FRONTPAGE

André Studer: «Vom Mass der Dinge» im Schweizerischen Architekturmuseum Basel

Von Fabrizio Brentini

 

Es geht bei dieser Ausstellung in erster Linie um die Präsentation des Gesamtwerkes des Architekten André Studer (1926-2006), doch ebensogut könnte man diese Schau als einen Einblick in das handwerkliche Schaffen von Architekten vor dem Aufkommen des Computers rezipieren.

An den Wänden hängen perfekt ausgeführte technische Zeichnungen, die man heute in Architekturbüros nicht mehr herstellt, vielleicht sogar herstellen kann. Und im Hauptraum sind betörende Modelle in Holz zu sehen, konstruiert von speziell ausgebildeten Modellbauern, die durch 3D-Drucker ersetzt wurden. Es schwingt Nostalgie mit beim Abschreiten dieser Dokumente, die im Falle von André Studer im gta-Archiv in Zürich aufbewahrt werden. Dieses war denn auch an der Erarbeitung der Gesamtschau wesentlich mitbeteiligt, und im Booklet, das den Besuchern und Besucherinnen zur Verfügung gestellt wird, kündet es für 2018 eine umfassende Monografie über einen Baumeister an, der in der Schweizerischen Architekturszene der 1960er und 1970er Jahren eine Sonderstellung einnimmt.

 

Von Siegfried Giedion zu Frank Lloyd Wright
1926 geboren absolviert Studer von 1946 bis 1951 das Architekturstudium an der ETH Zürich, wo Siegfried Giedion zu einem wichtigen Mentor wird. Aus Briefen, die in Vitrinen ausgelegt sind, kann man entnehmen, dass Giedion geradezu überschwänglich Studer als einen der begabtesten unter seinen Studenten preist. Er ist es auch, der Studer auf seiner Reise durch die USA und Mexiko, die er mit seiner Frau Theres Spoerry 1952 und 1953 unternimmt, den Weg zu wichtigen Persönlichkeiten ebnet. Dabei setzt er sich intensiv mit dem Werk von Frank Lloyd Wright auseinander, dessen Einfluss in seinen frühen Studien unübersehbar ist.
Zu einem ersten grösseren Auftrag kommt Studer durch eine Anfrage eines Studienkollegen, der in Casablanca an einem Projekt für Wohnsiedlungen beteiligt ist. In der Folge weilt er längere Zeit in Marokko und entwickelt verschiedene Einheiten, über die der Filmemacher Sascha Roesler 2006 mit Studer ein Gespräch geführt hat – ein halbes Jahr vor dessen Tod. 1956 bis 1964 ist er Mitarbeiter im Büro Haefeli Moser Steiger in Zürich und in dieser Zeit offenbar massgeblich für die Gestaltung der Fassaden des Hochhauses zur Palme verantwortlich. 1957 bereist er Finnland und studiert dabei wie viele seiner Schweizer Kollegen auch die Bauten von Alvar Aalto. Nebst Wright dürfte Aalto, der in Giedions Werk «Raum, Zeit, Architektur» in der achten Auflage von 1949 sozusagen auf das Podium der Weltarchitektur gehievt wird, die deutlichsten Spuren im Schaffen von Studer hinterlassen haben. 1959 bezieht Studer in Gockhausen bei Zürich ein eigenes Wohn- und Atelierhaus, wo er gleichzeitig ein eigenes Büro gründet.

Nach Mitte der 1970er Jahre kündet sich eine eigenartige Wandlung in seinem Denken an, die für Aussenstehende bizarr genug klingt. Das Booklet erwähnt übersinnliche Erlebnisse, die dazu führen, dass Studer sich als Medium begreift und mit Hilfe eines Pendels empfangene Botschaften interpretiert. Festgehalten sind seine Gedanken in Aphorismensammlungen und in einem grossen utopischen Roman mit dem Titel «Manu. Die Geschichte vom Archipel Gaia».

 

 

Von Corbusiers Modular zu Pythagoras

Sein gebautes Oeuvre ist überschaubar: Einfamilienhäuser, wenige Mehrfamilienhäuser, ein Schulhaus, drei Kirchenbauten und als prestigeträchtigstes Monument das Exerzitienhaus in Bad Schönbrunn ob Zug. Umfassender ist die Liste der Projekte und Entwürfe, die nicht zur Ausführung gelangen, was Studer zunehmend verbittert. Kennzeichnend ist seine Bemerkung in der von der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft 1968 herausgegebenen Publikation «Aus dem Kunstschaffen der Gegenwart», er sei «bekannt als erfolgloser „Wettbewerbsarchitekt“, der immer wieder hofft, auf eine verständige Jury zu stossen». Formal sind seine Bauten typische Beispiele der in der Schweiz gehuldigten Ästhetik der 1960er Jahre, die skandinavische Architektur mit corbusianischem Vokabular anreichert. Studer kombiniert den Sichtbeton mit Holzstützen und Holzverkleidungen sowie mit verputzten Wandteilen. Teilweise wird Ingenieurskunst zelebriert wie etwa im auffällig aufgefalteten Dach der Kirche von Uster. Als Summa kann zweifelsohne das Exerzitienhaus bezeichnet werden, wo die Einbettung der Anlage in die Landschaft als Thema hinzugekommen ist. Wer schon Gast dieses Hauses war, kann bezeugen, dass die Architektur wesentlich dazu beiträgt, dass man sich wohlfühlt. Studer entwirft auch einen Teil des Mobiliars, das kaum Vorbilder kennt. In der Ausstellung sind drei Beispiele von Sesseln zu sehen, bei denen Holzstäbe und Lederstücke bzw. Hanfschnüre komplex verschränkt sind.

Den Bauten ist ein spezielles Masssystem unterlegt. Es basiert auf den Forschungen von Hans Kayser, der seine Proportionenlehre auf die Quelle Pythagoras zurückführt. Pythagoras vertrat die Überzeugung, dass die ganze Weltordnung auf Zahlenrelationen basiert, die am idealsten in der Musik erfasst werden können. Kayser beeinflusste mit seinen teilweise aufwändigen Veröffentlichungen etliche Architekten, wie beispielsweise den Luzerner Baumeister Otto Dreyer, den Schöpfer zahlreicher Kirchenbauten in und um Luzern. Es war Giedion, der Studer mit Hans Kayser bekannt machte. Dieser musste einen derart tiefen Eindruck hinterlassen haben, dass Studer danach schon fast devot jedes Bauwerk nach den harmonikalen Prinzipien von Kayser entwickelte. Er zählte zum «Kreis der Freunde von Hans Kayser», in dessen Namen er einige theoretische Schriften veröffentlichte. Heute nimmt man diese Ausrichtung mit einer gewissen Verwunderung wahr, doch es sei lediglich auf die unglaubliche Wirkung von Le Corbusiers Modulor verwiesen, um zu erahnen, wie stark man gerade in den 1960er Jahren nach den Gesetzmässigkeiten jenseits des Empirischen suchte, die es auch erlaubten, Gebäude gleichsam objektiv zu beurteilen. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass da implizit platonisches Gedankengut mitschwang. Ein Gebäude soll die ewig gültigen Proportionen abbilden. Wer diese Proportionen nicht erfasste oder nicht fähig war, diese Proportionen zu berücksichtigen, schuf ungültige, ja sogar falsche Gebäude.

 

Mit der Ausstellung «André Studer. Vom Mass der Dinge» verabschiedet sich Hubertus Adam vom Schweizerischen Architekturmuseum, allerdings nicht freiwillig, wobei die Gründe für die Kündigung für Aussenstehende nicht ganz nachvollziehbar sind. Blickt man auf sein Schaffen zurück, staunt man ob der Vielfalt der ausgewählten Themen. Sie waren stets überraschend und schufen auch neue Zugänge zum unerschöpflichen Universum Architektur. Der neue Direktor Andreas Ruby denkt explizit an eine Kunst der Ausstellung, «die keine Angst hat vor dem Populären, dem Spielerischen und dem Humor». In der Tat, das konnte und wollte Adam nicht. Man muss die ersten Ausstellungen unter der Leitung von Ruby abwarten, um einschätzen zu können, ob das Programm den wohl vom Stiftungsrat gewünschten Spagat zwischen einer anspruchsvollen Beschäftigung mit architektonischen Themen und publikumswirksamen Inszenierungen schaffen kann.

 

 

André M. Studer. Vom Mass der Dinge
Schweizerisches Architekturmuseum Basel
Ausstellung bis 25. September 2016.
Für Öffnungszeiten und Begleitveranstaltungen
https://www.sam-basel.org

 

 

Literatur & Kunst-Buchtipp


 
«Iran – Architekturführer DOM publishers»
Der Iran verfügt über eine der weltweit ältesten Stadtkulturen. Sie reicht über 4.000 Jahre zurück. Zwischen der islamischen Eroberung im siebten Jahrhundert und der „Verwestlichung“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Städte der heutigen Islamischen Republik Iran immer wieder.

 

Die persische Baukultur beeinflusste Architekten und Künstler bis nach Zentralasien im Norden und Indien im Osten. Der Iran weist wie kaum ein anderes orientalisches Land eine eigenständige städtebauliche und architektonische Entwicklung auf, deren typische Eigenschaften sich im Laufe der Zeit mit anderen Kulturen vermischten und einen wesentlichen Beitrag zur Weltarchitektur darstellen. Im Architekturführer Iran begibt sich der Autor und Architekt Thomas Meyer-Wieser anhand von knapp 300 Bauten und Projekten in Teheran, Isfahan und Shiraz auf spannende Spurensuche. Im Fokus steht dabei die Identität der iranisch-islamischen Baukunst, die sich seit dem Herrschaftsantritt der Safaviden im Jahr 1501 selbstbewusst behauptet hat.

 

 

Thomas Meyer-Wieser

Iran
135 × 245 mm, 480 Seiten,
1000 Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-86922-392-6 (deutsch)

€ 48

«Chile – Architectural Guide, DOM publishers»

Tierra del Fuego, Patagonia, Atacama Desert and the Pacific Coast: even today the apperception of Chile remains remote and indistinct. There is no doubt that its geographical location – confined between the Pacific Ocean and the Andes mountain range – has had a role to play in the relative nescience, although it was the former political situation that led to the country’s isolation for almost twenty years.

 

In fact, it is only in these last fifteen years that Chilean architecture has appeared on the international stage, mostly owing to Mathias Klotz, Alejandro Aravena, Smiljan Radic and Pezo von Ellrichsausen, amongst others. Chile can take pride in having built some genuine Modern masterpieces whilst having preserved a close relationship with its culture. During the twentieth century Europe provided Chile with sources of inspiration. Le Corbusier had a great influence on Chilean architects despite never having visited the country; his followers, such as Emilio Duhart, Roberto Dávila and the BVCH office, realised buildings which are today internalised deep in the Chilean psyche. The Bauhaus movement served as another influence for architects such as Sergio Larraín. Overall, this book aims to be a practical reference source of the best architectural works of the twentieth and twenty-first centuries in Chile.

 

 

Véronique Hours / Fabien Mauduit

Chile
135 × 245 mm, 416 Seiten,
über 800 Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-86922-394-0 (englisch)

38 €

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