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«Fremder Planet – Architekturführer Anthroposophenhügel»

Von Simon Baur

Wie ein überdimensionaler Pilz steht es im tiefen Wald, das Zwergenhaus im Zeichentrickfilm Schneewittchen von Walt Disney und erinnert nicht nur den Kenner an die anthroposophische Architektur, wie sie rund um das Goetheanum in Dornach zu finden ist – der organische Stil hat eben unterschiedliche Gesichter. Ein neuer Führer lädt seit kurzem zum Besuch und Studium dieser speziellen Architektur.

 

Lange musste man auf einen Architekturführer zum Dornacher Goetheanumshügel warten, verschiedene Anläufe wurden unternommen, viele scheiterten aus finanziellen Gründen, doch ist es der Initiative von Walter Kugler, Co-Leiter am Rudolf Steiner Archiv zu verdanken, dass dieses Projekt rechtzeitig zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner, der in diesem Jahr weltweit gefeiert wird, erscheinen konnte.

Der Zufall will es, dass Kuglers Tochter als theoretisierende Architektin tätig ist und er sie für die Betreuung dieses Projektes gewinnen konnte. Ein Glück, denn Jolanthe Kugler ist – und das bedeutet in diesem Fall einen grossen Vorteil – im anthroposophischen Umfeld und in einem Gebäude, dass dem anthroposophisch-organischen Stil verpflichtet ist, aufgewachsen. Studien im Ausland haben später zu einer Distanz zu Dornach geführt, eine wichtige Voraussetzung, um eine solche Publikation

« neutral» und wissenschaftlich betreuen zu können.

 

Während das 1922 durch Brandstiftung zerstörte Erste Goetheanum und der 1928 eröffnete Nachfolgebau sowie die von Steiner selbst entworfenen Nebengebäude bereits in verschiedenen Publikationen umfassend dargestellt wurden, fehlte bis heute eine Publikation, die die rund 170 Wohn- und Zweckbauten der Anthroposophen-Kolonie dokumentierte. Jolanthe Kugler dokumentierte nicht nur im hintern Teil der Publikation sämtliche Bauobjekte, sodass erstmals eine lückenlose Übersicht vorliegt, sondern schlägt zudem vier Architekturrundgänge vor, die fünfzig ausgewählte Gebäude aus sieben Jahrzehnten dokumentieren. Die Auswahl, die auch die vierzehn von Steiner selbst entworfenen Bauten enthält, möchte so Kugler «ein möglichst breites Spektrum heterogenster Objekte hinsichtlich Bauweise, Lage und Nutzung anbieten, an dem exemplarisch eine Methode aufgezeigt werden kann».

Schon einige Schritte durch Dornach lassen diese Methode erkennen und unterstreichen, wie viel Rudolf Steiner von modernem Marketing verstanden hat. Er hat, vermutlich unbewusst, einen «Brand» geschaffen. Ob in der Geistes- oder Naturwissenschaft, in der Landwirtschaft oder Medizin, der Literatur und Kunst und eben auch der Architektur, im gesamten Schaffen Rudolf Steiners zeigt sich die Konsequenz einer stupenden Logik und unverkennbaren Erscheinung.

Wer eine Eurythmieaufführung, ein Möbelstück oder eine Zeichnung aus einer Waldorfschule mit den Gebäuden rund um das Goetheanum vergleicht, wird auf Anhieb zahlreiche Übereinstimmungen im Ausdruck feststellen. Dank dieser Konsequenz verbinden wir auch heute noch mit Anthroposophie entsprechende Gesten und Formen, wie wir mit Coca-Cola einen bestimmten roten Farbton und eine geschwungene Schrift verbinden.

 

Dem eigentlichen Architekturführer und der nachfolgenden Gebäude-Dokumentation werden nebst einem einführenden Vorwort der Herausgeberin drei Aufsätze von Wolfgang Zumdick, Wolfgang Pehnt und Walter Kugler vorangestellt. Sie widmen sich nicht nur der historischen Einbettung des Koloniegedankens und der sozialreformerischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern thematisieren auch die Baugeschichte und Gestaltungsideen auf dem Goetheanumshügel und behandeln die eher philosophisch zu beantwortende Frage welche Bedeutung einer Türklinke, die nach aussen gezogen werden muss, während die Türe gleichzeitig nach innen gestossen wird, zukommen kann. Die drei fundierten Aufsätze, machen die Publikation zu mehr als bloss einem Architekturführer. Sie wird dadurch zu einem Nachschlagewerk und zur Forschungslektüre im weiten Feld anthroposophischer Architektur. Wünschenswert wäre ein zusätzlicher Aufsatz gewesen, der Antworten auf Fragen der Zweckentfremdung und Umnutzung anthroposophischer Bauten, auf denkmalpflegerische Aspekte und der auch in Dornach nicht haltmachenden Zersiedelung geliefert hätte.

 

So lobenswert die Initiative und die Anstrengungen dieser Publikation sind, treten in der Ausführung doch einige Kritikpunkte zu Tage, die sich hätten vermeiden lassen.

Für einen Architekturführer ist das Format mit 19 x 16 cm etwas gross ausgefallen, das handlichere Format, das Lutz Windhöfel mit seinem Architekturführer zur Stadt Basel anbietet und das auch in einer Mantelttasche Platz findet, hätte als Vorbild dienen können. Windhöfel macht auch vor, wie sich trotz kleinem Buchformat Fotos abdrucken lassen, die auch Details erkennen lassen.

Im Architekturführer Goetheanumhügel sind sämtliche Abbildungen bloss briefmarkengross abgebildet. Einzelheiten, wie Türen und Fenster, Treppenaufgänge und Dachlandschaften, aber auch die spezifische Kubatur

anthroposophischer Bauten und auch die Einrichtungen der abgebildeten Innenräume sind dadurch nur schlecht oder gar nicht zu erkennen. Auch wurde auf die Erwähnung einiger von Rudolf Steiner selbst angelegten Architekturelementen verzichtet.

Das zwischen Haus Duldeck und dem Speisehaus gelegene «Felsli», die von dieser künstlichen Erhebung weg in Richtung Goetheanum strahlenförmig verlaufenden Mauern in der Wiese und die aus Pflastersteinen konstruierte Felszunge, die integrale Bestandteile der Hügelarchitektur sind und denen kultische Funktionen zukommen könnten, fehlen leider.

 

Jolanthe Kugler und alle an der Publikation beteiligten Kräfte haben es – dieser Schönheitsfehler zum Trotz – geschafft, eine hochstehende und spannende Publikation zu erarbeiten, auf die weitere Forschungen zur organischen Architektur aufbauen können. Dass dies der Fall sein muss, lässt sich nicht bestreiten. Nicht nur die Denkmalpflege, auch die Kultur- und Sozialwissenschaften finden in Dornach ein hervorragendes Tummelfeld für ihre Recherchen. Was in Hellerau bei Dresden oder auf dem Monte Verità bei Ascona versucht wurde, findet sich auch in der Nähe von Basel, mit dem Unterschied, dass an diesem Gesamtkunstwerk bis heute gebaut wird. Einige Verluste sind bereits zu beklagen, ein wunderschönes Gartenhaus am Hügelweg wurde 2008 abgerissen, die Siedlung in Dornach ist weltweit einmalig und muss in dieser Form unbedingt erhalten werden. Jolanthe Kuglers Architekturführer ist da ein erster Schritt in die richtige Richtung.

 

Architekturführer Goetheanumhügel

Die Dornacher Anthroposophen-Kolonie

Jolanthe Kugler (Hrsg.), Niggli-Verlag 2011,

212 Seiten, ca. 300 Abbildungen und Pläne, sowie 4 ausklappbare Übersichtskarten, 16 x 19 cm, Broschur, deutsch, CHF 42. € 34. ISBN 978-3-7212-0800-9

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