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«Architekturfotografie – Bildbau, Ansichtssache und Amurs»

Von Fabrizio Brentini

Gleich zwei Ausstellungen in Schweizer Museen, das Architekturmuseum in Basel und das Bündner Kunstmuseum in Chur, befassten sich mit Architekturfotografie. Die Begleitpublikationen erlauben es, eine erste Bilanz zu ziehen.

 

Das vom Schweizerischen Architekturmuseum in Basel herausgegebene Heft «Bildbau» als Begleitpublikation der im Mai zu Ende gehenden Ausstellung über Architekturfotografie sieht nicht nach viel aus. Aber ein erstes Durchblättern zeigt, da ist viel verpackt worden.

 

Bildbau

Ein Gebäude kann auf verschiedene Weisen vermittelt werden, mit Kommentaren, mit Plänen, mit filmischen Sequenzen, doch in erster Linie ist es immer noch die Fotografie, welche die Vorstellung eines Artefaktes festlegt, unter Umständen für immer. Die Herausgeber Hubertus Adam und Elena Kossovskaja formulieren es so: «Die Fotos prägen den Blick auf die Architektur im Lauf des 20. Jahrhunderts. Man stelle sich das „Fallingwater“-Haus, das Guggenheim Museum, die Bauten Mies van der Rohes oder Le Corbusiers vor – sofort erscheint vor dem inneren Auge ein entsprechendes Bild.» Mehr noch, die meisten Bauten der Stars sind lediglich über Publikationen vertraut, weil die Pilgerfahrten zu den Kultorten schlicht unerschwinglich sind.
Der Auseinandersetzung mit der Architekturfotografie ist eine Chronologie vorgeschaltet, und darin werden zwei Ereignisse hervorgehoben, welche die Beziehung zwischen Baumeister und Fotokünstler in ein neues Licht gerückt hatten. Es ist einerseits die 1988 eröffnete Ausstellung «Partituren» in der Architekturgalerie Luzern, wo der Name Peter Zumthor erstmals zur Kenntnis genommen wurde und wo die ungewohnten Bilder von Hans Danuser als eigenständige Kunstwerke rezipiert wurden.
Und es ist andererseits die Präsentation des Werkes von Herzog&deMeuron im Schweizer Pavillon anlässlich der Architekturbiennale 1991 in Venedig. Die Architekten gaben verschiedenen renommierten Fotografen freie Hand, ihre Gebäude fotografisch zu interpretieren. Mit etwas Stolz kann ich sagen, dass ich sowohl in Luzern wie in Venedig dabei war.
In der Publikation kommen diese beiden Ausstellungen immer wieder zur Sprache, sowohl in den allgemeinen Gedanken, als auch durch die doppelseitig ausgewalzte, von Thomas Ruff im Studio überarbeitete Ansicht des Ricola-Lagerhauses in Laufen – ein Schlüsselwerk in Venedig – sowie in den Interviews mit den damals Beteiligten.
Dabei wird deutlich, dass sowohl Danuser wie Ruff, die sich explizit als Künstler verstehen, ihre inzwischen vielgerühmten Serien als etwas Einmaliges werten, als Resultat einer tiefen Freundschaft mit den Architekten. Beide lehnten weitere Aufträge auf dem Gebiete der Architekturfotografie ab. Die Fotografen, die sich diesem Gebiet verschrieben haben, sind doch meistens mit vielen Sachzwängen konfrontiert. Sie stehen im Dienste der Architekten oder der Zeitschriften, welche die Interpretationshoheit behaupten möchten. Sie müssen eingeschliffenen Sehgewohnheiten genügen, das heisst schönes Wetter, harte Kontraste, keine Verzerrungen, keine störende Umgebung und möglichst keine Menschen. Die Resultate vermögen zu verblüffen, stellen aber eine unwirkliche, oft sterile Welt dar.
Manipuliert wurde schon immer, doch die digitalen Bildverarbeitungsmethoden sind derart entwickelt worden, dass die Realität antizipiert werden kann. Es ist inzwischen schon üblich geworden, dass man bei Wettbewerben Renderings einfordert, am Computer generierte Ansichten, die von herkömmlichen Fotos nicht mehr zu unterscheiden sind.

Das hat zur absurden Situation geführt, wie die Herausgeber treffend schreiben, dass bei gewissen Renderings – Beispiel CCTV-Tower von Rem Koolhaas in Peking – es gar nicht mehr interessiert, ob die Projete auch realisiert wurde. (Sollte es Sie im Falle des CCTV-Towers gleichwohl wunder nehmen, was daraus geworden ist, dann empfehle ich Ihnen zu googeln.)
Und auf der anderen Seite ist jeder Mensch zum Fotograf geworden, der seine Produkte sogar kostenlos veröffentlichen kann. Das Internet führte zu einer ungeahnten Nivellierung. Tippt man das gesuchte Gebäude in die Google-Suchmaske und schaut man sich die angebotenen Bilder an, dann vermischen sich so genannte professionelle Arbeiten mit Amateuraufnahmen, und man kann nicht einmal sagen, dass dies ein Nachteil wäre. Um diese Grundgedanken kreisen die Texte und die Gespräche, unterbrochen von einem Portfolio, das 40 Werke von Schweizer Architekturbüros seit 1987 (allerdings mit einem Schwergewicht auf die letzten fünf Jahre) auslegt. Dabei treten Architekten und Fotografen gleichberechtigt auf. Hie und da – bei den Arbeiten von Danuser und von Ruff war dies zweifelsohne der Fall – sind es die Fotografen, die für den Erfolg von Architekten verantwortlich waren.

 

 

Ansichtssache
Die Ausstellung «Ansichtssache. 150 Jahre Architekturfotografie in Graubünden» im Bündner Kunstmuseum Chur leuchtete das Thema historisch aus und beschränkte sich auf eine bestimmte Region. Die angenehm gestaltete Begleitpublikation wird treffend als Bilder-Lese-Buch bezeichnet. Aufsätze von verschiedenen Autoren wechseln sich mit Bildseiten ab. Erörtert werden in etwa dieselben Aspekte wie im Heft «Bildbau», teilweise gibt es Überschneidungen, doch die Texte sind narrativer. Zudem legten die Herausgeber Stephan Kunz und Köbi Gantenbein den Architekturbegriff weit aus, sodass auch Siedlungsbilder, Baustellendokumentationen, Architektur auf Ansichtskarten (herrlich die von Ulrich Binder vorgenommene Analyse der Ansichtskarten mit dem Motiv Bergkirchlein von Innerarosa) oder kritische Hinter-fragungen der Zersiedlung erörtert werden. Mit Text und Bild werden die wichtigsten Fotografen genannt; das Buch ist somit auch eine Geschichte der Bündner Fotografie.
Explizit mit Architektur setzten sich die Fotografen erst spät auseinander. Zu Beginn produzierten sie Impressionen für den Tourismus mit drei Schwerpunkten: Hotels, die Linienführung der Rhätischen Bahn und die Churer Stadtentwicklung.

In den 1920er Jahren kamen die Aufträge des Heimatschutzes und der Denkmalpflege hinzu. Das Ziel war die Inventarisation der einheimischen Baukultur, etwa der Engadiner Häuser, die beispielsweise von Johann Feuerstein kongenial festgehalten wurden. Erst Rudolf Gaberel, der Bündner Hauptvertreter des Neuen Bauens, lässt seine Architektur durch einen Fotografen (Albert Steiner) effektvoll inszenieren. Eine ausgesprochen spannende Bildserie stammt von Christian Kerez, der Ingenieurbauten mit seiner Kamera erkundete. Kerez, heute renommierter Architekt, entwarf im Büro von Rudolf Fontana die Kapelle in Oberrealta, die von etlichen Fotografen abgetastet wurde. Die Resultate eröffnen als Bilderreigen die Aufsatz- und Beispielsammlung.

Vier zeitgenössische Fotografen bzw. Fotokünstler werden am Schluss hervorgehoben. Es sind dies Ralph Feiner, der im Dienste etlicher Bündner Architekten stand und noch steht, Heinrich Helfenstein u.a. mit seiner schon im «Bildbau» veröffentlichten Dokumentation des Kirchner-Museums in Davos, Hans Danuser, einmal mehr mit seinen Nebelbildern von der Zumthorkapelle, und Hélène Binet, ebenfalls bereits im «Bildbau» vertreten, welche die Fotos der heute teuer gehandelten Monografie über Zumthor komponierte. Wie sich die Architekturfotografie entwickeln wird, bleibt angesichts der neuen technischen Möglichkeiten wie Renderings oder 3D-Laserscans Punktwolkenbilder ungewiss. In diesem Zusammenhang soll auf eine hübsche Anekdote verwiesen werden, die Marco Guetg erzählt: Fotografie ist auch für die Archäologie ein wertvolles Mittel. Bei einer Ausgrabung auf dem Septimerpass halfen nicht die Augen der Mitarbeiter weiter, sondern der zufällige Blick auf den entsprechenden Ausschnitt von Google-Earth, wo eine unbeachtete Erhebung zu erkennen war. Diese brachte für die Archäologen den erhofften Durchbruch.

 

 

Amurs
Die nur kurze Zeit an der ETH Zürich zugänglich gewesene Ausstellung über das Bündner Büro Bearth&Deplazes war nicht der Thematik der Architekturfotografie gewidmet, und doch war die Fotografie bei der Präsentation von 18 ausgewählten Werken zentral. Als Begleitpublikation gab das Büro einen opulenten Bildband mit dem Titel «Amurs» heraus, einem rätoromanischen Wort, das man kaum übersetzen kann, weil im Deutschen von «Liebe» kein Plural existiert. Dokumentiert wird die Leidenschaft zu bauen und zwar anhand von betörenden Aufnahmen aus den Kame-ras von Tonatiuh Ambrosetti und Ralph Feiner.

 

Nebenbei: Es sind nicht alles Erstveröffentlichungen, denn zahlreiche Bilder wurden bereits in der 2005 im Luzer-ner Quart-Verlag erschienenen Monografie gezeigt. Jedes Projekt wird zunächst mit einer doppelseitigen Abbildung in die Landschaft eingebettet, um danach mit weni-gen Detailansichten Nähe zu schaffen. Mit Kenntnis der beiden erwähnten Studien zur Architekturfotografie kann man sich nun fragen, wie Architekten bei Monografien mit dem Medium Fotografie umgehen. Anders als Zumthor, der Danuser als Partner betrachtete, werden die Fotografen in «Amurs» lediglich im Impressum genannt, obwohl sie es sind, welche die Architektur von Bearth&Deplazes inszenieren. Auf der anderen Seite fallen die Ansichten nicht aus dem Rahmen üblicher Architekturfotografien. Damit besteht die Gefahr, dass ein solches Buch sich nicht grundsätzlich von Werbepublikationen unterscheidet. Das soll keine Kritik sein, aber «Amurs» zeigt auch die Spannung auf zwischen Kunst und Kommerz. Architekten wie Foto-grafen brauchen Aufträge und müssen somit mögliche Kunden verführen, was sich nicht immer mit dem Kunstanspruch verträgt.

 

 

 

Schweizerisches Architekturmuseum Basel
Bildbau
Schweizer Architektur im Fokus der Fotografie
190 S., d/e, Christoph Merian Verlag Basel 2013
CHF 29.-. ISBN 978-3-85616-582-6

 

Stephan Kunz/Köbi Gantenbein (Hrsg.),
Ansichtssache
150 Jahre Architekturfotografie in Graubünden
Bündner Kunstmuseum Chur, 384 S.,
Scheidegger&Spiess Zürich 2013,
CHF 58, EUR 48. ISBN 978-3-85881-368-8

 

Bearth&Deplazes Architekten
Amurs

gta Verlag Zürich 2013, 288 S.,
CHF 89, EUR 76. ISBN 978-3-85676-305-3

 

 

 

L&K Buchtipps Architektur:

 

 

LE CORBUSIERS PAVILLON FÜR ZÜRICH

Le Corbusiers Pavillon für Zürich zeichnet anhand zahlreicher handschriftlicher Dokumente, Zeichnungen und Schriften die Geschichte des letzten gebauten Werks Le Corbusiers nach. Initiiert wurde das Wohnhaus, das zugleich Museum ist, von der Zürcher Galeristin Heidi Weber. Es stellt mit seinen abstrakten Formen und Farben ein intellektuelles Vermächtnis des berühmten Architekten dar, an dem die weitere Entwicklung der Architektur ablesbar wird, wie Le Corbusier sie sich vorstellte. Von ersten Ideen und Skizzen aus den Jahren 1949/1950 bis zur Eröffnung 1967 und darüber hinaus wird anhand zahlreicher Abbildungen und Dokumente die Genese dieses aussergewöhnlichen Baus dargestellt, dessen Realisierung der Architekt nicht mehr selbst erleben durfte. Die Rolle des Pavillons, der sich stark vom Beton Brut des Spätwerks Le Corbusiers absetzt, wird in diesem Band zum ersten Mal als zentrales und zukunftsweisendes Werk des Architekten nachvollziehbar.

 

 

Catherine Dumont d’Ayot, geboren 1965 in Frankreich, hat an der Universität Genf und an der Ecole polytechnique fédérale in Lausanne Architektur studiert. Lehre und Forschung an der der Universität Genf ab 1995 und seit 2006 an der ETH Zürich.

 

 

Tim Benton, geboren 1945 in Rom, hat in Cambridge und am Courtauld Institute of Art, London, studiert. Er lehrte vierzig Jahre an der Open University England und ist Professor Emeritus in Kunstgeschichte.

 

 

Catherine Dument d’Ayot in Zusammenarbeit mit Tim
Benton

LE CORBUSIERS PAVILLON FÜR ZÜRICH
Modell und Prototyp eines idealen Ausstellungsraums

Herausgegeben von Institut für Denkmalpflege und Bauforschung,
ETH Zürich
Design: Integral Lars Müller
16.5 x 24 cm, 224 Seiten, 201 Bilder, Hardcover
2013, ISBN 978-3-03778-293-4, Deutsch
-4, Englisch, -5, Französisch
CHF 48.-. EUR 40.-.

 

 


Architekturführer Hamburg
Von Dominik Schendel

Die Bebauung der HafenCity rückten Hamburg in das Rampenlicht der internationalen Architekturdebatte. DOM publishers legt nun einen Architekturführer vor, der durch die zeitgenössische und historische Architektur des Stadtstaats an der Elbe begleitet.

 

Wer die Architektur Hamburgs kennenlernen will, sollte sich zu den klassizistischen Landhäusern der Elbvororte ebenso aufmachen wie zu den grossbürgerlichen Villen und Etagenhäusern um die Aussenalster und zu den Siedlungs- sowie Schulbauten der Zwanzigerjahre. Dieser Architekturführer legt den Fokus auf Bereiche, die die Identität der Hansestadt prägen: das historische Zentrum, also die Kernstadt innerhalb der ehemaligen Befestigungsanlagen und angrenzende Bereiche.

Die Auswahl beinhaltet nicht nur Objekte, die aus der breiten Masse hervorstechen, sondern auch zahlreiche typische Bauten, die ihre Qualitäten erst auf den zweiten Blick offenbaren. Es werden 256 Einzelprojekte vorgestellt. Komplexe wie der Rathausmarkt, das Kontorhausviertel, die Speicherstadt oder Hafencity werden gesondert behandelt. Umfangreiches Planmaterial, Wegbeschreibungen, Stadtkarten, Luftbilder und die QR Codes erleichtern den Stadtwanderern die Orientierung.

 

Dominik Schendel, *1986, beschäftigt sich seit der frühen Jugend mit der Geschichte und der städtebaulichen Entwicklung seiner Heimatstadt Hamburg. Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin, Studienaufenthalte in Hamburg und Wien.

 

 

Dominik Schendel
Hamburg
Architekturführer
DOM publishers Berlin 2013
320 S., über 500 Abb., Softcover
EUR 28
ISBN 978-3-86922-242-4 d

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