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«Typology Transfer»

Von Christ/Gantenbein

«Typologietransfer – auf dem Weg zu einer urbanen Architektur» nannten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein ihre Vorlesung an der ETH Zürich vom 30. November 2011. Daraus ist nun ein prägnanter Bildband entstanden, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess, der die Lehre und Forschung an der ETH untersucht und die zeitgenössische Architektur zu beschreiben versucht. Was bewegt die Architekten?

 

Die Architektur, so Christ und Gantenbein, ist untrennbar mit der zeitgenössischen Stadt verbunden. Die beiden Architekten sind überzeugt, dass jede Erklärung zur Architektur, sei sie theoretisch-programmatisch oder formuliert in Form eines Projekts, tief in ihrer Zeit verwurzelt ist. Das heisst, sie ist wesentlich geprägt durch die realen Bedingungen der Gegenwart:

«Diese realen Bedingungen einer zeitgenössischen Architektur erfahren wir in unserer täglichen Arbeit. Denn sobald es darum geht, ein Gebäude zu entwerfen und vor allem auch zu bauen, muss man sich der Realität vorbehaltlos stellen.
Damit ist allerdings nicht gemeint, dass man diese Realität mit den eigenen Projekten auch vorbehaltlos bedient. Architektur ist nicht die passive Erfüllung sämtlicher an sie gestellter Forderungen.

 

Genauso wenig kann sie aber nur das Resultat der radikalen Durchsetzung einer autonomen Idee des gestaltenden Individuums sein: Architektur ist immer das Resultat der Auseinandersetzung des Entwerfers, seiner persönlichen Haltung und seines Formwillens auf der einen Seite, mit den vorerst oft als Herausforderung, manchmal gar als Bedrohung empfundenen sozialen, ökonomischen, technischen oder politischen Bedingungen auf der anderen Seite.

Und die Architektur wird dort relevant, wo sie eine kreative und poetische Antwort auf eine konkrete Aufgabenstellung ist. Denn dort, wo sie durch zeittypische Bedingungen in eine Krise gerät, besteht das Potential, in einer produktiven Auseinandersetzung, in einem Befreiungsschlag neue und zeitgenössische Antworten hervorzubringen, ja die Architektur selbst neu zu erfinden. Sich dieser realen Kräfte bewusst zu werden, ist also die Voraussetzung dafür, produktiv mit ihnen umgehen zu können. Der Architekt muss sich gewissermassen, lustvoll und kreativ an der Realität abmühen.

 

Die in den dreizehn Jahren unserer beruflichen Tätigkeit als entwerfende und bauende Architekten entstandenen Projekte und Bauten sind alle Ausdruck einer solchen Auseinandersetzung. Und fast all diese Projekte sind Recherchen zum Verhältnis von architektonischem Objekt und der Stadt.

Wenn es gilt, etwas Neues zu schaffen, eine Erfindung für die Zukunft zu wagen, dann steht dem Architekten paradoxerweise nur eines zur Verfügung: die Vergangenheit. So wie die Architekten der Renaissance in Italien die römische Antike studierten, um eine neue Architektur zu finden und so wie die Künstler und Architekten anfangs des 20. Jahrhunderts archaische Kulturen zu ihren Paten machten, so untersuchen wir im Rahmen unserer Forschung an der ETH Gebäudetypologien von Städten des 20. Jahrhunderts.

 

Unentdeckte Visionen?

Die Auswahl dieser Städte ist ebenso logisch wie intuitiv: Es sind moderne Städte, gewachsen in der Industrialisierung oder später, Städte, die in Bezug auf ihre Behausungsmuster und ihre Architektur spezifisch sind. Vor allem aber Städte, die wir intuitiv als urban bezeichnen würden. Also Städte, die jene Qualitäten besitzen, die wir in der zeitgenössischen Bauproduktion vermissen.

 

Wir untersuchen sie daraufhin, ob sie als bisher unentdeckte Visionen für eine zeitgenössische Urbanität taugen: Hong Kong, Rom, New York und Buenos Aires. Sie alle sind, selbst Rom, im Wesentlichen in den letzten 100 Jahren entstanden, was uns die Hoffnung gibt, dass sie uns auf der Suche nach einer zeitgenössischen Stadtvorstellung weiterhelfen können.
Dabei ist unser Ziel nicht ein Städteporträt, also keine umfassende Darstellung der untersuchten Stadt. Vielmehr suchen wir im Dickicht einer Stadt nach der Logik ihrer Form, also nach dem Typischen ihrer Bebauung oder eben dem Typologischen, nach den Mustern, die ihr zugrunde liegen. Wir untersuchen diese Städte mit der Absicht, von ihnen und ihrer Architektur für unsere eigene Arbeit zu lernen:
Denn wieso soll ein Gebäudetyp, der in New York Teil einer städtischen Struktur ist, nicht auch in Zürich erfolgreich sein?

 

Beim Begriff des „Typs“ geht es um das Prinzip und nicht um dessen Ausformulierung im konkreten Fall. Ein Prinzip ist per se allgemeingültig, demzufolge ist der Typ unabhängig von einem konkreten Ort oder der Stadt, wo er entstanden ist. Was passiert nun, wenn wir Typen aus anderen Städten nach Zürich transferieren?».

 

Emanuel Christ, Christoph Gantenbein
Typology Transfer
Scheidegger & Spiess Zürich 2012
208 S., div. Abbildungen, Text d/e
CHF 69.00. Euro 58.00 US $ 80.00
ISBN 978-3-906027-01-2

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