«Izzet Yasar: Tradition des Surrealismus»
Von Ingrid Isermann
Izzet Yasar, geboren 1951 in Istanbul, ist Lyriker, Drehbuchautor, Filmkritiker und Übersetzer. Er studierte Anglistik an der Universität Istanbul. Seine Gedichte verstehen sich in der Tradition des Surrealismus und der Revolte, atmen aber auch Sinnesfreude und begeistern mit gewagten Metaphern und kühnen Konstruktionen.
Izzet Yasar ist für die deutschsprachige Leserschaft eine Entdeckung, eine neue Stimme aus dem noch unerforschten Kontinent der türkischen Poesie, kongenial übersetzt von der Dichterin Özlem Özgül Dündar, die mit ihren deutschen Versen beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb in Darmstadt 2015 Aufsehen erregte. Dem Dichter Izzet Yasar wird niemand vorwerfen, dass er mit bunten Idyllen langweilt, seine Verse sind vielmehr sarkastisch und zupackend. Der engagierte Dichter Paul Eluard kommt bei Yazar ebenfalls zu Wort mit seiner «Poésie ininterrompue», einer Poesie, die keine Unterbrechung kennt.
Natürlich weiss Yazar, dass die Poesie jede Rettung verweigert:
Le poète taille
fang gar nicht erst an mit diesem gedicht
du wirst es bereuen
heisst es in seinem programmatischen Text, der nicht umsonst eine französischen Titel trägt, «der spöttische Dichter». Auch Yazar neigt zum Spott und beginnt bei sich selbst:
was ist ein gedicht schon anderes
als sich hinzulegen und
mit seiner behaarung zu spielen
Bizarr
an tagen, die wendepunkte markieren wirst du sehen
wie die erde zwischen deinen beinen
schlagartig sich teilen wird in der mitte
du brauchst dich nicht zu wundern
wenn deine geschwister auf der einen seite
und deine freunde auf der anderen seite stehen
verlier dann nicht den verstand
überspringe keinen vers von rimbaud
An diesen Tagen
auch wer nur nach seinem gewissen lebte – turgut uyar
hat in diesen tagen geglaubt: der lüge
«das blut, das im namen des volkes vergossen wird,
ist ein messer, dessen griff der schönheit eines rosenzweigs gleicht»
mögest du den grossen frieden sehen
weil meine verse
mit ihrer gerechten sehnsucht nach kraft
von dir gescholten wurden
wenn ich sie dir gezeigt habe
in diesen tagen
Geheilt entlassen
die worte habe ich von mir geworfen
in die dunkelheit habe ich nackt gesehen
ein transparentes mädchen umarmte einen esel
ein flugzeug versuchte einen mann zu töten, der auf einem fels stand
eine frau sah aus dem fenster
in ihrer hand lag die hauptstadt des schmerzes
ein engel fiel mit hartem schlag auf die erde
eine schar von menschen flog dem himmel zu
ein greis mit Glubschaugen pellte in zeitlupe einen apfel
ich verfiel dem zauber der gefühlvollen bilder
arbeitete mich am schicksal anderer ab
vom chaos der reime habe ich mich befreit
meinen epikrise-bericht schrieb ich selber
aus der dichtung wurde ich geheilt entlassen
La révolution du language poétique
ich will eine andere sprache als die türkische
um gedichte zu schreiben
so elegant wie englisch
so stolz wie französisch
mehr musicale als italienisch
mehr erotiki als griechisch
so weich wie persisch
so durchmischt wie arabisch
mit den feinheiten des mongolischen ausgestattet
so liebreizend wie ungarisch
seine h’s raffinierter als im kurdischen
seine weichen g’s genau wie im armenischen
seine vokale germanischer herkunft
seine Konsonanten niederländischer abstammung
besser als sanskrit
in bezug auf lange und kurze silben
mit schimpfworten aus dem lateinischen
mit begriffen aus dem lasischen entwendet
ein winziges bisschen proto-turkic
ein härchen old icelandic
mit leichterer grammatik als die des japanischen
sein alphabet aus dem chinesischen abgekratzt
wenn ich diese sprache nicht finden kann
sind alle meine mühen umsonst gewesen
Es sind Gedichte, die sich in der Tradition des Surrealismus wissen, aus einer Zeit, als dieser noch konfrontativ war, die Revolte wagte. Gegen die herrschende Prüderie und Grossmannssucht setzen sie die Geste eines Einzelgängers, der provoziert: «auf ewig gesegnet sei der fluch der ausgestossenen», «ein engel schlug mit hartem schlag auf die erde, immer werden mütter in den rettungsbussen sitzen, deine wahrheit ist sicher aufgehoben in meinen träumen…».
Izzet Yasar, geboren 1951 in Istanbul, Lyriker, Übersetzer, Drehbuchautor und Filmkritiker. Er besuchte die französischsprachige Galatasaray Lisesi und studierte Anglistik an der Universität Istanbul. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt einen Band mit Kurzgeschichten (»Dil Oyunlari«), für sein Buch »Dönüsü Olmayan Hikayeler« erhielt er den Sabahattin-Ali-Preis. Von Izzet Yasar sind Gedichte in der Anthologie In meinem Mund ein Bumerang (Reihe »Poesie der Nachbarn«, Wunderhorn 2013).
Herausgeber: Hans Thill, geboren 1954 in Baden-Baden, lebt seit 1974 in Heidelberg als Lyriker und Übersetzer. Peter-Huchel-Preis 2004. Mitbegründer des Verlags Das Wunderhorn. Leiter der jährlichen Übersetzer-Werkstatt »Poesie der Nachbarn. Dichter übersetzen Dichter« und Herausgeber der gleichnamigen Reihe. Mitherausgeber der »Reihe P«. Seit September 2010 wird Hans Thill künstlerischer Leiter des Künstlerhaus Edenkoben.
Übersetzung: Özlem Özgül Dündar, geboren 1983 in Solingen, lebt in Leipzig. Lyrikerin und Übersetzerin. Studiert am Literaturinstitut in Leipzig. Auslandsaufenthalte in Irland, in der Türkei und in Paris. Übersetzungen: Hilmi Yavuz: wenn die zeit kommt, gedichte (elifverlag 2014). Im Jahr 2014 Finalistin beim Open Mike. Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2015.
Izzet Yasar
Durch meine Verse lasse ich
lange Fische gleiten
Gedichte
Wunderhorn 2016
Zweisprachige Ausgabe deutsch/türkisch
aus dem Türkischen übersetzt
von Özlem Özgül Dündar
90 Seiten
17.90 €
ISBN 978-3-88423-512-6