FRONTPAGE

«Eugen Gomringer: Der Wortzauberer»

Von Ingrid Isermann

 

Eugen Gomringer ist der Gründer der «Konkreten Poesie» durch programmatische Titel wie auch poetische Texte, die bis heute und über den Tag hinaus ihre Wirkungsmacht und Spannkraft bewahrt haben. Er ist ein Wortzauberer und Worterfinder, der die Sprache der Literatur nachhaltig verändert hat. Sonette, Essays, Vorträge, biografische und autobiografische Texte, Prosa aus sechzig Jahren finden sich im «admirador», erschienen im Verlag Matthes & Seitz, Berlin, aus dem wir hier Auszüge bringen.

Eugen Gomringer konnte am 20. Januar 2015 an seinem Wohnort im fränkischen Rehau seinen 90. Geburtstag feiern; schon am 28. Januar trat er in alter Frische im Literaturhaus Zürich in einer ihm gewidmeten Hommage auf. Peter von Matt würdigte die Verdienste von Gomringer «als einen der Letzten der grossen Gründergestalten unserer Nachkriegsmoderne: und wie bei allen Köpfen, die das Mittelmass übersteigen, wissen die meisten Schweizer nicht, was sie an ihm haben».

Am 29. Januar 2015 war Eugen Gomringer dann im Lavatersaal St. Peter zu Gast, nach einer Begrüssung von Pfr. Ulrich Greminger von der Kirchgemeinde St. Peter, schöpften wir in einer gemeinsamen Lesung aus dem Fundus mit Ping Pong-Texten, die das Publikum unterhielten und amüsierten, anwesend waren auch seine Frau Nortrud und seine Tochter Nora-Eugenie, die selbst schon eine gefeierte Lyrikerin ist.

 

 

Poesie als Sport

Die Texte flogen wie Bälle durch die Luft und die Zuhörer konnten ihrem Tempo und Witz folgen oder auch nicht, aber die Köpfe bewegten sich, es gab ein hin und her, und auch manches zu den Medien zu sagen, warum es seitenlang Sport- und Börsenereignisse zu lesen gibt, aber keine Seite Poesie. Die auch in unserem Zeitalter doch so gut tut und gut wäre. Und natürlich zitierten wir gemeinsam abwechselnd das schon berühmte Gomringer-Gedicht «schwiizer sii»…

 

Seine abenteuerliche Lebensgeschichte, 1925 als Sohn einer Bolivianerin indianisch-spanischer Herkunft und eines Schweizers in Cachuela Esperanza in Bolivien geboren, führte ihn an die Zentren der Konkreten Kunst, von der er die Konkrete Poesie ableitete. Er wuchs in Zürich auf, studierte Kunstgeschichte und Nationalökonomie, arbeitete u.a. mit Dieter Roth und Max Bill zusammen und war Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf. Im Jahre 2000 gründete er das «Institut für konstruktive Kunst und Konkrete Poesie» in Rehau. https://www.kunsthaus-rehau.de/

 

 

Evergreen Konkrete Poesie

Meine erste Begegnung mit Eugen Gomringer fand in der kleinen feinen Zürcher Galerie Lazertis von Lily Brülisauer an der Universitätsstrasse 9 statt, wo er einen Vortrag für den Künstler François Lafranca hielt, mit dem er eine Gemeinschaftsarbeit «stein gestalt sinn» verfasste und dabei freundlich, interessiert und verbindlich sein Ohr allen Fragen zuneigte. Eugen Gomringer ist alterslos und der Kunst und der Poesie so verbunden, dass man sich die Szene ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann oder mag. Dennoch bleibt die Konkrete Poesie ein Evergreen, der auch nach Jahrzehnten keinen Rost ansetzt, und dessen auch politische Gedankenfreiheit Flügel verleiht. Seine Wortzaubereien behalten ihre Strahlkraft und die tiefgründige Verspieltheit lässt sich immer von neuem entdecken.

 

 

sonette

es heisst wir seien eines ganzen teile

es heisst wir seien unteilbare ganze

es heisst wir seien eins mit tier und pflanze

es heisst wir seien unterwegs wie pfeile

 

 

es heisst wir strebten nach dem end im glanze

es heisst wir hätten wenig zeit und weile

es heisst wir täuschten uns im fernen heile

es heisst wir wagten uns an die substanze

 

 

es heisst wir schrieben weiter in sonetten

und würden allertiefste fragen meiden

was wir jedoch in vierzehn Verse betten

 

 

ist fraglos auch nicht unbescheiden

es ist was täglich wir hinüberretten

aus dem Verlust den beide wir erleiden

 

 

 

zen

einfach mal sitzen und vom tun ablassen
zu spüren wie der frühling unbestellt
ringsum verändert die noch stumme welt
das gras wie’s wächst ist immer nicht zu fassen

 

 

das wasser ist nicht fläche die gefällt
dass gänse spiegeln sich und niederlassen
nur als geschehnis ist es aufzufassen
wenn alles ohne absicht sich verhält

 

 

wie weisheit gern im wind sich offenbart
so predigt sie die alte kiefer dort
doch plötzlich stört hinein die gegenwart

 

 

ein wilder vogel hüpft von ort zu ort
sein schrei ist jedem wesen aufgespart
der wahrheit botschaft hält sich nicht ans wort

 

 

Hier nun bringen wir Eugen Gomringer zeitlosen Text über die Zeit, den er im Literaturhaus Zürich vorlas und uns freundlicherweise zur Verfügung stellte.

 

 

Zündschnur Zeit

Die zeit ist eine zündschnur mit einer pulverseele. Sie wurde irgendeinmal gezündet, und der funke läuft jetzt mit einer sekunde pro zentimeter über die seele. Wir beobachten diesen unaufhaltsamen vorgang, ohne eingreifen zu können, schon weil es interessant ist, das vorrücken zu beobachten. Es weiss niemand, wo das ende der zündschnur ist, wohin sie mündet. Üblicherweise wissen wir, dass an ihrem ende bzw. am ende der vergleichbaren vorgänge von kleinerer reichweite eines der handelsüblichen sprengmittel befestigt ist – ich habe oft trotyl verwendet -, das über die an der zündschnur festgeklammerte sprengkapsel zur detonation gebracht wird. An sich sind diese sprengmittel ungefährlich, man kann sie auch kaum zu brennen biringen. Es muss der berühmte „stoß“ oder schlag erfolgen,um wirkung zu erzielen.

 

So beobachten wir denn die zündschnur „zeit“. Da gibt es leute, die, aus welchem grund immer, mit dem plötzlichen aufhören des vorganges rechnen und das äußere der zündschnur fixiert verfolgen. In der tat scheint das weiterbrennen der pulverseele oftmals gefährdet. Man sieht das daran, dass das schmoren der äußeren hülse der schnur aufhört – aufzuhören scheint. Da gibt es unterschiede, aber natürlich wissen wir alle bescheid: die zündschnur brennt weiter. Der vorgang ist also an sich interessant genug, um alle spekulationen, wer den vorgang in gang gebracht hätte, wer gezündet hätte, und – noch spannender – wohin, zu welcher sprengkraft das alles führen würde, ersticken zu lassen. Wüßten wir näheres über die sprengkraft und den zeitpunkt der detonation, könnten wir uns eventuell vorbereiten, das maul weit aufzureißen und die ohren zu verstopfen. Aber eben. Es gibt schließlich auch blindgänger.
© Eugen Gomringer
 

 

das dialogische in der konkreten poesie

konkrete poesie ist in den frühen 50er jahren des 20.jahrhunderts als antithese eingeführt worden und sie ist es länger als je zuvor gedacht geblieben. sie gleicht darin der konkreten kunst, welcher sie in der tendenz und zum teil auch im begrifflichen vokabular nachfolgte. beide sind, unterschiedlich in den gestaltungsmitteln, vereint in der konkreten bewegung, in ihrer ursprünglichen begründung einerseits im zeitlosen wortspiel, andererseits in der fundamentalen erfahrung des geometrismus zu sehen.

 

unverkennbar als antithese beeindruckt der manifestierte willen, mit gedicht und gedichtbuch in der sich bildenden globalen kommunikation den platz als  ästhetisches moment aktiv zu beanspruchen. es war nicht als irgendeine alternative zur konventionellen form der poesie gedacht, mit dem manifest von 1954 vom vers zur konstellation wurde eine neugeartete zusammenstellung von sprachelementen vorgeschlagen, wie sie ähnlich lautend von t.s.eliot als „juxaposition of dissimiliars“ im gleichen zeitraum verstanden wurde.

zur gestaltung von dialogen haben sich früh techniken angeboten. erstens die infragestellung einer aussage durch die inversion, die umkehrung von a b  zu  b a. alle wortfolgen werden in der umstellung zu fragesätzen, entweder sinngemäss oder im direkten verständnis. auch wenn sich inhalte nicht nach aussen drängen, also z.b. keine direkten fragen sind, so ist stets deren strukturelle inverse begegnung, die als dialog, keinesfalls als monolog verstanden wird. (..)

den dialog zu gestalten, ist das hervorrufen, das provozieren einer antwort oder einfach einer reaktion. dazu werden Lücken in einem text geschaffen, die der leser, der beobachter, vorfindet und durch die er eingeladen wird, solche lücken nach eigener wahl zu schliessen bzw. ein visuelles gedicht zu vervollständigen. was bedeutet die lücke im schweigen? der betrachter wird also gleich in aktion treten und in der lücke, die in diesem fall durch die auslassung des wortes „schweigen“ zustande kam, an die natur des schweigens, i.e. seine nichtdarstellbarkeit erinnert.  (Auszug aus «admirador»).

 

 

Eugen Gomringer

admirador
Matthes & Seitz Berlin, 2012
155 S., geb. CHF 27.90
ISBN 978-3-88221-592-2

 

 

 

Eugen Gomringers Gemeinschaftsarbeiten mit bildenden Künstlern:

«nichts für schnell-betrachter und bücher-blätterer»
Diese Publikation erschien anlässlich des 90. Geburtstags von Eugen Gomringer. Die Begegnung mit Werken der konkreten Kunst ließ ihn 1944 vom Sonette-Verfasser zum Konstellationen-Hersteller werden und prägt seine Poesie bis heute. Der Katalog dokumentiert Gomringers bisher weithin unbekannte Gemeinschaftsarbeiten mit bildenden Künstlern, darunter u. a. Günther Uecker, Max Bill und Anton Stankowski. Diese Arbeiten, die in der Intensität des Gesprächs zwischen Kunst und Literatur ihresgleichen suchen, eröffnen eine neue Facette im Œuvre Gomringers und im Dialog der Künste.

 

 

Eugen Gomringer

nichts für schnell-betrachter und bücher-blätterer
herausgegeben von Annette Gilbert

Kerber Verlag Berlin, 2015

Texte:
Heidi Bierwisch, Claus Clüver, Gaby Gappmayr, Annette Gilbert, Eugen Gomringer, Oliver Herwig, Sandra Kraemer, Robert Kudielka, Rita Latocha, Annette Müller-Held, Petra Oelschlägel, Axel Rohlfs, Silke Schuck, Gabriele Wix

Gestaltung Polina Bazir, Bielefeld

Format: 22,50 × 22,50 cm
232 S., 160 farbige und 171 s/w Abbildungen

CHF 52. € 40.

ISBN: 978-3-7356-0024-0

 

 

 

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