FRONTPAGE

«Otto Dix. Das Auge der Welt»

Von Ingrid Isermann

Dandy, Genie oder Revolutionär? Mit seinen messerscharfen Porträts schuf Otto Dix (1891-1969) ein gesellschaftliches Spiegelbild seiner Zeit. «Der Maler ist das Auge der Welt. Der Maler lehrt die Menschen sehen, das Wesentliche sehen, auch das, was hinter den Dingen ist», hat Otto Dix einmal gesagt, der als Wegbereiter der Neuen Sachlichkeit gilt. Wie aktuell ist die Neue Sachlichkeit? Einen neuen Blick auf Otto Dix und seine flammenden Werke bietet die grosse Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum, die noch bis anfangs April zu sehen ist.

 

Mit rund 120 Werken geht die Sonderschau der Frage nach, was die Neue Sachlichkeit auszeichnet und wie vielfältig dieser Begriff seit den 1920er Jahren verwendet und interpretiert wird. Otto Dix nimmt innerhalb dieser Stilrichtung eine zentrale Position ein. Mit seinen Porträts sowie drastischen Gesellschafts- und Kriegsbildern schuf er massgebliche Beispiele der neuen Ästhetik, mit der er kritisch und karikierend auf die Zustände in der Weimarer Republik reagierte. Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem direkten Vergleich zwischen Otto Dix und Künstlern wie Christian Schad, George Grosz, Rudolf Schlichter, Franz Radziwill, Werner Peiner, Georg Scholz und Franz Lenk, der die Unterschiede in der Reaktion auf die nationalsozialistische Ästhetik und Kunstpolitik sichtbar macht.

 

Vom Expressionisten zum Realisten
1913 ist Otto Dix 22 Jahre alt, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Was macht er? Er arbeitet sich an sich selbst ab.  «Wer bin ich und wenn ja wie viele?  Otto Dix malt 1913 das «Kleine Selbstbildnis», das «Selbstbildnis», das Gemälde «Köpfe (Selbstbildnisse)», dann das «Selbstbildnis mit Gladiolen» und natürlich das «Selbstbildnis als Raucher», schreibt der Chronist Florian Illies in seinem Buch «1913. Der Sommer des Jahrhunderts» (siehe Literatur & Kunst Rubrik Literatur).

Nach dem Ersten Weltkrieg wird der Maler vom Expressionisten zum Realisten, nach dem kubistischen Männerkopf  (1919) entsteht das Bildnis eines trostlosen Arbeiterjungen mit hängenden Schultern und Schiebermütze. Zwischendurch schiebt Dix eine Dada-Periode ein und porträtiert gnadenlos das Leben auf der Prager Strasse in Dresden. Dix, 1891 als Sohn eines Eisenformers und einer Näherin in Gera geboren, ist zum Kunststudium in der sächsischen Hauptstadt. Die Schaufenster der berühmten Promenade sind mit Prothesen dekoriert, auf dem Trottoir humpeln Kriegsgeschädigte. Ein Flugblatt mit dem Ausschnitt «Juden raus!» ist als Collage eingesetzt. Dix besitzt ein äusserst sensibles und untrügliches Gespür für die Bedrohungen seiner Zeit. Er  sieht sich als subtilen und genauen Beobachter, will das Leben zeigen, wie es ist: Mächtige und Ohnmächtige, Hochnäsige und Arrogante, Demütige und Gedemütigte, Ausgebeutete und Kriegsversehrte, gleichsam in bigotte Abgründe menschlicher Psyche leuchtend, die als perspektivische Deutung nichts von ihrer Aktualität verloren hat. In seinem  Selbstbildnis «An die Schönheit»(1922) präsentiert Dix sich selbst als smarten Dandy inmitten blasierter Schönheiten und  swingendem schwarzen Schlagzeuger.

 

 

1923 wird Otto Dix wegen seiner schrillen und grellen Porträts der Voyeure, Vampire, Profiteure und der Unterwelt der Pornografie angeklagt, was seinen Ruf als Bürgerschreck weiter befördert. Rechtsanwalt Hugo Simons verteidigt ihn, indem er die Gemälde als Warnung vor einem liederlichem Lebenswandel interpretiert. Der Künstler dankt es ihm 1925 mit einem Porträt, das den ambivalent gestikulierenden Juristen zeigt. Der Anwalt emigriert nach Kanada. Jetzt ist das Porträt erstmals wieder in Deutschland in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen.

 

Mit seinem Berliner «Grossstadt»-Triptychon von 1927/28 ist Dix auf dem Höhepunkt seines brillanten Schaffens, messerscharf karikierend und gnadenlos Auswüchse der Zeit abbildend, wie in einem Warteraum der sich ankündigenden Geschehnisse, die nach der Weimarer Republik folgenschwer folgen sollten.

In expressiven Farben zeichnet Dix in einer Tanzbar ein atmosphärisches  Zeitbild  der Goldenen Zwanziger, ein Tanz auf dem Vulkan, im roten Zwielicht tanzen exzessiv die Reichen und die Schönen den Modetanz Charleston zu den jazzigen Klängen einer Combo mit Saxofon, Trompete, Geige und schwarzem Sänger, die Frauen mit frechem Bubikopf, kurzen Röcken und tiefem Dekolleté.

 

 

Neue Sachlichkeit
Auch nach 1933 führte Dix den Stil der Neuen Sachlichkeit, besonders in seinen Landschaftsbildern, fort.
Als die Stadt Stuttgart im Jahr 1973 von einem Vorkaufsrecht für Otto Dix’ Triptychon «Grossstadt» Gebrauch machte, das ihr der Maler testamentarisch vermacht hatte, erwarb sie damit das wohl wichtigste Kunstwerk in der Sammlung des Kunstmuseums. Das Thema Grossstadt ebenso wie die Schrecken des Krieges spielten eine zentrale Rolle im Werk von Otto Dix. Dass er die Folgen des Ersten Weltkrieges schonungslos dargestellt hatte, wurde ihm von den konservativen Kreisen der Weimarer Republik verübelt.

 

Museum Haus Dix
Als Otto Dix mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 seine Professur an der Dresdner Kunstakademie verlor, siedelte er mit seiner Familie nach Randegg (Hegau) am Bodensee über. 1936 zog er auf die Höri nach Hemmenhofen in ein Haus, das der Dresdner Architekt Arno Schelcher für ihn entworfen hatte und in dem Dix bis zu seinem Tod 1969 lebte; hier entstand auch ein Grossteil seines künstlerischen Oeuvres.
Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich die Stuttgarter Kunstsammlung gegen den Trend sehr für das Werk von Otto Dix, sodass das Kunstmuseum Stuttgart heute eine bedeutende Sammlung dieses wichtigen deutschen Künstlers besitzt.

Zu seinem 100. Geburtstag 1991 wurde Dix’ ehemaliges Wohn- und Atelierhaus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Um das Gebäude mit seinen Aussenanlagen auch in Zukunft zu erhalten, wurde es am 30. Juni 2010 von der Stiftung Otto-Dix-Haus e.V. erworben. Nach der denkmalgerechten Sanierung wird das Kunstmuseum Stuttgart das Gebäude als Außenstelle unter dem Namen »Museum Haus Dix« übernehmen.

www.kunstmuseum-stuttgart.de
(10. November 2012 – 7. April 2013)

 

 

Katalog
Das Auge der Welt.
Otto Dix und die Neue Sachlichkeit
Hatje Cantz Verlag 2012
Deutsch, 2012, 256 Seiten

Englische Ausgabe ab Januar 2013
ISBN 978-3-7757-3439-4
Museum: 35 €, Buchhandel: 39,80 €

 

 

 

Wenn das Matterhorn lächelt…
Von Rolf Breiner
Man kennt ihn als Maler der Meere, der Marschlandschaften und der leuchtenden Blumen: Der Norddeutsche Emil Nolde, 1867 im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren, war einer der markanten Künstler des Deutschen Expressionismus (Mitglied der Künstlergruppe «Brücke»). Jetzt kann man Nolde in Berlin auch als Bewunderer alpiner Schweizer Naturschönheiten kennenlernen.

 

Wer den Namen Emil Nolde hört oder liest, denkt an rauschhafte Farben, lodernde Himmel über dem Meer, glühende Impressionen aus der Südsee oder leuchtende Blumenbilder.
Wer weiss schon, dass Emil Nolde mit der Schweiz mehr verband als ein paar Visiten. Er war ein leidenschaftlicher «Schweizer», heisst: die grandiose Bergwelt hatte es ihm angetan, hat ihn begeistert.
Als junger Zeichenlehrer in St. Gallen um 1892 packten ihn die Berge. Er wurde Mitglied des Schweizer Alpenclubs, unternahm zahllose Berg- und Klettertouren (Besteigung des Matterhorns 1896). Witzig, wuchtig und verschmitzt und doch auch märchenhaft-mystisch: Berggiganten bekommen ein Gesicht. Das Matterhorn lächelt (1896), die Mythen feixen (1895), Jungfrau, Mönch und Eiger schmunzeln (1894).
Seine Postkartenserie von1894/95 ist ein kurioses Zwischenspiel, um sein Einkommen aufzubessern. Doch dabei blieb es nicht. Immer wieder, von den Zwanziger- bis in den Vierzigerjahren, suchte Emil Nolde die Schweiz heim, von 1933 bis 1946 zur Ertüchtigung, zur Erholung. Nach dem Tode seiner Frau Ada heiratete Nolde 1948 Jolanthe Erdmann. Seine Hochzeitsreise ging in die Schweiz. 1951 entstanden die letzten Gemälde und Aquarelle. Er starb in 1956 in seinem Domizil Seebüll an der Nordsee.

Im Zuge nationalsozialistischer Gleichschaltung und Gesinnungsterror wurde Nolde als «entarteter Künstler» gebrandmarkt: Über 1000 seiner Werke wurden beschlagnahmt. Er selbst wurde 1941 mit einem Malverbot belegt. Mehr als 1300 kleinformatige Aquarell entstanden in dieser dunklen Zeit.

 

 

«Der Berg ruft – Emil Nolde und die Schweiz»
Unter dem Titel «Der Berg ruft – Emil Nolde und die Schweiz» sind im Nolde Museum Berlin rund 100 Arbeiten, überwiegend Aquarelle, zu sehen. Viele seiner hier gezeigten Schweizer Werke sind undatiert und gehören teilweise zu den so genannten «Ungemalten Bildern». Farbintensiv mit dominierendem Blau, gewaltig, schroff, erhaben – so türmen sich die Berge gen Himmel. Stille herrscht, hier und da Mohntupfer. Die imposante Bergwelt wird unter Noldes Pinselstrich zur abstrakten Impression. In diesen Räumen beim Berliner Gendarmenmarkt wirken sie indes wie abwesend, zurückhaltend. Mag sein dass die etwas lieblose Aneinanderreihung diesen Eindruck provoziert.

 

 

Der Porträtfilm, der im Museum gezeigt wird, sagt nichts über Noldes Beziehung zur Schweiz, er dreht sich um seine heimischen Gefilde, um Seebüll in Schleswig-Holstein, wo auch die Nolde Stiftung, also der Stammsitz, zuhause ist.
Vertiefend ist dagegen das Buch «Emil Nolde und die Schweiz» (DuMont Buchverlag), anlässlich der Ausstellung im Kirchner Museum Davos 2010 erschienen, an dem besagtes Museum und Karin Schick beteiligt sind.
Kein Ausstellungskatalog, sondern ein begleitendes Lesebuch – mit Beiträgen zu seiner Zeit als Lehrer in St. Gallen von Hans Fehr oder zur Frage «Wie hoch sind die Berge?» von Peter Stamm. Dazu werden breite Auszüge aus «Mein Leben» von Emil Nolde geboten.

«Meine freie Zeit verlebte ich soviel als möglich, gedanklich und wirklich, bei meinen Freunden, den Bergen», notierte Nolde über das Jahr 1894. «Die Frage, woher die Berge ihren Namen erhalten haben, beschäftigte mich, nicht aber im wissenschaftlichem Trieb. Nur die Romantik und das Volkstümliche ich suchte, und wie spielend wurden Inhalt und Titel mancher kleinen Alpenballaden erfunden, doch eine nur, das sagenhaft schöne Jungfrauenidyll, ich anspruchslos und schwärmend schrieb.»

 

Nolde Stiftung Seebüll
Dependance Berlin, Jägerstr. 55, 10117 Berlin (Mitte). Bis 7. April 2013.

 

 

 

Kunsthaus Zürich zeigt «Chagall. Meister der Moderne» – Mythen der unmittelbaren Form.

Vom 8. Februar bis zum 12. Mai 2013 zeigt das Kunsthaus Zürich eine Ausstellung mit rund 90 Gemälden und Arbeiten auf Papier von Marc Chagall (1887-1985). Chagall gehört zu den berühmtesten und beliebtesten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder vom russischen Dorfleben, seine schwebenden Figuren, Liebespaare und fliegenden Kühe sind weltbekannt.

 

Kennt man Chagall? Ist er als Klassiker schon abgehakt? Diese Ausstellung könnte eines Besseren belehren. Das Kunsthaus Zürich würdigt Chagalls Beitrag zur Avantgarde. Eine solche Ausstellung hat Seltensheitswert, umsomehr sind Mut und Initiative zu begrüssen, die kostbaren Leihgaben nach Zürich zu holen.

Man sieht den frühen Chagall, die Ausstellung konzentriert sich hauptsächlich auf die Jahre 1911-1922, die für den Anfang der Karriere Chagalls entscheidend waren. Die Werke zeichnen sein Leben in Paris und in seinem Heimatland Russland nach. Die Bildsprachen der Moderne werden vom Fauvismus zum Kubismus und Orphismus, vom Expressionismus bis zum Suprematismus zum Ausdruck gebracht.

 

Seine autobiografischen Erfahrungen zeichnet Chagall in subjektiv-theatralischer Manier, es sind liebenswerte, verspielte, verträumte Episoden und Geschichten, die für jedermann verständlich in den kulturellen Kosmos transferiert wurden.

 

Chagall – das ist wie liebend einige Gegenstände in die Köpfe der Menschen einfliegen. Selbstporträts wechseln sich ab mit narrativen Zirkusbildern, den Liebenden, Volksmusikern, Narren, Thora-Schriftgelehrten oder Hochzeitstänzern. Sujets, die aus dem prallen Leben gegriffen sind und auch Themenkomplexe wie Drama, Leid und Tod nicht ausschliessen.

 

Die Ausstellung wird vom Kunsthaus Zürich zusammen mit der Tate Liverpool organisiert. Die Leihgaben stammen aus berühmten Museen, dem Centre Pompidou, MNAM (Paris), dem Solomon R. Guggenheim Museum und dem MoMA, New York, der Staatlichen Tretjakow-Galerie, Moskau, dem Staatlichen Russischen Museum, St. Petersburg, der Tate, London sowie aus selten gezeigten Privatsammlungen. Die Ausstellung wird von der Familie Chagall sowie dem Comité Chagall in Paris unterstützt und wird anschliessend an der Tate Liverpool gezeigt. (I.I.)

 

 

Zur Ausstellung erscheint ein ausführlicher 200-seitiger Katalog.
Hatje Cantz, 2013, im Kunsthaus-Shop für CHF 48 sowie
im Buchhandel erhältlich.

Die Ausstellung ist auch montags geöffnet und bietet Familien mit Kindern einen eigenen Audioguide. www.kunsthaus.ch

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