FRONTPAGE

«Der Künstler, die Muse und der Wahnsinn»

Von Dagmar Just

Das Remake mit Leonardo di Caprio und Carey Mulligan des ‚Great Gatsby’, dem berühmtesten Roman von F. Scott Fitzgerald, kommt in diesem Jahr in die Kinos. Ihr Leben widerspiegelt die Zeit der Roaring Twenties: zusammen erlebten Zelda und Scott Fitzgerald Aufstieg und Fall, Rausch und Kater einer ganzen Epoche.

 

Pietro Citati nähert sich dem glamourösesten Paar des Jazz Age an: wie sie sich kennenlernen und verlieben, die Südstaatenschönheit und der attraktive, ehrgeizige junge Mann aus dem Mittleren Westen, wie sie in New York die Nächte durchtanzen, trunken vom frühen Ruhm, den Scotts Romane und Erzählungen ihnen verschaffen, wie sie sich schon bald nach der Geburt ihrer Tochter Scottie gegenseitig kritisieren; wie sie nach Europa reisen, nach Paris und an die Côte d’Azur, wie Scott mehr und mehr dem Alkohol verfällt und Zelda in die Nervenheilanstalt eingeliefert wird, wie sich letztlich ihre Wege trennen und sie sich erst recht füreinander verantwortlich fühlen.

 

Zelda war keine Marie Curie oder Mutter Teresa. Auch keine brillante Erzählerin oder schräge Modedesignerin. Im Grunde war sie eine schwierige Ehefrau und schlechte Mutter, die sich mit Anfang Zwanzig für den falschen Mann entschied und ihrem Entschluss bis zum bitteren Ende treu blieb. Der Mann war Francis Scott Fitzgerald. Das hat ihr Leben zum Top-Thema auf dem Biographienmarkt gemacht: wie sie den «besten und bestbezahlten Schriftsteller Amerikas» geliebt, bekriegt und schließlich zerstört hat. Oder er sie, je nach Gusto des Biographen. Die Geschichte dieser Ehe hat etwas von der düsteren Schicksalhaftigkeit einer griechischen Tragödie.
Im ersten Akt: das Glück. Fitzgeralds Debütroman «Jenseits vom Paradies» wird, kurz vor ihrer Hochzeit veröffentlicht, sofort zur Bibel der Jazz-Generation. Die Honorare für seine Kurzgeschichten schnellen in astronomische Höhen. Zelda und Scott werden das Traum- und Glamourpaar der zwanziger Jahre. Ihr Leben – eine Dauerparty: Sie baden in Sekt mitten in der Prohibition und werfen mit Geld um sich wie die Stummfilmstars mit Torten. Bis kurz vorm Börsenkrach. Da stürzt Zelda ab.

 

Zweiter Akt: das berühmte siebte Ehejahr. Plötzlich hat die Muse ihr Leben satt: die Alkoholexzesse, die Affären, sein Schreiben, ihre Tochter, die Pelze, die Parties, sein Geld. Sie will selbst Künstlerin sein! Tänzerin! Primaballerina der berühmtesten Kompanie der Zeit «die Pawlowa in den ‚Balletts Russes’ – sonst nichts»!
Dafür trainiert sie jeden Tag bis zum Umfallen. «Nachts bindet sie ihre Füße mit nach außen gebogenen großen Zehen an die Bettpfosten».
Doch sie ist keine Pawlowa, und darüber wird sie verrückt. Wie es schon ihr Vater war, drei ihrer Schwestern, die Grossmutter, ihr Bruder. Exzeme, Augenschmerzen, Asthmaanfälle, Paranoia. Der erste Selbstmordversuch. Eine Fehlgeburt. Die erste Auszeit in noblen französischen und Schweizer Sanatorien. Hier beginnt sie zu malen.
Und einen autobiographischen Roman über die wahre Geschichte ihrer Ehe zu verfassen. Die Sauftouren ihres Manns, sein Jähzorn, seine Versuche, sie zu zermürben und ihre Tagebücher für seine Erzählungen zu plündern. Fitzgerald reagiert panisch: «Alles, was wir gemacht haben, gehört mir»! Tatsächlich muss er durch sein Schreiben ihre Aufenthalte in den teuren europäischen und amerikanischen Nervenkliniken finanzieren.

 

Dritter Akt: die Hölle. 1934 kommt es zur ersten und letzten Parallelaktion: Mrs. Scott Fitzgerald stellt 13 Gemälde und 5 Zeichnungen öffentlich aus, während er seinen vierten Roman «Zärtlich ist die Nacht» um eine schizophrene Ehefrau herausbringt.
Sie versucht erneut, sich umzubringen, er ertrinkt nun vollends im Alkohol. 1937 hat er
40 000 Dollar Schulden und fährt statt der 17 Schrankkoffer, mit denen sie einst voller Hoffnung nach Europa gereist waren, mit seiner kranken Frau nach Amerika zurück.
«Ich bin es schrecklich leid, Scott Fitzgerald zu sein». Noch zwei Herzinfarkte, dann ist er tot. Da muss Zelda noch sieben Jahre aushalten. 1947 stirbt auch sie, bei einem Brand in einer Nervenklinik. Und «wie in einem Märchen der Brüder Grimm wurde ihre Leiche nur durch einen verkohlten Pantoffel identifiziert».

 

«Ich hätte Material für eine Biographie von 350 Seiten gehabt. Doch ich entschied mich für die kürzestmögliche Form, da Fitzgerald, wie Kafka, einer der Erfinder der modernen Kunst des Weglassens ist».

Einfühlsam und ohne Partei zu ergreifen zeichnet Pietro Citati das Leben zweier Verzweifelter, die sich gefunden haben und nicht mehr voneinander lassen können, im Guten wie im Schlechten.

 

Pietro Citati
Schön und verdammt
Ein biographischer Essay über
Zelda und F. Scott Fitzgerald.
Aus dem Italienischen von Maja Pflug.
Diogenes Verlag Zürich.
Biographie, Hardcover Leinen, 160 Seiten
CHF 40.90 / € (D) 22.90 / (A) 23.60.
ISBN 978-3-257-06735-4

 

F. Scott Fitzgerald
Der große Gatsby

Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell.
Roman, Diogenes Verlag Zürich, detebe 23692, 256 Seiten.
CHF 15.90 / € (D) 9.90 / (A) 10.20
ISBN 978-3-257-23692-7

 

Hörbuch
F. Scott Fitzgerald
Der große Gatsby
Gelesen von Gert Heidenreich. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell.
Diogenes Verlag Zürich
5 CD, 6 Std. 1 Min.
CHF 53.90 / € 31.90. ISBN 978-3-257-80276-4

 

New York 1922. Auf seinem Anwesen in Long Island gibt Jay Gatsby sagenhafte Feste. Er hofft, mit seinem neuerworbenen Reichtum, mit Swing und Champagner seine verlorene Liebe zurückzugewinnen. Zu spät merkt er, dass er sich von einer romantischen Illusion hat verführen lassen. Gatsby wurde zum Sinnbild des amerikanischen Traums und dessen Scheiterns, zum Inbegriff von Aufstieg und Fall. Seine schreibenden Zeitgenossen erkannten den Stellenwert dieses Buchs sofort. Doch spätestens seit der Verfilmung mit Mia Farrow und Robert Redford (1974) gilt ‚Der große Gatsby’ als F. Scott Fitzgeralds unumstrittenes Meisterwerk.

NACH OBEN

Literatur