FRONTPAGE

«Novartis Campus Basel: Álvaro Siza»

Von Fabrizio Brentini

Dem Novartis Campus in Basel wurde ein weiterer Mosaikstein hinzugefügt: verantwortlicher Architekt des Laborgebäudes «Virchow 6» ist der Portugiese Álvaro Siza, der sein erstes Werk in der Schweiz realisieren konnte, als Gastdozent in Lausanne jedoch bereits vorher Kontakte zur Schweiz pflegte.

Siza ist der bedeutendste portugiesische Architekt nach dem Zweiten Weltkrieg und prägte die gesamte Architekturentwicklung in seinem Lande. 1933 geboren litt er wie viele seiner Landsleute unter den Zwängen der Salazar-Diktatur. Nach seinem Abschluss im Jahre 1955 und einer Tätigkeit bei seinem wichtigsten Lehrer und Förderer Fernando Távora begann er mit bescheidenen Einfamilienhäusern.

Erst nach der so genannten Nelkenrevolution im Jahre 1974 gelang es ihm, durch zwei SAAL-Wohnanlagen national und international auf sich aufmerksam zu machen. Sowohl die Überbauung in São Victor (1974/79) wie diejenige in Bouça (1975/77) – es handelt sich um Siedlungen in Porto – bestehen aus langezogenen Riegeln mit einfachen Wohnungen, die das Resultat einer engen Zusammenarbeit mit Behörden, aber auch mit der ansässigen Bevölkerung sind.
Siza suchte nie die spektakuläre Form. Seine Bauten orientieren sich am Stil des Neuen Bauens und vor allem an der Architektur von Alvar Aalto, dessen Sprache am besten in der 1995 vollendeten Universitätsbibliothek in Aveiro wiedererkannt werden kann.
Siza fühlte sich dem Magier des Nordens wohl auch deswegen so verbunden, weil sich Portugal geografisch in einer vergleichbaren Situation wie Finnland befindet – nämlich am Rande Europas. Für die grosse Überbauung Malagueira in Évora, dem wohl bedeutendsten Wohnbauprojekt in Sizas Oeuvre, engagierte er sich 20 Jahre lang.
In den 1980er Jahren weitete er seine Tätigkeit auf andere europäische Grossstädte aus. In Berlin (Wohnanlage Bonjour Tristesse, 1980/84) und Den Haag (Block De Punkt en De Komma, 1983/88) plante er Wohnblöcke, die Baulücken schlossen, ohne die Bauweise der Umgebung durch selbstverliebte Entwürfe zu übertönen.

 

Baukultur Portugals

Schliesslich wurde er mit Repräsentationsbauten beauftragt, worunter die Architekturfakultät in Porto (1986/96), das Galicische Zentrum für zeitgenössische Kunst in Santiago di Compostela (1988/1993), die Kirche Santa Maria in Marco de Canavezas (1990/96) und als Höhepunkt der portugiesische Pavillon an der Weltausstellung in Lissabon (1998) die bedeutendsten sind. Seine Ehrfurcht vor der Baukultur Portugals kommt am besten in der 1988 begonnenen Sanierung des durch einen Brand zerstörten Quartiers Chiado inmitten der Altstadt von Lissabon zum Ausdruck.
Siza war schon einmal in der Nähe von Basel aktiv. Auf dem Vitra-Gelände in Weil am Rhein, zweifelsohne eine für den Novartis Campus massgebende Inspirationsquelle, entwarf er 1991/94 ein grosses Produktionsgebäude mit einer filigranen Überdachung vor dem Haupteingang, die das Thema des Werktores variiert. Der Kontrast des streng kubisch gezeichneten Volumens zum fraktal aufgebrochenen Pavillon von Zaha Hadid, der in unmittelbarer Nachbarschaft steht, könnte nicht grösser sein.

Silhouette Novartis Campus

Auf dem Novartis Campus ist Sizas Block der erste, der die künftige Silhouette am Rhein prägen wird. Dem aus Marmor ausgezeichneten und mit einem strengen Raster unterteilten Skelett ist eine mit dünnen Stahlprofilen zusammengehaltene Glashaut vorgesetzt.
Siza ermöglichte, wie andere Architekten auf dem Gelände vor ihm, eine grösstmögliche Transparenz. Kontrastiert wird die Zeichnung der Fassaden einerseits durch eine asymmetrisch aufgebrochene Eingangssituation an der Nordwest-Ecke, andererseits durch das Tohuwabohu der auf dem Dach installierten technischen Installationen.
Diese lassen erahnen, wie komplex die innere Struktur des Gebäudes sein muss. Und tatsächlich, betrachtet man die Fotografien von Johannes Marburg im 13. Band der Monografien über die neuen Gebäude des Novartis Campus, dann erkennt man bei jedem präsentierten Innenraum das scheinbare Wirrwarr der Röhren und Leitungen, die für die Laborarbeit notwendig waren. Siza kleidete die technoide Innenwelt mit einer poetisch anmutenden Folie ein.

 

 

In seinem Aufsatz vergleicht Ákos Moravánszky den Block von Siza mit einem Palazzo am Canal Grande in Venedig. Es bleibe dahingestellt, ob diese Assoziation ihm vom Meister eingeflüstert wurde oder ob sie seine eigene ist. Ich sehe eher Parallelen zur Innenstadt von Lissabon, die nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 über einem streng orthogonalen Raster wiedererrichtet wurde. Interessant ist der Versuch einer Zwischenbilanz des gesamten Campus: Moravánszky stellt der wirklichen Stadt Basel die Firmenstadt von Novartis gegenüber und sieht, wohl treffend, ähnliche Beispiele in den USA. Schon jetzt kann kritisch bemerkt werden, dass trotz der Ansammlung von Werken der bekanntesten Stararchitekten das gesamte Gelände etwas steril wirkt. Es bleibt fraglich, ob der Gesamtentwurf Lampugnanis tatsächlich eine neue Stadt generieren wird.

 

 

Ulrike Jehle-Schulte Strathaus (Hg.)

Novartis Campus. Virchow 6 – Àlvaro Siza

Christoph Merian Verlag Basel 2012

80 S., CHF 49.00 / € 32.

ISBN 978-3-85616-547-5

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