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«Nora Bossong: Zug um Zug ein fulminanter, literarischer Kreuzzug»

Von Ingrid Isermann

 

 

Lyrik? Lyrik! Nora Bossong leuchtete schon ins Milieu des Rotlichts und ist ebenso unerschrocken den Kreuzzügen aus Vergangenheit und Gegenwart in poetischen Szenen auf der Spur in ihrem neuen Gedichtband «Kreuzzug mit Hund». Ins Heilige Land, von Israel in den Iran.

Nora Bossong reist in ihrem neuen Gedichtband «Kreuzzug mit Hund» von der bürokratischen Provinz übers Mittelmeer zur Mystik des Orients, ins Heilige Land, von Israel bis in den Iran. Fast beiläufig nimmt sie Orte und Traditionen in ihren achtsamen Fokus und betrachtet die Menschen mit Empathie und subtilem Humor. Von Sevilla nach Madrid, von Wien nach Genua, von Rom nach Palermo, ins «ollerige Land aus ehrenwerter Gesellschaft», geht die Reise, nach Zypern oder Levante bis ins alte Neue Land.

 

Himmel, Felsendom, Jerusalem…

Und schon tut sich eine gewaltige Bildwelt auf: «Es gibt Nächte, und es gibt solche Nächte. Please hurry, we close! Ein Kompass drehte irr unter einem Metalldetektor, ein junger Deutscher blieb zurück, zwei Fotodrohnen im Gepäck Aber er müsse doch die Schönheit von Al-Quds verstehen! Die Schönheit, sagte der Soldat, liegt in den Farben, die verschwinden».

 

Ist die Zeit der edlen Ritter, Heldenepen und Soldatenlieder vorbei? In Teheran werben Kinder aktuell auf Plakaten für das Jenseits. Und «please hurry, we close!», mahnt der Soldat im Felsendom in Jerusalem, während sie im Radio nach dem Gebet über Krieg sprechen.

 

Die Lyrikerin Nora Bossong geht den Dingen auf den Grund, mit Spürsinn und profunder Anteilnahme: ein Kreuzzug der Empathie und leiser Melancholie, irgendwann kommt auch ein Hund ins Bild; flamboyante screenshots, mitunter etwas fatalistisch, weil das Leben eben ein unwägbares Geschäft ist. Dies sind ganz unglaubliche Gedichte, man liest sie wieder und wieder, wenn man in eine epische Weite der Gelassenheit eintauchen möchte, wo Worte in einen Raum führen, der ohne Worte auskommt.

 

Nur schon Europa, höchst aktuell, was Nora Bossong über Europa notiert:

«Ein Panoptikum aus Irren und Ehrenbürgern, Bagatellen und bösen Geistern. Die Sumpfdotterblume wäre die sichere Wahl, doch irgendetwas liegt uns an ihr, Europa, dieser verschreckten Zwergin am Ende der Welt.  Wir muntern sie auf und beteuern, dass es einmal gut ausgeht mit ihr».

 

Mehr untenstehend auf dieser Seite.  Statt dem Blick auf die News des smartphones, ein Blick auf die smarten Gedichte, auch zum downloaden, hier spielt sich Welt ab.

Und noch schnell dies, mit nachhaltiger Wirkung:

 

Diktion … Noch war Saison und du auf der Bank, November vier Monate fern, doch die Zeit flitzte in irrem Zickzack, gestern noch standen die Türken vor Wien, morgen schon war August, und um uns tanzten Mücken. Wie ich ihn bewunderte, ihren Choreografen, der unsichtbar ihr Pulsieren lenkte, bis sie aufstoben und im anbrechenden Dezember starben. Aber sie kommen wieder, verwandelt, in einen Nachtfalter etwa, der uns wach hält mit seinem pelzigen Flügelschlag und diktiert, dass doch möglich ist, was nicht möglich ist, und die Wörter, mit denen jemand jemanden hält.

 

 

Nora Bossong, * 1982 in Bremen, schreibt Lyrik, Romane und Essays, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis, dem Kunstpreis Berlin und dem Roswitha-Preis. Zuletzt erschienen im Hanser Verlag ihre Romane «Gesellschaft mit beschränkter Haftung» (2012) und «36,9 Grad» (2015) sowie ihre Reportage «Rotlicht» (2017). «Kreuzzug mit Hund», Suhrkamp Verlag (2018).

 

 

 

Ach Europa,
auch nur dieses kleine, gerüttelte Wiesending, Königstochter mit einer panischen Angst vor Stieren, wer nimmt ihr das übel nach alldem. Kriege hatte sie wie andere Leute Erkältungen. Eine Schürze voller Länder über die Ebene geschüttelt, Babel an jedem Grashalm errichtet, Verwaltungschaos drapiert in Brüsseler Spitze. Ein Panoptikum aus Irren und Ehrenbürgern, Bagatellen und bösen Geistern. Die Sumpfdotterblume wäre die sichere Wahl, doch irgendetwas liegt uns an ihr, Europa, dieser verschreckten Zwergin am Ende der Welt.Wir muntern sie auf und beteuern, dass es einmal gut ausgeht mit ihr.

Stationiert
Krieg sagt er dieses Wort aus der Kindheit ein Wort das nicht stimmt kein Gewicht hat nur die Gedanken von Kindern können es heben und ich sehe doch sagt er auf der Straße zerfledderte Katzen als hätte man sie über Jahrzehnte zerlesen
Ritterromane Soldatenlieder worüber hätten all die Dichter geschrieben wenn es uns nicht gäbe sie brauchen mich sagt er
wie ich Strategie ohne die gäbe es nichts einen Haufen Menschen
ein verwildertes Wir keine Operation keinen Angriff wir wären nichts
sagt er keine Strophe kein Ton edel waren noch die Wälder als Macduff in sie zog glaubst du an mich fragt er an Macbeth an den Ritter Cid der Krieg ist doch die verlässlichste Sprachfigur die älteste Art miteinander zu reden und früher sagt er wurde man dafür geliebt
doch es ist ja so dass wir noch immer wirklich sind die Lage wird heute durch Mohnanbau bestimmt durch Zeissoptik beschossen ich höre ihm zu mein Kopf auf dem Kissen Birken sagt er Kiefern das hat hier aufgehört Erinnerung ist ein Bild das als Echse in
Wüstenlöcher kriecht es gelten ja nur noch die äußeren Gleichen bis selbst die abreißen nicht mehr Tag nicht Nacht die Sonne hier hat Kaliber vier Punkt vier sie gibt nicht nach gleißend weiß bisweilen gelb dann ahnen wir die Einschussstelle hat sich infiziert
doch wir werden letztendlich von uns selbst stillgelegt die Träume huschen vorbei nicht greifbar schon fort der Schlaf bleibt aus
ein Kamerad ging zurück war nur noch leer ein Hüllenwesen
in seinem Inneren nicht mehr stationiert sagt er der zog dann
in einen Wald aus Pillen klein weiß gepresst was soll man denn sonst machen mit den Toten die noch am Leben sind weißt du sagt er die Welt ist ja nicht immer so groß wie wir denken nur eine Handbreit zwischen Panik und Verschwinden.

Alte Tante Politik
Sie wohnt feudal, doch im Nebenraum: Nationalgalerie, zweiter Stock links. Dort steckt sie fest in einem Bild von sich selbst,
kommt nicht heraus, nicht vor, nicht zurück,
ein Porträt, das versucht zu gehen, Öl ohne Feuer. Ihre Nahrung Tee und lang getunkte Kekse, das Licht der Wächter, die sichern, dass sie keiner stiehlt.
Ihre Zeit streckt sich maßlos, dieses graue Tier
mit elastischem Rücken, und ein Kratzen im Hof
hält sie wach, sie ist alt, sie ist endlos müde, träumt vom Rücktritt, würde gern in den Farben untergehen. Doch sie bleibt, und da hängt sie: Raum zwölf, Zweite von rechts. Das ist ihr Aufstand nach Vorschrift.

Hanseträume
Sie kamen an in dreizehn Kisten, Containergut mit leisem Klang: Fliegen aus anderen Fruchtregionen, wie fremde Vokabeln belagerten sie die Fracht.Während zwei Reeder nach den
Insekten griffen, ihren Anspruch auf jede ihrer Äußerungen prüften, Kaufleute die unsichtbaren Flügel zählten, trat plötzlich Stille ein. Moorige Ruhe dehnte sich vom Hafen aus über die Stadt. Kein Balkenknarren in der Vorstadt, Peterswerder, der Deich
gab sanfter nach als sonst, sogar die Mädchen in der Linie zwanzig schwiegen. Nur die Insekten senkten sich als friedliche Gewitterwolke in den Himmel, aus jeder Richtung stob ihr Sirren. Ein Prokurist versuchte noch, ihm eine Ordnung aufzuzwingen. Da trafen schon die Kammerjäger ein.

Der diskrete Charme der Ziegen
Schräg am Hang die kahle Wiese, ausgedroschen von den Schritten der graziösen Herdendamen. Ihr gelber, irrer Ziegenblick fraß das Gras und fraß die Aussicht mit. Unten floss die Elbe.
Die ganze Nacht am Futterhäuschen, dessen Schloss geborsten war.Weich schwang Emmas Ziegenkiefer auf und nieder, auf und nieder, eine Myriade Halme kauten ihre Zähne. Auf dem Wasser trieben Kähne.
Noch pochte Wärme in den Tau unterm aufgeblähten Fell. Am Morgen zielte Emmas Blick totgefressen
ins Gebüsch, schaumig schaukelten die Zweige.

Kurzes Asyl
Spät kam sie an, die kleine Herde, verschreckte Zicklein auf der schmalen Serpentine, fehlgelieferte Passanten, niemand hatte sie bestellt. Die Gruppe grauer Rücken rückte in den Garten ein, müßig rupften sie die Halme, Halm um Halm, dann noch ein Halm, wir ahnten schon, bald fräßen sie auch Hecken,Vorhänge und Aktenberge. Bis ins Haus drang drög ihr Blöken. Wir vergruben uns unter den Kissen, zornig, panisch, um den Schlaf gebracht. Am Morgen endlich rumpelte ein neuer Lieferwagen an, sie zockelten von dannen, unsre ungebetenen Bekannten, man würde sie nun ihrem wahren Adressaten übergeben. Doch Wochen später überraschte uns die Meldung: Europa verzogen. Ziegen eingestellt.

 

 

Unde malum
Ich muss Ihnen sagen, es kommt nicht, es ist.
Hockt im Garten. Lebt sein Leben. Ich sah es,
es lief mir schräg durch den Sinn, nahm sich
die Gedanken, die nur noch am Drehen sind.
Wer hätte behauptet, die Welt sei gemacht, um
uns zu gefallen, sie ist nur da, sagt es, um uns
unsre Freiheit heimzuzahlen. Es liegt drüben,
liegt mir zu Füßen, ist ich, ist ihr, bestellt Eiscreme,

gibt Trinkgeld. Es folgt uns, oder verkehre ich hier

die Konstanten? Ich laufe ihm nach, fass es, schon

ist es fort, war nur gespiegelt, sucht einen neuen Ort.

 

 

Nora Bossong
Kreuzzug mit Hund

Gedichte
Suhrkamp 2018

Hardcover, 105 S.

CHF 28.90.
20 € (D). 20,60 € (A)

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