FRONTPAGE

«Ruch&Partner-Architekten in einem Prachtsband»

Von Fabrizio Brentini

 

 

Der im Engadin tätige Architekt Hansjörg Ruch präsentiert seine Neu- und Umbauten seit 1994 in einem betörenden Coffee Table Book, das den Leser und die Leserin geradezu auffordert, den dazu passenden Beistelltisch aufzutreiben. Das 3,5 kg schwere Buch ist aber mehr als das.

Es ist zugleich ein Fotobuch, wofür Filippo Simonetti, der Ruch seit den 1990er Jahren begleitet, die Vorlagen für die ganzseitigen Abbildungen zur Verfügung gestellt hat. Es ist des weiteren eine Art Lehrbuch, wie man mit alter Bausubstanz umgehen kann. Es ist aber auch eine Einführung in die moderne Architektur vornehmlich im Engadin, und es ist nicht zuletzt eine eindrückliche Dokumentation der architektonischen Werke, die Hansjörg Ruch und sein Team mit bewundernswürdiger Beharrlichkeit während der letzten 25 Jahre ausgeführt haben.

Es werden in der Publikation auch Neubauten dargestellt, doch es sind die Umbauten alter Engadinerhäuser, die so etwas wie das Markenzeichen des Gesamtschaffens von Ruch&Partner Architekten sind. Man möchte in jedem einzelnen Haus, das von ihnen umgestaltet wurde, eine zeitlang wohnen; und ich bin überzeugt, man wäre am Schluss nicht fähig, eine Rangliste zu erstellen. In den knappen Kommentaren (ausführlichere Texte wären in diesem Falle störend) wird deutlich, wie wichtig die Bauuntersuchung samt dendrologischer Altersbestimmung der einzelnen Teile ist. Erst aufgrund dieser sorgfältigen Analyse werden die Eingriffe festgelegt, womit nicht nur Hinzufügungen gemeint sind, sondern auch der Abbruch von unpassenden Elementen. Es fällt auf, dass insbesondere die an die Häuser angefügten Ställe – sie sollen von Ruch als «Kathedralen des Engadins» bezeichnet worden sein – als Chance für faszinierende Raumschöpfungen erkannt wurden. Selbstverständlich sind die Zutaten auch in den kleinzelligen Wohntrakten als solche erkennbar, aber das betrifft Treppenaufgänge, Kücheneinrichtungen, Wandteile, Lichtschächte, somit dienende Bauteile. Hingegen erlaubten die riesigen Hohlräume der Ställe komplexe Einbauten, die als Räume im Raum fungieren. Alt und Neu werden auf eine ähnliche Weise aufeinander bezogen wie in den berühmten Umbauten von Carlo Scarpa. Ein solches Vorgehen, wie es Ruch&Partner Architekten erlaubt war, ist nur dank aufgeschlossenen Denkmalpflegern möglich, die eher selten anzutreffen sind.

 

 

Wir sprechen hier von Werken, die im Vergleich zu Neubauten wesentlich mehr Arbeitsschritte erfordern. Es fehlt der Nullpunkt. Es ist schon etwas vorhanden, das als Bild bewahrt werden soll, gleichzeitig so umgestaltet wird, dass es auch Zeugnis für die Jetztzeit ablegen kann. Zudem verlangt die Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz von den Bearbeitern, dass sie sich ein umfassendes Wissen über Werkstoffe aneignen. In den Kommentaren ist die Aufzählung der gewählten Materialien ebenso wichtig wie die planerischen Überlegungen. Wenn immer möglich wählte das Team ortsübliche Rohstoffe, einheimische Hölzer und Bruchsteine aus Steinbrüchen der Umgebung.
Auffällig in der Publikation sind die zahlreichen von renommierten Künstlern stammenden Kunstwerke, die in die Architektur der Räume integriert sind. Man trifft auf Installationen von Richard Long, Ulrich Rückriem, Not Vital, Matias Spescha, Markus Raetz, Gaudenz Signorell und Thomas Zindel. Einige gehören zu öffentlich zugänglichen Galerien, die somit die Chance anbieten, wenige Umbauten von Ruch&PartnerArchitekten zu besuchen, etwa die Chesa Madalena in Zuoz, die Chesa Albertini in Zuoz oder die Chesa Perini in S-chanf. Wer etwas länger in den von Ruch&Partner Architekten umgebauten Häusern verweilen möchte, kann eine günstige Übernachtung in der SAC-Hütte Tschierv oder eine ziemlich teure im Gasthaus Krone in La Punt buchen.

 

Dass das Team auch in Bezug auf Neubauten bestehen kann, bezeugen die wenigen Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie die öffentlichen Gebäude, welche die Werkliste ergänzen. Die Herausforderungen bei Neubauten im Engadin sind nur vordergründig kleiner, denn auch hier muss man sich mit teilweisen disparaten Siedlungsstrukturen auseinandersetzen, die angesichts der imperialen Landschaftskulisse für das Auge besonders störend sind. Dass es dem Team gelang, nicht gegen die Landschaft anzutreten, sondern Eingriffe in die Landschaft zu integrieren, ist inbesondere beim Unterwerk Albanatscha bei Silvaplana zu erkennen. Das, was sichtbar bleiben musste, gemahnt an einen der vielen Steinhaufen, die im Laufe von Jahrzehnten von Landwirten angelegt wurden. Bei der Überbauung Crusch in Samedan scheinen die drei polymorphen Häuser aus Sichtbeton wie eine harmonische Ergänzung der gewachsenen Siedlungsstruktur zu sein. Und beim Rifugio in Roticcio wurde das im Engadin vertraute Konzept des Wohnturmes variiert.
Für das Buch muss man in der eigenen Bibliothek doch relativ viel Platz schaffen. Aber man wird es in diesem Falle nicht nur gerne tun, sondern man wird unter Umständen sogar bereit sein, hierfür einige andere Bücher zu opfern.

 

 

Ruch&Partner-Architekten

Close-up

Scheidegger & Spiess, Zürich 2018
424 S.
CHF 150
ISBN 978-3-85881-553-8

 

 

 

 

 

«Irina Davidovivi: Ein schwieriger Zugang zur Architektur der deutschen Schweiz von 1980 bis 2000»

 

Von Fabrizio Brentini

 

Man lasse sich vom Untertitel der Studie von Irina Davidovici nicht allzuviel versprechen. Mit «German-Swiss Architecture 1980–2000» ist weder ein Katalog der wichtigsten Zeugnisse dieser für die Schweizer Architektur gewiss wichtigen Epoche zu erwarten, noch eine leicht verständliche Übersicht über die damalige Architekturszene intendiert, die mit Schlagwörtern wie «Neue Einfachheit» oder »Schweizer Kiste» international auf sich aufmerksam machen konnte.

 

Nein, es ist eine deftige Kost, die uns die Autorin vorsetzt, und alles andere als leicht zu verdauen. Bei der Lektüre schien es mir, wie wenn ich mich einer Reiseführerin ausliefere, die mich durch unwegsames Gelände leitet, ohne dass ich am Schluss die Chance hätte, die Route zu rekonstruieren.
Schon der Haupttitel dieser umfassenden, in Englisch geschriebenen Studie ist mehrdeutig. «Forms of Practice» – das kann auf die architektonische Sprache der damaligen Protagonisten bezogen werden, kann aber auch die Strategien der einzelnen Baukünstler vom Entwurf bis zur Realisation meinen. Eingeschlossen ist die Frage nach den theoretischen Grundlagen nicht nur der einzelnen Schöpfer, sondern auch des gesellschaftlichen Umfeldes. Und das hat zur Folge, dass Irina Davidovici virtuos mit einem überbordenden Vokabular spielt, unzählige Autoren und Manifeste nennt und schliesslich ein Deutungsmuster webt, das wohl nur Eingeweihte begreifen werden … wenn überhaupt.
Beginnen wir mit dem Einfachen! Im Mittelteil werden acht Bauten, die zwischen 1980 und 2000 errichtet wurden, genauer analysiert. Sie stammen mit Ausnahme des Teams Von Ballmoos Krucker von Architekten, die in der Tat zur crème de la crème der damaligen Szene gehörten, von Herzog&deMeuron, Peter Zumthor, Gigon/Guyer, Peter Märkli, Valerio Ol-giati, Diener&Diener und Burkhalter Sumi. Die acht Werke – so habe ich es zumindest verstanden – beleuchten verschiedene Thema, die für die untersuchte Phase wichtig waren. Das Steinhaus in der Toskana von Herzog&deMeuron zeigt den Kontrast von Industrie und Handwerk inmitten einer kleinparzellierten Kulturlandschaft. Zumthors Schutzbauten in Chur sowie die Forstwerkhöfe in Turbenthal und Rheinau von Burkhalter Sumi stehen für die Renaissance des Werkstoffes Holz nach der Dominanz des Betons. Bei Burkhalter Sumi wird zusätzlich auf die modulare Bauweise hingewiesen. Das Kirchnermuseum von Gigon/Guyer in Davos markierte im Bereich Museumsbau die Wiederaufnahme eines vor dem Zweiten Weltkrieg üblichen Modells, das in erster Linie der optimalen Präsentationen der Kunstwerke dienen möchte. Die Überbauung des Areals der ehemaligen Brauerei Warteck in Basel von Diener&Diener bezeugen den behutsamen Eingriff in urbanistische Strukturen. Märklis Museum für Hans Josephsson in Giornico wie auch Olgiatis Schulhaus in Paspel setzen der vernakulären Bauweise der Umgebung das selbstbewusst entworfene Artefakt gegenüber. Und schliesslich lenkt die Überbauung Stöckenacker in Affoltern von Von Ballmoos Krucker die Aufmerksamkeit auf die Agglo.
Es ist in der Tat eine mögliche Fokussierung auf wenige Beispiele, welche die deutsch-schweizerische Architektur von 1980 bis 2000 verständlich hätte machen können. Doch nebst der nüchternen Beschreibung der Gebäude, werden theorielastige Assoziationen zugelassen und mit Fachartikeln beziehungsweise Publikationen belegt, die schon damals kaum verständlich waren. Kritisch ausgedrückt – man erheischte eine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn man fähig war, Schlagwörter zu produzieren, die unreflektiert wiederholt wurden. Martin Steinmann, den Irina Davidovici häufig zitiert, war diesbezüglich ein Meister; aber auch die Architekten selber spielten in diesem Wettbewerb wacker mit. Mich hätte interessiert, wie der Einfluss dieser Prototoypen, so es welche sind, auf andere Gebäude der beiden Dekaden gehabt haben. Irina Davidovici begnügt sich leider nur mit wenigen Querverweisen, die zudem auf das Gesamtwerk des betreffenden Architekten beschränkt bleiben.
Kompliziert in dieser Publikation ist der Rahmen, der mit «Backgrounds» betitelt ist. Die Autorin holt auf den ersten 90 Seiten weit aus und lässt Jean-Jacques Rousseau oder Jacob Burckhardt zu Worte kommen, um Vorstufen der speziellen Schweizer Baukultur orten zu können. Zustimmen würde ich der Feststellung, dass die ETH Zürich für die Architektengeneration, die Mitte der 1970er Jahre aktiv wurde, Dreh- und Angelpunkt war. Im Nachhinein, und Irina Davidovici bestätigt diesen Eindruck, wird deutlich, welch enormen Einfluss die Lehrtätigkeit von Aldo Rossi an der ETH auf die Studenten hatte. Und es war die Ausstellung «Tendenzen» mit der Präsentation der aktuellsten Architektur im Tessin, die 1975 geradezu einen Schock auslöste, weil nun Baukünstler vorgestellt wurden, die der Gestaltung das Primat vor den soziologischen Diskursen zusprachen. Die «Backgrounds» werden auf Seite 243 mit eher essayartigen in sich abgeschlossenen Texteinheiten fortgesetzt. Einige zu Tage geförderten Spuren kommen mir bekannt vor, etwa die Suche nach dem Einfachen, der Perfektionismus in der Ausführung, die Ablehnung der Postmoderne, das Wiederaufgreifen der Ideen des Neuen Bauens, die Vorliebe für klare geometrische Formen. Als Quintessenz gedacht ist der Verweis auf Roland Barthes’ Begriff «degré zéro», den Martin Steinmann auf die Deutschschweizer Architektur übertrug im Sinne einer Setzung eines Nullpunktes, um mit einer elementaren Sprache eine neue Präsenz aufzubauen. Im Pressetext zur Publikation wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben, doch innerhalb der gesamten Studie ist diese Passage nur ein kurzer Abschnitt.
Man müsste wohl die in der Studie vertretenen Architekten und Architektinnen fragen, ob sie mit den Ausführungen von Irina Davidovici einverstanden seien, für Aussenstehende ist dies schwierig zu beurteilen.

 

 

Irina Davidovici
Forms of Practice
German-Swiss Architecture 1980–2000
375 S., gta Verlag Zürich 2018
(2. überarbeitete und erweiterte Auflage)
CHF 65. € 58.

ISBN 978-3-85676-378-7

 

 

 

 

Literatur & Kunst-Architekturtipp:

 

«Wohnungsbau – Kostengünstige Modelle für die Zukunft»

 

 

I.I. Bezahlbarer Wohnraum ist derzeit in vielen Städten Europas Mangelware. Um den Bedarf zu decken, braucht es überzeugende Modelle und Perspektiven für die Zukunft. Wie aber können die Kosten reduziert werden, ohne die Qualität des Wohnens einzuschränken?

 

Dieses Buch dokumentiert herausragende aktuelle Wohnungsbauten aus ganz Europa, die sich durch ihre Qualität auszeichnen und gleichzeitig mit reduzierten Baukosten realisiert werden konnten. Konstruktive Lösungen, die bedachte Materialwahl, spezifische Bauprozesse und konkrete Planungsvoraussetzungen trugen jeweils zu diesem Ergebnis bei. Die Projekte werden ausführlich mit Fotos, Texten, Grundrissen und Detailzeichnungen dokumentiert. In einem einführenden Teil greifen verschiedene Essays das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven auf.
– vorbildhafte Beispiele für den kostengünstigen Wohnungsbau
- aktuelle Vergleichsbeispiele aus ganz Europa
- Lösungen werden ausführlich dokumentiert mit Text, Bildern, Grundrissen, Schnitten und Detailzeichnungen.
Herausgeberin: Sandra Hofmeister. Mit Beiträgen von Benedikt Hartl, Eva Herrmann, Thomas Jocher, Dietmar Steiner und Roland Pawlitschko.

 

 

Sandra Hofmeister (Hrsg).
Wohnungsbau
Kostengünstige Modelle für die Zukunft
Edition Detail, 2018
192 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Format 23 x 32 cm
Deutsch
Hardcover
ISBN: 978-3-95553-445-5
49,90 €

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