Benjamin von Stuckrad-Barre, Foto: PD
«Abschied von der Nacht: Benjamin von Stuckrad-Barres Comeback»
Von Ingrid Isermann
Er wollte genau da rein: zu den Helden, in die rauschhaften Nächte – dahin, wo die Musik spielt. Erst hinter und dann auf die Bühne. Unglaublich schnell kam er an, stürzte sich hinein und ging darin fast verloren. Udo Lindenbergs rebellische Märchenlieder prägten und verführten ihn, doch Udo selbst wird Freund und später Retter.
Ausgelassen hat er nichts in seinem Leben, jetzt ist er zurück aus Drogennebel und Verfinsterungen. Stuckrad-Barre löst einerseits Begeisterung bei Kritikern über seine schonungslose Lebensbeichte aus, andere halten seine Haltung nur für eine Attitüde. Kalt lässt der coole Stuckrad-Barre aber keinen.
Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt eine Geschichte, wie man sie sich nicht ausdenken kann: Er wollte den Rockstar-Taumel und das Rockstar-Leben, bekam beides und folgerichtig auch den Rockstar-Absturz. Früher Ruhm, Realitätsverlust, Drogenabhängigkeit. Und nun eine Selbstfindung am dafür unwahrscheinlichsten Ort – im mythenumrankten «Chateau Marmont» in Hollywood, in das ihn Udo Lindenberg führte. Was als Rückzug und Klausur geplant war, erweist sich als Rückkehr ins Schreiben und in ein Leben als Roman. Drumherum tobt der Rausch, der Erzähler bleibt diesmal nüchtern. Schreibend erinnert er sich an seine Träume und Helden – und trifft viele von ihnen wieder. Mit Bret Easton Ellis inspiziert er einen Duschvorhang, er begegnet Marius Müller-Westernhagen beim Arzt und Courtney Love in der Raucherecke und geht mit Thomas Gottschalk zum Konzert von Brian Wilson. Andere sind tot und werden doch gegenwärtig, Kurt Cobain, Helmut Dietl.
Stuckrad-Barre erzählt mit seiner eigenen Geschichte zugleich die Geschichte der Popkultur der letzten 20 Jahre. »Panikherz« ist eine Reise in die Nacht, eine Suche nach Wahrheit, eine Rückkehr aus dem Nebel.
Leseprobe:
WIR HABEN BEIDE EINEN HUT AUF. UDO KONNTE SICH nicht entscheiden, welchen er mitnimmt, hatte keine Hutschachtel griffbereit, also war für den Zweithut die sicherste Beförderungsart: mein Kopf.
Seit einer Stunde stehen wir in der Warteschlange vor den Einreiseschaltern des Flughafens von Los Angeles, und je näher wir den grimmig schauenden Uniformierten in ihren Glaskästen kommen, desto nervöser werde ich. Wie sie hundertmal zwischen Pass und Einreisendengesicht hin- und herschauen, in ihren Computer gucken, unfreundliche Generalverdachtsfragen stellen, Fingerabdrücke nehmen, Fotos von einem machen, schrecklich. Land of the free – aber wirklich erst, wenn man drin ist.
Wir sind Touristen. Das ist ganz wichtig. Holiday, vacation! Urlaub, Urlaub, Urlaub. Davon darf man nicht abweichen. Egal, mit welchen Trickfragen sie kommen – Urlaub. Ich habe zur Sicherheit auch Udos ESTA-Nummer auf einem Klebezettel in meiner Reiseunterlagenklarsichtfolie, Udo hat seinen Reisepass schon aufgeklappt in der Hand, er glaubt, dass es ganz schnell geht. Wie immer, wenn wir zusammen reisen, nehme ich ihm kurz Pass und Ausweis ab und freue mich an den dort festgehaltenen Staatsbürgerfakten: Udo Gerhard Lindenberg. Gerhard! Wohnsitz: Hotel Atlantic.
Ein Schalter wird frei, und der Uniformierte in dem uns barsch (»Next!«) zugewiesenen Glaskasten hat besonders schlechte Laune. Natürlich sind wir rein äußerlich ein seltsames Paar, nicht unbedingt Leute, die man ohne Nachfragen durchwinkt: Udo in engen Nadelstreifenhosen, mit Nietengürtel und auf neongrünen Socken, er hatte keine Lust mehr auf Schuhe nach dem langen Flug, dazu eine Art Kapitänsuniformjacke und einen braunen Hut, ich mit Matrosenhemd und Jogginghose, Udos Zweithut auf dem Kopf, einem Tropenhut. In Deutschland wäre das gewiss anders, doch wenn man ihn nicht kennt und einfach zum ersten Mal Udo Lindenberg sieht, so, wie er eben aussieht, tja, was macht man da als Grenzkontrolldobermann? Es ist ja nicht so, dass wir aussehen, als hätten wir eventuell Drogen dabei oder so, wir sehen vielmehr aus, als bestünden wir praktisch aus Drogen. Säße ich in so einem Glaskasten: Diese beiden Typen würde ich mir auf jeden Fall genauer angucken.
Jetzt keinen Fehler machen. Freundlich, aufgeräumt, klar, unverdächtig wirken. Immer wenn man das versucht, wirkt man natürlich besonders verdächtig. Ich fange an zu schwitzen. Schon bei dem Herrn vor uns hat es zehn Minuten gedauert, und der sah nun wirklich so aus, wie ein Zwölfjähriger einen seriösen Geschäftsmann malen würde.
Erst jetzt bemerke ich, dass Udo tatsächlich Zigarre raucht, ganz lässig, beiläufig, im Flughafengebäude, im rauchparanoiden Amerika.
Hi, hi, yeah, here we are, happy to be here again, how are you doing man, good looking, sagt Udo und pafft an seiner Zigarre. Und ich denke: Das war’s dann.
Der Uniformierte ist nicht zu Späßen aufgelegt. Doch da kennt er Udo schlecht. Den aus der Ruhe zu bringen, da braucht es schon mehr, als missmutig zu gucken und zu bellen: No smoking, Sir!
Oh, excuse me, yeahyeahyeah, sagt Udo friedlich – und lässt die Zigarre brennen, hält sie aber jetzt auf Gürtelhöhe, das ist sein Kompromissangebot.
Ich versuche, das Schlimmste zu verhindern, und geselle mich dazu, werde aber streng zurück hinter die Absperrung geschickt, Einzelvernehmung. Und so kann ich nicht eingreifen und sehe und höre nur, wie alles immer schlimmer wird. Udo hört gar nicht auf zu reden.
Der Uniformierte fragt Udo, was er beruflich mache. Schon toll, dass Udo das noch mal gefragt wird in seinem Leben. I’m a musician, started as a drummer, you know, back then, hundred years ago …
Das ist komplett wahnsinnig. Udo trommelt ein bisschen mit seinem Reisepass und seiner Sonnenbrille auf dem Grenzschaltertresen herum. Drummer, Jazz-Drummer, you know? Yeah! But now …
Er muss jetzt sofort aufhören, seinen Wikipedia-Eintrag szenisch vorzutanzen. Ich nähere mich noch mal, um die Sache abzukürzen, aber der Uniformierte wedelt mich weg wie eine Schmeißfliege. Dass man sich so fühlt, ist ja Ziel dieses amerikanischen Einreisewahnsinns.
Ich höre Udo sagen, er sei von Beruf Udo Lindenberg, diesen Beruf gebe es nur einmal auf der Welt, Udo, nicht Ufo, wobei, so sicher könne man da gar nicht sein, denn er sei eigentlich, heimlich, aber das dürfe keiner wissen, das entführte Kind von Charles Lindbergh.
Ah ja? Der Uniformierte guckt jetzt nicht mehr misstrauisch, es ist mehr so ein Guantanamo-Blick.
Er sei, fährt Udo fort, ein in Deutschland sehr berühmter Rockmusiker, aber man wisse ja nie, junge Talente, weltweit unterwegs, vielleicht werde das ja noch was mit seiner Karriere in Amerika? Er zeigt, das tut er wirklich, dem Uniformierten auf seinem iPhone einen Videomitschnitt von einem seiner Stadionkonzerte.
Yeah, godong, godong, sagt Udo.
Und ich denke, alles klar, das endet auf jeden Fall in einem fensterlosen Raum.
Aus: Benjamin von Stuckrad-Barre »Panikherz«
© 2016 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren. »Soloalbum«, 1998, »Livealbum«, 1999, »Remix«, 1999, »Blackbox«, 2000, »Transkript«, 2001, »Deutsches Theater«, 2002, »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft – Remix 2«, 2004, »Auch Deutsche unter den Opfern«, 2010.
Benjamin von Stuckrad-Barre
Panikherz
Kiepenheuer & Witsch, 2016
576 S., geb.
22,99 € (D). 23,70 € (A).
ISBN: 978-3-462-04885-8