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«Bret Easton Ellis: Weiss»

Von Sasha Verna

 

Eine Warnung voraus: Wer mit dem amerikanischen Film der letzten vierzig Jahre nicht vertraut ist, wird sich mit «Weiss» schwertun. Es hilft auch, die Karrieren der A-, B-, und C-Prominenz dieser Zeit verfolgt zu haben und sich vorzustellen, das Universum bestehe aus Los Angeles und New York. Bret Easton Ellis ist der Barde mittendrin.

Ellis geistert seit über drei Jahrzehnten als böser Bube durch die amerikanische Literatur. 1991 erschien sein Roman «American Psycho», dessen exzessive Gewalt- und Sexszenen das Publikum zugleich abstiessen und faszinierten und der spätestens durch die Verfilmung im Jahr 2000 zum skandalösen Klassiker avancierte.

Der Protagonist Patrick Bateman, Wall Street-Banker und Serienmörder, ist heute eine beliebte Halloween-Figur. Sein Debüt, dem er den Ruf als tabubrechendes Wunderkind verdankte, hatte Ellis bereits 1985 als 21-jähriger College-Student veröffentlicht. «Unter Null» handelte von einer Gruppe gelangweilter Jugendlicher in LA mit Geld für Drogen und Partys. «Weiss» ist nach sechs Romanen und einer Sammlung mit Kurzgeschichten Ellis’ erstes Sachbuch, eine jener Lebensabschnittberichte, die man neuerdings auch auf Deutsch «Memoir» nennt.

 

 

Die Rolle des Schwulen im US-Kino

Anders als eine Autobiografie ist das Memoir eine Lizenz zum Auslassen. So erschöpfen sich die ersten paar Kapitel über Ellis’ Kindheit und Teenagerjahre in Sherman Oaks, einem familienfreundlichen Stadtteil von Los Angeles in Analysen der Horrorfilme, die ihn aufs erbarmungslose Erwachsensein vorbereitet haben sowie in einem Exkurs über Schauspieler im allgemeinen und Richard Gere in «American Gigolo» im Besonderen.

Weiter erörtert Ellis im Zusammenhang mit seiner eigenen Homosexualität die Rolle des Schwulen im US-Kino «als magischer Elf – der uns bei jedem Coming-out wie ein heiliger, bezaubernder ET erscheint und dessen einziger Lebenszweck darin liegt, uns an die nötige Toleranz und an unsere Vorurteile zu erinnern, als Symbol zu dienen und uns zu einem wohligen Selbstgefühl zu verhelfen».

Was seine eigenen Werke betrifft, äussert sich der Autor vor allem zu «Unter Null» und «American Psycho». Es wird deutlich, wie sehr das frühe Rampenlicht und der lange Schatten Patrick Batemans ihn definiert haben.

Die beiden Romane haben ihn zum ewigen Chronisten der Yuppie-Ära gemacht, dessen literarische Neuanläufe seither niemanden mehr richtig überzeugten – egal ob er sich dabei episch-konspirativ gab wie in «Glamorama» (1998) über eine bizarren Terror-Plot in Modekreisen oder ob er sich im Reich der Metafiktion versuchte wie in «Lunar Park» (2005), einer Gespenstergeschichte mit einem Helden namens Bret Easton Ellis.

 

In den vergangenen Jahren hat Ellis seinem Nonkonformismus vornehmlich über Tweets Ausdruck verliehen. Allerdings beschränkt er sich inzwischen auch auf Twitter hauptsächlich auf Hinweise auf seinen wöchentlichen Podcast, in dem er sich mit Regisseuren, Schauspielern und Produzenten unterhält. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt bei denselben Regisseuren, Schauspielern und Produzenten, mit denen Ellis auch essen geht und an Film- und Fernsehprojekten, arbeitet, die zu nichts führen.

 

 

Ellis grösstes Verbrechen: Er tanzte den Apocalypso nicht mit, den seinesgleichen nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten aufführte.

In «Weiss» beklagt Ellis die Empörungskultur der Hollywood-Liberalen und der Ostküsten-Intelligenzija, von der er sich zur Selbstzensur genötigt fühlt: «Wer sich dem bedrohlichen Gruppendenken der ‹progressiven Ideologie› widersetzt, die universelle Inklusion propagiert (ausser für all jene, die Fragen stellen), der steckt irgendwie in der Scheisse.»

Ellis grösstes Verbrechen: Er tanzte den Apocalypso nicht mit, den seinesgleichen nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten aufführte. Seinen Rat, «dass sich alle mal Erwachsenenkleider anziehen, an der Bar einen steifen Drink nahmen und sich richtig unterhielten» wurde und wird von vielen nicht goutiert. Auch nicht von seinem um 22 Jahre jüngeren Liebhaber, dessen «Generation Weichei» mit ihrem Milchgesicht-Sozialismus eine weitere von Ellis’ Zielscheiben bildet.

 

 

Maulkorb-Diktatur der Linken

Der Autor wettert gegen das, was er als Maulkorb-Diktatur der Linken empfindet und betont, dass Trump nur ein einziges Mal alle Mexikaner als Vergewaltiger bezeichnet habe. Er meint auch, und darüber werden sich #MeToo-Aktivistinnen echauffieren: «Mann bleibt Mann, Jungs sind eben Jungs, Typen bleiben immer gleich, das wird sich nie ändern.»

Als Polemik bleibt «Weiss» freilich bedauerlich zahnlos. Einzelne Teile wirken zusammengekleistert – und sind es auch, aus Texten, die Ellis für Medien wie «The Daily Beast» und «Vanity Fair» verfasst hat. Einmal hebt er zur grossen Zeitdiagnose an, verliert sich dann aber in einer Charakterstudie des gewesenen TV-Stars Charlie Sheen, den er zum amerikanischen Archetypen stilisiert.

Von solchem Verhältnisblödsinn abgesehen begeht Ellis den rhetorischen Fehler, sein kohärentestes Argument zu oft zu wiederholen. Danach wird im gegenwärtigen Klima kollektiver Empfindlichkeit nicht mehr auf die Kunst geschaut, sondern auf den Künstler.

Das Urteil über die politischen An- und Absichten eines Künstlers und/oder über seine moralische Integrität ersetzt jenes über den ästhetischen Gehalt seines Werkes. Das stimmt und ist in der Tat bedenklich. Doch braucht man sich keiner bestimmten Ideologie verschrieben zu haben, um von diesem Möchtegern-Manifest eines ergrauten Nestbeschmutzers enttäuscht zu sein.

 

 

Bret Easton Ellis wurde 1964 in Los Angeles geboren. Er besuchte die private Buckley School und begann 1986 ein Musikstudium am Bennington College in Vermont. Schon während seiner Highschool-Zeit bis in die Anfänge der 80er-Jahre spielte Ellis Keyboard in diversen New-Wave-Bands und wollte ursprünglich Musiker werden. Im Laufe des Studiums zog es ihn jedoch immer mehr zum Schreiben. Mit 21 Jahren veröffentlichte Ellis das Debüt »Unter Null« und zog zwei Jahre später nach New York City. 1991 erschien »American Psycho«, der Roman machte ihn endgültig zum Kultautor. Seit 2006 lebt er wieder in Los Angeles, in der Nähe von Beverly Hills.

 

 

Bret Easton Ellis

Weiss

Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke

Kiepenheuer & Witsch.

320 S., CHF 29.90.

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