Brücke Tarschlims. ©wilfried-dechau.de
Verweilbrücke. ©wilfried-dechau.de
Brücke am Pilzfelsen. ©wilfried-dechau.de
Wasserfallbrücke. ©wilfried-dechau.de
Blick vom Cassons-Wanderweg auf den Unteren Segnesboden. ©wilfried-dechau.de
«Trutg dil Flem – Sieben Brücken von Jürg Conzett»
Von Fabrizio Brentini
An diesem Buch ist schlicht nichts auszusetzen. Es ist ein perfekt gestaltetes Werk über ein überraschendes Projekt, das Architektur und Landschaft verschmelzen lässt. Inmitten der touristisch überbelegten Arena von Flims fliesst der bis anhin unbeachtete Bach namens Flem.
Die Quelle liegt auf über 2400 Meter über dem Meer, 1800 Meter tiefer fliesst das Gewässer in den Rhein. Eine Projektgruppe unter der Führung von Guido Casty beabsichtigte, entlang des Baches einen Wanderweg anzulegen. Der erste Teil, der 2012 vollendet wurde, beginnt bei der auf 2100 m gelegenen Segneshütte und endet bei der Talstation der Cassons-Seilbahn. So ist ein Pfad entstanden, auf Rätoromanisch «Trutg», der verdichtet alle Façetten einer alpinen Landschaft erleben lassen soll. Den Bach als Leitplanke benutzend, durchstreift der Wanderer Schuttflächen, steile Flanken, Alpenwiesen, Schluchten, offene und geschlossene Waldpartien mit stets wechselnden Panoramaansichten.
Laut Christian Marquart ist aus dem Trutg dil Flem «ein Parcours geworden, auf dem Wanderer künftig zu (fast) allen Jahreszeiten eine Art Grundkurs in der Betrachtung dramatischer Landschaften und Naturschauspiele erhalten». Der Fotograf Wilfried Dechau nimmt die Leser mittels grossformatigen Aufnahmen auf nicht weniger als 100 Seiten mit auf die Wanderung talabwärts.
Die Route überquert immer wieder den Bach und hierfür entwarf der inzwischen weltbekannte Ingenieur Jürg Conzett sieben Brücken, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es war ihm ein Anliegen, die Architektur der Stege an die jeweilige Situation anzupassen. Die Sammlung umfasst im Grunde alle denkbaren Brückenmodelle, von der einfachen Holzbrücke zur Betonplatte, die mit Treppen an den Weg anknüpft, bis zum elegant geschwungenen Steinbogen. Diesen stellt Conzett näher vor – er öffnet gleichsam sein Atelier und lässt den Leser am Entwurfsprozess teilnehmen. Ergänzt werden diese Ausführungen durch von Hand gezeichnete Konstruktionsentwürfe, die auch die Berechnungen enthalten. Wo findet man noch solch präzise, nicht am Computer entwickelte Skizzen?
Abgerundet wird das Buch mit einem Bildtagebuch, das die Arbeiten in der Zeit vom 12. Juni bis 14. September 2012 dokumentiert. Christian Dettwiler spricht ganz leise einen Wunsch aus, dem ich mich gerne anschliessen möchte: «Der Flem endet ja nicht in Flims, sondern fliesst bis nach Trin-Station, wo er etwas oberhalb in den Rhein mündet. Auch dieser Weg ist mit manchen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten gespickt und könnte als zweite Symphonie der Flimser Wassermusik „komponiert“ werden.»
Wilfried Dechau
Trutg dil Flem
Sieben Brücken von Jürg Conzett
Verlag Scheidegger & Spiess Zürich 2013,
192 S., CHF 69, EUR 58.
ISBN 978-3-85881-374-9
«Burghölzli – Burg aus Holz»
Von Fabrizio Brentini
Über die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK), die im Volksmund immer noch Burghölzli heisst, erschien im NZZ-Verlag eine aufwendige Publikation. Als Herausgeber firmieren der derzeitige Klinikdirektor Wulf Rössler und der international bekannte Fotokünstler Hans Danuser.
In seinem Atelier schichtete er auf einem mit Patina versehenen Bildhauerdrehpodest rohe Holzklötze zu einem plastischen Gebilde zusammen. Insgesamt fünfmal während eines Jahres fotografierte Danuser das Objekt, das je nach Lichtverhältnissen grell, kalt oder warm erscheint. Es ist nicht nur eine leicht augenzwinkernde Verarbeitung des Begriffes «Burghölzli», sondern auch eine mit Bildern vermittelte Bewusstmachung der Situation von Patienten, die sich für kürzere oder längere Zeit in einer Klinik für psychisch Kranke aufhalten. Der Standort bleibt derselbe, die eigene Situation oft auch, nur das Licht im Wechsel der Jahreszeiten wird unterschiedlich wahrgenommen.
Die Textbeiträge sind in zwei Hauptteile geordnet. Im ersten Teil wird die Geschichte der Klinik aufgearbeitet, ausgesprochen leserfreundlich mit Verzicht auf einen überdimensionierten Anmerkungsapparat. Nach intensiven Vorarbeiten wurde 1870 die von Johann Caspar Wolff projektierte Anlage mit grosszügigem Garten eröffnet.
Es waren drei Direktoren, die den Ruhm des Burghölzlis begründeten: Auguste Forel von 1879 bis 1898, Eugen Bleuler von 1898 bis 1927 und dessen Sohn Manfred Bleuler von 1942 bis 1969. Von 1900 bis 1909 arbeitete mit Unterbrüchen auch der junge Arzt Carl Gustav Jung im Burghölzli. Von ihm stammt die ungemein zutreffende Bezeichnung «Weltkloster». Insbesondere die von Bleuler intensivierte Forschung über die Schizophrenie liess die Klinik zu einem europäischen Zentrum für dieses Krankheitsbild werden.
Erhellend sind die Ausführungen über den Wandel der psychiatrischen Doktrinen, «von der Irrenheilanstalt zur Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich», wie es im Untertitel heisst, und damit verknüpft der Wandel vom geschlossenen, kloster-, um nicht zu sagen gefängnisähnlichen Ambiente zum offenen Haus, das auf Hemmschwellen verzichten möchte.
Ein sympathisches Porträt ist dem Zeichner Jakob gewidmet, der mit klitzekleinen Skizzen skurrile Figuren schuf und damit nicht nur das Interesse der Ärzte und Pfleger erregte. In die Texte sind dunkelbraun eingefärbte und etwas zu ausführlich geratene Kolumnen mit weiterführenden Informationen eingestreut, etwa mit der Biografie von Forel, der nach dem Verlassen der Anstalt seine Ameisenforschungen vorantrieb. In dieser Funktion ziert sein Konterfei die noch aktuelle, aber immer unbekannter werdende 1000 Franken Banknote.
Der zweite Teil ist mit «Aussenansichten zu Psychiatrie und Burghölzli» betitelt und in Architektur, darstellende Kunst, Film und Theater, in Literatur und schliesslich in Bilder, Gesellschaftsbilder und Wissenschaftsdiskurs fragmentiert. Die Auswahlkriterien scheinen eher intransparent, geboten werden nicht Texte, welche die Klinik unter den jeweiligen, mit den Rubriken intendierten Aspekten ausleuchten, sondern unterschiedliche Essays, die in einem weiten Bogen das Thema Wahn und Kreativität umkreisen. So wird auch beispielsweise die Architektur der Klinik mit Ausnahme weniger Aufnahmen nicht weiter vorgestellt.
Architekt Daniel Liebeskind verweist auf seine zwei innovativen Projekte für medizinische Zentren, ohne dass der Leser durch Abbildungen oder genauere Beschreibungen erfahren würde, was neuartig an den erwähnten Studien sein soll.
Historiker und Architekturtheoretiker Philipp Ursprung findet die «Räume der Depression» in den Bauten der Star-Architekten, etwa im olympischen Stadion von Herzog & de Meuron oder im Fernsehturm CCTV von OMA in Peking. Es ist mir nicht verständlich, wie Ursprung zum Begriff «Räume der Depression» gelangt, noch ist seine Argumentation nachzuvollziehen, warum die genannten Werke Beispiele solcher Räume sein sollten.
Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen analysiert und interpretiert psychoanalytisch – mit Charles Laughtons «The Night of the Hunter» von 1955. Warum dieser Film ausgewählt wurde und welcher Bezug zum Titel hergestellt werden kann, bleibt im Dunkeln.
Dies gilt auch für den Beitrag von Theaterkritikerin Barbara Villiger Heilig, die sich mit zwei, ineinander verschränkten Geschichten befasst, mit derjenigen von Emma Bovary und Lucia di Lammermoor.
Vielleicht ist aber die Aura des Enigmatischen, die dieses Buch zuweilen auch ausstrahlt, beabsichtigt?
Überzeugt hat der Schriftsteller Adolf Muschg, der von seinen zum Teil sehr intimen Erfahrungen mit dem Burghölzli erzählt, und dies geht unter die Haut.
Erhellend ist ferner die Annäherung von Literaturkritiker und Publizist Stefan Zweifel an den Anarchisten und Psychoanalytiker Otto Gross (1877-1920), der es schaffte, aus der Anstalt Burghölzli auszubrechen. Zweifel führt auf einem Streifzug durch die irrlichternde Welt der Bohème und der Künste, der Literaten der Jahrhundertwende, u.a. Blaise Cendrars und den Beginn des Dada, von der St. Petersinsel bis ins Cabaret Voltaire in Zürich.
Die Aussenansichten werden vom Historiker Jakob Tanner abgeschlossen, der eine Einordnung der Entstehungsgeschichte des Burghölzli verfasst und auf den Begriff Unterholz zurückkommt, somit auch eine Parallele zu den Fotoarbeiten Burg aus Holz Hans Danusers herstellt. Es gilt letztlich all den Patienten, mit denen und durch die, wie es Kunsthistoriker Juri Steiner ausdrückt, der historische Ort Burghölzli, dieser ‚Koloss‘, aus Prinzip unvollendet bleibt, denn er wird sich auch künftig weiterentwickeln und sich fortwährend mit seinen Patienten und seinem Personal verändern, so die Herausgeber.
Wulf Rössler/Hans Danuser (Hrsg.),
Burg aus Holz. Das Burghölzli.
Von der Irrenanstalt zur
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Mit Beiträgen von 22 Autoren und
Fotos von Cristina Zilioli.
240 S., Verlag Neue Zürcher Zeitung Zürich 2013,
CHF 68. ISBN 978-3-03823-739-6
Buchtipps Redaktion Literatur & Kunst
Glatt!
From Suburb
to City?
Why do you want to transform the Glattal in the first place? Wouldn’t it make more sense to radically increase the density of Zurich?
Arno Brandlhuber
Essentially, Zurich and Basel no longer have any insoluble problems on their
own urban territory. All Swiss cities have a problem of form outside the city core.
Marcel Meili
Anyone who loves the landscape must love its counterpart: the city! And the city is good partly because it can protect the landscape.
Architects Group Krokodil
Is urban sprawl unstoppable? Will Switzerland eventually look like Los Angeles?
With its book Glatt! Manifest für eine Stadt im Werden, the Architects Group Krokodil proposed an increase in the density of the agglomeration to turnit into a city. Instead of Glattal: Glatt – the City!
The International Summer Academy Zurich presented this urban vision as a subject for discussion. In 10 studios roughly 100 students from all around the world questioned the Krokodil Group’s hypotheses and urban design.
Glatt! From Suburb to City? tells the story of this Summer Academy and in the form of essays and statements, an encyclopedia, and the results of the individual studios, writes the next chapter in the history of the virtual City of Glatt.
With contributions from Marc Angélil, Emanuel Christ, Christoph Gantenbein, Marcel Meili, Lukas Schweingruber u.a.
Published by Architects Group Krokodil, in cooperation with the Department of Architecture at the ETH Zurich.
Park Books Zürich 2013
Scheidegger & Spiess
Glatt – From Suburb to City
Paperback, 124 S., English.
CHF 34.
ISBN 978-3-906027-22-7
Glatt Projekte
für eine Stadt im Werden
Ausgehend von Glatt! Manifest für eine Stadt im Werden der Architektengruppe Krokodil haben ArchitekturstudentInnen von fünf Deutschschweizer Fachhochschulen, Berner Fachhochschule, Fachhochschule Nortdostschweiz, Hochschule Luzern, HSR Hochschule für Technik, Rapperswil und zhaw Architektur Gestaltung und Bauingenieurwesen, mit ihren Projekten ein konkretes Bild der Vision Glatttalstadt entworfen.
Weshalb bauen wir keine Städte?
Wir suchen das Urbane, reden über Urbanität und bauen – immer noch – Siedlungen und Peripherien, um diese dann durch allerlei Zutaten und nachträgliche Anpassungen doch noch urban erscheinen zu lassen. Weshalb bauen wir keine Städte? Verdichtung scheint ein allgemein anerkanntes und heute populäres Rezept gegen Zersiedelung zu sein; und doch wird in erster Linie auch nur ein quantitativer – vorab wirtschaftlicher und im wörtlichen Sinne – Aspekt der Bautätigkeit beschrieben. Dichte und Enge genauso wie blosses Auftürmen und Aneinanderrücken machen für sich allein genommen noch lange keine Stadt und schon gar nicht Urbanität aus.
Die ausufernden, zerfransten Siedlungsränder haben die kompakten Städte ohnehin zum Verschwinden gebracht; ihre Form ist weder geschlossen noch überhaupt erkennbar, sagt man, obwohl ja die verwaltungstechnisch relevanten politischen Grenzen weiterhin wirksam sind, und gelegentlich – entschuldigend – als Ursache der schwierigen über Gemeindegrenzen hinweg zu entwickelnden Planung vorgeschoben werden. Nein, die Ursachen der Städte liegen ganz anderswo; man hatte sie als gültige, nachhaltige Lebensform im Zeichen der modernen tabula rasa-Euphorie und der neuen, modernen Ideologie der Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit schlicht und einfach abgeschafft. Die gebaute, alles vereinende Stadt ist uns abhandengekommen. Und damit verschwanden auch die – planerischen und architektonischen – Befähigungen, sie zu bauen. Längst ist der Katzenjammer ausgebrochen.
Doch der schwärmerischen Begeisterung zisalpiner Architekten auf dem Campo di Siena folgten zu Hause auf den spärlichen öffentlichen Plätzen die Betonblumenkisten. Bis heute treibt die kommunalen Verdichter der horror vacui, lässt freie Lücken schliessen, wo sie doch in hervorragender Weise Öffentlichkeit zur Darstellung bringen und erfahrbar machen könnten. Es musste alles und jedes in eindeutiger Weise Nutzungen bringen – wie dem Verkehr oder dem Verkauf – zugeordnet werden; nur so lässt es sich statistisch korrekt erfassen. Doch man vergleiche – auf einer jener südeuropäischen Reisen – die Fülle grösserer, kleinerer und stets variierter offener Stadträume mit dem, was unsere moderne Planung an überschüssigem Raum freigegeben und offen gelassen hat. Da begann das Elend der Peripherie.
(Auszug) Werner Oechslin
Glatt Projekte
für eine Stadt im Werden
Herausgegeben von Reto Pfenninger,
Thomas Schregenberger und den
beteiligten Hochschulen
Projekte von Studierenden und
Dozierenden von fünf
Schweizer Fachhochschulen
Park Books 2013
Scheidegger & Spiess
Broschur, 282 S.
CHF 55.
ISBN 978-3-906027-21-0