FRONTPAGE

«Nicht nur reflektieren, sondern auch inspirieren»

Von Rolf Breiner

Dresden – In der sächsischen Kulturstadt Dresden entstand das grösste militärgeschicht­liche Museum Deutschlands (MHM). Die Schweizer Architektin Barbara Holzer hat in Zusammenarbeit mit Daniel Libeskind wesentlich zur Museumsstruktur beigetragen.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass die Zürcher Architektin Barba­ra Holzer mit dem renommierten Architekten Daniel Libeskind zusammenarbeitete. Das war in Berlin (Jüdisches Museum) und Bern (West Side) so und ist es wieder beim Museumsprojekt in Dresden.

Es ist einzigartig, auch weil Historie und Moderne hier im Herzen Sachsens einen überraschenden Konsens finden, weil hier nicht nur Vergangenheit ausgestellt, sondern auch thematisiert wird. Das Militärhistorische Museum in Dresden (MHM) versteht sich nicht in erster Linie als technikgeschichtliches, sondern als historisches Haus ohne Pathos, in dem informiert, in dem aber auch kritische Fragen gestellt, werden über Mensch und Gewalt sinniert und diskutiert werden soll.

Das Ziel ist klar definiert: «Es wird eine Aufgabe des Museums sein, dem Einfluss militärisch orientierter Entwicklungen auf den verschiedenen Feldern des historischen Fortgangs, in der Diplomatie-, Rechts- und Verfassungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Kirchengeschichte ebenso wie in der Technik-, Kultur- und Kunstgeschichte nachzugehen.»

 

Das Museum unter der Schirmherrschaft der Bundeswehr präsentiert Militärgeschichte im internationalen Kontext vom Mittelalter bis zu Afghanistan, natürlich aus deutscher Sicht. Es dokumentiert und hinterfragt auch die Kulturgeschichte der Gewalt.

Rein architektonisch gesehen, besticht der erweiterte historische Bau aus dem 19. Jahr­hundert, als Arsenalgebäude 1873–1876 er­richtet, durch eine kühne Kombination mit der Moderne, mit dem Heute. Eine scharfe Zäsur: Wie ein Keil durchsticht der Erweiterungsbau der Marke Libeskind das historische Ensemble.

Am 14. Oktober 2011 wurde das MHM der Bundeswehr eröffnet – mit allem geziehmenden politischen und gesellschaftlichen Pomp. Gut acht Wochen vorher trafen wir die 45-jährige Architek­tin Barbara Holzer und Projektleiter Jochen Klein (Architekt Daniel Libeskind AG) in Zürich, in den Büros der Holzer Kobler Architekturen.

 

 

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Wie hat sich diese Zusammenarbeit mit Libeskind in Dresden entwickelt?

BARBARA HOLZER – Es war eine spezielle Situation, die Architektur und Ausstellung sollten nämlich eine Einheit bilden. In dieser Beziehung ist die Beziehung zwischen dem Büro Libeskind und unserm Büro intensiver geworden. Im Zuge dieser Planung ist eine Einheit entstanden.

 

Ist dieses Projekt der Höhepunkt Ihrer Zusammenarbeit mit Libeskind?

HOLZER – Es ist ein Höhepunkt in der Museumswelt. Meistens geht man bei historischen Museen von klassischen Präsentationen aus. Das ist hier ganz anders. Zwei Gebäude verschränken sich ineinander, die unterschiedliche Charaktere haben und unterschiedliche Ausstellungswelten zeigen, eben nicht nur in Form der Gestaltung, sondern auch in Inhalten. Wir haben es hier einmal mit dem Altbau, dem ehemaligen Arsenal, zu tun, in dem chronologisch die Militärgeschichte vom Mittelalter bis heute dargestellt wird. Der Pflichtteil sozusagen. Das Museum ist ja auch ein Bildungsinstrument der Bundeswehr, wo auch die eigene Geschichte präsentiert wird. Im Gegensatz dazu der Neubau, der sich der Problematik der Militärgeschichte öffnet und mit der zivilen Geschichte verschränkt. Militärgeschichte wird so auch Teil der Kulturgeschichte.

 

Welchen Raum und Stellenwert nimmt denn der innerdeutsche Konflikt ein?

HOLZER – Ein wesentlicher Teil der Sammlung stammt aus den Beständen der DDR. Natürlich bildet die Nachkriegszeit einen Schwerpunkt.

 

 

Welchen Einfluss hatten Sie auf die Darstel­lung, die Inszenierung?

HOLZER – Im Bereich der Chronologie war unser Einfluss auf die Exponatsauswahl eher gering. Sie ist konventionell. Es gibt 200 grosse Vitrinen vier auf drei Meter wie Schaufenster. Und die werden abgefüllt. Diese Art von Ausstellen und Erzählen dürfte mehrheitlich ein fachspezifisches Publikum interessieren. Im Neubau indes hat die Auswahl stark mit der Gestaltung zu tun, sie hat die Auswahl beeinflusst. Er bildet einen Kontrast zum Altbau.

 

JOCHEN KLEIN – Wenn ich etwas dazu sa­gen darf: Im Altbau ist alles sehr repetitiv, sehr horizontal, sehr geregelt, wie es auch der Entstehungszeit des Arsenalgebäudes von 1873–76 entspricht, es handelt sich hier um etwas Geordnetes. Der Neubau bildet dazu den völligen Kontrast, ist eben nicht orthogonal, sondern sehr schiefwinkelig. Jeder Raum ist einzigartig, ein neuer, ein anderer.

 

 

Rein äusserlich betrachtet, wirkt der neue Teil wie ein Keil, den Libeskind in das historische Bauwerk getrieben hat.

KLEIN – Der Keil teilt die Chronologie in drei Teile, die Schnittstellen oder Teilungen finden genau an den Schnittstellen der deutschen Geschichte statt, die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, zwischen den Weltkriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

HOLZER – Dieser Neubau funktioniert in sich wie ein eigenes Museum und dürfte ein anderes Publikum ansprechen.

 

Was ist so herausfordernd und spannend an diesem Museum?

HOLZER – Spannend ist auf jeden Fall, dass man über grundmenschliche Themen spricht, über den Konflikt von Krieg und Frieden, von Zerstörung. Wichtig ist diesbezüglich natürlich auch, dass dieses Museum in Dresden steht, einem geschichtsträchtigen Ort, der im Zweiten Weltkrieg fast total zerstört wurde. Es ist eine Herausforderung, Konflikte auszustellen.

 

Wieweit kann ein Museum auf Aktualität reagieren? Wann wird die Gegenwart zum Museumsthema?

KLEIN – Man versucht es hier. Im dritten Chronologiebereich beispielsweise wird eine Vorausschau gewagt. Im Aussenbereich wird auch der Afghanistan-Einsatz thematisiert.

 

HOLZER – Das Thema Gewalt ist ein wich­tiges, ein brandaktuelles Thema. Die findet nicht nur im Krieg, sondern auch im Frieden, im Kinderzimmer statt. Dies versuchen wir, auch einzubeziehen. Das macht dieses Museum so speziell. Es ist kein typisches militärhistorisches Museum, es glorifiziert nicht, sondern setzt sich kritisch mit Phänomenen und Themen wie Krieg und Gedächtnis, Politik und Gewalt, Leiden am Krieg, Tiere beim Militär, oder Militär und Technologie auseinander. Die­se neun Themenkreise sind wie Fragmente. Sie funktionieren über ein grosses Bild und vertiefende Informationen.

 

Welchen tieferen Sinn hat dieses Museum?

KLEIN – Daniel Libeskind sagt: Er will mit diesem Neubau einen Raum schaffen zum Nachdenken über organisierte Gewalt. Es bietet eine kritische Rezeption der eigenen Geschichte und des Militärs, unterstützt vom Militär.

 

HOLZER – Das Militärmuseum will mehr Fragen auslösen als beantworten: die Geschichte archivieren, präsentieren und hinterfragen. Bilder sollen wirken, nachhaltig wirken und anregen, weiter zu denken. Die Präsentationsform muss sich unserer Wahrnehmung anpassen, muss sich ändern. Da liegt unsere Herausforderung: nicht nur zu reflektieren, sondern auch zu inspirieren. Das tut das Militärhistorische Museum. Ich glaube, es lässt uns nicht gleichgültig.

 

 

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Erstveröffentlichung IMMOBILIE BUSINESS. Oktober 2011.

Rolf Breiner ist Chefredaktor von IMMOBILIEN BUSINESS.

Das Schweizer Immobilien-Magazin. www.immobilienbusiness.ch

Holzer Kobler Architekturen

Die Zürcherin Barbara Holzer und der Luzerner Tristan Kobler arbeiten in einem weit verzweigten Umfeld mit Architektur, Ausstellungen und Medien. Beide wurden 2008 mit dem Grand Prix Design der Eidgenossenschaft für ihr internationales Engagement im Bereich der Ausstellungsarchitektur ausgezeichnet. Barbara Holzer sorgte mit der Ausstellung «Gerüchte» sowohl in Bern (Museum für Kommunikation, 2010) als in Berlin (Museum für Kommunikation, 2010) für grosses Besucherinteresse. Tristan Kobler schuf die Dauerausstellung «focus terra» in der erdgeschichtlichen Sammlung, ETH (2009).

Tristan Kobler: Ausstellung «Hochhaus» (Museum für Gestaltung, Zürich, 2011).

Barbara Holzer: Militärhistorisches Museum, Dresden (2011). Holzer Kobler: Die Bourbaki Armee in der Schweiz, Dauerausstellung in Luzern, 2011). «Ren – Good Design», National Museum, Peking (2011).

«Warnung: Kommunizieren gefährdet», Museum für Kommunikation, Bern (2011).

Zusammenarbeit: Jochen Klein und Barbara Holzer.

 

 

ANHANG

«Augenschein im Militärhistorischen Museum Dresden»

Von Rolf Breiner

 

Ein herrlicher Herbsttag in Dresden. Kind und Kegel waren an diesem Sonntag, 6. November 2011, unterwegs, an der Elbe. um Semperoper und Residenz, aber auch in der Neustadt auf einem Hügel am Olbrichtplatz, wo sich das Arsenal-Ensemble befindet. In dem historischen repräsentativen Bauwerk wurde einst das Sächsische Armeemuseum, ab 1940 das Heermuseum bis 1945 untergebracht.

Ab 1972 hatte die DDR ihr Armeemuseum dort eingerichtet, 1990 übernahm das Bundesverteidigungsministerium der BRD die Institution und benannte sie in Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM) um. 2001 wurde die Gesamtanlage zur Neugestaltung ausgeschrieben. Daniel Libeskind (Jüdisches Museum, Berlin; Westside, Bern) gewann den Wetterbewerb. Am 14. Oktober 2011 ist das MHM wiedereröffnet worden.

Am 1. November wurde der 75 000. Besucher gezählt, und täglich werden es mehr. Es mögen jetzt bereits weit über 100 000 sein. Erstaunlich für ein Museum, das doch Themen anschneidet und Dinge ausstellt, die bei vielen Menschen besonders in Deutschland suspekt, unangenehm erscheinen oder ein schlechtes Gewissen erzeugen.

Man kann verschiedener Meinung über Sinn und Darstellung von Kriegsgerät. Kriegserrungenschaften und -beschädigungen, von Uniformen, Schlachten und Begebenheiten sein. Dennoch bleibt eben auch das Militärische mit und ohne Tschingderassabum Teil der Geschichte, der Herkunft und der Verantwortung.

Zunächst sticht einem beim Anstieg zum Militärhistorischen Museum dieser Keil ins Auge, der sich freilich bei näherer Betrachtung als durchlässige Aluminiumlamellen-Rampe entpuppt. Man kann sie vom Innern besteigen und hat bei guter Sicht die Stadtsilhouette Dresdens vor sich. Wie ein Wink auf die Geschichte, Zerstörung und Auferstehung der sächsischen Metropole wirkt dieser moderne Architektureinschnitt. Und dieses Konzept, diese Perspektivenwechsel funktionieren: Hier in den historischen Arsenalräumen finden sich die eher traditionelle Sektionen und überlieferte Sichtweisen. Der chronologische Rundgang führt vom Spätmittelalter deutscher Militärgeschichte bis zur Gegenwart, bis zu Afghanistan.

Interessanter, anregender und diskutabler ist freilich der Themenparcours, der im 4. Obergeschoss beginnt. Das Spektrum reicht von «Dresden Blick» und «Krieg und Gedächtnis» über «Politik und Gewalt»«Militär und Mode»oder «Krieg und Spiel» zu «Tiere beim Militär», «Leiden am Krieg» und «Schutz und Zerstörung». Kriegsmaterialien, Gegenstände, Figuren, ausgestopfte Tiere, Dokumente, Bilder, Filme veranschaulichen Themen, tippen sie an und vertiefen sie teilweise. Das geschieht sowohl durch wechselhafte Präsentationen als auch durch die überraschende Ausstellungsarchitektur, die einen führt und Stimmungen aufnimmt, etwa im Raum, wo Ein- und Zweimannbunker aufgestellt wurden und von oben Granaten und Raketen schier herunterfallen.

Das MHM ist keine Spielwiese, keine Unterhaltungsstätte, sondern ein Forum, das veranschaulicht, hinterfragt, verschiedene Ebenen, historische, politische, soziale, kulturelle und mentale, verknüpft, vernetzt. Und es funktioniert – Jung und Alt, Singles, Paare und Familien wandeln aufmerksam und wissbegierig durch die verschiedenen Abteilungen.

Ich bin nicht der Meinung der Süddeutschen Zeitung, dass das Museum «Reliquien der Gewalt» präsentiert, dass es im «Vielzuviel» untergeht und «die Realität des Krieges» nur verschleiert. Das Museum erinnert, stellt aus und fragt nach, mahnt zur Denkwürdigkeit und widerspiegelt Vergangenes in der Gegenwart.

 

 

PS. Der Eintritt zum Militärhistorischen Museum ist bis Ende 2011 gratis.

www.mhmbw.de

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