FRONTPAGE

«Elke Erb: Der Ton ist das Leben eines Worts»

Von Ingrid Isermann

Im Gedächtnis ist sie schon lange, ihre Poeme liefen im breiten Bewusstsein bisher aber unter dem Radar. Nun ist die vielfach ausgezeichnete Lyrikerin als Georg-Büchner-Preisträgerin ins Blickfeld gerückt. Zu Recht und mit Nachdruck. Gut auch, dass sie sich nie einen Deut um das gekümmert hat, was die Leute so sagen.

Irgendwann vor einigen Jahren war Elke Erb zu einem Lyrik-Vortrag an die ETH Zürich eingeladen, ich erinnere mich, wie unprätentiös sie Auskunft gab, lachte und sich bewegte, als sei Lyrik das Selbstverständlichste von der Welt. Dass ihre Gedichte einigen schwierig vorkamen, schob sie mit einer Handbewegung zur Seite und wenn sie vorlas, schienen die Gedichte sofort wie aus dem Leben gegriffen und ohne weiteres verständlich. Das ist bei weitem nicht bei allen Lyrikern der Fall, wenn Texte vorgelesen werden. Aber bei Elke Erb schon. Man hörte ihr gerne zu, mit ihrer leichtfüssigen Stimme, die schwerste Sprachbrocken beiseite räumt. Was so normal erscheint, wie Lyrik eben ihrer Meinung nach auch normal ist.

 

Dabei sind die Texte widerständig, waren es schon immer, und hintergründig auch. Aber sie lassen ein Hintertürchen offen, dass schon nur der reine Sprachklang eine Intensität hat, der man schwer widerstehen kann. Etwas bleibt im Ungewissen schwebend im Raum, bevor es sich wie eine Wolke fortbewegt, aber nicht verflüchtigt. Es sind keine Schönreden, aber auch keine moralischen Standpauken von einer besseren Welt. Nein, einfach so, was anfällt und einfällt. Darin ist sie gross, die Elke Erb, die nun mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde.

 

Man kann sich auf ihre Gedichte und Texte einlassen, sie führen mit Sicherheit irgendwohin, wo man nicht vorher weiss, was einem da blüht. Plötzliche Umbrüche und Überraschungen liebt sie, die Winkelzüge, die sie auch mal in einem Gedicht beschrieben hat und das mir eben so beiläufig einfällt. Irgendwie kommt sie einem wie eine langjährige Freundin oder Bekannte vor, die mal weg war und doch im Gedächtnis geblieben ist.

 

«Gedichte und Kommentare» sind auch ein guter Einstieg für jene, die sie nicht kennen und noch nichts von Elke Erb gelesen haben. Denn hier erklärt die Dichterin ihre Texte gleich selbst, was sie meinte und was sie bedeuten. Man kann die Gedichte aber auch ohne den Kommentar lesen, der oft sehr ausführlich ausfällt, oder aber erst die Kommentare und dann die Gedichte. Erhellend ist beides, auf jeden Fall.

 

 

 

Übung

 

Wie komme ich dazu, aus etwas
(etwas «Gegebenem», wie man sagt, immer noch)
Worte zu machen?

Windig. Und kühl.

 

Ob der Wind die Bäume trainiert?
Nein, bei ihnen ist alles fertig vorm Wind.
Es nehmen oft auch Personen kein Training auf,
weil sie meinen, in vielem zurecht, gefertigt zu sein.

 

Wo denkst du hin. Von dir nach San Francisco?
So wurde es denn. Wurde zu San Francisco.
Bitterlich. Schwer. Mit eisernen Bändern
beschlagene Karrenräder Knarrend

 

vom Ostrand zum Westrand.
Aus leicht oder nicht leicht ersichtlichen Gründen
denke ich an die Landnahme der europäischen Auswanderer.
Als ob es sich hinter den Brauen bewölkt mir.

27.8.03

 

 

Kanon

Ein Bild ist kein Wort.
Ein Ding hat, benannt, einen Ton in dem Namen.
Ein Ton ist ein Ton, weil es andere gibt.

 

Er ist ein Zwitter aus Nehmen (Herkunft)
und Geben (neue Evolution).
Erbe der eigenen Evolution.

 

Ohne jenes & dieses ist er kein Ton.
Ein Wort vielleicht, virtuell tonlos, ein
schwungloses Zeichen für Schwingungen.

 

30.10.04

 

 

Kommentar

Benenne ich ein Ding, gebe ich ihm einen Namen. Der Name hat einen Ton, der Ton ist das Leben eines Worts, er hat eine Herkunft und eine Zukunft. Sonst ist er kein Ton. Schwingt nicht wirklich, nur virtuell.

 

 

Assoziation

 

Eine Krähe flog am Fenster vorbei,
die heisse Luft wurde blauer.

 

Unabweichlich schienen die Flügel zu – segnen,
verhuscht, aber doch.

 

Unten, beim See, der Acker,
so unten wie Aufblick, wie Nehmen in aller Breite.

 

Säen von Hand war. Gemessenen Schritts,
Perpetuum mobile bis zum Ende.

 

12.11.03

 

 

Die embryo-zarte

 

Zeiteinteilung: Zellen, Sekundenhäutchen. Ist es
ein Korbsessel-Muster –

 

dann halten die Löchlein still, wie in sich gekehrt,
unter dem Bundrand, unweigerlich.

 

18.11.03

 

 

* * *

Ehre, Geltung und Geld – sehr unsichere Nachrichten.

Mittagsruhe: hierherum Hohlform, es wird geschossen.

25.1.11

 

 

 

Vermutlich im März notiert:

Wenn der Hirsch aus dem Wald tritt – denk nicht, das ist nichts.

Oh, weisst du, das ist das Leben!

2012

 

 

Ohja, ich liege auf einem Holz, getragen

 

von vielem, reichlichem Wasser

 

unter den hellen Sternen,

 

über den schnellen Fischen

 

und die Leber meint den Mond

 

20.3.12

 

 

 

Elke Erb geboren 1938 in Scherbach (Eifel), siedelte 1949 nach Halle über. 1963 legte sie ihr Lehrerexamen ab und war danach mehrere Jahre als Lektorin tätig. Seit 1966 arbeitet sie als freiberufliche Autorin und Übersetzerin. Elke Erb ist Mitglied der Sächsischen und der Berliner Akademie der Künste und wurde vielfach für ihr Werk ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis, dem Heinrich-Mann-Preis, dem Erich-Fried-Preis, zuletzt mit dem Georg-Büchner-Preis 2020. Im poetenladen Portal veröffentlichte sie die poetics, Kommentare zu ausgewählten literarischen Texten.

 

 

 

Elke Erb
Gedichte und Kommentare
Poetenladen Verlag, Leipzig 2016
Tachenbuchausgabe 2020
Hrsg. Jayne-Ann Igel, Jan Kuhlbrodt und der KdFS
Illustration Miriam Zedelius
Reihe Neue Lyrik Band 10
Paperback, 200 S.
CHF 23.90
ISBN 978-3-948305109

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