FRONTPAGE

«Ein Opus magnum – das Oeuvre von Peter Zumthor»

Von Fabrizio Brentini

 

Peter Zumthor legt seine Summa vor, eine Übersicht über sein architektonisches Gesamtwerk in fünf Bänden. Monografien von Baukünstlern gehören zum Standard und sie können durch Internetauftritte offensichtlich nicht ersetzt werden, wie der Blick auf den entsprechenden Markt enthüllt. Wenn ein international arrivierter Architekt aber eine mehrbändige Übersicht wagt, liefert er sich dem Vergleich mit Vorbildern aus, insbesondere mit dem Übervater Le Corbusier, der mit seinem achtbändigen Oeuvre Complète den Massstab schlechthin setzte. Es können nicht viele Nachfolgeprojekte aufgezählt werden, die ähnlich geschichtsschreibend wirkten wie die erwähnte Sammlung.

 

Am ehesten gelang dies Norman Foster, in dessen Diensten kein Geringerer als Otl Aicher vier wunderschöne Dokumentationsbände gestaltete. Die Herausgabe und Bearbeitung der Gesamtwerke von Herzog & de Meuron, bis anhin vier Bände, sowie von Mario Botta, bis anhin drei Bände, scheinen ins Stocken geraten zu sein und belegen das grosse Risiko, das mit solchen Unternehmungen verbunden ist.
Zumthor baute aber einen geschickten Filter ein, der vor falschen Erwartungen schützt. Die fünf Bände sind zwar in Zeitabschnitte aufgeteilt – da folgt er den Spuren von Le Corbusier –, aber sie sind eine in sich abgerundete Einheit. Das knappe Verzeichnis aller Werke seit 1969 folgt am Schluss des fünften Bandes und erklärt damit implizit die Publikation als abgeschlossen.

 

 

Realisationen und Projekte 1985 bis 2013
Entgegen der Verlagsankündigung sind die Volumina nicht in Blau eingefärbt, sondern mit einem zart-grauen, grobmaschigen Textil eingekleidet, das den Auftritt ausgesprochen dezent orchestriert. Spartanisch präsentiert sich auch der Inhalt – dies ganz im Gegensatz zur erschlagenden Fülle der Bände von Herzog & de Meuron. Zusammen mit dem Herausgeber Thomas Durisch konzentrierte sich Zumthor auf lediglich 43 Realisationen und Projekte, die auf die Zeitphasen 1985 bis 1989, 1990 bis 1997, 1998 bis 2001, 2002 bis 2007 sowie 2008 bis 2013 verteilt sind.
Jedes Werk wird mit einem kurzen Text von Zumthor selber eingeführt und mit Zeichnungen, Plänen und wenigen Aufnahmen visualisiert. Die Abbildungen erhielten viel Weissraum, sie können atmen und zwingen Leser und Leserin zu einer ruhigen Lektüre. Etliche Fotografien sind allen, die mit dem Gesamtwerk von Zumthor vertraut sind, durch frühere Publikationen bestens bekannt.

 

Aus der Ouvertüre, dem schmalen Katalog «Partituren und Bilder» der Architektur-galerie Luzern, die 1988 den fulminanten Start der Spätkarriere von Zumthor auslöste, wurden vier der inzwischen berühmten Aufnahmen von Hans Danuser ausgewählt. Und selbstverständlich stellte Hélène Binet etliche der Fotos, die 1997 in der inzwischen zu hohen Preisen gehandelten Monografie «Häuser» veröffentlicht wurden, für einen Wiederabdruck zur Verfügung.

 

Die ersten beiden Bände enthalten – einen Ausdruck aus der Radsportwelt paraphrasierend – die fünf Zumthorschen Monumente, die Kapelle Sogn Benedetg in Sumtvig, das Kunsthaus Bregenz, die Therme in Vals, der nur für die Expo 2000 aufgestellte Klangkörper Schweiz und das Kolumba Kunstmuseum Köln. Ich meinte das Gesamtwerk von Zumthor einigermassen gut zu kennen, doch spätestens ab Band 3 betrat ich Neuland. Wenigen Realisationen stehen etliche, im Sande verlaufene oder noch in Bearbeitung sich befindende Projekte gegenüber, die bis anhin in der Öffentlichkeit kaum registriert wurden. Ist es heute üblich geworden, Projekte mit Renderings zu veranschaulichen, zeigt uns Zumthor den Arbeitsprozess mit Zeichnungen und von Hand gefertigten Modellen. Dadurch wird der Schöpfer wieder fassbar, während Computeranimationen, die bisweilen vortäuschen können, dass das Werk bereits vollendet sei, durch die porentiefe Reinheit seelenlos bleiben.

 

 

«Begeisterung, Arbeit und Leidenschaft»
Und damit möchte ich den überraschendsten Aspekt der fünf Bände ansprechen. Sie sind nicht eine pompös aufgezogene Selbstbeweihräucherung, auch nicht eine lückenlose Dokumentation des Geleisteten mit Nennung sämtlicher Ausstellungen und Auftritte in Medien, nein, sie verschaffen einen höchst intimen Zugang zum Menschen Zumthor mit all seinen Freuden und Leiden, Hoffnungen und Enttäuschungen und über alldem mit aufrichtiger Dankbarkeit. Auf lediglich drei bescheidenen Abbildungen erkennt man den Baumeister, einmal beim Skizzieren, einmal beim Betrachten eines Materialmusters und einmal zusammen mit seiner Frau Annalisa, die für ihn eine grosse Stütze war und ist. Der Einleitungstext gehört zum Berührendsten, was ich aus der Feder eines Architekten vernommen habe. Zumthor verzichtet auf Glamour, auf architekturtheoretisches Bramarbasieren, auf das Aufzählen von Berühmtheiten, die mit ihm Kontakt pflegen.
Er verweist mit Stolz auf seine Ausbildung als Möbelschreiner, die das Fundament legte für das Gesamtwerk, das er nun ausbreite. «Ich sehe sie gerne wieder, die vielen Entwürfe, und spüre noch einmal die damalige Begeisterung, die Arbeit und Leidenschaft, die sie hervorgebracht haben. Und die Menschen und Träume, die mit den Projekten verbunden waren, kommen mir in den Sinn.»
Er habe trotz vielen Misserfolgen immer Glück gehabt, und hierfür sei er dankbar. Viele hätten in seiner Situation womöglich eine zornige Abrechnung vorgenommen, nicht jedoch Zumthor, der aus jedem Projekt einen Gewinn für sich ernten konnte. Architektonische Ideen – so Zumthor –, «die mir im Laufe der Arbeit an einem Entwurf zufielen, gehen nicht verloren, diese Zuversicht habe ich mit den Jahren entwickelt. Sie bleiben in der Welt und befruchten Neues».

Die Bände sind folgenden Personen gewidmet: Antunin, Maria Angelina, Charlotta, Wilhelmina, Marlina Alba. Es sind die fünf Enkelkinder von Zumthor – das ist sein Fluchtpunkt und der relativiert auf eine schon fast stoisch zu nennende Weise die Bedeutung jeglichen Schaffens.

 

Thomas Durisch (Hrsg.)
Peter Zumthor 1985–2013.
Bauten und Projekte

5 Bände in Schuber
Scheidegger & Spiess Zürich 2014
858 S., CHF 250. Euro 220.
ISBN 978-3-85881-304-6

Es ist auch eine englische
und eine französische Version
erhältlich.

 

 

Literatur & Kunst-Buchtipp

 


 

Swiss Lessons

Wie sieht die Schweiz im Jahr 2048 aus? Welche Auswirkungen haben demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung und veränderte Raumbedürfnisse auf das kleine, rohstoffarme Land? Und wie können Raumplanung, Städtebau, Infrastruktur- und Wohnbau-Initiativen den neuen Herausforderungen begegnen?

 

Diesen Fragestellungen widmet sich das Buch «Swiss Lessons» des Laboratoire Bâle der ETH Lausanne.
 Acht Jahre nach der einflussreichen Studie «Die Schweiz – Ein städtebauliches Portrait» des ETH-Studio Basel unternimmt wieder eine Forschungsinstitution den Versuch einer urbanistischen Bestandsaufnahme. Und richtet den Blick in die Zukunft: Wie entwickelt sich das Land – seine Geografie, die urbanen Metropolitanregionen, der ländliche Raum, die Produktionszonen – in den kommenden 35 Jahren? Dieses mit vielen Grafiken, Plänen und Fotografien reich illustrierte Buch bleibt indes nicht bei der abstrakten Analyse stehen, sondern skizziert eine «Roadmap» für die wünschbare und machbare Entwicklung der Schweiz in den kommenden dreieinhalb Jahrzehnten.

 

 

SWISS LESSONS – Teaching and Research in Architecture 

 

How could 15 million people be living and working in Switzerland in 2048? laba’s students present the findings of their 2013 research campaign in text, images, and spectacular graphics and maps.

 

How will 14 million people be living and working in Switzerland in 2048? Swiss Lessons gives an insight into laba’s working process as applied to the projected Swiss territory in the year 2048. Starting with the thesis that Switzerland will continue to experience a strong population growth, master students at laba completed a one-year investigation in the 2012/13 academic year, moving from the territorial to the architectural scale over two semesters. The investigation was further based on ETH Studio Basel’s work on the Swiss territory “Switzerland: An Urban Portrait” in which 5 different typological zones were defined. The three-part structure of this book reflects laba’s methodology: part one presents a detailed, interdisci- plinary analysis of a representative north-south strip of Switzerland under five research themes and resulting in a “Territorial Constitutions” for Switzerland in 2048 [Analysis]. Part two documents the field trip in the north-south strip in December 2012 [Trip]. Part three presents 10 architectural projects as a synthesis of the knowledge and experience gained, and as specific architectural propositions [Projects]. These architectural projects act simul- taneously as a “proof of concept” for the Territorial Constitution. laba—Laboratoire Bâle—is an EPFL satellite studio based in Basel since September 2011 under the leader- ship of Professor Harry Gugger. Swiss Lessons aims to contribute to the discussion on teaching and research in architecture and is the 6th publication in this series. Text in English only Paperback approx. 120 pages, 100 color and 50 b/w illustrations, graphics, plans, and maps, 23 x 31 cm ca. CHF 49.00 | € 41.00 Publishing House Park Books, please order at www.park-books.com

 

 

Edited by Harry Gugger, Aurélie Blanchard,

Gwendolyn Kretschbaumer and Götz Menzel

Swiss lessons

Teaching and Research in Architecture 2014

Park Books, 1st edition, 2014
Paperback with folded map as dust jacket
160 pages, 63 color and 61 b/w illustrations, 211 graphics, plans, and maps
23 x 31 cm CHF 49.00 | EUR 42.00. English Edition
ISBN 978-3-906027-34-0
In cooperation with Laboratoire Bâle (laba), EPFL

 

Harry Gugger was a partner with Herzog & de Meuron, from 1991-2009; he then established his own architectural studio in 2010. He has been a professor for architecture at Ecole Polytechnique Federal de Lausanne (EPFL) since 2005. Aurelie Blanchard worked with Herzog & de Meuron from 2007-12; she then founded her own studio in 2012. She also has been a teaching assistant at Laboratoire Bale (laba) since 2011.

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