FRONTPAGE

«Max Frisch – Gespräche und Interviews»

Von Thomas Strässle

 

Max Frisch war der Inbegriff eines Schriftstellers, der sich einmischt und gehört wird. Nun ist im Suhrkamp Verlag erstmals eine Auswahl der besten Interviews und Gespräche mit Max Frisch erschienen, über Themen wie Vernunft und Utopie, Ideologie und Kritik, Hass und Gewalt, aber auch über Fakt und Fiktion, Poesie und Polemik werden Fragen beantwortet, die bis heute aktuell sind.

Schriftsteller sind beliebte Interviewpartner, aus zweierlei Gründen: Zum einen verspricht man sich von ihnen Aufklärung über ihre eigenen Werke. Sie sollen berichten, wie sie auf die Idee oder den Stoff für ihr Buch gestossen sind, wie sie daran gearbeitet haben, ob sich darin biografische Elemente wiederfinden, welche Interessen sie damit verfolgen usw. Solche Fragen zielen darauf ab, aus dem Mund der Autoren selbst privilegierte Informationen zu erhalten über die Texte, die sie vorlegen. Zum andern erhofft man sich von Schriftstellern in Interviews Aufklärung über die allgemeine Weltlage. Ihnen wird eine Sprecherposition eingeräumt, die nicht in Tagesgeschäfte verstrickt ist und es erlaubt, ebenso unbefangen wie unbestechlich zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen.
Gegenüber etwa Musikern oder Malern haben Schriftsteller den Vorteil, dass sie sich in Interviews in ihrem angestammten Medium ausdrücken können. Der Vorteil hat aber auch seine Tücken: Welchen Status hat das Schriftstellerwort in Interviews? Inwiefern gehört es zum literarischen Diskurs hinzu, oder ist es bloss eine mediale Wortmeldung wie andere auch? In welchem Verhältnis stehen literarischer und publizistischer Text?
Das Schriftstellerinterview ist eine viel beachtete, aber wenig erforschte Textgattung. Ihre Spannbreite reicht vom Interview als eigener Kunstform bis zum Interview als Abfallprodukt der Vermarktungsmaschinerie. So viel steht immerhin fest: Das Schriftstellerinterview ist ein zwitterhaftes Wesen, eine Fortsetzung der Literatur mit den Mitteln der Mediensprache. Nicht zuletzt darin liegt sein Reiz.

 

Max Frisch war ein gefragter Interviewpartner. Sein schriftstellerisches Naturell kam dem Format auch sehr entgegen: Er war ein Autor, über dessen Texten sich umgehend die Frage nach den Entstehungshintergründen, insbesondere den autobiografischen, stellte, und er war ein Intellektueller, der das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgte und kommentierte.
Frisch hat ein Schriftstellerleben lang Interviews gegeben. Dabei mochte er sie gar nicht. Das vorstrukturiere Spiel aus Frage und Antwort war ihm zuwider. Lieber führte er Gespräche: mit gleicher Rollenverteilung und offenem Ausgang und Verlauf, ohne Aufzeichnung und Zwang zur letztgültigen Formulierung – Gespräche im Sinne von Begegnungen, nicht im Sinne eines Abrufens von Statements.
Unter Journalisten hatte sich dies herumgesprochen. Nicht selten nehmen sie in den Artikeln darauf Bezug, selbst schon im Titel oder zum Einstieg: Kein Interview mit Max Frisch … aber ein Gespräch über Mittag bei einem Pot- au-feu – aus der Ernnerung aufgezeichnet von Hans Rudolf Hilty, lautet die Überschrift eines Beitrags in der linksliberalen NATIONAL-ZEITUNG. Und Michel Contat begann  ein Interview für LE MONDE DIMANCHE mit der Frage: »Was haben Sie gegen Interviews?« Er bekam zur Antwort: »Für einen Schriftsteller ist es die unbedeutendste Ausdrucksform. Entweder lässt man ihn nocheinmal sagen, was er in seinen Büchern oder Artikeln geschrieben hat, und er sagt es natürlich weniger gut. Oder man verleitet ihn dazu, über etwas zu reden, was er nicht kennt, und das ist lächerlich.«
Wer Frisch interviewen wollte, erhielt von ihm mitunter ebenso genaue wie grosszügige Auflagen, unter denen das Gespräch stattzufinden hätte. Die BRIGITTE-Redakteurin Heidi Schulze-Breustedt schildert es  so: »Er hat was gegen Tonbänder. Schon das unterscheidet ihn von den meisten anderen schreibenden Leuten. Die nämlich legen zumeist Wert darauf, was sie sagen, silbengetreu abgedruckt zu sehen. Max Frisch dagegen mag nicht zitiert werden. Er mag überhaupt keine Interviews im Frage-Antwort-Stil. Er mag nur Gespräche. «Lassen Sie uns miteinander reden, dann bin ich Ihr Material, und was Sie daraus machen, ist Ihre Sache …». Das sagte er bei einer Zigarre nach gutem Essen in einem Zürcher Spezialitäten-Restaurant.»

 
Frischs Abneigung gegen das Interview galt der ritualisierten Form ebenso wie der Endgültigkeit, mit der die verschriftlichte Fassung daherkommt. Häufig lesen sich Interviews so, als hätte der Befragte auf alles sofort eine druckreife Antwort parat, ohne Suchen und Zögern, ohne Umschweife und Unsicherheiten. In diese Rolle des umstandslosen Auskunftgebers wollte sich Frisch nicht drängen lassen. Die Lebendigkeit der Gesprächssituation sollte möglichst anschaulich werden.
In einem Artikel von Josef Rennhard, der  für die Zeitschrift BEOBACHTER ein Gespräch mit Frisch führte, werden die Vorbehalte noch genauer gefasst. Die Skepsis bezog sich insbesondere auf das eigene Medium Schrift: »Die Spielregeln für das BEOBACHTER-Gespräch hat Max Frisch schon in einer telefonischen Vorbesprechung klar umschrieben: Kein Fotograf, kein Tonbandgerät, höchstens ein sinngemässes zusammenfassendes Zitiertwerden. ›Die Leute können ja meine Bücher lesen; Interviews tönen immer so endgültig, so zurechtgestutzt … Am Radio ist es anders, da hört man die Stimme, den Tonfall, das Zögern. Und im Fernsehen ist’s nochmals anders, da wird das Ringen um den Ausdruck auch in der Mimik sichtbar …‹«
Zu den grundlegenden Bedenken gegenüber Interviews scheint bei Max Frisch spätestens im letzten Lebensjahrzehnt eine gewisse Müdigkeit hinzugekommen zu sein angesichts der Rolle, die Schriftstellern – und ihm selbst in ausgeprägtem Mass – von Medien und Öffentlichkeit zugeschrieben wird. »Was erwartet man von einem Schriftsteller? / Dass er Interviews gibt.« Im Lebensabendhaus, das er sich gegen Ende des Tagebuchs ausmalt, gibt es dafür jedenfalls keinen Platz. Erleichtert hält er fest: »Ich gebe keine Interviews mehr …«

 

 

Frischs Widerwille gegen das Interview hatte aber zugleich zur Folge, dass er die Gattung selbst auf die Probe zu stellen begann und ihre ritualisierten Spielregeln aufzulockern versuchte – indem er beispielsweise den Spiess umdrehte und seinem Interviewer Fragen stellte oder indem er die Interviewsituation thematisierte, etwa die Auswirkungen eines mitlaufenden Tonbandes. Am weitesten ging in dieser Hinsicht das filmische Experiment «Max Frisch interviewt sich selbst»( 1967), produziert von einem Fernsehteam der BBC, das die Probe auf die Gattung bis zum Kurzschluss trieb: Man sieht Max Frisch einerseits als Interviewer und andererseits als Interviewten, unterschiedlich gekleidet; er stellt sich selbst diejenigen Fragen, die er vermutlich längst nicht mehr hören konnte: »Wie viel privates Material verwenden Sie?« oder »Geht es in Andorra um Antisemitismus?« Das Filmdokument ist eine virtuose Parodie auf das Schriftstellerinterview als solches.
Doch bei aller Abneigung gegen das Interview und aller Vorliebe für das Gespräch: Es ist schwierig, eine prinzipielle Unterscheidung zwischen diesen beiden dialogischen Formen zu treffen. Die Übergänge sind fliessend. Unter formalen Gesichtspunkten sind Interview und Gespräch oftmals gar nicht auseinanderzuhalten, und auch die besprochenen Themen sind vielfach identisch.

 

 

Es lassen sich aber graduelle Unterschiede feststellen, was die Rolle der involvierten Personen und deren Interessenlage betrifft: Während das Interview gezielt auf Auskünfte aus ist, die es beim Interviewten einzuholen gilt, hält sich das Gespräch offener hinsichtlich seiner Schwerpunktsetzungen; während das Interview keine Ebenbürtigkeit bedingt, da es normalerweise eine klare Rollenaufteilung in Interviewer und Interviewte, in Fragende und Befragte gibt, findet das Gespräch zwischen Teilnehmenden statt, die sich gleichermassen einbringen und idealerweise auf Augenhöhe befinden; und während das Interview auf eine gewisse Schnelllebigkeit setzt, bietet das Gespräch Gelegenheit zu vertieftem Austausch. Vielleicht lassen sich die Unterschiede auf die Formel bringen: Interviews wollen Informationen beschaffen, Gespräche wollen Erkenntnisse befördern.

 

Wenn nun eine Auswahl der Interviews und Gespräche mit Max Frisch erscheint, so geschieht dies vornehmlich aus zwei Gründen: Erstens ist es eine Tatsache, dass Frisch viele Gespräche geführt und viele Interviews gegeben hat; unter einem erweiterten Literaturbegriff sind diese Texte als integraler Bestandteil seines Gesamtwerks zu sehen, waren aber bislang nur sehr verstreut und in einigen Fällen gar nicht oder bloss auszugsweise greifbar. Zweitens zeichnete sich Frisch, wie gerade die Interviews und Gespräche belegen, in seiner Zeitzeugenschaft ebenso wie in seiner schriftstellerischen Selbstreflexion durch eine Grundsätzlichkeit und Weitsicht aus, die seine Äusserungen unvermindert lesenswert machen.

 

Die vorliegende Ausgabe versammelt erstmals Interviews und Gespräche mit Max Frisch, ohne die Absicht zu verfolgen, sie vollzählig zu dokumentieren. Vielmehr legt die Auswahl den Akzent auf diejenigen Texte, die über den engeren Rahmen ihrer Entstehung hinausweisen und auch für ein heutiges Publikum von Interesse sind. In erster Linie fanden Interviews und Gespräche Aufnahme, die in Feuilletons und Zeitschriften veröffentlicht wurden und in den jeweiligen Fassungen mutmasslich von Frisch autorisiert sind. Dabei handelt es sich immer um Texte, in denen der Autor in Originalzitaten vernehmbar wird – trotz seiner Ablehnung von Aufnahmegeräten, auf der er glücklicherweise nicht konsequent beharrte. Allerdings muss in vielen Fällen offenbleiben, inwieweit die Aussagen vor der Drucklegung nachbearbeitet wurden.

 

 

Ediert wurden die Interviews und Gespräche nach dem Wortlaut der Fassungen, in denen sie in den entsprechenden Feuilletons und Zeitschriften erschienen sind. Es gab keine Eingriffe in den Text, abgesehen von stillschweigenden Korrekturen offensichtlicher Druckfehler und Vereinheitlichungen im Sinne der neuen deutschen Rechtschreibung. Wo sich von Frisch handschriftlich korrigierte oder autorisierte Typoskripte erhalten haben, wurden sie beigezogen und in die edierte Fassung eingearbeitet.
Einige der Texte erscheinen hier zum ersten Mal überhaupt oder zum ersten Mal in voller Länge oder zum ersten Mal in deutscher Sprache. Die näheren Angaben dazu finden sich in den kurzen, kursiv gesetzten Einleitungen des Herausgebers, in denen auch das jeweilige publizistische, zeitgeschichtliche und biografische Umfeld skizziert wird.

Es gibt viele Gründe, weshalb Interviews und Gespräche so lesenswert und aufschlussreich sind. Einer davon liegt in der Unmittelbarkeit, mit der die Stimmen der Beteiligten vernehmbar werden – immer im Bewusstsein, dass es sich dabei um eine Inszenierung handelt und auch um ein Spiel mit Intimität und Indiskretion. Man meint den sprechenden Personen bei einer Unterhaltung zuzuhören, als sässe man daneben, und erfährt Dinge, die in dieser Direktheit den literarischen Texten nur selten zu entnehmen sind.
Ein Reiz besteht auch in der Vielfalt an Dynamiken, mit denen Interviews und Gespräche verlaufen können, abhängig von den Charakteren, die aufeinandertreffen, und den Rollen, die sie einnehmen. Auf Seiten der Interviewer reicht das Spektrum im vorliegenden Fall vom ehrfürchtigen Stichwortgeber bis zum ebenbürtigen Gesprächspartner und vom munteren Herausforderer bis zum verbissenen Kontrahenten. Entsprechend zeigt sich auch der Interviewte von verschiedenen Seiten. Frisch geht auf jede Frage ein und reagiert auf jeden Tonfall, der ihm gegenüber angeschlagen wird.

 
Interviews und Gespräche mit Max Frisch: Das ist auch deshalb ein besonderer Fall, weil Frisch wie kaum ein anderer als Meister der Fragen in die Literaturgeschichte eingegangen ist – der Fragen an sich selbst und an die Leser. Weltberühmt sind seine Fragebögen aus dem Tagebuch -, die so offen gehalten sind und doch so zielgenau treffen, dass sie eine bleibende Herausforderung bilden. Umso faszinierender, Frisch nun als denjenigen zu erleben, dem Fragen gestellt werden und der Antworten zu finden hat – mitunter gar auf Fragen aus den eigenen Fragebögen.
Nicht zuletzt entsteht aus der Abfolge der Interviews und Gespräche mit Max Frisch eine Skizze seiner intellektuellen Biografie und ein dichtes Geflecht seiner Themen und Positionen. Die zahlreichen Verweise zwischen den Texten lassen die Entwicklungen und Verschiebungen in seinem Denken und Schreiben sichtbar werden. Sei es, dass der Interviewer die Themen aufbringt, oder sei es, dass Frisch selber darauf zu sprechen kommt: Die Interviews und Gespräche drehen sich immer wieder um Vernunft und Utopie, Ideologie und Kritik, Macht und Moral, Hass und Gewalt, Hoffnung und Widerstand, das Politische und das Private, das Ich und die anderen, Mann und Frau, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Fakt und Fiktion, Poesie und Polemik, Fabel und Parabel, Tod und Freitod, Schweiz und Heimat. Im Dialog über diese Themen wird nicht nur die Persönlichkeit von Max Frisch, sondern eine ganze Epoche lebendig – mit Fragen, die bis heute aktuell geblieben sind.

 

 

Veröffentlichung des Vorworts mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlages, Berlin.

 

 

Thomas Strässle lehrt Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und leitet an der Hochschule der Künste Bern das transdisziplinäre Y Institut. Er ist Präsident der Max Frisch-Stiftung.

 

 

Max Frisch
Wie Sie mir auf den Leib rücken
Hg. Thomas Strässle
Suhrkamp Verlag 2017
Gebunden, 237 Seiten
CHF 31,50. D: 22 €. A: 22,70 €
ISBN: 978-3-518-42584-8
Auch als E-book erhältlich

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