FRONTPAGE

«First Cuts»

Von Fabrizio Brentini

 

«First Cuts» zeigt 15 fotografische Appropriationen des Künstlers Harald F. Müller, die zum ersten Mal in Zürich im Prime Tower der Architekten Gigon/Guyer, dem höchsten Gebäude der Schweiz, verwirklicht wurden.

 

Auf schallschluckenden Metalltafeln mit einem Lochraster an Innenwänden des Gebäudes realisiert, beschäftigen sich die refotografierten Motive inhaltlich mit technischen, sportlichen und kulturellen Sternstunden, in denen bahnbrechend Neues Realität wurde. Sie verweisen nicht nur nostalgisch rückblickend auf die Fortschrittseuphorien des Modernismus, sondern mit Motiven wie dem CERN oder Werken des Konstruktivismus zugleich auf aktuellste Forschung und zeitlose Modernität. Die Werke verweigern sich der passiven dekorativen Funktion, setzen mit Bezügen zu Abstraktion und Atomismus vielmehr eine architekturbezogene These.

 

Mit Spiegelung und Eigenständigkeit greift dieses Künstlerbuch Gestaltungsprinzipien der First Cuts des Künstlers Harald F. Müller auf. Ausführliche Texte der Herausgeber Gerd Blum und Johan Frederik Hartle erläutern die First Cuts im Zusammenhang der Werkentwicklung Harald F. Müllers und verorten sie im kulturgeschichtlichen Kontext, mit einem Vorwort von Mike Guyer. Gestaltet wurde das Buch vom büro uebele aus Stuttgart, Deutschland. Das Buch greift die Gestaltungsprinzipien der First Cuts auf und übersetzt sie in den Kontext eines einzigartigen Buchobjekts. (I.I.)

 

 

Harald F. Müller
First Cuts
Lars Müller Publishers
18 x 24 cm, 192 Seiten, 38 Abbildungen, Softcover 
2013,
ISBN 978-3-03778-408-2,
Deutsch/Englisch

€ 32.00 CHF 40.00

 

 

 

«Monografie über das neue Wahrzeichen der Stadt Luzern»

 

 Von Fabrizio Brentini

 

Seit letztem Herbst hat die Allmend vor den Toren der Stadt Luzern definitiv ein neues Gesicht erhalten. Die schlanken Wohntürme überragen die Geländeerhebungen des Bireggwaldes, sodass sie auch vom Park des Konservatoriums aus zu sehen sind. Es sind die neuen Wahrzeichen der Stadt.

 

In meiner Jugend war die Allmend in erster Linie der Ort, wo die meisten Luzerner ihre Rekrutenschule absolvierten, und erst in zweiter Linie die Heimat des Fussballclubs Luzern. Die unmittelbar neben dem Stadium situierte Festhalle registrierte ich nur selten, sie war schlicht zu unbedeutend. Inzwischen sind die Rekruten verschwunden, wurde die mächtige Kaserne sorgfältig saniert und – verbunden mit einem diskreten Neubau – zu einem Ausbildungszentrum für höhere Offiziere umfunktioniert, wurde die alte Festhalle durch einen neuen Cluster ersetzt, der helfen soll, Luzern als Messestadt neu zu positionieren, wurde ein unterirdischer Bahnanschluss eröffnet und entstanden schliesslich als Krönung eine Arena, eine Sporthalle mit Schwimmbad und zwei Wohntürme.

Diese zuletzt genannten Einheiten werden durch dieselbe Bekleidung aus eng gestellten vertikalen goldgelb eloxierten Aluminiumstäben als eigenes Ensemble wahrgenommen. Die schlanken Wohntürme überragen die Geländeerhebungen des Bireggwaldes, sodass sie auch vom Park des Konservatoriums aus zu sehen sind. Es sind die neuen Wahrzeichen der Stadt, und entgegen den Voraussagen der Gegner des Projektes, die eine Verschandelung des Stadtbildes befürchteten, dominieren sie die Gesamtsilhouette in keiner Weise. Das hat einerseits mit den elegant geschwungenen Fassadenlinien zu tun, anderseits mit der zurückhaltenden Farbigkeit, die sich der Umgebung angleicht.

 

Erste Überlegungen in Bezug auf eine Gesamtgestaltung des sich östlich der Horwerstrasse ausbreitenden Areals wurden von den Behörden 2004 formuliert. Ein erstes allgemein formuliertes Konzept lag 2006 vor. Kurz darauf wurde unter fünf Investoren, die mit Architekten zusammenspannten, ein Wettbewerb ausgeschrieben, den schliesslich, was das architektonische Konzept betrifft, das Team von Daniele Marques und Iwan Bühler für sich entscheiden konnte. Überraschend deutlich meisterten die Verantwortlichen alle Hürden – insbesondere zwei Volksabstimmungen –, sodass das Projekt in relativ kurzer Zeit bis Herbst 2012 ausgeführt werden konnte.

 

Jeder Einheit gaben die Architekten eine spezifische Form. Bei der Arena öffnet sich die Fassade durch Schrägstellung der Stäbe nach oben. Die Sporthalle ist ein Rechteckkörper mit allerdings abgerundeten Ecken, die Wohntürme schlanke Stelen über kleeblattförmigen Grundrissen.

Eine den Volumen angepasste vertikale Silhouettierung ergab für die Arena eine Höhe von 16 m, für die Sporthalle eine solche von 24 m und für die ungleichen Zwillinge eine solche von 77 m bzw. 88 m. Während die Arena das Innere verschleiert, die Sporthalle eine Balance von Verhüllung und Transparenz anstrebt, zelebrieren die Türme die Sicht von Innen nach Aussen. Je höher man wohnt, umso atemberaubender wird die Aussicht. Wenig überraschend, dass die über 250 Wohneinheiten – kaum angeboten – in kürzester Zeit vermietet waren.

Im Gegensatz zu anderen Stadionplänen und -bauten in der Schweiz verzichtete man in Luzern auf eine Mantelnutzung der Arena. Stattdessen umzieht ein wunderbarer Zwischenbereich die Sitzreihen. Daniele Marques und Iwan Bühler luden genau in diesen Zwischenbereich zur Vernissage der Monografie über das Ensemble ein. Es hätte keinen geeigneteren Ort hierfür geben können.

 

Die im Quart Verlag Luzern herausgegebene Schrift dürfte dank einer klugen Regie auch in den folgenden Jahren aktuell bleiben, anders als übliche Einzelbaumonografien, die derart detailliert über den Bauhergang berichten, dass sie höchstens am Festakt der Eröffnung zur Kenntnis genommen wird. Kurze Texte schildern die Entstehung des Projektes (Hubertus Adam), verweisen auf Quellen (Ueli Zbinden) und entschlüsseln die Prinzipien der Statik (Stéphane Braune). Kenntnisreich und plausibel deckt Zbinden mögliche Inspirationsspuren auf, etwa für die Gesamtanlage die Akropolis in Pergamon oder der IIT Campus in Chicago von Mies van der Rohe. Noch verblüffender ist die Nähe der Wohntürme zum berühmten Projekt für ein Hochhaus in Glas, das van der Rohe 1922 zweifelsohne als Manifest verstand. Und überraschend sind die formalen Ähnlichkeiten zwischen den geneigten Wänden der inneren Ummantelung und der gewellten Wand im finnischen Pavillon, den Alvar Aalto 1939 für die Weltausstellung in New York entworfen hatte.

 

Trotz all diesen Verweisen ist und bleibt das Ensemble von Marques und Bühler ein einzigartiges und in Bezug auf den neueren Stadionbau höchst innovatives architektonisches Juwel. Die auf leicht getöntem ungestrichenem Papier gedruckten Texte werden durch zwei Bildserien auf Hochglanzpapier unterbrochen. Die Aufnahmen sind technisch perfekt geraten, erscheinen aber farblich etwas überdreht. Schliesslich werden auf sechs Doppelseiten Grund- und Aufrisse ausgebreitet. Die Herausgeber schenkten nicht nur Fachleuten, sondern auch interessierten Stadtbewohnern und -bewohnerinnen eine informative und auf Prunk verzichtende Gedenkschrift.

 

 

Architektonisches Ensemble.

Fussballstadion, Sportgebäude und Wohntürme Allmend, Luzern

Daniele Marques und Iwan Bühler

Quart Verlag Luzern 2013

d/e, 96 S., CHF 38.00. €29.00

978-3-03761-053-4.

 

 

 

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