FRONTPAGE

«Else Lasker- Schüler: Meine Wunder»

Von Ingrid Isermann

Vor hundert Jahren, im Frühjahr 1911, erschien die Gedichtsammlung Meine Wunder. Sie begründete Else Lasker-Schülers Ruhm als expressionistische Dichterin. «Es sind fabelhafte Gedichte in dem Buch. Wirklich das Allerhöchste!» befand Karl Kraus und meldete: «Das Gedichtbuch macht hier Aufsehen.» Das Buch wurde bis 1918 dreimal aufgelegt. Seitdem ist es nie wieder als Einzelausgabe erschienen.

 

Unter den Gedichten finden sich auch solche heute berühmten wie «Ein alter Tibetteppich» und «Mein Volk» oder die hebräischen Balladen «Pharao und Joseph» und «David und Jonathan», aber auch überragende unbekanntere Verse. Ihre Gedichte haben die Zeiten überdauert.

 

Else Lasker-Schüler (1869-1945) war eine bedeutende Dichterin der avantgardistischen Moderne und des Expressionismus. Sie wurde auch als Zeichnerin (Prinz von Theben) bekannt. Ihr bewegtes, tragisches Leben spiegelt ein Stück Zeitgeschichte. In Zürich hatte Else Lasker-Schüler noch einen Koffer stehen, den man erst nach Jahrzehnten entdeckte. 1933 floh die Dichterin aus Deutschland vor den Nationalsozialisten in die Schweiz, wo sie von der Fremdenpolizei bespitzelt wurde und Schreibverbot hatte. Später wurde ihr die Einreise verweigert.

 

 

EIN ALTER TIBETTEPPICH

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füsse ruhen auf der Kostbarkeit Maschentausendabertausendweit.

Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

 

 

Else Schüler wurde am 11. Februar 1869 als jüngstes von sechs Kindern in Elberfeld, einem heutigen Stadtteil von Wuppertal, von Jeanette Schüler, geb. Kissing, geboren. Die Mutter wurde zu einer zentralen Figur ihrer Dichtung. Ihr Vater war der jüdische Privatbankier Aaron Schüler, Vorbild für die Hauptfigur aus «Die Wupper». Else galt früh als Wunderkind der Familie und konnte mit vier Jahren lesen und schreiben. Ab 1880 besuchte sie das Lyceum. Als sie 13 Jahre alt war, verlor sie ihren Lieblingsbruder Paul, ihre Mutter im Jahr 1890 und ihren Vater 1897. Der Tod ihrer Mutter bedeutete für sie ‚die Vertreibung aus dem Paradies’.

Nachdem sie Privatunterricht im Hause ihrer Eltern erhielt, heiratete sie 1894 den Arzt Jonathan B. Lasker und zog nach Berlin, wo sie im Rahmen ihrer zeichnerischen Ausbildung tätig war. Am 24. August 1899 kam ihr Sohn Paul zur Welt. Ihre ersten Gedichte wurden veröffentlicht und bald folgte der erste Gedichtband «Styx» 1902. Die Ehe mit Berthold Lasker wurde 1903 geschieden, am 30. November 1903 heiratete sie den Schriftsteller Georg Lewin, dem sie auch sein Pseudonym Herwarth Walden vorschlug.

Nach der Trennung von Herwarth Walden 1910 wurde 1912 auch ihre zweite Ehe geschieden. Ohne eigenes Einkommen lebte Else Lasker-Schüler fortan von der Unterstützung durch Freunde, insbesondere Karl Kraus. 1912 begegnete sie Gottfried Benn, mit dem sie eine intensive Freundschaft verband, die sich auch in ihren Liebesgedichten niederschlug, die sie Benn widmete.

Zusammen mit Richard Billinger erhielt die Dichterin 1932 den letztmals vor der nationalsozialistischen Machtergreifung vergebenen Kleist-Preis. Am 19. April 1933, emigrierte sie, angesichts der Bedrohung ihres Lebens, nach Zürich, wo ihr jedoch ein Arbeitsverbot erteilt wurde. Die Kantonale und die Städtische Fremdenpolizei erliessen nur befristete Aufenthalte. Von Zürich aus unternahm sie 1934 und 1937 zwei Reisen nach Palästina, ihrem Hebräerland.

1938 wurde Else Lasker-Schüler die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, sie wurde damit staaten- und schriftenlos. 1939 reiste sie wiederum nach Palästina. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte eine Rückkehr in die Schweiz, zudem verweigerten ihr die Behörden das Rückreisevisum. 1944 erkrankte sie schwer. Nach einem Herzanfall am 16. Januar starb Else Lasker-Schüler am 22. Januar 1945. Sie wurde auf dem Ölberg in Jerusalem begraben.

 

Gebet

„Ich suche allerlanden eine Stadt, / Die einen Engel vor der Pforte hat. / Ich trage seinen großen Flügel / Gebrochen schwer am Schulterblatt / Und in der Stirne seinen Stern als Siegel!“

 

Else Lasker-Schülers Dichtung, von Jerusalem und dem Gelobtem Land erzählend, steht im Spannungsfeld zwischen Ideal und Realität politischer und persönlicher Lebensumstände. Dem geliebten Jerusalem galt ihre Sehnsucht. In der Prosa und den Gedichten Lasker-Schülers verflechten sich biblische Bilder, die Geschichte des jüdischen Volkes, Exil-Erfahrungen und die sinnliche Wahrnehmung der Stadt Jerusalem.

 

Else Lasker-Schüler

Meine Wunder

Gedichte

Neu herausgegeben und mit

einem Nachwort von Ricarda Dick

mit Reproduktion einer eigenhändigen

Abschrift des Gedichts ‚Heimweh’

von Else Lasker-Schüler und collagierter Zeichnung

Die Stadt Theben mit dem Sternentempel des

Prinzen’.

Insel Verlag Berlin 2011

83 Seiten, CHF 18,90.

12,90 € (D). 13,30 € (A).

ISBN: 978-3-458-19345-6

 

Programmhinweis:

Wien 10.-15. April 2012 XVIII. Else-Lasker-Schüler-FORUM

Die Else-Lasker-Schüler Gesellschaft möchte an das Schicksal der Künstler erinnern, deren Bücher verbrannt, deren Kunstwerke zensiert und verboten wurden, die verfolgt wurden und emigrieren mussten.

Was tun Sie da in… Wien?“
(Else Lasker-Schüler am 20. April 1912 an Karl Kraus)

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