FRONTPAGE

«Ken Adam: Dr. Schrecklich & Mr. Komisch oder Die Story hinter der Story»

Von Georg Seesslen

 

Ken Adam ist der grösste Architekt unserer Zeit, ohne Architekt zu sein. Für den Film entwarf er die aberwitzigsten Kulissen, war James Bond ebenso zu Diensten wie der Addams Family. Nun ehrt ihn eine grosse retrospektive Ausstellung «Bigger Than Life. Ken Adam’s Film Design» ab Dezember in der Deutschen Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen, in Berlin.

Viele Filmarchitekten, Production Designer, Ausstatter der Traumfabriken, haben die Welt der Räume, Bauten und Dinge immer nur nachzuahmen versucht. Es kommt indes darauf an, sie zu verändern. Jedenfalls, wenn es nach jemandem wie Ken Adam geht. «Kein Design ist die Mühe wert, wenn man damit nur die Wirklichkeit wiederholen will», sagt er. Und hat eine eigene Welt erschaffen: gewiss, im Dienste von Kino-Storys, von Helden und Stars, von Regisseuren und Konzepten. Aber immer unverkennbar als Ken Adam. Ein Autoren-Designer, wenn man so will, der nun mit einer gewaltigen Retrospektive in Berlin geehrt wird.

 

Sir Kenneth Adam, als Klaus Hugo Adam 1921 in Berlin geboren, ist ein Kind von Dr. Caligari, von Vincent van Gogh und Adolf Hitler. Der Erste, diese dämonische Stummfilmfigur, drang in seine frühen Kino-Träume und hinterliess dort eine Vorstellung von Raum, der nach eigenen, inneren Gesetzen funktioniert und sich mehr einem Seelenzustand verdankt als der architektonischen Logik. Der Zweite schien dem bildnerisch begabten Kind als Vorbild für seine frühen Versuche mit Farbe und Form. Und der Dritte war dafür verantwortlich, dass der glücklichere Teil der Familie Adam 1934 nach Großbritannien emigrierte und andere Familienmitglieder in den deutschen Konzentrationslagern umgebracht wurden. Ken, wie sich Klaus Hugo nun nannte, flog als Pilot der Royal Air Force Einsätze im Krieg. Eine andere Wahrnehmung; Zorn, Trauer, seltsame Erhabenheit. Ken Adam betont, er habe immer gegen die Nazis, nie gegen «die Deutschen» gekämpft. Nur dass der Unterschied oft schwer auszumachen ist.

 

Kann man sich vorstellen, dass jemand ein solches Leben, solche Erfahrungen nicht in Autobiografien, in Romanen oder Drehbüchern aufhebt, sondern in Bauten für den Film? Ken Adam sollte später mit seinen Rumerfindungen berühmt werden, mit den bizarren Kommandozentralen der Schurken aus den James Bond-Filmen, Raum gewordene Paranoia, mit den absurden «War Rooms» von Stanley Kubricks Dr. Strangelove oder dem viktorianisch wuchernden Haus der Addams Family. Diese Kino-Räume sind nicht dazu gedacht, dass sich die Darsteller in ihnen bewegen. Es verhält sich umgekehrt: Die Bewegungen der Darsteller werden von diesen Räumen aufgenommen, die ihrerseits wirken, als wären sie das Innere von deren Seelen. Die Architekturen zeigen nicht die Welt, sondern das, was die Figuren im Kopf haben. Und das ist  immer beides zugleich: schrecklich und komisch. So schrecklich und komisch wie die berühmte Episode um den einstigen Präsidenten der USA, Ronald Reagan, der sich erkundigt haben soll, wo denn eigentlich der in Kubricks Film präsentierte «War Room» tatsächlich liege, den er womöglich für die eigenen Lagebesprechungen nutzen wolle. Wie sagt man so schön: Touché!

 

Angefangen mit seiner Arbeit für den britischen Film hat Ken Adam in den fünfziger Jahren. Zu Beginn musste er sich mit bescheideneren Mitteln begnügen und seine eigenen Ideen eher heimlich an den Produzenten vorbeischmuggeln. Vor allem die Begegnung von Technik und Wasser faszinierte ihn immer wieder. Unter seinen ersten Arbeiten sind bemerkenswert viele Schiffe und Hafenanlagen. Die Segelschiffe von Captain Horatio Hornblower R.N. (1951), The Crimson Pirate (1951) oder The Master of Ballantrae (1953) oder die griechische Flotte in Helen of Troy (1956) zeichnen sich durch eine besondere Eigenschaft auf: Sie stellen nicht nur dar, sie funktionieren. Darin liegt das Geheimnis vieler der späteren Gadgets von Ken Adam in mehr oder weniger phantastischen Filmen. Sie sind so konstruiert, als wären sie nicht für das Kino, sondern für die Wirklichkeit gedacht. Während das «normale» Film-Design lauter Bauten, Objekte und Formen aus der Wirklichkeit auf die Leinwand saugt, um sie dort in konzentrierter, parodierter oder reduzierter Form zu nutzen, tendiert das Design von Ken Adam dazu, nach Plätzen in der Wirklichkeit zu suchen.

 

Es gibt, bei aller Vielfalt seiner Arbeiten, Leitmotive in der Design-Arbeit von Ken Adam: Eine rigorose Konfrontation von Kreis und Linie; der Dialog des Harten mit dem Weichen; die Verbindung des Widersprüchlichen; ein endloses Verschachteln von Natur und Architektur, etwa in den Schurkenräumen der Bond-Filme, die irgendwo in eine natürliche Landschaft eingeschlossen sind, in ihrem supertechnischen Inneren aber immer einen absurden Naturrest, Licht, Bäume, organische und nonlineare Formen einschliessen. Ebenso typisch ist für Ken Adam, dass er die inneren und äusseren Räume ineinander spiegelt.  Das grosse Vergnügen am technischen Spielzeug zeigt sich in Chitty Chitty Bang Bang.

Around the World in 80 Days, der ihm die erste Oscar-Nominierung einbrachte, lässt sich ebenso sehr als äusseres Abenteuer wie als Reise durch einen Kopf sehen, der sich dringend von etwas frei machen muss.

 

Oft ist in den Filmen auch der Nachklang des Expressionismus zu spüren, in dem Licht und Schatten ihre transzendentalen Zeichen setzen; das Wissen darum, dass jede Architektur auch eine Repräsentanz von Macht darstellt; wo die Frage auftaucht, wo rationale Moderne in eine irrationale Barbarei mündet. Ken Adam lässt immer wieder Albert Speer in seinen Raum-Konstruktionen spuken – um ihn zu widerlegen, so wie der hedonistische Einzelkämpfer Bond die hyperorganisierten Machtparanoiker widerlegt.
Die Welt dieses Architekten kennt keine ewigen Gewissheiten. Boden und Decken sind keine stabilen Bildbegrenzungen, oft werden die Decken heruntergezogen und der Boden erhält geschwungene oder gestufte Brüche. Kurzum: Räume und Objekte bei Ken Adam, suggestiv genug, verschaffen dem Blick keinerlei Ordnungen, sondern ziehen ihn in den Sog unendlicher Widerspiegelungen. Ken Adam-Räume dehnen sich immer ins Off aus.

 

Doch die widersprüchlichen Formen von Gadgets und Räumen, die Ken Adam für seine Filme entwickelt, treffen sich in einem Punkt: Sie sind Spiel. Dass zeigt er immer wieder auch in seinen Dekorationen: Der Tisch im War Room in Dr. Strangelove verweist auf einen Pokertisch, und die Politiker und Militärs treiben in der Tat nichts anderes als ein Spiel um die Zukunft der Welt. Im Mörderspiel Sleuth ist der Schauplatz des Geschehens nichts anderes als eine gewaltige Anhäufung von Spielsachen, mechanischen Puppen und Modellen. Und in Goldfinger verwandelt sich der Billardtisch in eine elektronische Kommandozentrale, durch die die Kugeln in ganz anderen Dimensionen zum Rollen und Zusammenprallen gebracht werden.

Ken Adam verhalf dem Kino der sechziger und siebziger Jahre zu seinen Träumen und Albträumen, zur direkten Darstellung von Modernisierungskrisen. Durch seine Eigenwilligkeit und sein recht robuste Selbstvertrauen machte das kinematografische Spektakel jener Jahre, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, eine hoch philosophische Gleichung auf. Es ist nicht der Mensch, der die Räume, Objekte und Techniken beherrscht, es sind die Räume, Objekte und Techniken, die den Menschen beherrschen. Aber sie beherrschen ihn nicht nur, sie verraten ihn auch, in doppeltem Sinne.

Das ist das Ungewöhnliche und ein bisschen Berauschende an vielen Filmen, an denen Ken Adam mitgewirkt hat: Dass sein Design nicht nur die Story des Films und seine Helden unterstützt und überhöht, sondern dass es auch eine klammheimliche Gegengeschichte erzählt. So etwas kann sich nur einer leisten, der seiner Sache so sicher ist wie Ken Adam.

 

(DIE ZEIT, Nr. 39 vom 18. September 2014, mit freundlicher Genehmigung des Autors).

 

 

«Bigger Than Life. Ken Adam’s Film Design»
Deutsche Kinemathek
Museum für Film und Fernsehen
Berlin.
11. Dezember 2014 bis 17. Mai 2015.
www.deutsche-kinemathek.de

 

 

 

L&K-Buchtipp


«WILHELM DEFFKE – ein Pionier des modernen Logos»

 

Wilhelm Deffke (1887-1950) gilt als «Father of the Modern Logo». Die erste Monografie über das Werk des deutschen Gestalters und Architekten stellt Leben und Werk des Pioniers vor.
 
Nach seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Elberfeld begann Wilhelm Deffke 1909 für Peter Behrens in dessen Atelier in Neubabelsberg bei Potsdam zu arbeiten. Dort lernte er auch Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe kennen. 1915 gründete er mit dem Reklamefachmann Carl Ernst Hinkefuss das Wilhelmwerk in Berlin, eine der ersten modernen Werbeagenturen Deutschlands. Sie veröffentlichten das Buch Handelsmarken und Fabrikzeichen, in dem sie das Logo als als Grundlage für alle geschäftlichen Werbemedien propagierten. Später realisierte Deffke für Firmen wie Reemtsma (Zigaretten), Rückforth (Lebensmittel, Kosmetik) und Tesma (Tabakwaren) umfassende Corporate-Design-Konzepte. Bis 1950 gestaltete er über 10 000 Logos, die für ihre Zeit aussergeöhnlich funktional und abstrakt waren. Von 1925 bis 1933 und 1946 bis 1950 war er Direktor der Kunstewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg. 1950 erhielt er den Kunstpreis der Stadt Berlin.
Neben seinen Pionierleistungen auf dem Gebiet der Plakate und buchgrafischen Arbeiten sind seine bedeutenden architektonischen Entwürfe, Corporate-Design-Projekte und insbesondere die Firmen- und Produktlogos hervorzuheben. Wilhelm Deffke wird international zu Recht als «Father oft he Modern Logo» (Steven Heller) angesehen. Seine Bedeutung als prägender Gestalter der Moderne erfährt mit diesem Buch erstmals eine umfassende Würdigung.

 

 

Wilhelm Deffke
Pionier des modernen Logos
Hrsg. Bröhan Design Foundation
Berlin, 1. Auflage, 2014
geb., 388 Seiten, 484 farbige, 120 sw Abb.
24.5 x 32 cm
CHF 89. € 75.
ISBN 978-3-85881-392-3

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