FRONTPAGE

Editorial

Dezember 2024 / Januar 2025

 

Liebe Kunst- und Literaturinteressierte, liebe Freundinnen und Freunde, herzlich willkommen auf Literatur&Kunst!

 
Bonjour 2025: Optimismus und Gelassenheit!
Sind Sie gut ins neue Jahr gestartet? Wir wünschen Ihnen viel Freude, bleiben Sie gesund und zuversichtlich mit Literatur&Kunst, die unser Leben bereichern.
 
Was kommt im neuen Jahr auf uns zu? Am 20. Januar 2025 wird der Rechtspopulist Donald Trump überraschend zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und hat angekündigt, den Krieg in der Ukraine beenden zu wollen. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in Putins Angriffskrieg entwickeln werden.

 

Wie wird es mit der EU und der Schweiz weitergehen? Der Bundesrat hat nach dem Abbruch der bilateralen Beziehungen 2021 die erneuten Verhandlungen mit der EU formell abgeschlossen und im Dezember 2024 Faktenblätter zu den wichtigsten Fragen veröffentlicht. Die Zuwanderung und der Lohnschutz stehen nach wie auf der Traktandenliste, um das endgültig abzuklären, wird noch viel Wasser die Limmat hinabfliessen. Und man weiss ja, Berns Mühlen mahlen langsam. Dennoch sind diese Verträge im Interesse der Schweiz ein unbedingter Fortschritt für den Handel mit der EU, u.a. das Stromabkommen und die Forschung, zu der die Schweiz mit Horizon wieder Anschluss findet.

 

Ein Waffenstillstand im umkämpften Gaza-Streifen steht schon lange auf der Tagesordnung der UNO, zu der beide Seiten, sowohl die Hamas als auch Israel, nicht bereit waren. Die Zivilbevölkerung von Gaza sowie die restlichen noch immer gefangenen israelischen Geiseln nach dem Horror-Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, sind die Leidtragenden in dieser tragischen Geschichte. Hier Frieden zu schaffen, gleicht einer Quadratur des Kreises. Ohne die Beteiligung arabischer Staaten wird langfristig kein Frieden möglich sein.

 

Europa steht vor schwierigen Zeiten, in Deutschland wird am 23. Februar 2025 nach dem Ampelbruch eine neue Regierung gewählt und in Frankreich herrscht ein labiles Konstrukt von Präsident Emanuel Macron, das jederzeit zusammenbrechen kann. Marine Le Pen wartet auf ihre Chance als Präsidentin 2027 nach dem Rücktritt von Macron. Österreich steht vor der Koalition mit einem Rechtspopulisten. Auch die Schweiz ist keine selige Insel, die Wellen der Autokraten treffen auch hier auf Land.

Nichtsdestotrotz gibt es Anlass zur Hoffnung und zum Optimismus. Denn Demokratie und Freiheit sind die besten Garanten für ein selbstbestimmtes, glückliches Leben.
Ihre Ingrid Isermann, 6. Januar 2025

 

 
MÄNNER, DIE MÄNNER BEWUNDERN
VON TRUMP ZU MUSK, VON MUSK ZU TRUMP,
VON TRUMP ZU PUTIN, VON PUTIN ZU XI JINPING,
VON DÖPFNER (CEO SPRINGER) ZU MUSK,
VON ZUCKERBERG ZU TRUMP, VON BEZOS ZU
TRUMP ETC. IT’S THE POWER OF MONEY, STUPID!

 

 

Unsere Schweiz. Welche Schweiz?
Die SVP ist eine populistische Partei mit anarchistischen Tendenzen, sie stimmt regelmässig als einzige Partei nein bei Abstimmungen für Soziales, Bildung und Kultur, seien es Schulhäuser oder Ausgaben für das Gemeinwohl. Den Handel und die Zusammenarbeit mit der EU lehnt die SVP strikt ab, den neuen bilateralen Verträgen begegnete Präsident Dettling mit Pathos und Hellebarde bewaffnet vor dem Bundeshaus in Bern (wohl wissend dass Schweizer Söldner früher in fremden Diensten standen) und bezeichnete die Vertragsentwürfe am 10. Januar 2025 in der TV-Politsendung Arena als «Schweinerei», und die Nachbarn will er nicht im Haus haben. Nur von Mitte-Präsident Pfister kam sachgerechter Widerspruch. Die derbe Wortwahl spiegelt das bizarre Bild einer Partei, die von Freiheit spricht und in ihrer verdrehten Wirklichkeit die Freiheit der Schweiz beeinträchtigt. SVP-Alt Bundesrat Maurer doppelte in einem ganzseitigen Inserat in Tageszeitungen am 11. Januar 2025 zum neuen Jahr nach: Unsere Freiheit ist in Gefahr, indem das Rahmenabkommen «an eine fremde Instanz den Verlust von Freiheit bedeutet, in der Frage der Gerichtsbarkeit, der Zuwanderung, der wirtschaftlichen Normensetzung zur mutlosen Anpassung und Selbstaufgabe für die Unterwerfung unter ein undemokratisches bürokratisches Gebilde».
Eine mehrfache Geschichtsklitterung, die mit dem «Geheimnis des Glücks, der Freiheit» schamlos verbunden wird. Populisten haben es immer gut verstanden, Werte zu verdrehen  und in ihrem Sinne zu verwenden. Die Verträge zu den bilateralen Handelsabkommen umfassen die vielfältigen Handelsbeziehungen inklusive Forschung und sind alles andere als ein Unterwerfungsvertrag. An der Gerichtsbarkeit, die für alle mit der EU Handel treibenden Länder gilt, sind auch Schweizer Richter beteiligt. In den bisherigen zwanzig Jahren der Bilateralen I und II gab es keine nennenswerten Vorkommnisse. Die Zuwanderung kann die Schweiz selbst steuern, indem die Wirtschaft Arbeitnehmende aus der Schweiz bevorzugt, und zwar auch die älteren Semester. Die demografische Entwicklung der Schweiz zeigt, dass sie nachhaltig auf Zuwanderung angewiesen ist. Der Fachkräftemangel wird hingegen bald die Arbeitskräfte aus der EU selbst benötigen. Die EU ist kein »undemokratisches bürokratisches Gebilde», es ist in erster Linie ein Friedensprojekt, heute nötiger denn je, und fördert die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten, das bisher manche Krisen überstand und sich nun gegen Populisten zur Wehr setzen muss, die keine Regeln zur Korruptionsbekämpfung und Steuerfragen einhalten wollen und Autokraten nacheifern. Die Schweiz sollte ihre humanitäre Tradition und ihre unabhängige freiheitliche Gesinnung erhalten und bewahren: Prüft alles und Gutes behaltet!
Ingrid Isermann, 12. Januar 2025

 

Die Schweiz ist zurück im Horizon-Forschungsprogramm
Seit Anfang Jahr können sich Schweizer Professoren, Doktorandinnen und Nachwuchsforscher dank der abgeschlossenen Verhandlungen mit der EU wieder um die Stipendien und Zuschüsse der Europäischen Union bewerben. Die sogenannten ERC-Grants gelten als prestigeträchtig und karrierefördernd. Als die Schweiz 2021 die Verhandlungen über neue bilaterale Abkommen plötzlich stoppte, wurde sie von Horizon ausgeschlossen. Der Bund bot eine Übergangslösung und zahlte 2,5 Milliarden Franken zur Finanzierung von ausgewählten Forschungsprojekten, eine Kopie der ERC-Grants, die unter Forschenden jedoch nicht das gleiche Renommée besass. Die Nachfrage nach dem Original ist gross, schreibt die ETH, denn das ERC-Grant wird als Auszeichnung angesehen. Doch sollte die Stimmbevölkerung das neue Vertragspaket in einigen Jahren ablehnen, könnte die EU den Zugang wieder verwehren. Dann wäre die Schweiz erneut bei der Champions League der Forschungswelt auf die Zuschauerränge verwiesen (NZZaS,12.1.2025). Zum Vergleich: der Kohäsionsbeitrag für die EU zum europäischen Binnenmarkt beträgt 350 Mio.

 

Literatur&Kunst ist international
Unser Webkultur-Magazin Literatur&Kunst www.literaturundkunst.net wird international
beachtet und gelesen. Zu Jahresanfang schauten wir in die Statistiken unseres Kultur-Online-Magazins L&K, woher unsere Leserinnen und Leser kommen: aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, aber auch u.a. aus dem United Kingdom, aus Frankreich, Italien, Holland, Schweden, Polen, Kanada, Indonesien und Luxembourg.
Wir freuen uns über das rege Interesse an Literatur&Kunst, stöbern Sie weiterhin im einzigartigen Archiv (ab 2011) mit ungeschränktem Zugang zu den Artikeln und Beiträgen
zu Literatur, Lyrik, Kunst, Photo/Film, Architektur und Carte Blanche, begleitet mit Links zu den bedeutendsten internationalen Museen, Organisationen und den Kunstzeitschriften DU und WELTKUNST sowie den Editorials zum aktuellen Zeitgeschehen.
Wir wünschen Ihnen anregende und aufregende Unterhaltung.
Ihr L&K-Team
16. Januar 2025
 

Zum 100. Geburtstag: Eine Eugen Gomringer Matinée – Lesung, Film, Happening in Berlin, Akademie der Künste.

Eugen Gomringer (* 20.1.1925) hat seit Jahrzehnten die Sprache der Literatur und bildenden Kunst nachhaltig verändert. Zum 100. Geburtstag findet am Sonntag, 19. Januar 2025 in der Akademie der Künste in Berlin eine Matinée mit Gästen und Weggefährt:innen statt, wie Ulrike Draesner, Nora Gomringer, Robert Kudielka, Michael Lentz, Ulf Stolterfoht und Hubertus von Amelunxen, die mit Gomringers poetischen Texten, Prosafragmenten und eigenen Werken im Grenzbereich von Text und Bild eine lebendige Matinée für den Künstler gestalten. Publikumsbeteiligung ist erwünscht: in der Poetry Corner!
Wir gratulieren Eugen Gomringer herzlich und wünschen ihm weiterhin konkrete Schaffenskraft, Gesundheit, Glück und gutes Gelingen. 

16. Januar 2025

Sonntag, 19.1. 12 Uhr
Akademie der Künste, Berlin, Pariser Platz, Plenarsaal
Begrüssung: Kerstin Hensel und Karin Sander
Mit Ulrike Draesner, Nora Gomringer, Michael Lentz, Robert Kudielka, Ulf Stolterfoht, Hubertus von Amelunxen
In Kooperation mit Archivio Conz, Berlin
In deutscher Sprache
€ 7,50/5

 
Premiere «Staubfrau» im Schiffbau Matchbox: Eindringliches Plädoyer gegen häusliche Gewalt.

Die Matchbox im Schiffbau eignet sich für intime Dramen, das Ensemble und Publikum rücken näher zusammen. Meldungen über Femizide, oft getarnt als familiäre Tragödie, tauchen wöchentlich in den Medien auf. Die deutsche Autorin, Regisseurin und Dramaturgin Maria Milisavljević hat sich des brisanten Themas in einem Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich angenommen. Waschmaschine und Küchenherd auf der Bühne bilden das Narrativ des dicht gewobenen Erzählstranges, wo und wie sich das Frauenleben von drei Generationen abspielt. Grossmutter, Mutter und Tochter erzählen sich ihr Leben und es entstehen Vexierbilder struktureller Gewalt in der Familie… wir fangen unten an, fangen immer unten an, wir müssen uns erst hocharbeiten, wir müssen uns immer erst hocharbeiten. Wir sollen uns hochreden, uns hochdenken, wir sollen uns hochputzen, wir sollen uns hochkochen, hochschlafen… Wir marschieren durch die Wüste, werden zu Staub… Das Spiegelbild der drei Grazien auf dem glatten Theaterboden spricht Bände. «Doch heute entscheide ich, es ist 21.54 Uhr, ich gehe, das Kind schläft. Die letzte Tat der Mutter… ». Lichtkegel und Menetekel an der Wand mit Namen von Femiziden beeindrucken fühlbar ein Publikum, das dem Ensemble und der persönlich anwesenden Autorin anerkennend grossen Beifall spendet. Mit Lola Dockhorn, Anita Iselin Soubeyrand, Nancy Mensah-Offei. Regie: Anna Stiepani, Bühne und Kostüm: Thurid Peine, Licht: Rasmus Stahel. Uraufführung Schiffbau-Matchbox 11. Januar 2025. Infos: www.schauspielhaus.ch
Ingrid Isermann, 12. Januar 2025

 

to be continued

 

 

Wir leben in Zeiten der Umbrüche, umsomehr schätzen wir eine Zeit des Innehaltens mit Büchern, die uns bereichern, unseren Horizont erweitern und die wir uns selbst und anderen schenken können. Hier sind einige weitere Buchtipps für Sie, die wir Ihnen wärmstens empfehlen.

 

Anne Applebaum. Die Achse der Autokraten.

«Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2024» ging für ihr Gesamtwerk an die Historikerin und Journalistin Anne Applebaum (*1964 in Washington) als Expertin der osteuropäischen Geschichte. Ihre Bücher wie «Der Gulag» (2003), «Der eiserne Vorhang» (2012) und «Die Verlockung des Autoritären» (2019) wurden Bestseller und u.a. mit dem Pulitzer-Preis 2004 ausgezeichnet. «Die Achse der Autokraten» beschreibt Korruption und Propaganda, wie sich Diktatoren gegenseitig an der Macht halten. Autokraten wie Putin unterstützen rechtsextremistische Bewegungen in Europa und versorgen afrikanische Diktaturen mit Söldnern und Waffen. Seit drei Jahren führt Putin einen Angriffskrieg in der Ukraine, schürt weltweit Nahrungsmittelknappheit und treibt die Energiepreise nach oben. Der Iran finanziert seine Schergen im Libanon, in Palästina, im Jemen und im Irak. Der belarussische Diktator destabilisiert seine Nachbarländer, indem er Flüchtlinge nach Belarus und von dort aus nach Europa schleust. Kubaner und Koreaner kämpfen in der russischen Armee gegen die Ukraine. China sieht sich schon lange nicht mehr als nur asiatische Macht. Anne Applebaum offenbart, wie diese Achse funktioniert und wie die heutigen Autokraten mit ihrem Kampf gegen die Demokratie eine neue Weltordnung anstreben. Siedler Verlag, 2024.

 

 

Wolfram Eilenberger. Geister der Gegenwart. Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung 1948-1984.

Der langjährige Chefreaktor des Philosophie-Magazins Wolfram Eilenberger moderiert u.a. die «Sternstunde Philosophie» im Schweizer Fernsehen. Sein Buch «Zeit der Zauberer» stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste und wurde mit dem Bayrischen Buchpreis 2018 und dem renommierten Prix du Meilleur Livre Étranger in Frankreich ausgezeichnet. In seinem neuen Buch «Geister der Gegenwart» beschreibt Eilenberger anschaulich die vier Philosophen Theodor W. Adorno, Paul K. Feyerabend, Susan Sontag und Michel Foucault von der bleiernen Zeit der 50er-Jahre zur Kulturrevolution von ’68 bis zu den Verheissungen des globalen Kapitalismus. So geistesgegenwärtig wie genial revolutionieren diese die Art und Weise, wie wir über Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft nachdenken. Eine so anregende wie aufregende Lektüre. Klett-Cotta, 2024.

 

 

Édition De Caro. Alle Weisheit dieser Welt ist schon lange ausgesprochen.

Ist schon alles gesagt? Eine Newcomerin in der Literaturszene ist Herausgeberin Rachele De Caro, die zehn Autor:innen zehn Fragen unserer Zeit beantworten liess, u.a. Ilma Rakusa, Nora Bossong, Ronja von Rönne, Matthias Binswanger, Moritz Leuenberger. «Wo bleibt unsere Aufmerksamkeit?», fragt sich die Schriftstellerin Ilma Rakusa und greift zurück auf das jahrhundertalte Gedankengut des Haiku-Dichters Basho. Die zur jüngeren Generation gehörende Autorin Ronja von Rönne sinniert darüber, ob es sich lohnt erwachsen zu werden und landet bei Michael Ende und seinem Momo. Der Politiker Moritz Leuenberger und Philosoph in spe sucht Rat bei Nietzsche, Plato und Lessing. Fragen sind die besten Antworten! Édition De Caro, Einsiedeln 2024.

 

 

Mario Desiati. Spatriati.

Das Buch wurde 2022 mit dem renommiertesten Literaturpreis Italiens, dem «Premio Strega» ausgezeichnet. Mario Desiati, *1977 in Apulien, lebt in Rom, Berlin und seinem Heimatort Martina Franca, wo auch «Spatriati» spielt. Er war Verlagslektor und hat Gedichte, Erzählungen und mehrere Romane veröffentlicht. Spatriati nennt man in Apulien die Unbestimmten, die aus der Art schlagenden, die Spinner, die nicht dazugehören wie Claudia und Francesco. Claudia ist extravagant, hat leuchtend rote Haare und ist durchsetzungsstark; Francesco, «die schwarze Traube», akzeptiert Geschlechterrollen und das Gesetz des ruhigen Lebens auf dem Lande. Als er erfährt, dass seine Mutter Claudias Vater liebt, gerät sein Leben durcheinander. Francesco folgt Claudia nach Berlin, wo ihn grenzenlose, auch sexuelle, Freiheit erwartet. Eine Hymne an die Schönheit des italienischen Südens. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024.

 

 

Marina Rumjanzewa. Schwiizerdütsch. Expedition  in eine unbekannte Sprache. Identität oder Kulturschock?

Eine amüsante, leichtfüssig geschriebene und vergnügliche Lektüre über die Lieblingssprache der Deutschschweiz: Schwiizerdütsch. Marina Rumjanzewa, (*1958 in Moskau) absolvierte das Germanistikstudium an der Moskauer Linguistischen Universität, lebt seit 1990 als Autorin («Auf der Datscha. Dörlemann)  u.a. für das Schweizer Fernsehen in Zürich, begab sich auf eine Expedition, die Faszination des Dialekts zu erkunden und zu hinterfragen, warum die Jungen in ihren Chats und SMS den Dialekt bevorzugen, der etwas sperrig und besonders für Uneingeweihte nicht leicht zu entziffern ist, doch augenscheinlich eine wohlige Heimat-Atmosphäre zu verbreiten scheint, gegenüber dem klar strukturierten Hochdeutsch, das Schweizer und Schweizerinnen privat kaum anwenden. Und so ist der Dialekt der verschiedenen Kantone der Deutschschweiz heimlich zur fünften Landessprache avanciert, nur vom englischem Sound konkurrenziert, der sich oft in lässigem Slang mit dem Dialekt vermischt. Mit Glossar im Anhang. Empfehlenswert, speziell für Neuzugezogene. Dörlemann Verlag, Zürich 2024.

 

 

Yvonne-Denise Köchli. Eine kurze Geschichte der Frauen. Von 1791 bis 2024.
Warum brauchte es 1791 eine Frauenrechtserklärung? Was hat die Französische Revolution mit unbezahlter Care- und Hausarbeit zu tun? Wie bringen Gendermainstreaming und europäische Gerichtshöfe die Gleichstellung voran? Ist das Patriarchat alternativlos? Was bringt uns der Popfeminismus von Beyoncé und Co.? Warum geht es mit der Bekämpfung der sexualisierten Gewalt nicht wirklich vorwärts? Was bedeuten die langen Jahre mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze für das weibliche Rollenverständnis? Was passiert mit den Frauenrechten, wenn autoritäre Machthaber das Sagen haben? Und warum bleibt die Ökonomie der grosse Stolperstein der Frauen? Die Publizistin Yvonne-Denise Köchli erinnert die Errungenschaften der feministischen Bewegung und beleuchtet Fortschritte und Ausblicke der Frauengeschichte für die Zukunft. Xanthippe Verlag, Zürich 2024.

 

 

Luiz Alves da Silva. Zwischen Zürich und Rio de Janeiro – Hausmusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die bürgerliche Hausmusikpraxis wurde von der Musikwissenschaft bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nur an berühmten Salons exemplifiziert, wie dem musikalischen Salon der Familie Mendelssohn, der Wiener Fürsten, in denen Beethoven verkehrte oder den literarisch-musikalischen jüdischen Salons in Berlin. Der Sänger und Musikwissenschaftler Luiz Alves da Silva (*1964 in Brasilien), 1989-90 Mitglied des Internationalen Opernstudios Zürich, 2011 ausgezeichnet mit dem Nikolaus-Harnoncourt-Preis, hat es nun unternommen, in seiner Dissertation über die Hausmusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Lücke zu füllen. In Rio de Janeiro lebte das Schweizer Ehepaar Heinrich und Cécile Däniker-Haller 24 Jahre lang von 1828 bis 1852, nicht nur als erfolgreiche Kaufleute und Kosmopoliten, sondern auch als begeisterte Musikliebhaber. Sie hinterliessen zahlreiche Dokumente über ihre hausmusikalische Tätigkeit in Brasilien und nach ihrer Rückkehr nach Zürich in der Schweiz. Eine spannende, aufschlussreiche Geschichte mit vielen historischen Dokumenten, Fotos und Abbildungen. Bärenreiter Verlag, Kassel 2024.

 

 

160 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz: Ausstellung in Japan würdigt Shizuko Yoshikawa und Josef Müller-Brockmann.

Im Rahmen des 160-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz präsentiert das Nakanoshima Museum of Art in Osaka vom 21. Dezember 2024 bis zum 2. März 2025 die Retrospektive «Space In-Between: Shizuko Yoshikawa und Josef Müller-Brockmann».

 

Die Ausstellung zeigt das Werk der japanischen Künstlerin Shizuko Yoshikawa und des Schweizer Designpioniers Josef Müller-Brockmann. Es handelt sich um die erste umfassende institutionelle Ausstellung des kreativen Paares in Japan, kuratiert in Zusammenarbeit mit der Shizuko Yoshikawa und Josef Müller-Brockmann Stiftung Zürich und unterstützt von der Schweizerischen Botschaft.

Die Retrospektive zeigt einerseits das Gesamtwerk der Künstlerin Shizuko Yoshikawa, andererseits die konkreten Grafikdesigns von Josef Müller-Brockmann, der massgeblich den bis heute weltberühmten «Swiss Style» mitgeprägt hat. So beleuchtet sie die einzigartige persönliche und berufliche, transnationale Beziehung dieses Künstlerpaars.

Yoshikawa und Müller-Brockmann waren in Zürich ansässige Kunst- und Designschaffende. Sie trafen sich erstmals 1960 auf der World Design Conference in Tokio, an der Yoshikawa, eine Absolventin der Tsuda University in Englisch, als Dolmetscherin teilnahm. Inspiriert von dieser internationalen Zusammenkunft zog es sie als erste und einzige weibliche japanische Studentin an die Hochschule für Gestaltung Ulm. Später arbeitete sie im Designbüro von Müller-Brockmann in Zürich. Die berufliche Zusammenarbeit entwickelte sich zu einer lebenslangen Partnerschaft, in der beide in ihren Tätigkeitsfeldern wegweisend wirkten.
Vom 28. November bis zum 11. Januar 2025 findet zudem eine Einzelausstellung mit Werken von Shizuko Yoshikawa in der Zürcher Galerie Gregor Staiger statt.

 
 
Die Pfauenbühne zeigt «Die schmutzigen Hände»: Sartre zwischen Slapstick und Politkrimi noir»

Eine Ambiance wie in einem französischen Film noir, eine Bar, ein Mann im Trenchcoat (Thomas Wodianka), eine Frau in Lederjacke (Lena Schwarz), die sich im Nebel etwas zurufen, Hugo (Steven Sowah) ist aus dem Gefängnis entlassen!
Die Choreografie setzt die Bühne unter Spannung… was für ein Auftakt! Von Anfang an vibriert die Szene, sie kommt rüber, wie die unruhigen Zeiten: Sartre zwischen Slapstick und Politkrimi!
Wie aktuell Jean-Paul Sartres Drama ist, spürt man bei jedem Wortwechsel. Politik ist eine Wissenschaft, die überzeugen will, dass die anderen auf dem falschen Weg sind. Eine Männerwelt, die Risse bekommt…
Parteichef Hoederers (Wolfram Koch) Zweckbündnis mit den Gegnern stösst auf Ablehnung bei den eigenen Leuten, man will ihn umbringen. Hugo (Steven Sowah) nimmt den Mordauftrag an und zieht mit seiner Frau Jessica (Carol Schuler) in sein Haus und trifft auf einen gewieften Realpolitiker, der bekennt, in der Politik sich auch die Hände schmutzig zu machen. Und da beginnt die Chose, die spektakulär abgeht: Carol Schuler in der fulminanten Rolle als Chansonnière und spielfreudige Kumpanin, die Systeme überschreitend…
Sartres zeitloser Politkrimi zu Macht, Abhängigkeit, Ideologie und Menschlichkeit feiert auf der Pfauenbühne Premiere und überzeugte auch das Zürcher Publikum, das der Regie von Jan Bosse, der nach sechs Jahren ans Schauspielhaus Zürich zurückkehrt, und der Inszenierung mit der Neu-Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel, begeistert Applaus spendete. Hier fand am 6. November 1948 auch die deutschsprachige Erstaufführung des Stückes statt.
Das Bühnenbild von Moritz Müller, der auch ein altes Peugeot-Cabrio auf die Bühne hievte und zwischen Nostalgie und bunten Farbräumen oszillierte, hielt die Spannung aufrecht.
Ein kleines Theaterwunder in unruhigen Zeiten auf der Pfauenbühne! Premiere 5. Dezember 2024. www.schauspielhaus.ch
Ingrid Isermann, 6. Dezember 2024

 
 
Premiere im Schauspielhaus Zürich: «Die Frauen von Trachis» von Sophokles unter der Regie von Jossi Wieler.
Auf der Bühne in der vollbesetzten Schiffbaubox dominiert eine riesige Kommode, sie möbliert das Exil der Frauen in Trachis: «So also sieht es hier aus, es gibt kein Morgen», Deianeira (Patrycia Ziolkowska), Ehefrau des griechischen Kriegshelden Herakles, lässt klagend ihrer Trauer freien Lauf. Ihre Töchter Althaia (Tabita Johannes) und Makaria (Carla Richardsen) vermissen den abwesenden Vater Herakles (Sebastian Rudolph), von dem ihnen Lukas, sein Herold (Matthias Neukirch) atemlos von seinen Beute- und Rachefeldzügen berichtet, dass eine Gruppe kriegsgefangener Frauen in Herakles’ Auftrag nach Trachis verschleppt wird, darunter Iole (June Ellys Mach), die Geliebte Herakles, die fortan mit ihnen leben soll. Deianeira, die sich mit Iole solidarisiert, hat einen mörderischen Plan, sie sendet Herakles ein giftiges Gewand, das ihn töten soll. Herakles klagt seinerseits: «Nichts von Mannart hat mich bezwungen, ganz allein, ohne Schwert… Ich war so ein Mann! Und jetzt kraftlos, bin ich auch ein Nichts, kann mich kaum bewegen…». Sein Sohn Hyllos (Katja Bürkle) nimmt ihm auf dem Totenbett das Versprechen ab, Iole zur Frau zu nehmen, die er nicht will. Deianeira beugt sich nicht der Gewalt ihres Ehemanns, sie erkennt die Gewaltstruktur, der sie letztlich selbst erliegt. Der antike Text von Sophokles in der Neu-Übersetzung von Kurt Steinmann schafft eine körpernahe Parallelität zu gesellschaftlichen Strukturen unserer Zeit, eine Analyse der Kriegshelden und ihres Vermächtnisses der Gewalt, die unter die Haut geht. Der Antiheld des Abends ist Sebastian Rudolph als Herakles. Bühnenbild Muriel Gerstner, Kostüme Anja Rabes. Musik Biber Gullatz.
Premiere 14. Dezember 2024, Schauspielhaus, Schiffbau. info:schauspielhaus.ch
Ingrid Isermann, 15. Dezember 2024.

 

 

Was können Sie auf Literatur&Kunst entdecken?

Die Literaturnobelpreisträgerin 2024 Han Kang: «Deine kalten Hände», Aufbau Verlag, Berlin. Erstmals geht der renommierteste Literaturpreis nach Südkorea an eine Autorin, die 2016 mit ihrem verfilmten Buch «Die Vegetarierin» Aufsehen erregt hatte, das von einer Frau erzählt, die eine Pflanze werden möchte.

 

100 Jahre Surrealismus! Das Centre Pompidou in Paris feiert den Surrealismus mit einer grossen Ausstellung. Wir präsentieren Ihnen die Surrealisten André Breton und Philip Soupault: «Les Champs Magnétiques. Die Magnetischen Felder»; «Was blieb von unseren Leidenschaften?», Wunderhorn 2024; Guillaume Apollinaire: «Calligrammes», Gallimard, 2021.

 

Die National Gallery, London zeigt «Vincent van Gogh: Poets and Lovers», das Kunsthaus Zürich präsentiert parallel eine Ausstellung mit Werken van Goghs in der Gegenüberstellung mit dem chinesisch-kanadischen jung verstorbenen Maler Matthew Wong: «Vincent van Gogh – Matthew Wong. Letzte Zuflucht Malerei». Marion Löhndorf stellt Querbezüge in ihrem Beitrag vor.

 

Ferner: Die grosse Retrospektive von Marina Abramović im Kunsthaus Zürich zeigt Fotografien, Videos, Performances sowie eine eigene Foto-Edition mit dem Kunsthaus «The Message». Hingehen und anschauen!

 

 

«Binia Bill – Bilder und Fragmente» sind in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen. Die Fotografin und ihre Arbeiten werden posthum als bedeutende Vertreterin der Schweizer Fotografie des 20. Jahrhunderts gewürdigt. Der gleichnamige Fotoband ist bei Scheidegger&Spiess erschienen.

 

«Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron», Steidl 2024. Das umfangreiche, bedeutende Werk der berühmten Architekten wird in diesem grossformatigen, opulenten Bildband vorgestellt. Steidl, 2024.

 

«Balanced Structures by Schnetzer Puskas», herausgegeben von Simonett & Baer, besticht
mit sorgfältiger Ausstattung über die Ingenieurskunst von Schnetzer Puskas,  die 2023 ihr 70jähriges Bestehen mit Büros in Basel, Zürich, Bern und Berlin feierten. 

 

«Jaretti & Luzi: Monografie Wohnbauten in Turin 1954-1974», herausgegeben von Bernd Schmutz & Dominik Fiederling. Die Turiner Architekten schufen innert zwanzig Jahren ein aussergewöhnliches Werk abseits des Mainstreams. Park Books, 2024.

 

Widescreen: Matthew Wong. The Kingdom, 2017. Öl auf Leinwand, 121,9 x 182,9 cm. Ein Seelenverwandter van Goghs. Kunsthaus Zürich 20. September 2024 – 26. Januar 2025.

 

Thomas Hüetlin. Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque: «Man lebt sein Leben nur einmal», Kiepenheuer & Witsch. Der Hollywood-Star Dietrich und der Antikriegs-Schriftsteller Remarque in einer Amour fou im Wetterleuchten der 30er Jahre, eine abenteuerliche Tour d’Horizon von der Côte d’Azur nach Hollywood.

 

Willi Winkler. «Kissinger & Unseld». Eine zeitgenössische Geschichte zweier Überlebender.
Die Freundschaft zwischen Weltpolitiker Kissinger und Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, Rowohlt Verlg, 2024.

 

«Angela Merkel. Freiheit.» Die langerwartete Biografie der ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ist nun erschienen, in Zusammenarbeit mit Beate Baumann. Kiepenheuer & Witsch, 2024. Ein Stück Zeitgeschichte der besonderen Art mit zwei deutschen Staaten.

 

«Neue Sachlichkeit in Mannheim. Jubiläum im Rausch der 20er Jahre in Mannheim». Eine Reportage über das fulminante Revival der Roaring Twenties von Ingrid Schindler.

 

«An interlude with Musa Mayer: A Daughter’s Odyssey in Art and Legacy»: Julieta Schildknecht hat die Autorin Musa Mayer über ihr Leben und ihren berühmten Künstlervater Philip Guston für Literatur&Kunst interviewt.

 

 

Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit für Literatur&Kunst über den Tag hinaus, bleiben Sie uns treu und empfehlen Sie uns weiter.

Fürs kommende Jahr  wünschen wir Ihnen eine schöne Zeit der Komplexität, Empathie und Zuversicht und frohe Festtage. 

Machen Sie’s gut!

 

 

Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin