FRONTPAGE

«Was ein Haus in sich selbst verankert»

Von Ingrid Isermann

Das Auditorium der ETH Hönggerberg ist voll besetzt, auf den Treppen drängen sich die jungen angehenden ArchitektInnen, um den Vortrag von Gabrielle Hächler des Architektenteams Fuhrimann Hächler zu hören. Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Die Intensität dieser Aufmerksamkeit, heute ein seltenes Gut, beeindruckt. Was ist es, was an den Bauten von Fuhrimann Hächler Fachleute und Private, vorwiegend Künstler, Kunstsammler und kunstnahe Institutionen, interessiert und fasziniert?

Zwar bevorzugen die Architekten ein unprätentiöses, visuell anspruchsvolles Materialkonzept, suchen jedoch gleichzeitig bewusst die Nichtperfektion und Schönheit einer gewissen „Unreinheit“, die sich in den rauen Beton eingeschrieben hat. Das Paradoxe und die Widersprüche aus dem Leben in eine Philosophie der Architektur abgeleitet, die kulturelle Neugier als silent knowledge, die die Intuition durch verarbeitete Erfahrung vertieft und die Fähigkeit verfeinert, Differenzen nicht in Homogenität versanden zu lassen. So sind die hohen, verschachtelten Innenräume von einer lichtvollen Präsenz, die eine andachtsvolle Stille evozieren, wie man sie in Räumen wie Kathedralen findet.

 

 

Sieben Bauten – erste monografische Publikation

Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler haben an der ETH Zürich Architektur studiert. Seit 1995 führen sie gemeinsam ein Architekturbüro in Zürich. Die erste monografische Publikation präsentiert fünf private Wohnhäuser und zwei öffentliche Gebäude: das Architekten- und Künstlerhaus Hächler Fuhrimann und Pipilotti Rist am Uetliberg, der Kiosk-Pavillon im Zürcher Seefeld, Hafen Riesbach, das Ferienhaus der Architekten auf der Rigi, ein Haus in Engelberg in der Zentralschweiz, das Wohn- und Atelierhaus Müller Gritsch, das Galerie-Haus Eva Presenhuber in Vnà im Unterengadin sowie das Friedhofsgebäude in Erlenbach. Trotz unterschiedlicher Raumkonzeptionen und Fassadenabbildungen weisen die sieben Bauten prägnante Gemeinsamkeiten auf wie das unprätentiöse, jedoch anspruchsvolle Materialkonzept und die fliessenden Raumübergänge. Die Häuser zeigen exemplarisch, wie die Architekten einerseits bewusst die Nichtperfektion Mehrdeutigkeit suchen, – etwa in der bevorzugten Verwendung von Materialien wie Kistensperrholz und grob geschaltem Beton, kontrastiert durch spiegelnde Glasflächen -, andererseits ist ihre Architektur äusserst sparsam kontrolliert und konzeptuell durchdacht.

Die Bauten entstehen unter Berücksichtigung des realen und kulturellen Kontexts, des Raumprogramms, der Form und des architektonischen Ausdrucks sowie sinnlicher und ästhetischer Anforderungen. Die Verwendung einer ökonomisch effektiven Konstruktion mit haptischen Oberflächen ermöglicht „Low-Budget-Bauten mit einem High-End-Reichtum“. Die Wohnhäuser, für Bauherren realisiert, die meist selbst auch in der Architektur- und Kunstszene verwurzelt sind, bestechen durch Klarheit und Einfachheit der Baumaterialien, ökonomisch effektiven Konstruktionen mit haptisch sinnlichen Oberflächen und fliessenden Raumübergängen. Die Publikation ergänzen vier ausführliche Essays von Hubertus Adam, Kurt W. Forster, Gianni Jetzer und Marie Theres Stauffer sowie ein Textbeitrag der Architekten, die eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Werk bieten. Eine umfassende Liste der bisherigen Projekte dokumentiert ihr vielseitiges Schaffen.

 

 

Kurt W. Forster: „Sucht man nach einer fasslichen Vorstellung der Bauten von Fuhrimann Hächler, so treten Aspekte hervor, die in den Bauplätzen und im Widerspiel von Ansicht und Erschliessung ihre Ursache haben. Es mögen dabei scheinbar zufällige Umstände ihre Hand im Spiel haben, sie erklären jedoch die kennzeichnenden Züge dieser Bauten nur annähernd. Ebenso unzureichend sind blosse Klassifizierungen, denn über die landesüblichen Gegebenheiten hinaus (Hanglage, Treppenführung, Materialbeschaffenheit) geht es um Grundsätzliches: Was verbindet einen Bau mit seinem Ort, ohne ebenso wohlfeile wie nebelhafte Begriffe zu bemühen? Was verankert ein Haus in sich selbst, ohne deshalb blind für seinen Ort und das Leben seiner Bewohner zu werden? Zwei grundsätzliche Fragestellungen, die in immer wieder abgewandelter, aber nicht willkürlicher Form erwogen sein wollen.“

 

 

Marie Theres Stauffer: „Ironie ebenso wie Humor sind Faktoren, die für Fuhrimann Hächler von grundsätzlicher Bedeutung sind, nicht zuletzt in einem Arbeitsumfeld, das oft die moralische Strenge der Zwingli-Stadt Zürich atmet. Verformung oder Verzerrung – aus diesem Vorgang gehen die vieleckigen Grundrisse Fuhrimann Hächlers hervor. Gerade bei den Glasbauten der Architekten führt sie zu kristallin anmutenden Volumen, etwa beim Pavillon in Zürich-Riesbach oder bei der Aufbewahrungshalle in Erlenbach. Solche Bauten haben in der Geschichte der modernen Architektur eine eigene Tradition.“

 

 

Gianni Jetzer: „Fuhrimann Hächler sind Architekten mit grosser Affinität zur Kunst. Sie sind zwar weder Sammler (wie manch gestandene Kollegen), noch sind sie selbst künstlerisch tätig (wie beispielsweise Le Corbusier und andere Architekten). Die Nähe zur freien Kunst liegt vielmehr in ihrer intellektuellen Neugierde begründet. (…) Vereinfacht gesagt zeigt sich die grosse Kunst von Fuhrimann Hächler darin, aus Kiesnestern und Beton, Kistenholz, Bandfenstern, farbigem Glas, Licht und Kunst eine Einheit zu bilden, die in ihrer räumlichen Polyphonie äusserst komplex ist. Als grosses Kompliment kann man werten, dass Künstler gerne in ihren Häusern leben. Der neueste Zugang heisst Ugo Rondinone. Er lässt sich von Fuhrimann Hächler einen Bau in Würenlos errichten, der durch sein wuchtiges Dach an ein Präriehaus von Frank Lloyd Wright erinnert“.

 

 

Hubertus Adam: „Es ist vielleicht signifikant, dass das Mehrfamilienhaus, das Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler ungefähr zeitgleich mit dem Kiosk Riesbach 2004 am Abhang des Üetlibergs realisieren konnten, zunächst im Ausland Anerkennung gefunden hat, bevor die Schweizer Architekturfachpresse es für sich entdeckte. Die Fotos mit dem roten und dem schwarzen Sportwagen vor der geknickten Blechfassade: Dieser Auftritt passte offenkundig nicht zu helvetischen Darstellungskonventionen, bei denen Luxus durch Understatement kaschiert wird. (…) Vielfalt wird im Haus am Üetliberg zur Einheit: man könnte auch von Hybridisierung sprechen, und zwar im mehrfachen Sinne: hinsichtlich Materialkombination, Tragstruktur und Raumprogramm. Das gilt in vergleichbarer Form auch für das Gebäude, das Fuhrimann Hächler als Galeriehaus für die Zürcher Galeristin Eva Presenhuber in Vnà im Unterengadin errichtet haben. Das skulpturale Betonvolumen ist privates Feriendomizil, besitzt aber auch öffentlichen Charakter: die Kunsthändlerin veranstaltet in den Räumen halboffizielle Ausstellungen, zu denen Freunde und Interessierte eingeladen werden. (…) Vnà hat knapp siebzig Einwohner und liegt – über eine serpentinenreiche Strasse erreichbar – vierhundert Höhenmeter über dem im Talboden des Inns befindlichen Gemeindehauptort Ramosch. Es gilt als sonnenreichste Ortschaft im Engadin – und besitzt ein bis heute weitgehend intaktes Ortsbild. Dennoch leidet Vnà unter Abwanderung, da die alpine Landwirtschaft nur noch bedingt zum Einkommen beiträgt und junge Menschen kaum zum Leben in einer derart abgelegenen Ortschaft bereit sind. (…) Eine Pionierrolle bei der postagrarischen Transformation des Unterengadins spielen – nicht anders als in städtischen Kontexten – Galeristen“.

 

 

Fuhrimann Hächler: „Uns ist wichtig, unterschiedliche Blickwinkel einnehmen zu können und zwischen ihnen zu moderieren. Gesellschaftlich relevant ist eine Architektur, wenn sie Grenzen überschreitet und Reibungen für sich fruchtbar macht. Erst durch die Verbindung von Empirie und Theorie, von Utopie und Vorschlägen für die Praxis entsteht gesellschaftliche Relevanz. Das Grenzgängertum ist für uns deshalb Selbstverständlichkeit und Voraussetzung. Architektur ist per se zwischen den Disziplinen angesiedelt, weil sie dasjenige Medium ist, das die unterschiedlichen Materialien und die Erkenntnisse verschiedenster Spezialisten – vom Ingenieur, Schreiner, Städteplaner bis hin zum Philosophen – synthetisiert, sie in Räume übersetzt und zu einem Ganzen fügt. Die einzelnen Ingredienzen gilt es auszuwählen, gleichwertig zu bearbeiten und zu einer neuen Synthese zu amalgamieren“.

 


 

Was ein Haus in sich selbst verankert. 19×25 cm, broschiert, 216 Seiten, über 100 Abb. in Farbe, Pläne in sw, Lars Müller Publishers, Baden 2010, ISBN 978-3-03778-224-8. CHF 55.00.

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