Portrait Friederike Mayröcker
«Die Kommunikation einer Dichterin»
Von Ingrid Isermann
Die Lyrikerin Friederike Mayröcker gemeinsam mit dem Dada-Dichter Ernst Jandl (1925-2000) an einer Lesung, vor Jahren im Konservatorium Florhof in Zürich – unvergesslich, ihr mädchenhaftes Lächeln, seine Souplesse und Intonationen der «Sprech-blasen» (üch loch müch kronk). Er fehlt. Sie erweist Reverenz mit dem neuen Prosaband «vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schumann-wahnsinn». Friederike Mayröcker, 1924 in Wien geboren, veröffentlicht seit 1956 Gedichte, Prosa, Hörspiele und Kinderbücher; für ihr Werk erhielt sie u.a. den Georg-Büchner-Preis (2001), den Peter-Huchel-Preis (2010) und den Bremer Literaturpreis (2011).
Längst hat sich Friederike Mayröcker den Ruf einer kosmopolitischen Weltliteratin erschrieben, ihre eigene Gattung gefunden, die Grenzen und Horizonte spielend überwindet: Identität, Zeit und Raum.
Was andere für ihren Halt und zur Orientierung brauchen, darüber setzt sie sich so selbstverständlich wie natürlich hinweg, um sich und ihrem Schreiben neue Freiräume zu ermöglichen.
Aus den Schluchten der Sprache und den Lustgärten der Sprachetönt die neue Prosa der grossen Wiener Dichterin in wilder, die Passion des Lebens feiernde und des Liebens beschwörender Rede.
«vom Umhalsen der Sperlingwand, mitten im Epheu»
ob die nasse Wäsche in der Kammer und an Silvie denkend was sie mir gutes an jenem Tag als ER begraben wurde getan dasz sie bei mir schlief in jener Nacht weil ich Angst hatte allein zu bleiben und die Komposition an «Silvia» von Franz Schubert die mir geisterte weil ich hatte viel geweint und der Winter tappte gegen die Scheiben nämlich die tappende Jahreszeit und er beugte sich zu mir und flöszte mir Trost ich meine so klammern wir uns an Strohhalm so weinen wir in der Kammer so sehen wir zu wie alles zu Unrat wird die die Strähnen der Haare weiszt du sie kleben von Honig dasz der Morgen. (…)
Friederike Mayröckers eigenwillige Diktion, auch der Grammatik, das Rauschen ihrer Sprachmelodie, die somnambule Leichtigkeit ihrer psychischen und physischen Ortswechsel, ergeben ein schon fast psychedelisches Muster an Farben, Stimmungen, Irritationen und Anklängen, in denen sich auch eigene Partikel verschiedener Gemütszustände wiederfinden lassen.
Im neuen Prosatext umkreist sie den Komponisten und die Pianistin Schumann und verbindet sie mit eigenen Assoziationen und Erinnerungssprüngen.
Robert und Clara Schumann, der Komponist und die Pianistin, und ihnen zur Seite die Schreiberin und ihr Gefährte – zwei Liebespaare im Reigen – drehen sich miteinander und umeinander durch ein Assoziationslabyrinth, tauchen als Umriss auf, schieben sich als Schatten vor die Grossstadtkulisse und werden nur als Aussparung sichtbar im Text, der sie ins Leben ruft, in luftige Höhen wirbelt und tiefe Abgründe stösst, an dem nur die Wegkreuzungen deutlich markiert sind:
die Heilanstalt in Endenich, das Wiener Kaffeehaus Drechsler, das „Soffa“ des Komponisten, auf dem sich die Liebenden immer aufs neue mit ihrer verrückten Leidenschaft anstecken.
«Wenn 1 Person fehlt (ausgespart ist) auf einer Fotografie, dann sind nur die Umrisse dieser Person zu sehen also ihre Aussparung, sei es dasz es sich um eine gestorbene Person handelt sei es dasz es 1 afrikanische Person ist die fotografiert
worden war ohne deren Zustimmung, dasz die Person vorausgesagt hat dasz sie auf der Fotografie nicht sichtbar sein würde etc. Diese Aussparungen von Personen finden sich gerne auf Fotografien von Familiengruppen, viele Kerbtiere, Schatten, Seelen, transparente Hüllen DER AUGENSCHEIN UNS BESCHIRMET dank derwundertätigen Pianistin (Clara) ist unendlich viel in Bewegung geratenzwischen Berlin Wien Innsbruck und Meran. Ich schwebetagelang in Musik, so Ezra Pound, mir geht es jetzt sosonderbar gut, hingerissen von den Klaviermusiken desKomponisten aus 3 Himmelsrichtungen, mit meinen Händen, Schritten (mit aufgepflanzten Gladiolen), Kugelfischen, Laternen, Santa Lucia = diese Passage von Siegfried Höllrigl usw
(…) Diese winzigen lichtgrünen Blättchen, klebrigen Knospen der Kastanienbäume, während die Pianistin verkündet ANGST und SEXUALITÄT beherrschen die Welt usw.».
«die Luft ist voll von unseren Schreien» (Beckett)
es düstert mich, so die Pianistin, wenn ich an die Leiden
des Komponisten denke (…)..
was brauchst du
was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie grosz wie klein das Leben als Mensch
wie grosz wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie grosz wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel
(aus: Benachbarte Metalle)
Friederike Mayröcker
vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schumannwahnsinn
Suhrkamp Insel Verlag Berlin 2011 41 S., Broschur ISBN 978-3-518-421 98-7 14.90 Euro; CHF 23.50.
Benachbarte Metalle
Band 1304 der Bibliothek Suhrkamp Suhrkamp Verlag 1998. Mit einem Nachwort von Thomas Kling. Zuletzt sind im Suhrkamp Verlag erschienen: Scardanelli, Gedichte, 2009. dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif, Gedichte, 2009. ich bin in der Anstalt. Fussnoten zu einem nichtgeschriebenen Werk, 2010.