FRONTPAGE

«Martha Gellhorn: Die berühmteste Kriegsreporterin»

Von Ingrid Isermann

 

 

«In meiner Jugend glaubte ich an die Fähigkeit des Menschen, immer vollkommener zu werden, und an den Fortschritt; den Journalismus hielt ich für ein Leitfeuer auf dem Weg». Die erste Reportage im Buch «Das Gesicht des Krieges» (Reportagen 1937-1987) wurde vor 49 Jahren geschrieben, erschienen im Zürcher Dörlemann-Verlag 2012.

 

«In den Jahren meines tatkräftigen Hoffens klagte ich die Führer an, wenn die Geschichte wie immer nicht nach Plan lief, wenn Grausamkeit und Gewalt toleriert oder angeheizt wurden und die Unschuldigen nie etwas anderes hatten als das Nachsehen. Die Führer waren ein schemenhaftes, verflochtenes Direktorium von Politikern, Industriellen, Zeitungsbesitzern, Finanziers: unsichtbare kalte, ehrgeizige Männer. „Das Volk“ war ganz ohne Frage gut; wenn es sich nicht richtig verhielt, dann aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit.

Neun ganze Jahre, eine grosse Wirtschaftskrise, zwei mit einer Niederlage endende Kriege und eine Kapitulation ohne Krieg waren nötig, um meinen Glauben an die segensreiche Macht der Presse zu brechen. Nach und nach wurde mir klar, dass die Menschen eher bereit waren, Lügen zu schlucken, als die Wahrheit zu erkennen, als ob der Geschmack von Lügen anheimelnd wäre, appetitlich. Die guten Leute, die dem Bösen entgegentraten, wo immer sie es erblickten, blieben stets eine edelmütige Minderheit. Die manipulierten Millionen liessen sich durch alle möglichen Lügen aufscheuchen oder einlullen. Das Leitfeuer des Journalismus war nicht heller als ein Glühwürmchen».

 

 

Das schrieb die Journalistin Martha Gellhorn in ihrer Einleitung zur Ausgabe von 1959 ihrer Publikation «Das Gesicht des Krieges». Dass es so aktuell scheint, ist die Crux, dass Kriege ihr Gesicht nicht verändern, dass im Gegenteil Gewalt, Terror und Anschläge ein unvorstellbares Ausmass erreicht haben, wie 9/11, der Balkankrieg, Irak, Afghanistan, Syrien, neue Brandherde, die jederzeit ausbrechen können.

Martha Gellhorn schont weder sich noch andere mit ihren klugen Betrachtungen und Analysen, Anklagen gegen die verbrecherischen Kriege, gegen die Machthaber, die ihr Volk unterdrücken, geisseln und für dumm verkaufen. Und auch gegen jene Länder, die um ihres Vorteils willen dazu schweigen. Das ist auch heute nicht anders, und es ist frappierend und trostlos, dass dagegen zuwenig Widerstand aufbricht, weder in den Medien noch in den Völkern. Gegen das hat sich Martha Gellhorn stets verwahrt, darum schrieb sie und beschrieb leidenschaftlich das Grauen, die Angst, die Zerstörung, die Menschen angetan wurde, um aufzurütteln. Es ist keine Feierabend-Lektüre, die man beruhigt zur Seite legt, es ist eine akut beherzte Stellungnahme für den Humanismus, der sich von alleine nicht einstellt, sondern die Fürsprache braucht von Menschen, die sich mitverantwortlich fühlen. Auch und gerade von JournalistInnen, die im Fernsehen das brutale Tagesgemetzel mit entspannter Miene und unbeteiligter Stimme vortragen. Was geht uns noch nahe? In der Medienüberflutung der Hiobsbotschaften wird man gegen das alltägliche Grauen immun.

 

 

Martha Gellhorn berichtet vom spanischen Bürgerkrieg, den sie gemeinsam mit Ernest Hemingway erlebte, vom Zweiten Weltkrieg mit der Befreiung Dachaus und den Krieg in Vietnam bis zum Krieg in Nicaragua. Sie schrieb fünfzig Jahre lang von nahezu jedem Schlachtfeld dieser Erde, fürchtete weder Kugelhagel noch Bombendetonationen und kümmerte sich nicht um militärische Strategien, ihr Augenmerk galt allein der notleidenden Zivilbevölkerung, deren Elend sie festhielt.

Sie war dabei, als unbestechliche Beobachterin. Und sie legt Zeugnis ab, auch ihr Widerstreiten mit dem Journalismus und dem sich-in Frage-stellen.

 

«Nach dem Krieg in Finnland betrachtete ich den Journalismus als Passierschein. Man brauchte die richtigen Papiere und einen Job, um bei dem Schauspiel namens „Zeitgeschichte“ einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Im Zweiten Weltkrieg tat ich nichts anderes, als Loblieder auf die guten, tapferen und grosszügigen Menschen zu singen, die ich sah, wohl wissend, dass dies ein völlig zweckloses Unterfangen war. Wenn sich die Gelegenheit bot, zog ich über die Teufel her, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Würde des Menschen in den Schmutz zu treten; genauso zwecklos.

Ich entwickelte einen absurden beruflichen Stolz darauf, dort hinzukommen, wo ich hinwollte, und meinen Text rechtzeitig nach New York zu schicken, aber ich konnte mir nicht einreden, dass auch nur ein Hahn nach meiner Arbeit als Kriegsberichterstatterin krähte. Krieg ist eine bösartige Krankheit, eine Idiotie, ein Gefängnis, und das durch ihn verursachte Leid kann man nicht erzählen oder sich vorstellen; aber Krieg war unser Heute und Gestern, wir mussten damit leben. Ich war eine Kriegsgewinnlerin besonderer Art, denn ich kam immer mit heiler Haut davon und wurde dafür bezahlt, meine Zeit mit grossartigen Menschen zu verbringen.

 

 

Sehr guter und wirksamer Journalismus ist wie Erziehung. Offenbar wollten die Menschen nicht lernen, weder aus eigenen Erfahrungen noch von anderen. Wenn sie durch die Hölle des Zweiten Weltkrieges nicht klüger wurden, wodurch dann? Die Nachkriegswelt ist sicherlich ein Hohn auf die Hoffnung und eine Beleidigung all derer, die starben, damit wir überleben konnten».

Klare Aussagen, die man nur unterschreiben kann.

«Bis zur Erfindung der Atombombe, der H-Bombe, der Kobaltbombe oder irgendeiner nächsten konnten wir die menschliche Geschichte mit einigem Recht als eine riesige endlose Achterbahn betrachten, auf der es immer hinauf und hinunter ging.
Der Journalismus ist ein Mittel, und heute denke ich, dass es an sich schon wertvoll ist,
die Tatsachen aufzudecken. Seriöser, sorgfältiger, ehrlicher Journalismus ist unverzichtbar; nicht weil er etwa ein Leitfeuer wäre, sondern weil er eine Form anständigen Verhaltens ist, die den Reporter und den Leser einbezieht. Ich bin keine Journalistin mehr; wie für alle anderen Privatleute ist das einzige, was ich zu meistern habe, mein eigenes Leben.

Allem offiziellem Gefasel über saubere Bomben und taktische Atomwaffen zum Trotz weiss jeder, der Zeitung lesen oder Radio hören kann, dass einige unter uns Sterblichen die Macht haben, die Menschheit und die Erde als Heimat der Menschen zu zerstören. Wir brauchen nicht einmal Krieg zu führen; nur durch die Vorbereitungen, durch das Herumspielen mit unseren neuen Waffen, vergiften wir die Luft, das Wasser, den Boden unseres Planeten, schädigen die Gesundheit der Lebenden und verschlechtern die Chancen der Ungeborenen. Wie kann irgend jemand irgendwo über den unumkehrbaren Irrsinn von Atombomben hinwegsehen oder über die sichere Aussicht auf Vernichtung, wenn wir sie im Kriegsfall einsetzen?
Nachdem ich mein Leben lang Kriege beobachtet habe, halte ich sie für eine endemische menschliche Krankheit und Regierungen für die Überträger. Es muss eine bessere Art geben, als durch Kriege die Geschicke der Welt zu lenken. Sorgen wir dafür, dass sie Wirklichkeit wird».

 

Wer mehr über Hintergründe und Tatsachen der Kriege, die unsere Welt heimsuchten, erfahren will, sollte diese prägnanten, packend geschriebenen Reportagen, denen viele Leserinnen zu wünschen sind, unbedingt zur Hand nehmen.

 

 

Martha Gellhorn
Das Gesicht des Krieges
Reportagen 1937-1987
Aus dem Englischen von
Hans-Ulrich Möhring.
Dörlemann-Verlag Zürich 2012.
576 S., Leinen mit Leseband,
CHF 36, Euro 24.90. 25.60 (A).

 

 

Martha Gellhorn (* 8. November 1908 in St. Louis bis 15. Februar 1998 in London) war eine US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin. Sie wurde als Tochter eines bekannten Arztes und einer sozial engagierten Mutter geboren, die mit Eleanor Roosevelt befreundet war. Schon in jungen Jahren war sie privat zu Besuch im Weissen Haus. Gellhorn lernte Europa bereits als Schülerin auf mehreren Reisen kennen. 1929 begab sie sich nach Paris und begann für United Press und Vogue zu schreiben. In den 1930er Jahren bereiste sie die Vereinigten Staaten in Regierungsauftrag, um über das Schicksal der Arbeitslosen zu berichten. Sie berichtete 1931 auch von einem Lynchmord im US-Bundesstaat Mississippi. In der Folge veröffentlichte sie das Buch The Trouble I’ve Seen (1936).

 

 

1936 besuchte sie Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus, ohne sich von den Olympischen Spielen blenden zu lassen. Sie arbeitete als Kriegsberichterstatterin für Collier’s im Spanischen Bürgerkrieg und berichtete 1938 vom Fall der Tschechoslowakei. Auch hier entstand später ein Buch, der autobiographische Roman A Stricken Field (1940). 1941 bereiste sie China und begegnete Chiang Kai-shek und Zhou Enlai. 1943 arbeitete sie im Rang eines US-Hauptmanns in Europa; sie schrieb über Kriegswaisen in Italien und die Befreiung des KZ Dachau. Später berichtete sie über die antikommunistische Geisterjagd Joseph McCarthys in den USA und den Staat Israel, über den Eichmann-Prozess, den Vietnamkrieg, über den Tod von Francisco Franco 1976 und den Bürgerkrieg in El Salvador 1984.

 

 

Gellhorn arbeitete insgesamt 58 Jahre als Auslandskorrespondentin, Reporterin und Schriftstellerin. Insgesamt stammen fünf Romane, vierzehn Novellen sowie zwei Bände mit Kurzgeschichten aus ihrer Feder. Martha Gellhorn war von 1940–45 mit Ernest Hemingway verheiratet und von 1954–63 mit dem Chefredakteur des Time-Magazins.

 

 

Ihr Stil war scharf, ihre Meinungen waren zumeist unerbittlich und ihre Einschätzungen häufig treffend. Erst als man ihr eine Berichterstattung zum Krieg im zerfallenden Jugoslawien anbot, winkte sie aus Altersgründen ab. Am 15. Februar 1998 setzte die schwer kranke, fast gänzlich erblindete Martha Gellhorn im Alter von fast 90 Jahren in London ihrem Leben ein Ende. Von der aus ihrem Nachlass gespeisten Martha-Gellhorn-Stiftung wird seit 1999 jährlich der Martha Gellhorn „Prize for Journalism“ an investigative Journalisten vergeben. (Quelle: Wikipedia).

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