Fröhlichkeit auf, wenn ich die selbstgefälligen Büttenredner höre, die sich kiloweise Honig um den Bart schmieren. Da wird gewiehert, gelacht, geprustet, geschneuzt, sich auf die Schenkel geklopft, und man sieht auch einen Friedrich Merz mit den Alt-Oberen der CDU ganz unter sich. Etwas ist nun aber am 10. Februar anders als bisher und aus dem Ruder gelaufen: Annegret Kramp-Karrenbauer hat überraschend das Handtuch geworfen. Sie will nicht mehr Kanzlerin und auch keine CDU-Vorsitzende sein, bis ein anderer Kandidat gefunden ist. «Genug von der Damenriege» titelt die WELT am 11. Februar, «Wirtschaft ist für Merz als Kanzlerkandidaten». Klare Sache. Die Herren stehen Spalier: Armin Laschet, Jens Spahn, Friedrich Merz, Markus Söder. Und warum das ganze Durcheinandertal, wie Friedrich Dürrenmatt sagen würde?
In Thüringen hat die AfD einen Alibi-FDP-Mann in die Regierung gebracht, und der hat sich zuerst artig bedankt beim vorherigen Ministerpräsidenten der CDU, Mike Möhring,
und auch Gratulationen von der AfD, namentlich vom verfemten «Dämokrat» (Der Spiegel) Björn Höcke entgegengenommen. Die Kanzlerin intervenierte von Südafrika aus, dass sei «unverzeihlich» und machte alles wieder rückgängig und auch AKK überflüssig. Nun ist guter Rat teuer! CDU – nicht mit links und nichts mit rechts. Wer bleibt noch? Die FDP hat in Thüringen 5 Sitze, die AfD 22 Sitze, die CDU 21 Sitze, Grüne 5 Sitze, SPD 8 Sitze, Linke 29 Sitze. Der abgewählte Ministerpräsident der Linken Bodo Ramelow will wieder antreten.
Mit CDU/CSU geht das nicht, nach bisheriger Kenntnis. Frage: warum ist eine Partei wie die AfD, vom Verfassungsschutz als «Verdachtsfall« beobachtet und markiert
(Rechtsextremismus!) überhaupt erlaubt? Wenn eine Partei erlaubt ist, kann sie gewählt werden. Wenn sie rechtsextrem zu Hass aufruft, muss sie verboten werden. Lieber heute als morgen! Diese schizophrene Sachlage darf nicht länger anhalten. Sie hat bei den FDP-Mitgliedern schon Einzug gehalten, so sagte Christian Lindner, er hätte die «AfD unterschätzt» (dass sie einen FDP-Mann in die Regierung hievt) und der gewählte Herr Kemmerich sagte, er sei «übermannt» gewesen (von der Wahl). Ein passender Ausdruck!
Ihre Ingrid Isermann

 

 

Was gibt es im Januar/Februar 2020 auf Literatur & Kunst zu entdecken?

 

Sie ist unbedingt zu entdecken, die faszinierende polnische Nobelpreistägerin Olga Tokarczuk! Wir stellen Ihnen vor: «Spiel auf vielen Trommeln», Matthes & Seitz, Berlin, und «Die Jakobsbücher», Verlag Kampa, Zürich 2019. 

 

«Lido di Dante» von Petr Borkovec entführt Sie nach Ravenna und an den Lido, der tiefgründige Lyriker wird Sie faszinieren. Edition Korrespondenzen, 2018. Beitrag von Andreas Kohm.

 

Exklusiv für das Kunsthaus Zürich präsentiert der isländisch-dänische Lichtkünstler Olafur Eliasson eine neue Installation und spricht von der Verbindung der Natur zur Kultur. Ein wegweisendes Interview der Kuratorin des Kunsthauses Zürich, Mirjam Varadinis mit Olafur Eliasson.

 

Die Solothurner Filmtage finden vom 22. – 29. Januar 2020 statt, diesmal unter der neuen Leitung von Anita Hugi, Journalistin, SRF-Redaktorin und Produzentin der Sternstunde Kunst (2005-2019). Initiantin und Gründerin mit Co-Gründerin Ingrid Isermann des Medienpreises für Freischaffende (2008-2014). Präsidentin der Freien BerufsjournalistInnen Zürich (FBZ) seit 2007. Gespräch mit Rolf Breiner über ihre Intentionen, Ambitionen und Themen.

 

Trix und Robert Haussmann sind eine bekannte Grösse des Schweizer Designs und der Architektur. Julia Schildknecht hat sie anlässlich der Buchvernissage ihrer bei Scheidegger & Spiess erschienenen gleichnamigen Monografie getroffen. Architekturtipps: «Nicht-Referenzielle Architektur», gedacht von Valerio Olgiati, geschrieben von Markus Breitschmid. Park Books, 2. Auflage 2019. «Poolologie Homestory», Pool Architekten, Park Books, 2019. Architekturführer DOM publishers, Berlin 2019: Hamburg, Slowenien, Südtirol.

 

Mitte: Exhibition «Marking Time. Process in Minimal Abstraction». Guggenheim Museum, New York.  18. Dezember 2019 – 20. Juli 2020.

 

Unsere Reportage führt nach Wien zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. Lesen Sie Ingrid Schindlers aufschlussreiche Impressionen für Literatur & Kunst vor Ort und lassen sich inspirieren.

 

«Borderless» lautet der neue Roman von Veit Heinichen. Susanne Schanda hat den Schriftsteller im wunderbaren Triest interviewt. Piper-Verlag, 2019.

 

Ein spezieller Architektur-Buchtipp: «Herzog & de Meuron 001-500». Der Bündner Verleger Dino Simonett, seit 2016 in Basel, hat eine Kult-Enzyklopädie über die weltweit verstreuten Bauten der Architekten Herzog & de Meuron herausgegeben. Simonett & Baer, 2019. Formidabel!

 

She did it again! Nach dem Schweizer Buchpreis für ihren Roman «GRM. Brainfuck» erhält Sibylle Berg 2020 den Grand Prix Literatur für ihr Lebenswerk vom Bundesamt für Kultur, der mit 40 000 Schweizer Franken dotiert ist. Berg, *1962 in Weimar, lebt seit über zwanzig Jahren in der Schweiz. Ihre Romane, Theaterstücke und Kolumnen üben tiefschwarze Kritik an Kapitalismus und Neoliberalismus. Am 18. Februar wird Sibylle Berg zudem der mit 15 000 Euro dotierte Bert Brecht-Preis der Stadt Augsburg verliehen. Wir gratulieren!

 

Wir wünschen Ihnen ein glückliches und schönes Neues Jahr 2020 mit Literatur & Kunst. Machen Sie’s gut!

 

Herzlich

Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin

 

 

 

 

Editorial